Frankfurter Allgemeine Zeitung - 14.11.2019

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SEIT E 12·DONNERSTAG, 14.NOVEMBER 2019·NR.265 Feu illeton FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Neulichhat Rudolf Thome einmal
eine Nach tdurchgelesen. Mit Proust
kann einem das passieren. Als ervon
dem Buchaufblickte, sah er einen
Sonnenaufgang, vondem er einFoto
machte,da seraufseinerWebsitever-
öffentlichte. Sie trägtden Namen
Moana.Für Menschen, die mit dem
Kino leben, wieRudolf Thome das
auchtut, verbindetsichmit dem
WortMoanaeineIdee.Friedric hWil-
helmMurnauwollteunter diesemTi-
teleinen Filmüber die Südsee ma-
chen. Das Projekt scheiterte produk-
tiv,denn es wurden zweiFilme dar-
aus, die jeweils auf ihreWeise eine
westliche IdeevomverlorenenPara-
dies vertraten: der Spielfilm„Tabu“
vonMurnau und der Dokumentar-
film „Moana“vonRobertFlaherty.
1979 veröffentlichteRudolf Thome
gemeinsam mit Cynthia Beatt einen
Film, der die beiden Aspektewieder
zusammenführte:„Beschreibung ei-
ner Insel“,über eine Expedition nach
Ureparaparaind en Neuen Hebriden.
Eine ethnographisches und zugleich
cinephiles Projekt, eine Morgenland-
fahrtbis in den hintersten Winkel al-
ler Morgenländer.
Mit diesemAbenteuerfolgteTho-
meaucheinerBewegung, die ihnerst
kur zdavor auf eine andereInsel ge-
bracht hatte: 1973warervon Mün-
chen nac hWest-Berlingegangen und
hattesichineiner Gegend niederge-
lassen, zu deren Chronistenerwur-
de. Im bürgerlichen Teil vonKreuz-
berg(1980benannteermiteinemsei-
ner bekanntestenFilme beinahe eine
Adresse:„Berlin,Chamissoplatz“)be-
gann er ,von Menschen zu erzählen,
die meistvor allem an die Liebe den-
ken. Oder die Liebe erst lernen müs-
sen, wie der Philosoph GeorgHer-
mes in „Der Philosoph“, dem Mittel-
teil einerTrilogie über „Formen der
Liebe“. Thome interpretierte dabei
den Paris-Mythosfür seine Gegen-
wartneu.Nach Berlin warermitdem
Ruhm seiner frühen MünchnerFilme
geko mmen: „Detektive“, „RoteSon-

ne“ und „Supergirl“ (allevonMax
Zihlmanngeschrieben)verbandenro-
mantischeSensibilitätmitpopkultu-
reller Coolnessund Genreformeln,
die schon die französischenKollegen
vonder „NouvelleVague“ inspiriert
hatten.ThomeergänztedieModerni-
tätvon Godardmit deutscher Inner-
lichkeit.Seine Figuren leben nach
dem MaßvonGoethe, dessen„Wahl-
verwandtschaften“ ein Leitmotiv in
seinemWerk bilden. DenFragen des
AuskommensimWesentli chenentho-
ben, haben sieZeit, sic himmer wie-
der neu zugruppieren.
Die Frauensind dabei denMän-
nern auchdeswegen immer ein paar
Schritt evoraus,weil sie für Thome
nicht nur ebenbürtigePartnerinnen
sind, sondernObjekte derIdealisie-
rung. „Wir sind Göttinnen“, dieser
nicht allz uironisch gemeint eSatz ei-
ner derFrauenaus „Der Philosoph“
hatzweiFacetten–einerseits kennt
Thome,derauchüberFilmegeschrie-
ben hatund dem das amerikanische
Studiokinoeinewichti ge Norm ist,
dasAttraktionspotentialvonSchau-
spielerinnen; andererseits sindseine
männlichen Protagonis tenhäufig
aufder Suche nachTranszendenz.
Die Geschlechterbeziehung muss
einlösen, wasdie Religion nicht
mehr leistet.Das Landhaus und die
FahrtindiemediterranenLänder bil-
denwesentli cheMögli chkeitenindie-
sen Lebensgeschichten. Hannelore
Elsner, mit der er in den nuller Jah-
reneine Trilogie „Zeitreisen“ drehte,
wurde die letzteseiner Göttinnen.
Die Degeto, die Filmtochter der
ARD, botThome über viele Jahre
eine Möglichkeit, mit bescheidenen
MittelnkontinuierlichFilme zu dre-
hen. Inzwischen istdiese Quellever-
siegt.Die Moana-Seite, dieRudolf
Thome hoffentlichauchzuseinem
heutigen achtzigstenGeburtstag ak-
tualisierenwird,hältihninderGegen-
wart.Sein filmischesWerk istohne-
hin groß genug, um uns nochauf lan-
ge zu beschäftigen. BERTREBHANDL

