Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

(nextflipdebug5) #1
München– Fürdie einen sind sie die
schönste Form des Vorankommens, für an-
dere ein Feindbild auf vier Rädern. Für die
Autokonzerne wiederum sind die SUV ge-
nannten Stadtgeländewagen vor allem ei-
nes: ein Riesengeschäft – allen Diskussio-
nen um den Klimawandel und überfüllte
Städte zum Trotz. Wie sehr gerade die deut-
schen Hersteller vom Erfolg dieser Fahr-
zeugklasse abhängen, zeigte sich, als der
Münchner Hersteller BMW am Mittwoch
seine Zahlen für das dritte Quartal vorleg-
te. Bei den Automodellen 3er, 5er, 7er – für
die der Name BMW lange Zeit stand – sind
die Verkaufszahlen rückläufig, teilweise
im zweistelligen Prozentbereich. Aufwärts
geht es dafür bei Autos mit X, der SUV- und
Geländewagenklasse des Unternehmens.
Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum
verkauften die Münchner 29 Prozent mehr
SUVs, in Deutschland sogar 37 Prozent
mehr. Beim mindestens 1,8 Tonnen schwe-
ren X3 fielen die Zahlen noch besser aus.
Von ihm verkaufte BMW 74 Prozent mehr
als im Vorjahr. Und auch der vergleichswei-
se neue X7, der mit 2,4 Tonnen zu den be-
sonders dicken Vertretern dieser Gattung
gehört, verkauft sich mittlerweile gut.

Die Forderungen aus Teilen der Gesell-
schaft, SUVs zu meiden, „gehen am Ver-
brauchergeschmack vorbei“, sagt Autoana-
lyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler.
„Das ist einer der stärksten Trends, die wir
seit Jahren haben.“

Bei BMW trug er entscheidend dazu bei,
dass das Ergebnis im dritten Quartal deut-
lich besser ausfiel. Der Gewinn vor Zinsen
und Steuern stieg im Vergleich zum Vorjah-
reszeitraum um rund ein Drittel auf 2,3 Mil-
liarden Euro. Besonders stark wuchs BMW
dabei in China. „Wir liegen nach den ersten
drei Quartalen auf Kurs, um unsere Ziele
für das Gesamtjahr zu erreichen“, sagte der
neue Vorstandschef Oliver Zipse. Der deut-
liche Gewinnanstieg hängt allerdings auch
damit zusammen, dass die Zahlen im Vor-
jahreszeitraum besonders schwach waren.
Damals hatte unter anderem die Umstel-
lung auf den neuen Abgasmess-Standard
WLTP die Auslieferungen verzögert.
Allgemein musste sich die erfolgsver-
wöhnte deutsche Automobilindustrie zu-
letzt an schlechtere Zahlen gewöhnen,
auch BMW. Bei den Münchnern brach das
Ergebnis im ersten Halbjahr 2019 gerade-
zu ein. BMW treibt nun ein vergleichswei-
se drastisches Sparprogramm voran. Die-
ses soll bis zum Jahr 2022 insgesamt zwölf
Milliarden Euro freispielen, die wiederum
in Zukunftsfelder, etwa die Entwicklung
von Elektroautos und das autonome Fah-
ren, fließen sollen.

Bis 2023 will BMW 25 elektrifizierte Mo-
delle im Angebot haben, mehr als die Hälf-
te davon vollelektrisch. Diese sollen dabei
helfen, die immer strengeren CO2-Grenz-
werte zu erfüllen. Dabei sind die profitab-
len, aber oft durstigen SUVs bislang keine
große Hilfe. jan schmidbauer

Zu sicher für die Polizei
5G-Mobilfunk soll viele Vorteile
bringen. Ermittler fürchten aber,
dass sie abgehängt werden 18

Ausder Bahn geworfen
Dem ersten Bahn-Vorstand
droht das Aus, weitere Manager
könnten folgen 19

