Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

(nextflipdebug5) #1
interview: robert roßmann
und mike szymanski

F


ür Annegret Kramp-Karrenbauer ist
es wieder ein Tag, an dem sie überall
gleichzeitig gebraucht wird. Es ist Sit-
zungswoche in Berlin. In einer Stunde wird
die CDU-Chefin in der Unionsfraktion er-
wartet, im Streit um die Grundrente schla-
gen die Wellen hoch. Außerdem steht der
Parteitag an. Und in der CDU tobt ein
Machtkampf. Es ist ungewiss, ob Kramp-
Karrenbauer sich als Kanzlerkandidatin
durchsetzen kann. Aufmerksamkeit
braucht aber auch die Bundeswehr, die
Kramp-Karrenbauer als Verteidigungsmi-
nisterin führt. An diesem Donnerstag hält
sie an der Universität der Bundeswehr in
Neubiberg ihre erste Grundsatzrede. Was
soll die Bundeswehr künftig leisten? Ein
Gespräch über Verantwortung für Leben
und Tod, Autorität und die Bedrohung von
rechts für die Truppe.


SZ: Was empfindet eine neue Verteidi-
gungsministerin, wenn sie im Feldlager
weit weg von zu Hause das erste Mal an
den Tafeln für die Gefallenen entlang-
schreitet?
Annegret Kramp-Karrenbauer: Trauer.
Trauer um die Männer und Frauen, die
dort in einem Einsatz waren, in den wir sie
geschickt haben. Und: Verantwortung, die
wir alle miteinander tragen. Unser Parla-
ment entscheidet über die Einsätze. Wir
müssen sorgsam mit dem Instrument Bun-
deswehr umgehen.


Sie sind aber bereit, auch Bodentruppen
für eine international kontrollierte
Schutzzone nach Nordsyrien zu schicken.
Eine solche Initiative aus Deutschland ist
neu. Ist Deutschland international nicht
schon ausreichend engagiert?
Wir können voller Stolz sagen, dass wir bis-
her unsere Beiträge geliefert haben, ob das
nun in Afghanistan, Mali oder an vielen an-
deren Stellen der Welt ist. Wir müssen aber
künftig auch offen damit umgehen, dass
wir – so wie jedes andere Land dieser Welt



  • eigene strategische Interessen haben.
    Was sind unsere strategischen Interes-
    sen?
    Wie kaum ein anderes Land hat Deutsch-
    land von der liberalen, regelbasierten Welt-
    ordnung nach 1945 profitiert – politisch, si-
    cherheitspolitisch, wirtschaftlich. Wir sind
    wie kein anderes Land der Welt darauf an-
    gewiesen, dass wir einen freien Handel
    haben, der auf Regeln basiert. Dass wir of-
    fene Handelswege haben. Wir sind darauf
    angewiesen, dass wir für die Werte, die wir
    vertreten, zusammen mit unseren Freun-
    den und Partnern in der Europäischen Uni-
    on, in der Nato oder auch im südpazifi-
    schen Raum gegenseitig einstehen. Wir ha-
    ben 2014 auf der Münchner Sicherheits-
    konferenz einen Konsens erreicht: Damals
    haben Joachim Gauck als Bundespräsi-
    dent, Frank-Walter Steinmeier als Außen-
    minister und Ursula von der Leyen als
    Verteidigungsministerin unisono gesagt:
    Deutschland muss mehr Verantwortung
    übernehmen. Wir sind aber den Erwartun-
    gen, die wir in München geweckt haben,
    bisher nicht immer gerecht geworden.


Was heißt das konkret?
In einer Zeit, in der sich die Vereinigten
Staaten ein Stück weit zurückziehen, sind
wir stärker gefordert. In den vergangenen
Jahren haben wir oft nicht aktiv genug ge-
handelt: Wir sind zu Einsätzen dazugekom-
men, wenn wir gefragt worden sind – mal
haben wir uns stärker beteiligt, mal weni-
ger. Deutschland muss aber auch selbst