S


zene in einem SalzburgerHaus:
Es is tdunkel, ein anderthalb Jah-
re alter Jungeläuftauf den Groß-
vaterzu. Er erkennt ihn an der
Stimme,kann aber das Gesicht nicht se-
hen. So betasteteresgründlich, sehr zur
Freude des Alten, derkurz darauf an die
Mutter des Kleinen schreibt:„Der Leo-
pold istcharmante! Ichhabe ihn frisch
und gesund angetroffen, und da kein
Liecht im Zimmerwar, als ic hkamm, so
hat er mir dasganze Gesicht abgegriffen,
weil er meineStimme kannte.“
Der verliebteGroßvater istLeopold
Mozart, seit acht JahrenWitwer ,Vater
des musikalischen Wunderkindes und
nunmehr berühmtenKomponistenWolf-
gang und der hochbegabten Maria Anna,
genanntNannerl. DercharmanteLeo-
pold, SohnNannerls, lebt beim Großva-
terundwir dvonihmdurchdieer stenKin-
derkrankheitengebracht .Andie Tochter,
diemitMannundStiefkindernimbenach-
bartenSt. Gilgen lebt, schreibt Leopold
senior 1786: „Damit du meineganze ge-
sinnungweist, so sageich dir,daß ic hden
Leopoldl, so lang ichlebe, beymir behal-
tenwerde“. Er maggeahnt haben, dass
dieser erstaunliche Entschlussschon bald
vonhöhererStelleaufgelöstwerdenwür-
de; ein Jahr späterstirbt Leopold Mozart,
siebenundsechzig Jahrealt, in Salzburg.
Anlässlich derWiederkehr seines Ge-
burts tags heutevordreihundertJahren
scheint eine Würdigung dieses berühm-
tenVatersangezeigt,vondemwirtrotzal-
ler Mozart-Bücher und -Filme eine eher
undeutlicheVorstellung haben. Johann
GeorgLeopold Mozart,geboren am 14.

November 1719, erhielt an seinem Ge-
burtsort, derFreien Reichs stadt Augs-
burg, vielegeistig eAnregungen. DerVa-
terwar selbständiger Buchbindermeister
und hatteden Willen, seinen Söhnen –
Leopoldwarder Er stgeborene–eine an-
spruchsvolleAusbildungzubieten.AmJe-
suiten-GymnasiumSt.Salvatorlernt eder
Jungeneben demKatechismus Latein,
Rhetorik, Philosophie, Geschichte, Geo-
graphie, Mathematik und wurde früh ins
Schultheater eingebunden, eine Speziali-
tätjesuitischer Schulen. In der Basilika
St.Ulric hund Afr asang er und „schlug“
die Or gel.