Aktien, Devisen und Rohstoffe 22,

www.sz.de/wirtschaft

DEFGH Nr. 257, Donnerstag, 7. November 2019 1MG 15


von bastian brinkmann

S


chnell gehen Dinge in Europa nicht
voran. Es war im Dezember 1987, da
schlug der damalige französische Fi-
nanzminister Édouard Balladur vor, eine
„Zone mit einheitlicher Währung“ zu
schaffen. 14 Jahre später wurde der Euro
in Verkehr gebracht. Hoffentlich wird der
Vorstoß des heutigen deutschen Finanz-
ministers Olaf Scholz schneller Realität.
Er stellt in Aussicht, dass Deutschland ei-
ner europäischen Einlagensicherung zu-
stimmen könnte. Eine solche Sicherung
ist essenziell für ein stabiles Finanzsys-
tem. Sie garantiert Sparern, dass sie das
Geld auf ihrem Konto ausgezahlt bekom-
men. Das ist wichtig, falls die Banken wie
in der Finanzkrise 2008 mal wieder in Tur-
bulenzen geraten: Die Einlagensicherung
schützt die Institute davor, dass alle Kun-
den auf einmal in die Filialen stürmen
und plötzlich ihr Geld zurückfordern.


Die europäische Einlagensicherung ist
ein wichtiger Teil der sogenannten Ban-
kenunion, die Europa krisenfester ma-
chen soll. Kapital ist in Europa spätestens
seit der Euro-Einführung keine nationale
Angelegenheit mehr. Eigentlich darf sich
Geld auf dem europäischen Binnenmarkt
schon so frei bewegen wie Menschen oder
Güter. Die Praxis allerdings sieht anders
aus. Bankenbranche und Finanzaufsicht
sind immer noch überwiegend in nationa-
ler Hand. Das liegt auch daran, dass
Deutschland eine europäische Einlagensi-
cherung jahrelang blockiert hat.
Dass Kapital in Europa nicht so frei ist
wie die Menschen, klingt vielleicht in ei-
nem sozialistischen Tagtraum schön. Tat-
sächlich hat das aber große Nachteile. Der
US-Kapitalmarkt ist entwickelter und
deutlich größer als der europäische, ob-
wohl auf unserem Kontinent mehr Men-
schen wohnen. US-Konzerne haben da-
durch einen Wettbewerbsvorteil: Sie kom-
men leichter und billiger an Geld, um In-
vestitionen zu finanzieren. Die amerikani-
schen Unternehmen schaffen somit mehr
Arbeitsplätze, die Steuereinnahmen für
den Staat sind höher. Europa muss hier
aufholen.
In Deutschland warnen viele vor einer
europäischen Bankenunion, weil sie be-
fürchten, dass Steuerzahler und Banken
hierzulande am Ende für ausländische Fi-


nanzinstitute haften müssten. Diese Argu-
mentation ist jedenfalls in der hiesigen Fi-
nanzindustrie und bei CDU/CSU weit ver-
breitet. Aus der Union war nach Scholz’
Vorstoß auch sofort Skepsis zu hören.
Deutschlands Kapitalmarkt ist jedoch viel
zu klein, um in der Welt zu bestehen. Um
ihn größer und schlagkräftiger zu ma-
chen, muss er europäisch werden. Dafür
braucht es die Bankenunion mit der Einla-
gensicherung.
Die deutsche Bankenbranche ist längst
nicht so stark, wie ihre Verteidiger behaup-
ten. Die Landesbanken haben sich unzähli-
ge milliardenschwere Skandale geleistet.
Die größte Privatbank, die Deutsche
Bank, hat auf dem Weltmarkt keine Chan-
ce mehr. Die teilverstaatlichte Commerz-
bank dümpelt vor sich hin. Sparkassen
und Volksbanken sind zwar in der Summe
vergleichsweise stabil, doch falls gleich
mehrere Institute in Not gerieten, würden
ihre eigenen Sicherungssysteme womög-
lich nicht ausreichen.
Auch bei den Leistungen ist die deut-
sche Finanzindustrie nicht auf Zack. Un-
ternehmen und Sparer müssen mehr zah-
len und bekommen dafür weniger. Wenn
die deutsche Finanzindustrie Geld im Aus-
land investiert, kommt im Durchschnitt ei-
ne niedrigere Rendite heraus als in Italien,
Frankreich oder den USA. In Nordamerika
sind auch die Kosten für das Finanzpro-
dukt ETF niedriger, manche Anbieter wer-
ben mit null Prozent Gebühren um Anle-
ger. Das erhöht die Rendite der Sparer
und damit den Wohlstand.
Der Vorstoß von Finanzminister Scholz
ist daher richtig. Er gibt natürlich nicht al-
le bisherigen Überzeugungen der Bundes-
regierung auf, dann bestünde gar keine
Chance mehr, dass die Union mitzieht.
Und er stellt Bedingungen, die für die an-
deren Länder zu weit gehen könnten. Inso-
fern ist der Beitrag auch nur ein Vorstöß-
chen. Scholz’ Modell sieht lediglich eine
Rückversicherung vor, die einspringen
würde, wenn alle nationalen Reserven er-
schöpft sind. Er verlangt, dass Europa ein-
heitliche Insolvenzregeln für Banken be-
kommt. Das ist sinnvoll, dürfte aber in
Rom auf Widerstand stoßen. Zudem ver-
knüpft er sein Angebot damit, dass die
Steuern für Konzerne in Europa stärker
harmonisiert werden sollten, wenigstens
für Banken. Bislang entscheiden die Mit-
gliedsstaaten, was als zu versteuernder
Gewinn zählt. Das werden harte Verhand-
lungen in Europa. Aber es ist besser, dass
überhaupt wieder darüber gesprochen
wird. Nichts zu tun, ist keine Option. Die
nächste Finanzkrise kommt bestimmt.