die Initiative ergreifen, Impulse setzen, Op-
tionen aufzeigen. Und wir müssen bereit
sein, die damit verbundenen Kosten zu
tragen – finanziell, politisch und mora-
lisch, wie Bundestagspräsident Wolfgang
Schäuble es jüngst formuliert hat. Nur so
können wir ein internationales Umfeld be-
schützen und gestalten, das unseren Wer-
ten und Interessen gemäß ist. Und wir müs-
sen dabei grundsätzlich bereit sein, das
Spektrum an Fähigkeiten, über das wir ver-
fügen, auch zur Verfügung zu stellen. Wir
haben dies in Afghanistan am Anfang in ei-
nem robusten Mandat getan, zur Zeit des
Isaf-Einsatzes. Ich weiß, wie schwer das
ist, wie viele Opfer das verlangt. Deswegen
ist das auch nichts, womit man leichtfertig
umgeht. Trotzdem müssen wir uns aber
darauf einstellen, dass eine Frage in Zu-
kunft häufiger auf uns zukommen wird:
Was leistet Deutschland? Ich bin der Auf-
fassung, dass wir uns hier nicht immer ver-
weigern können.


Dann kommen Soldaten wieder häufiger
in Zinksärgen zurück.
Jeder Einsatz ist gefährlich. Deshalb müs-
sen wir sehr genau überlegen, wo, wie und
womit wir in Einsätze gehen. Führen wir
uns die Situation in der Sahelzone vor Au-
gen. Da finden wir im Moment eine der
größten Drehscheiben für islamistischen
Terrorismus vor. Es geht um die Frage, ob
dieser Terrorismus nach Europa expor-
tiert wird. Mali gehört zu den Regionen mit
dem höchsten Anteil an illegaler Migration
und organisierter Kriminalität. Die Bevöl-
kerung ist jung, das Wachstum und die
staatlichen Strukturen sind schwach. Wir
können als Europa sagen: Das interessiert
uns nicht. Dann werden wir aber in ein


paar Jahren mit den Problemen konfron-
tiert. Die Sicherheit in der Sahelzone ist
Teil unserer eigenen Sicherheit.
Vor Kurzem sind in Mali Dutzende Solda-
ten bei einem Überfall auf einen Militär-
stützpunkt ums Leben gekommen.
Die Überfälle, die Toten, die dort zu bekla-
gen sind, das hat damit zu tun, dass die Ar-
mee Malis alleine nicht in der Lage ist, aus-
reichend Schutz zu bieten. Dort unten zu
sein, ist für uns kein ungefährlicher Ein-
satz. Die Wahrheit ist aber auch: Wenn es
um den Kampf gegen die Terroristen
selbst geht, tragen im Moment die Freun-
de aus Frankreich die Hauptlast.

Es gibt aber sogar bei Ihnen im Ministeri-
um Zweifel, dass die Bundeswehr zusätzli-
che Einsätze leisten kann.
Wir sind sehr eingebunden, das stimmt,
insbesondere in Afghanistan und Mali.
Aber wir könnten für zusätzliche Einsätze
die entsprechenden Fähigkeiten, das Mate-
rial und das Personal zur Verfügung
stellen, ohne einen anderen Einsatz abbre-
chen zu müssen. Richtig ist jedoch, dass
wir gerade wegen der neuen Herausforde-
rungen, damit wir unseren Soldatinnen
und Soldaten die nötige Ausrüstung zur
Verfügung stellen können, den weiteren

Anstieg der Verteidigungsausgaben nicht
nur ankündigen dürfen, sondern ihn auch
tatsächlich erreichen müssen. Wir brau-
chen also 1,5 Prozent der Wirtschaftsleis-
tung bis 2024 und zwei Prozent bis spätes-
tens 2031. Wir brauchen es für unsere
eigene Sicherheit. Das ergibt sich aus der
klugen Planung des Weißbuchs und des
Fähigkeitsprofils.

Sie wollen, dass Deutschland klar über ei-
gene Interessen spricht und sie auch ver-
ficht. Da stehen Sie im Widerspruch zu Au-
ßenminister Heiko Maas. Der sagt,
Deutschlands Rolle in der Welt sei deshalb
so anerkannt, weil Berlin gerade nicht mit
eigenen Interessen operiere.
Das ist aus meiner Sicht kein Widerspruch.
Wenn wir uns mit dem Thema Terroris-
mus befassen oder mit dem Thema Migra-
tion aus Staaten, die um uns herum implo-
dieren, dann hat das natürlich auch etwas
mit den Interessen Deutschlands und Euro-
pas zu tun. Wir haben doch in den vergan-
genen Jahren erlebt, wie uns das berührt.
Ob Seewege frei gehalten werden oder
nicht – davor können wir eben nicht die Au-
gen verschließen und sagen: Da soll sich
drum kümmern, wer will, uns geht das
nichts an. Wir sind neben China das Land,
das die meisten Container weltweit unter-
wegs auf See hat. Deswegen ist das auch un-
ser Interesse. Was uns zugutegehalten
wird, und das gilt nach wie vor, ist: Wir agie-
ren ohne verdeckte Agenda in diesen Regio-
nen, wenn wir zum Beispiel im Irak im Ein-
satz sind.

