Handelsblatt - 14.11.2019

(Steven Felgate) #1
Michael Maisch, Yasmin Osman, Matthias Streit
Frankfurt, Erfurt

E


s ist wohl der Traum eines jeden Kre-
ditnehmers: ein Darlehen aufnehmen
und am Ende dafür sogar noch Geld
bekommen. Die absurde Welt der Mi-
nuszinsen sorgt dafür, dass diese
scheinbar paradoxe Idee gar nicht mehr so abwegig
ist. Die staatliche Förderbank KfW bringt sie ein
Stück weiter in Richtung Realität: Vorstandschef
Günther Bräunig will künftig auch Privatleute und
Mittelständler von den Negativzinsen profitieren
lassen, zu denen sich die KfW selbst Geld leihen
kann. Andere Förderbanken bereiten sich auf eine
ähnliche Strategie vor. Auch im Lager von Privat-
banken, Sparkassen und Genossenschaftsinstituten
sind negative Sätze für Kredite längst ein Diskussi-
onsthema. Aber noch halten viele Banker echte Mi-
nuszinsen für Firmenkundenkredite und Baufinan-
zierungen für unwahrscheinlich.
Die Überlegungen der Förderbanken zeigen, dass
negative Zinssätze längst kein vorübergehendes
Phänomen mehr sind. Seit die Europäische Zentral-
bank (EZB) im September die Strafsätze auf Einla-
gen der Banken auf absehbare Zeit festgeschrieben
hat, ist klar, dass sich die Geldhäuser auf Dauer in
der Welt der Minuszinsen einrichten müssen. Da-
rauf reagieren die Banken: Von Unternehmen und
Finanzdienstleistern fordern die meisten Institute
bereits seit geraumer Zeit sogenannte Verwahrge-
bühren für ihre Einlagen. Auch im Privatkundenge-
schäft sprechen immer mehr Banken ihre Klienten
an, um mit ihnen über Minuszinsen für Giro- und
Tagesgeldkonten zu sprechen. In den meisten Fäl-
len räumen die Institute den Kunden dabei noch
Freibeträge von beispielsweise 100 000 Euro ein.
Bei der Vergabe von Krediten haben Deutschlands
Banken das Thema negative Zinsen bislang wei-
testgehend umschifft. Mit der Offensive
der Förderbanken gerät aber nun
auch dieses Tabu in Gefahr. „Wenn
wir nicht aufpassen, dann frisst
sich das Thema Minuszinsen tief
in der Bankenwelt fest, mit
ernsten Folgen für das Finanz-
system“, warnt ein deutscher
Spitzenbanker. Die KfW will
ihre Förderkredite künftig
noch günstiger an Wohnungs-
käufer, Mittelständler und Kom-
munen vergeben. „Es ist unaus-
weichlich, wir müssen uns auf die
Vergabe von Förderkrediten zu negati-
ven Zinsen vorbereiten“, sagte KfW-Chef
Bräunig in Frankfurt. Die KfW wolle ihre IT-Syste-
me so umstellen, dass sie ihre Fördermittel künftig
auch zu Minuszinsen weiterleiten könne, sagte Bräu-
nig. Bislang ist das technisch nicht möglich.

Probleme mit der Technik


Beim aktuellen Zinsniveau führt das noch nicht au-
tomatisch zu Negativzinsen für die Kunden: Die
Banken dürfen nämlich noch eine Gewinnmarge
auf die günstigen Fördermittel der KfW aufschla-
gen, bevor sie sie an die Kunden weiterreichen.
Diese Margen sind zwar nach oben gedeckelt. Aber
beim aktuellen Zinsniveau würden Kunden nach
Berechnung von Bräunig noch immer einen leicht
positiven Zinssatz zahlen müssen. Günstiger als
vorher wird der Kredit dadurch aber auf jeden Fall.
Damit das System der Negativzinsen funktioniert,
müssen aber nicht nur die KfW, sondern auch die
Banken, die die Förderkredite weiterreichen, an ih-
ren IT-Systemen schrauben. Die staatliche Förder-
bank vergibt Darlehen nämlich nicht direkt an End-
kunden. Wer einen KfW-Kredit will, muss ihn bei
seiner Hausbank beantragen. Deshalb müssen auch
Banken und Sparkassen ihre Technik anpassen.
Das System funktioniert so: Die KfW kann sich zu
sehr viel günstigeren Konditionen Geld leihen als
normale Banken, weil hinter der Förderbank die
Bundesrepublik Deutschland steht. Aktuell be-
kommt die KfW Geld sogar zu Negativzinsen, das
heißt, sie zahlt weniger zurück, als sie sich geliehen
hat. Das am Kapitalmarkt geliehene Geld verleiht
die KfW dann an normale Banken. Die Hausbanken

Schöne neue


Zinswelt


Wohl oder übel müssen sich Privatkunden an Minuszinsen für


ihr Erspartes gewöhnen. Vergeben die Banken im Gegenzug


bald Kredite mit negativen Sätzen? Zumindest die


Förderbanken bereiten sich darauf vor.


KfW-Zentrale in Frank-
furt: Die Förderbank
kann sich selbst ak-
tuell Geld zu ne-
gativen Zinssät-
zen leihen.

dpa [M]

0,75


PROZENTPUNKTE


dürfen Banken bei Wohnungsbau-
krediten der KfW auf den Zinssatz
der Förderbank aufschlagen.

Quelle: Eigene Recherche


Finanzen

& Börsen

DONNERSTAG, 14. NOVEMBER 2019, NR. 220


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