Der früheToddes Vaters zwang ihn,
Augsburgzu verlassen. An der Benedikti-
neruniversität Salzburgwurde er nach
drei Semestern wegenNichterscheinens
exmatrikuliert. Trieb er stattdessen musi-
kalische Studien? Manweiß es nicht;do-
kumentiertist sein Eintritt in das Haus
des Domherrn Johann Baptistvon
Thurn-Valassina undTaxis alsKammer-
diener undViolinist. Damit öffnete sich
ihm die höfischeWelt;hier lernteer, der
zeitlebens eine tiefeAbneigung gegen
Standesdünkel hegte, diplomatischen
Schlif fund Weltläufigkeit.Seine spätere
Bibliothek,die momentan in einer Son-

deraus stellung im Mozart-Wohnhaus am
SalzburgerMakartplatzgezeigt wird, ent-
hält Schlüsselschriftender europäischen
Aufklärung und Zivilisationskritik,dar-
unter den Roman „Émile“ vonJean-
JacquesRousseau.
Mitder Anstellung1744alsViolinistin
der SalzburgerHofkapelle wurde die Mu-
sik zum Lebensschwerpunkt;inden fol-
genden zwei Jahrzehntenkomponierte er
Kammermusik,Sinfonien, Lieder,Mes-
sen. Hörtman in die Missa solemnis,
Werkverzeichnis LMV I:C2, hinein (eine
aktuelleCD-AufnahmeerschienbeiApar-
té),sobegegneteinemeinfrischer,lebhaf-

terStil,derdurchgroße,leuchtendeChor-
gesten einerseits und melodiös anspre-
chende Arien alla italiana andrerseits be-
sticht .Solo-Instrumentetragenzummusi-
kalischenReichtum bei,vorallem für die
warmen Töne der Hörner hat Mozart
eine Vorliebe. Leidenschaftliche Diessei-
tigkeitverströmt seine „Neue Lambacher
Sinfonie“, die in Einspielungen des L’Or-
feoBarockorchesters unter Michi Gaigg
(cpo) und des BayerischenKammeror-
chesters unter ReinhardGoebel (Oehms)
vorliegt.Hier scheint die Anmut höfi-
scher Tanzcharakterevorrevolutionär zu
erbeben–durcheinenbedrohlichmetalli-
schen Hörnerklang, wie man ihn bei den
TagenAlter Musik inRegensburgerleben
konnte(F.A.Z. vom12. Juni).
Die Datierung vielerWerkeist schwie-
rig. In denvorzüglichen Editionen des
Trio MusikVerlags is timmer wieder die
Marke „vor 1764“ zu lesen. Danachwan-
deltesichdas Selbstverständnis Leopolds
vomAuftrag nehmenden Orchestermusi-
kerzum „Entrepeneur“, der einerspeziel-
len Agenda folgte: seinen wundersam be-
gabten Sohn mit der musikalischenWelt
bekanntzumachen. Als Elternerleben
LeopoldundseineFrauAnnaMarianicht
weniger Leid als andereauch: Drei Kin-
derwerdengeborenundsterbenkurzdar-
auf, 1751kommt Maria Anna zurWelt.
Zwei weitereKindersterbenimSäuglings-
alter ,als Letzterkommt 1756 Joannes
ChrysostomusWolfgangus Gottlieb, auch
„Wolferl“, späterWolfgang Amadé, oder,
eher scherzhaft, Amadeusgenannt.
Im selben Jahr publiziertLeopold im
Selbstverlag den„Versuc heiner gründli-
chen Violinschule“,quasi als salzburgi-
sche Antwortauf Johann Joachim
Quantz’BerlinerBuch„VersucheinerAn-
weisung die Flöte traversièrezuspielen“.
Das Frontispiz zeigt denViolinistenMo-
zartinenergie voller,zugleic hentspann-
terHaltung.AmunterenRanddes verzier-
tenRahmens mahnt eine lateinische In-
schrift, übersetzt:„In der Gebärde soll
man weder übertriebene Anmut noch
Häßlichkeit erblicken, damit wir nicht
den Eindruckvon Schauspielernoder Ta-
gelöhnernerwecken.“ Dieser Wahl-
spruc hunter streicht Leopolds Anspruch,
ein Lehrbuchauf der Basis fundierterBil-
dung zu präsentieren. Der Anspruchpo-
tenzierte sichnochimBilden und Prägen
der beiden hochbegabten Kinder.Der
„pädagogische Perfektionist“, wieNor-
bertElias ihn 1991 in seiner soziologi-
schen Mozart-Studie nannte, traf die Ent-
scheidung,Nannerlund Wolfer lkomplett
selbstzu unter richten.
Eine zweiteweitreichende Entschei-
dung betrifft die langenReisen derFami-
lie dur ch Europa, 1762 nachWien (drei
Monate),1763bis1766überBrüsselnach
Versailles undParis, London, Den Haag,
die Schweiz,Augsburg, München. Leo-
polds Drang zur Horizonterweiterung
undseinOrganisationstalent erlaubtenes
den Mozarts, die Auslandsaufenthalte
rein ph ysisch undfinanziell durchzuhal-
ten.NebendemNetworkingbeipotentiel-
lenAuftraggebernsucht eerden Kontakt
zu intellektuellen und musikalischenFör-
derern–Friedric hMelchiorGrimmin Pa-
ris, Johann Christian BachinLondon.
Über die Reiseerfahrungen sind wir
durchdieBriefeLeopoldsandenSalzbur-
gerFreundHagenauerinformiert.Gegen-
über beglückenden Momenten, wieetwa
mit der englischenKönigin Sophie Char-
lotte zu musizieren,stehen existentielle
Krisen. Im Oktober 1765 in Den Haag er-
hält die schwerkrankeTochter dieSterbe-
sakramente.Kaum bessertsichihr Zu-
stand, wirdWolfgang so krank,dasser
zehn Tage nicht spricht und nur noch
Haut und Knochen ist.
Eine neue Qualität liegt in den Italien-
reisen vonVater und Sohn in den 1770er
Jahren.Wolfgang,vierzehn,fünfzehnJah-
re alt, reüssier tinNeapel und Mailand,
wirdindie Philharmonische Akademie
Bologna aufgenommen,vomPapstzum
„Ritter“geadelt.DerVatersei,so schreibt
derOpernkomponistHasse,ein „uomodi
spirito,fino, edimondo“, ein Mannvon
Geistundweltgewandt.DieseEigenschaf-
tenhat Leopold unermüdlichfür seinen
Sohneingesetzt,bisdahin,dassseineeige-
neAnstellunginderSalzburgerHofkapel-
le gefährde twurde durch die Rebellion
Wolfgangsgegenden Erzbischof.
Die MusikhistorikerinSilkeLeopold
merkt in ihrergerade eben erschienenen
Biographie „Leopold Mozart. Ein Mann
vonvielen Witz und Klugheit“ (Bärenrei-
ter/Metzler) an, dassLeopold Mozartder
Menschwar,der Wolfgang Amadé am
Näch sten gestanden habe. Am Lebensen-
de warihm mit dem Enkel Leopoldl ein
Kind anvertraut, daskein kräftezehren-
des Wunder,sondernersteinmal nur
„charmante“war. ANJA-ROSA THÖMING