In Deutschland müssen alle Einsätze vom
Parlament gebilligt werden.
Wir werden als ehrliche Makler wahrge-
nommen, gerade weil wir sehr sorgfältig
mit unseren Einsätzen umgehen. Das hat
damit zu tun, dass wir eine Parlaments-
armee haben. Daran möchte ich auch
nichts ändern. Allerdings sollte das Verfah-
ren manchmal schneller ablaufen.
Zieht Deutschland zu langsam in Aus-
landseinsätze?
Wir haben in der Vergangenheit bewiesen:
Wenn es hart auf hart kommt, können wir
auch schnell reagieren. Andere EU-Länder
haben auch Parlamentsvorbehalte, aber
einfachere Verfahren. Es gab jedoch hierzu-
lande schon eine Kommission, die Vor-
schläge gemacht hat, wie man das Verfah-
ren an der einen oder anderen Stelle be-
schleunigen kann. Es wurde dann aber
nichts geändert. Ich würde mir wünschen,
dass wir uns diese Vorschläge noch einmal
vornehmen.
Welcher Vorschlag überzeugt Sie?
Wenn klar ist, dass es internationale Missi-
onen sind, ob von der Nato geführt oder
von den Vereinten Nationen, könnte das
Verfahren im Parlament beschleunigt wer-
den. Das sollte auch möglich sein, wenn
wir mit europäischen Partnern zusammen
tätig werden wollen. Eine Bundeswehr oh-
ne Parlamentsvorbehalt kann ich mir aber
nicht vorstellen.

Welche Rolle soll Deutschland in Europa
zufallen?
Wir müssen die europäische Zusammenar-
beit in der Verteidigung verstärken. Das
wird einer der Schwerpunkte unser Rats-
präsidentschaft in der zweiten Hälfte 2020
sein. Alle Vorschläge zur Stärkung der euro-
päischen Handlungsfähigkeit zu Sicher-
heit und Verteidigung stärken dabei den
europäischen Arm innerhalb der Nato.

Mit Deutschland in führender Rolle?
Ja, Deutschland muss bereit sein, öfter ei-
ne führende Rolle zu übernehmen. Wir
müssen aber auch über die Formate reden.
Wir haben eine enge deutsch-französische
Kooperation. In der Diplomatie hat sich im
Falle Irans auch das E-3-Format bewährt:
Deutschland, Frankreich und Großbritan-
nien stimmen sich ab. Das ist ein Format,
das wir stärker für die Zukunft nutzen soll-
ten, auch in anderen Fragen. In diesem For-
mat können wir etwas bewegen. Gerade
dann, wenn Großbritannien die EU ver-
lässt, aber als Nato-Partner weiterhin ge-

meinsame Sicherheitsinteressen mit uns
hat. Ein solches Format kann ein Scharnier
sein, um Großbritannien weiter eng an Eu-
ropa zu binden – Brexit hin oder her.

Sie haben den Rückzug der Amerikaner
angesprochen. Trauen Sie sich zu, dieses
Vakuum füllen zu können?
Nein, darum geht es nicht. Wir wollen die
Nato nicht ersetzen und auch nicht die
Amerikaner in der Nato. Dieses transatlan-
tische Bündnis, diese Freundschaft, ist für
unsere Sicherheitsinteressen existenziell.
Auch in diesem Sinne freue ich mich auf
mein Gespräch mit US-Außenminister
Mike Pompeo am Freitag. Die Nato ist und
bleibt der Ankerstein unserer Sicherheit.
Nur müssen wir in Europa unsere Kräfte
stärker zusammenbringen.
In Nordsyrien hat die abrupte Abzugsan-
kündigung der Amerikaner die politische
Landkarte verändert, Leid über die Bevöl-
kerung gebracht. Halten Sie die USA noch
für einen verlässlichen Partner in der
Sicherheitspolitik?