Ein Auto wie eine Festung: Der 2,4 Ton-
nen schwere SUV X7 von BMW verkauft
sich gut. FOTO: FRANK RUMPENHORST/DPA

„Die Welt geht schnell zugrunde“, sagt Da-
vide Bollati. Dieser unangenehme Befund
passt nicht zur grünen Wohlfühl-Oase, in
der sich der Unternehmer auf dem größten
Treff der Kosmetikindustrie präsentiert
hat. Bollati ist recht erfolgreich im Ge-
schäft mit der Schönheit. Unter dem Mar-
kennamen „comfort zone“ stellt sein Unter-
nehmen in Parma Hautpflegeprodukte für
Kosmetikstudios her. Friseure beliefert er
mit den Haarpflegeserien Davines.
Doch dem 53-Jährigen sind nicht nur
die neuesten Marktneuheiten wichtig. Ihn
treibt vor allem der Drang zu Veränderun-
gen an. „Die Unternehmen müssen endlich
aufwachen“, sagte er. Das war im vergange-
nen März, als sich Italiens Industrie auf der
Leitmesse Cosmoprof in Bologna von ihrer
besten Seite zeigte. Während viele Kosme-
tik-Hersteller hervorhoben, wie nachhal-
tig sie sind, haderte der Davines-Chef mit
dem schleppenden Wandel.
Nun ist für den Firmenchef der Moment
gekommen, auf den er seit drei Jahren ge-
wartet hat – seit Davines 2016 zu einer Be-
nefit Corporation geworden ist. Die Träger
des B-Corp-Labels verpflichten sich, stren-
ge Standards für nachhaltiges und faires
Wirtschaften zu beachten. Davines wurde
mit 99 von 200 Punkten in das Netzwerk
aufgenommen. In dieser Woche werden
nun die Fortschritte des Unternehmens be-
gutachtet. Drei Prüfer von der unabhängi-
gen Zertifizierungsstelle B-Lab nehmen es
unter die Lupe. Bollati rechnet damit, dass
sich seine Bewertung verbessert.
Davines ist eine von knapp 100 italie-
nischen Firmen, die dem internationalen
Nachhaltigkeitsnetzwerk B-Corp ange-
hören. Es sind auch bekannte Namen wie
das Design-Unternehmen Alessi oder der
Pharmahersteller Chiesi darunter. Die Be-
wegung entstand vor zwölf Jahren in den
Vereinigten Staaten, um ein neues Ge-
schäftsmodell zu propagieren. Dem Share-
holder-Value-Dogma, das auf die Wertstei-


