Handelsblatt - 14.11.2019

(Steven Felgate) #1

Kohlestrom


Teure


Symbole


M


uss man das verstehen?
Deutschland beschließt
den Ausstieg aus der Koh-

leverstromung, im kommenden


Jahr wird aber ein nagelneues Koh-


lekraftwerk ans Netz gehen. Der


Entwurf des Kohleausstiegsgesetzes


erlaubt es Betreiber Uniper, das


Pannenkraftwerk Datteln 4, dessen


Fertigstellung sich durch Klagen


und Baumängel ein Jahrzehnt ver-


zögert hat, doch noch in Betrieb zu


nehmen.


Ärger mit Umwelt- und Klima-


schützern über diese Entscheidung


ist programmiert und verständlich.


In der Öffentlichkeit ist das auch


kaum zu vermitteln. Trotzdem ist


die Inbetriebnahme unter einer Be-


dingung vertretbar: Es darf sich


nichts am geplanten Kohleausstieg


ändern. Er muss genauso entschlos-


sen und zügig vorangetrieben wer-


den, wie er von der Kohlekommissi-


on vorgegeben wurde. Wenn Dat-


teln 4 ans Netz geht, müssen ältere


Anlagen eben umso schneller abge-


schaltet werden. Und das ist offen-


bar auch geplant.


Letztlich hätte das Aus für Dat-


teln 4 zwar eine hohe Symbolkraft.


Die wäre aber teuer erkauft. Die An-


lage ist nach all den Pannen fast fer-


tiggestellt. Uniper hat alle nötigen


Genehmigungen vorliegen. Das Un-


ternehmen hätte einen hohen An-


spruch auf Schadensersatz – zumin-


dest würde ein jahrelanger Rechts-


streit drohen. Zudem wird Datteln 4


zwar Kohlestrom produzieren und


dabei große Mengen des klima-


schädlichen CO 2 ausstoßen. Die An-


lage ist aber effizienter als viele an-


deren Anlagen. Wenn im Gegenzug


alte Kraftwerke schneller abgeschal-


tet werden, ist das für die Klima -


bilanz sogar positiv.


Symbole sind wichtig, wenn gro-


ße Projekte durchgesetzt werden.


Das Aus für Datteln 4 wäre so ein


Symbol für den Kohleausstieg. Sie


dürfen aber nicht um jeden Preis


durchgesetzt werden.


Beim Kohleausstieg steht schließ-


lich noch ein anderes Symbol zur


Debatte: der Schutz des Hambacher


Forstes vor den Braunkohlebaggern


von RWE. Da ergibt Symbolpolitik


Sinn – aber auch das wird nicht ein-


fach.


Die Inbetriebnahme des Kraftwerks
Datteln 4 ist kaum zu vermitteln,
letztlich aber vernünftig, meint
Jürgen Flauger.


„Die Ironie ist, dass es in Zukunft


vielleicht gar keine Lenkräder


mehr geben wird.“


Elon Musk, Tesla-Chef, in Anspielung auf selbstfahrende
Fahrzeuge, nachdem er das „Goldene Lenkrad“ für das
Elektroauto Model 3 entgegengenommen hatte.

Worte des Tages


Der Autor ist stellvertretender


Ressortleiter Unternehmen.


Sie erreichen ihn unter:


[email protected]


F


alls Aktionäre gehofft haben sollten, dass
SAP üppige Ausschüttungen ankündigt,
dürften sie enttäuscht sein. Der Soft-
warehersteller hat auf einem außer -
ordentlichen Kapitalmarkttag am Diens-
tag zwar „signifikante Rückzahlungen“ in Aussicht
gestellt, diese aber an Bedingungen geknüpft und
verbindliche Zusagen verweigert. An der verhalte-
nen Entwicklung des Aktienkurses zeigt sich, dass
die Erwartungen an den Termin höher waren.
Mit der Anberaumung der Konferenz wie auch
markigen Ansagen gegenüber den Akteuren auf den
Finanzmärkten hat SAP unter der Führung des lang-
jährigen Chefs Bill McDermott die Spekulationen
selbst angefacht. Dass seine Nachfolger Christian
Klein und Jennifer Morgan im Zusammenspiel mit Fi-
nanzchef Luka Mucic nun die Luft rauslassen, ist
trotzdem richtig: Für den langfristigen Erfolg ist ein
Grundmaß an Flexibilität wichtiger als maximale
Kurspflege. Es gilt daher, übertriebene Erwartungen
auf ein realistisches Maß zu stutzen.
Das SAP-Management ist an sich in einer komfor -
tablen Situation. Dem Softwarehersteller ist es ge-
lungen, sich innerhalb eines Jahrzehnts neu auszu-
richten und dabei weiter gute Geschäfte zu machen