Es sind nicht die Amerikaner, die das Leid
über diese Region gebracht haben. Bisher
haben die Amerikaner mit die Hauptlast
daran getragen, das Leid in der Region zu
lindern. Das jüngste Vorgehen der USA auf-
grund höchster Weisungen aus dem Wei-
ßen Haus sorgt tatsächlich für Unruhe und
Verunsicherung unter den Verbündeten.
Auch zur Zukunft der Nato-Mission in Af-
ghanistan haben wir immer wieder Diskus-
sionen. Entscheidungen werden angekün-
digt, nachher aber nicht umgesetzt. Das
macht die Zusammenarbeit mit Washing-
ton nicht immer einfach. Deshalb ist es um-
so wichtiger, alle Kontakte in die US-Poli-
tik zu nutzen, um so eng wie möglich abge-
stimmt zu sein. Darum bemühen wir uns,
und mit meinem Amtskollegen Mike Esper
arbeite ich vertrauensvoll zusammen.
Sie stehen in der Bundeswehr vor enor-
men Herausforderungen. Gleichzeitig
geht es in Ihrer Partei, um die Sie sich mit
aller Kraft kümmern wollten, gerade
drunter und drüber. War Ihr Wechsel ins
Kabinett ein Fehler?

Ich muss über diese Frage schmunzeln.
Die vergangenen Jahre waren auch sehr in-
tensive Jahre für das Land und für die CDU.
Meine Partei diskutiert den richtigen Kurs
für die Zukunft. Bis vor einem Jahr wurde
der CDU vorgeworfen, sie würde gar nicht
diskutieren. Jetzt heißt es, in meiner Partei
gehe es drunter und drüber. Für mich ist
entscheidend, dass am Ende des Prozesses
etwas Gutes dabei herauskommt, mit dem
wir die Wählerinnen und Wähler überzeu-
gen können.

Aber nach den vielen Jahren unter der Vor-
sitzenden Angela Merkel ist die CDU jetzt
doch in einem erbärmlichen Zustand.
Sie hatten nach meiner Situation gefragt.
Dass ich mich um das Verteidigungsres-
sort intensiv kümmere, sehen Sie ja auch
an den Diskussionen, die ich über das Ta-
gesgeschäft hinaus angestoßen habe – et-
wa zu einer international kontrollierten Si-
cherheitszone in Nordsyrien, zum kosten-
losen Bahnfahren für Soldaten oder zu den
öffentlichen Gelöbnissen. Und das Gleiche

mache ich auch in der CDU. Unser Partei-
tag in zwei Wochen wird ein Arbeitspartei-
tag. Es geht darum, dass die CDU perso-
nell, organisatorisch und inhaltlich so am
Start ist, dass wir bei der nächsten Bundes-
tagswahl erfolgreich sein können. Also: Ja,
ich bin gut ausgelastet, aber es geht zusam-
men.

Das bezweifeln aber viele in ihrer Partei.
Der Vorsitzende der Jungen Union hat die
Führungsfrage sogar schon ganz offen
gestellt.
Der Vorsitzende der Jungen Union macht
sich Gedanken über den Weg zur Kanzler-
kandidatur für die Union. Das ist sein gu-
tes Recht. Es gab gute Gründe, warum der
CDU-Vorsitz und die Kanzlerschaft in ei-
ner Hand waren. Aber man darf die Debat-
te auch nicht dramatisieren.

Friedrich Merz hat die Arbeit der Bundes-
regierung als grottenschlecht kritisiert.
Ich gehe bekanntlich mit all diesen Einwän-
den ganz offen um: Wer immer meint, dass
Entscheidungen etwa über die Kanzlerkan-
didatur jetzt herbeigeführt werden sollten,
und nicht erst wie geplant auf dem Wahl-
parteitag 2020, der soll das auf unserem
anstehenden Parteitag tun.