Leopold Mozart: Musiker –Manager –
Mensch. Sonderausstellung bis 9.Februar
2020imMozart-Wohnhaus am Makartplatzin
Salzburg.

Bis dann, mein Sohn – ChinesischeZeit-
geschichteals kunstvolles Familienpor-
trät (Kritik auf Seite11).
Blackand Blue – Dramaumeineschwar-
ze Polizistin inNewOrleans.
Die Kinder derToten– MorbideZombie-
groteskenachElfriede Jelinek.
Le Mans 66: Gegen jede Chance – Auto-
rennen mit Christian Bale.
The Irishman – Episch-melancholischer
Abge sangaufdasalteAmerikaalsGangs-
terfilm vonMartin Scorsese (F.A.Z.von
gestern).

Leopold Mozart(rechts) mit seinen KindernMaria Anna undWolfgang Amadé,gemaltvonJohannNepomuk della Croce Fotoddp





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Ein Mann vonGeistund weltgewandt

Eine Insel


im Kino


DerRegisseurRudolf


Thomewirdachtzig


AufGoethes Spuren durch den Film:
Rudolf Thome FotoImago

Aufklärer ,Geiger,


Komponist ,Manager,


Vaterund Großvater:


Vordreihundert Jahren


wurdeLeopoldMozart


geboren. Al sFigur


eigenen Ranges w irder


jetzt deutliche rsichtbar.

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