  • eine selten zu beobachtende Kombination. Heute
    beherrscht der Konzern das Cloud-Computing, das
    die IT-Welt revolutioniert, und verspricht mit dem
    Programmpaket S/4 Hana den Kunden wichtige Hilfe
    bei der Digitalisierung. Die selbstbewusste Prognose
    für 2023 bezeugt die starke Position.
    Dass die Aktionäre davon profitieren wollen, ist
    legitim. Der Hedgefonds Elliott Management ließ im
    Frühjahr wissen, dass er den Konzern für unter -
    bewertet halte und eine deutliche Steigerung des
    Gewinns pro Aktie möglich sei. Elliott stand dabei
    stellvertretend für viele. Zu Recht: SAP ist zu einer
    komplexen Organisation mit einer komplexen Pro-
    duktpalette geworden, in der sich einiges effizienter
    gestalten lässt.
    Als Reaktion darauf hat SAP für 2020 bereits eine
    zusätzliche Ausschüttung in Höhe von 1,5 Milliarden
    Euro angekündigt, entweder als Sonderdividende
    oder als Aktienrückkauf. Auch in den Jahren danach
    dürfen Aktionäre auf zusätzliche Zahlungen hoffen,
    wie der Softwarehersteller jetzt den Investoren ver-
    sprochen hat. Das Effizienzprogramm schaffe eini-
    gen Spielraum, sagte Finanzchef Mucic – und er wol-
    le das Geld nicht horten.
    Allerdings sind weitere Ausschüttungen nur ge-
    plant, wenn nach Investitionen, Tilgung und Divi-
    dende ausreichend Mittel übrig bleiben. Diese dürf-
    ten indes nicht so üppig sein, wie vielleicht einige


angloamerikanische Investoren hoffen. SAP rechnet
zwar damit, dass der Cashflow im kommenden Jahr
4,5 Milliarden Euro beträgt und danach beständig
wächst. Das Unternehmen muss aber bis 2023 gut
sechs Milliarden Euro Schulden zurückzahlen, und
es will sich etwas Spielraum bewahren.
Diese Prioritäten mögen bei einigen Investoren auf
Skepsis stoßen, aber sie sind strategisch sinnvoll. So
stärkt die Entschuldung die Bilanz und schafft Mög-
lichkeiten für künftige Ausschüttungen oder Investi-
tionen. Und Übernahmen sind immer ein Mittel, um
in der dynamischen IT-Welt auf Trends zu reagieren


  • selbst für vergleichsweise kleine Firmen werden
    schnell dreistellige Millionenbeträge fällig.
    Zudem muss der Softwarehersteller einiges tun,
    um die Kundenzufriedenheit zu steigern. Die Unter-
    nehmen fordern, dass die zahlreichen Produkte im
    Portfolio zusammenspielen. Das ist schließlich die
    Voraussetzung, um Routineaufgaben zu automati -
    sieren oder bessere Entscheidungen zu treffen, was
    SAP stets als Argument anführt. Und die Kunden be-
    nötigen genaue Pläne für die Produktentwicklung,
    auf deren Grundlage sie die Digitalisierung ihrer Or-
    ganisation planen können.
    Die massiven Beschwerden, die in den letzten Mo-
    naten an die Öffentlichkeit gelangt sind, sind für SAP
    ein deutliches Warnzeichen. Dass die neue Füh-
    rungsspitze Ausgaben für Forschung und Entwick-
    lung parallel mit dem Umsatz weiter steigern will
    und gleichzeitig eine Fokussierung auf die wichtigs-
    ten Geschäftsbereiche ankündigt, zeigt, Klein und
    Morgan haben das Problem verstanden. Zugleich
    haben sie aber auch die Chance erkannt – wenn der
    deutsche Konzern die Kunden wieder von sich über-
    zeugen kann, ist das Marktpotenzial gigantisch.
    Der Vorstand versucht einen Balanceakt zwischen
    kurzfristigem Shareholder-Value und langfristiger
    Unternehmensentwicklung. Aktionäre, die nicht nur
    auf einen schnellen Kursgewinn aus sind, sollten das
    als gutes Zeichen werten: Die neue Führung denkt
    über das Quartal hinaus.
    Auf Dauer kann SAP die Aktionäre allerdings nicht
    im Ungefähren lassen. Wenn die vielen Initiativen,
    die das Management vorgestellt hat, einmal Wirkung
    zeigen, muss der Konzern konkreter werden, was er
    mit dem zusätzlichen Profit zu tun gedenkt – Verläss-
    lichkeit ist wichtig. Dafür braucht es nicht einmal ei-
    nen außerordentlichen Kapitalmarkttag, den Aktio-
    nären reicht auch eine schlichte Ad-hoc-Mitteilung.


Leitartikel


SAP probt


den Balanceakt


Das neue
Führungsduo
dämpft die
Erwartungen der
Aktionäre – und
tut dem Konzern
einen Gefallen,
meint Christof
Kerkmann.

Die neuen


Prioritäten


mögen bei ei-


nigen Investo-


ren auf Skepsis


stoßen, aber sie


sind strategisch


sinnvoll.


Der Autor ist Redakteur im Ressort Unternehmen
& Märkte. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung

& Analyse

DONNERSTAG, 14. NOVEMBER 2019, NR. 220


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