gerung für Aktionäre fixiert ist, setzt sie ei-
nen holistischen Ansatz entgegen, der die
Interessen auch von Mitarbeitern, Kun-
den, Lieferanten, Gemeinden und der Um-
welt berücksichtigt – den Stakeholdern.
Die B-Corps streben danach, ihren positi-
ven Einfluss auf das Gemeinwohl und die
Umwelt zu steigern. Die Anforderungen
sind hoch. Stagniert die erzielte Punktzahl,
wird das Unternehmen automatisch herun-
tergestuft. Die permanente Messarbeit
hält Bollati, der in Parma Pharmazie und in
New Jersey Kosmetikwissenschaft stu-
diert hat, für wesentlich.
„Dieser Rahmen sorgt für ein hohes Ni-
veau an Energie und Motivation bei allen
Stakeholdern“, sagt Bollati. Das schlage
sich dann im Wachstum nieder. Davines ex-
pandiert kräftig. Seit neun Jahren wächst
das Unternehmen zweistellig. 2018 stieg
der Umsatz um 16 Prozent auf 148 Millio-
nen Euro. Es wurden 25 Millionen Artikel
verkauft. 30 der 648 Beschäftigten arbei-
ten in der Forschung. Idealist oder Erfolgs-
unternehmer? Bollati ist beides.
Nach zehn Jahren in der elterlichen Fir-
ma habe er sein intuitives Umweltbewusst-
sein zu einem strategischen Ansatz ge-
macht, um als kleines Familienunterneh-
men auf dem von Konzernen beherrsch-
ten Kosmetikmarkt zu bestehen. Das war
in den Nullerjahren. Heute sieht sich Bolla-
ti als Aktivist. „Wir müssen den Kurs um-
steuern von einer zerstörerischen zu einer
regenerativen Wirtschaft“, sagt er. Und
zwar jetzt. Ankündigungen, man wolle bis
2040 total nachhaltig werden, hält Bollati
für Quatsch. „Wir müssen alles auf das
kommende Jahrzehnt setzen, das letzte, in
dem wir noch etwas bewirken können”,
sagt er. Schade findet der Italiener, dass
sich unter den weltweit 3000 B-Corps
kaum deutsche Firmen befinden. Dabei
sei Deutschlands Unternehmenskultur
doch wie die italienische stark in der Regi-
on verwurzelt. ulrike sauer

von björn finke, cerstin
gammelinund meike schreiber

Brüssel/Frankfurt– DerBundesfinanz-
minister gab sich ganz dynamisch: „Es ist
Zeit für einen Durchbruch“, sagte Olaf
Scholz am Mittwoch auf einem Finanzkon-
gress in Frankfurt. „Es ist Zeit voranzuge-
hen. Jetzt.“ Der SPD-Politiker stellte bei
der Tagung seine Pläne zu einem sperri-
gen, aber auch heiklen Thema vor – der
Bankenunion in der EU. Er machte diverse
Vorschläge, wie er die Branche in Europa
krisenfester machen und Geschäfte über
Ländergrenzen hinweg vereinfachen will.
Am meisten Aufsehen erregte eine Idee:
Scholz pries eine gemeinsame Einlagensi-
cherung in der EU. Solche Systeme garan-
tieren bei Bankenpleiten für die Spargutha-
ben der Bürger, doch bisher gibt es diese
Versicherungen nur auf nationaler Ebene.
Die EU-Kommission schlug bereits vor
vier Jahren ein EU-System vor, aber es
ging nicht voran – wegen des Widerstands
der Bundesregierung. Der bröckelt nun.

Was bringen eine EU-Einlagensicherung
und eine Bankenunion?
Hinter dem Begriff Bankenunion steht die
Idee, in der EU einen gemeinsamen Markt
für Bankgeschäfte zu schaffen – mit ge-
meinsamer Aufsicht, Regeln für eine Ban-
kenabwicklung und einer gemeinsamen
Einlagensicherung. Diese Überwindung
der Kleinstaaterei soll das Bankensystem
sicherer machen. Die EU-Einlagensiche-
rung wiederum soll verhindern, dass im
schlimmsten Fall der Steuerzahler ein-
springen muss, um Sparguthaben zu ret-
ten. Stattdessen werden die Risiken des Fi-
nanzsystems auf den Bankensektor verla-
gert, der mit Versicherungsprämien für die
Einlagensicherung bezahlt. Erst wenn
auch der EU-Sicherungstopf leer wäre,
müsste der Staat einspringen. Während es
bereits eine gemeinsame Aufsicht und Re-
geln für Bankenabwicklungen gibt, lässt ei-
ne gemeinsame Einlagensicherung aber
weiter auf sich warten – bislang vor allem
wegen Bedenken Berlins.

