Handelsblatt - 14.11.2019

(Steven Felgate) #1

Maike Telgheder Frankfurt


D


ie Schlagzeilen zum demografischen
Wandel sind alarmierend: „Pflege-
notstand in Schwerin“, „Überalte-
rung gefährdet Europa“ oder „Im-
mer mehr Pflegebedürftige“. Dabei
wird häufig ausgeblendet, dass die steigende Le-
benserwartung von immer mehr Menschen auch
große Chancen bietet. Sie eröffnet auch Märkte für
neue Produkte, Dienstleistungen und Infrastruktu-
ren. Denn alte Menschen sind heute gesünder und
leistungsfähiger als vor 20 Jahren – und bereit, für
ihre Gesundheit Geld auszugeben. Gleichzeitig
aber steigen mit der wachsenden Zahl Älterer auch
die Fälle von chronischen Erkrankungen.
Von diesen Trends profitiert eine ganze Reihe
von Branchen: Fitnessanbieter, Hersteller von Nah-
rungsergänzungsmitteln, Apotheken, Medizintech-
nikunternehmen, Pharmakonzerne und Kranken-
hausanbieter. Ein ganz großes Thema ist die Pflege.
Allein in Deutschland wird sich die Zahl der Pflege-
bedürftigen von aktuell 3,4 Millionen Men-
schen voraussichtlich auf 4,4 Millio-
nen im Jahr 2030 und fünf Millio-
nen bis 2040 erhöhen. Das zeigt
der kürzlich veröffentlichte Pfle-
geheim-Rating-Report des
RWI-Leibniz-Instituts für Wirt-
schaftsforschung. Neben
mehr Personal brauchen die
Anbieter in diesem Bereich
Kapital, um die nötigen Be-
treuungsplätze zu schaffen.
Den Prognosen zufolge müssen
bis 2040 zusätzliche 378 000 sta-
tionäre Pflegeplätze geschaffen wer-
den. Weil die öffentliche Hand nach
Meinung vieler Experten die notwendigen
Investitionen in den Ausbau der Betreuungsplätze
nicht allein leisten kann, kommt den privaten An-
bietern eine immer wichtigere Rolle zu. Damit wird
das Thema spannend für Investoren, die von dem
langfristigen, globalen Trend zum längeren Leben
profitieren wollen.
Insgesamt ist der Markt für Pflegeleistung in
Europa sehr fragmentiert. Die Anbieter sind zu-
meist national fokussiert. Aber zwei große börsen-
notierte Betreiber aus Frankreich, die grenzüber-
schreitend aktiv sind, stechen heraus: Orpea und
Korian. Die 1989 gegründete Orpea hat im vergan-
genen Jahrzehnt eine bemerkenswerte Internatio-
nalisierung und ein starkes Wachstum gezeigt. Vor
zehn Jahren war das Unternehmen erst in vier Län-
dern präsent und erzielte rund 80 Prozent seines
Umsatzes in Frankreich. Heute ist Orpea in 16 Län-
dern vertreten. Rund zwei Drittel des Umsatzes
werden mittlerweile außerhalb von Frankreich er-
wirtschaftet. Orpea-Chef Yves Le Masne treibt da-
bei auch das Wachstum jenseits von Europa voran,
wenn auch noch in überschaubarem Umfang: Die
Gruppe hat eine erste Einrichtung in China sowie
19 Heime in Lateinamerika erworben.

Einstieg ins Rehageschäft


Das Unternehmen ist nach eigener Darstellung seit
dem Börsengang im Jahr 2002 um jährlich mehr
als 21 Prozent auf zuletzt 3,4 Milliarden Euro Jahres-
umsatz gewachsen – getrieben durch Zukäufe und
den Ausbau der Kapazitäten. Dabei ist das Unter-
nehmen auch im Rehageschäft aktiv. In Deutsch-
land hat Orpea 2014 den Pflegeheimbetreiber Sil-
vercare gekauft sowie 2015 die Rehagruppe Cele-
nus-Kliniken.
2018 erwirtschaftete Orpea einen Gewinn vor
Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von
knapp 604 Millionen Euro – ein Plus von mehr als
zehn Prozent. Mit den Anfang des Monats vorge-
legten Quartalszahlen hat der Konzern noch ein-
mal die Umsatzprognose erhöht: Im laufenden
Jahr will er um mehr als neun Prozent auf 3,735
Milliarden Euro wachsen – bei einer „starken Pro-
fitabilität“, wie es in der Mitteilung des Unterneh-
mens heißt.
An der Börse kommt die Wachstumsstory von
Orpea an: Das Unternehmen ist derzeit mit rund
sieben Milliarden Euro bewertet, fast doppelt so

hoch wie der fast genauso große Wettbewerber Ko-
rian, der zuletzt auf 3,2 Milliarden Euro Jahres -
umsatz kam. Neun von 13 bei Bloomberg gelisteten
Analysten empfehlen die Titel von Orpea zum
Kauf. Bei einem Preis von aktuell 108 Euro je Aktie
ist zum empfohlenen Richtkurs von 121,67 Euro
noch etwas Luft. Für die Analysten der Berenberg
Bank gilt Orpea wegen seiner über Jahre konsisten-
ten Wachstumsstory als bester in der Riege der
börsennotierten Pflegeheimbetreiber, zu denen die
Bank auch noch die deutlich kleinere französische
Gruppe LNA Santé zählt.
Allerdings ist der vor Jahren noch wenig dyna-
mische Konkurrent Korian seit 2016 unter der
Führung von Sophie Boissard profitabler gewor-

den. Korian hat das Geschäft in Zentraleuropa
ausgebaut und ist jetzt in sechs Ländern präsent.
Nach eigenen Angaben ist das Unternehmen
Marktführer bei Pflegeeinrichtungen in Frank-
reich, Deutschland und Belgien. Beim Capital
Markets Day im September präsentierte das Un-
ternehmen für die kommenden Jahre ehrgeizige
Wachstumsziele: Bis 2023 will Korian pro Jahr
durchschnittlich mindestens um acht Prozent zu-
legen und 2023 einen Umsatz von fünf Milliarden
Euro erreichen. Etwa zur Hälfte soll der Zuwachs
durch Akquisitionen kommen, darüber hinaus
will Korian Pflegekonzepte, die in einem Land
gut funktionieren, künftig verstärkt auch in den
anderen Märkten einführen. Auch die operative

Am langen Leben


verdienen


Der demografische Wandel treibt den Bedarf an


Gesundheitsleistungen und Pflegeplätzen. Davon profitieren


börsennotierte Konzerne wie Orpea und Korian.


Stone/Getty Images

In Deutschland erhöht


sich die Zahl der


Pflegebedürftigen auf 4,4


Millionen im Jahr 2030.


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DONNERSTAG, 14. NOVEMBER 2019, NR. 220


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