Wie soll die EU-Einlagensicherung
funktionieren?
Scholz schwebt eine Rückversicherung
vor. Die Staaten würden weiter ihre natio-
nalen Sicherungssysteme für Spargutha-
ben betreiben, und diese sollten auch gut
gefüllt sein. Daneben soll es einen EU-Topf
geben, der mit Versicherungsprämien der
Banken gefüllt wird. Erst wenn bei Banken-
pleiten der nationale Topf zur Entschädi-
gung der Sparer erschöpft ist, würde das
EU-System eingreifen. Der EU-Topf wür-
de den betroffenen Ländern rückzahlungs-
pflichtige Darlehen zur Verfügung stellen.
Später, wenn die Bankenunion weitere
Fortschritte gemacht hat, könnte diese EU-
Einlagensicherung neben Darlehen auch
Zuschüsse auszahlen, die nicht beglichen
werden müssen. Scholz’ Idee unterschei-
det sich damit deutlich vom Vorschlag der
EU-Kommission von 2015. Die Brüsseler
Behörde hatte gefordert, dass die europäi-
sche Einlagensicherung schrittweise die
nationalen Systeme ersetzt.

Was ist der Hintergrund all dieser Ideen?
Die Pläne gehen auf die Finanzkrise zu-
rück. Damals zeigte sich, wie gefährlich die
Schicksalsgemeinschaft zwischen Banken
und Staaten ist. In Deutschland konnte
2008 ein Ansturm der Bürger auf ihre Spar-
einlagen – ein Bank-Run – nur verhindert
werden, weil Bundeskanzlerin Angela Mer-
kel und der damalige Finanzminister Peer
Steinbrück versprachen, die Spareinlagen
seien sicher. Einen Rechtsanspruch gab es
nicht, das Versprechen aber wirkte: schon
allein deshalb, weil die Bundesrepublik
dies theoretisch hätte erfüllen können. An-
ders in finanzschwachen Ländern wie Grie-
chenland oder Zypern: Dort verloren die
Bürger immer wieder Vertrauen in das Ban-
kensystem und zogen Geld ab. Das wieder-
um führte die Banken an den Rand des Ab-
grunds, zog staatliche Rettungsaktionen
nach sich und verschärfte die Staatsschul-
denkrise, für die schließlich alle Europäer

aufkamen. Eine gemeinsame Einlagensi-
cherung soll Bank-Runs verhindern.

Was würde der Vorschlag von Scholz für
deutsche Sparer bedeuten?
Sparkassen und Volksbanken erwecken
gerne den Eindruck, dass die Bürger bei ei-
ner europäischen Einlagensicherung mit
ihren Sparguthaben für Sparer anderer
Länder haften. Das ist nicht der Fall. Viel-
mehr zahlen die Banken für die Einlagensi-
cherung eine Versicherungsprämie – und
zwar aus ihren erwirtschafteten Gewin-
nen. Diese EU-Einlagensicherung betrifft
Sparer in Deutschland daher allenfalls indi-
rekt, etwa wenn Banken diese Prämie mit
höheren Gebühren finanzieren würden.

Was heißt der Vorschlag für die Banken?
Der Bundesfinanzminister will es mit sei-
nen Vorschlägen für Europas Banken einfa-
cher machen, ihre Geschäfte in einem ein-
heitlichen europäischen Markt zu betrei-
ben. Bislang müssen sie zum Beispiel für je-
des Land, in dem sie tätig sind, gesondert
Liquidität und Eigenkapital vorhalten. Das
erschwert Bankenfusionen in Europa und
schreckt internationale Investoren ab. In-
ternational tätige Banken wie Deutsche
Bank und Commerzbank befürworten da-
her die Pläne, während Sparkassen und
Volksbanken skeptisch sind. Letztere sind
nur national tätig und sehen daher eher die
Nachteile als die Vorteile.

Trägt die Koalition den Vorschlag des
Bundesfinanzministers mit?
Der Vorschlag wird nur dann offizielle Poli-
tik der Bundesregierung bei Verhandlun-
gen in Brüssel, wenn CDU und CSU, die Koa-
litionspartner der SPD, zustimmen. Vertre-
ter der Union zeigten sich aber am Mitt-
woch in internen Runden verärgert über
den Alleingang des Bundesfinanzminis-
ters. Der Vorstoß des SPD-Ministers bringt
den Koalitionspartner in eine Zwickmühle.
Scholz ist in der heißen Phase des Wahl-
kampfes um den Co-Vorsitz der Sozialde-
mokraten. Er muss also punkten. Doch aus-
gerechnet an dem Tag, an dem die große
Koalition ihre lang angekündigte Halbzeit-
bilanz vorstellt, preschte der Vizekanzler
nun mit einem nicht abgestimmten Vor-
schlag vor. Trotzdem verzichtete die Union
auf eine scharfe Reaktion, um nicht einen
weiteren Koalitionsstreit zu eröffnen. Frak-
tionschef Andreas Jung vermied es,
Scholz’ Ideen direkt zurückzuweisen, und
sagte diplomatisch, dass die Risiken in den
Bankbilanzen konsequent verringert wer-
den müssten, „um das Vertrauen in die Wi-
derstandsfähigkeit der europäischen Ban-
ken zu stärken. Das ist Voraussetzung für
weitere Schritte zu einer europäischen Ein-
lagensicherung. So ist es vereinbart, und
daran halten wir fest.“

Was fordert Scholz noch?
Der Finanzminister will mit seinem Vor-

stoß der festgefahrenen Debatte um eine
Bankenunion in der EU neuen Schwung
verleihen. Er signalisiert, dass Deutsch-
land seinen Widerstand gegen eine EU-Ein-
lagensicherung aufgeben würde, ver-
knüpft das aber mit Forderungen. Auch an-
dere Regierungen sollen Kompromisse ein-
gehen bei Streitfragen, die bislang Fort-
schritte auf dem Weg zu einem gemeinsa-
men Bankenmarkt verhindern. Diese Fort-
schritte würden die Finanzbranche siche-
rer machen – und damit das Risiko senken,
dass die Einlagensicherung überhaupt ge-
braucht wird.
Unter anderem schlägt Scholz Maßnah-
men dagegen vor, dass EU-Banken zu viele
Staatsanleihen ihrer Heimatländer halten.
Durch diese Ballung von Risiken springen
Krisen in Staaten schnell auf die dortige
Bankenbranche über. Doch Regierungen
wie die italienische sind froh darüber, dass
die heimischen Institute massenhaft ihre
Anleihen kaufen. Deswegen lehnt Rom sol-
che Vorschläge ab. Außerdem verlangt
Scholz, dass sich die Regierungen auf eine
Mindestbesteuerung von Unternehmen ei-
nigen, damit der Wettbewerb zwischen
Banken aus verschiedenen Ländern nicht
verzerrt wird. Dieser Vorschlag wiederum
wird bei Staaten mit niedrigen Steuersät-
zen auf harten Widerstand stoßen. Aber
geht es bei diesen Themen nicht voran,
wird es auch nichts mit der EU-Einlagensi-
cherung. Kommentar

HEUTE


WIRTSCHAFT


MehrSicherheit für Deutschlands Kreditinstitute und Bankkunden? Bisher schreckte die Bundesregierung davor zurück, ein
europaweites Sicherungssystem für Bankeinlagen mitzutragen. Jetzt wagt sich Olaf Scholz vor. FOTO: UDO SIEBIG/MAURITIUS IMAGES
NAHAUFNAHME

„Wirmüssen
den Kurs umsteuern
von einer zerstörerischen
zu einer
regenerativen Wirtschaft.“
Davide Bollati
FOTO: OH

BANKENUNION

Europa lohnt sich


Der Aktivist


Davide Bollati ist mit seiner Haarpflegeserie Davines erfolgreich


Absatz mit X


Der Autohersteller BMW präsentiert überraschend gute Zahlen, vor allem dank einer Fahrzeugklasse: den SUVs


Olaf Scholz bricht ein Tabu


Der SPD-Finanzminister stellt ein europaweites Sicherungssystem für Bankeinlagen in Aussicht – aber nur
als Rückversicherung und unter Bedingungen. Aus der Union kommt Kritik. Die wichtigsten Fragen und Antworten

Der Kapitalmarkt in den


USAist entwickelter,


die EU muss aufholen

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