Frau Merkel hat Ihnen eine gespaltene,
orientierungslose und fast apathische Par-
tei hinterlassen. Und durch ihren Verbleib
im Kanzleramt nimmt Merkel Ihnen die
Möglichkeit, sich selbst zu profilieren.
Sind Sie nicht ein Opfer der Kanzlerin?
Diese Beschreibung mache ich mir nicht
zu eigen. Diese Partei gehört nicht einer
oder einem allein. Niemand prägt die CDU
allein. Es ist ein ausgemachter Blödsinn zu
sagen, die Kanzlerin hat die Partei so hin-
terlassen, denn wir alle gestalten diese Par-
tei. Fakt ist aber, dass wir bei einer ganzen
Reihe von Themen unsere Positionen wie-
derfinden und schärfen müssen. Aber das
machen wir ja gerade – schauen sie nur auf
unsere Klimabeschlüsse.

Also alles bestens mit Merkel?
Als Nachfolgerin oder Nachfolger steht
man immer auf den Schultern seiner Vor-
gänger – und zwar im positiven wie negati-
ven Sinn. Es war vollkommen klar, dass ich

mit meiner Bewerbung um den Parteivor-
sitz bewusst darauf gesetzt habe, dass die
Kanzlerin diese Legislaturperiode zu Ende
macht. Es gibt aus meiner Sicht keinen
Grund, daran etwas zu ändern.

Nach der Wahl in Thüringen liebäugeln
CDU-Funktionäre mit einer Zusammenar-
beit mit der AfD. Wie stehen Sie dazu?
Der Generalsekretär hat dazu in Abstim-
mung mit mir die richtige Antwort gege-
ben.(Paul Ziemiak hatte jegliche Zusam-
menarbeit der CDU mit der AfD abgelehnt,
die Redaktion.)

Machen Sie sich eigentlich Sorgen dar-
über, dass die Bundeswehr ein Anzie-
hungspunkt für Rechtspopulisten und
Rechtsradikale sein könnte? Nicht nur
Friedrich Merz weist darauf hin, dass es
dort viel Sympathie für die AfD gibt.
Wir haben kein generelles Problem mit
Rechtspopulisten und Rechtsradikalen in
den Streitkräften. Es darf auch keinen
Generalverdacht geben. Aber wir haben
einzelne Fälle, denen wir konsequent nach-
gehen. Und wir müssen in jedem Fall unter-
suchen, ob es ein Netzwerk dahinter gibt.
Das muss dann ebenso konsequent zer-
schlagen werden.
Ist die Bundeswehr darauf eingestellt?
Dass wir heute mehr Meldungen bekom-
men, zeigt doch, dass die Sensibilität sehr
zugenommen hat und dass es kein Schwei-
gekartell gibt. Wir bekommen auch immer
mehr Hinweise über Aktivitäten in sozia-
len Netzwerken. Natürlich geht es dabei
nicht darum, zum Denunzieren anzustif-
ten, aber es darf auch niemand gedeckt
werden.

Was muss trotzdem noch besser werden?
Die klassische Aufklärung zum Beispiel.
Die Rolle des MAD ist ja zu Recht kritisiert
worden. Deshalb haben wir eine Reform
eingeleitet. Jeder Fall von Extremismus –
insbesondere von Rechtsextremismus –
muss mit aller Konsequenz aufgedeckt
werden. Extremisten müssen aus der Bun-
deswehr entfernt werden. Wir sind gerade
dabei, die Möglichkeiten dazu mit entspre-
chenden rechtlichen Schritte zu erweitern.

Macht Ihnen der Einfluss der AfD wirk-
lich keine Sorgen?
Die AfD versucht, besonders bei Sicher-
heitsbehörden einen Fuß in die Tür zu be-
kommen. Dass es in der AfD Aktive gibt,
die eine Vergangenheit bei der Bundes-
wehr haben, ist bekannt.
Und was kann man da tun?
Die AfD versucht, mit der Klage über ein
Systemversagen zu punkten. Rechtsstaat-
lichkeit werde in vielen Bereichen nicht
mehr umgesetzt, behauptet sie. Unsere
Aufgabe ist es, das Vertrauen in den Rechts-
staat wieder zu stärken. Inzwischen wer-
den ja Menschen, die für diesen Staat und
unsere Gemeinschaft in Uniformen Dienst
tun, angegriffen, sogar Sanitätern oder
Feuerwehrleuten passiert das. Die zu schüt-
zen, die uns und den Staat schützen, ist ei-
ne der wichtigsten Aufgaben der CDU.

Die Bundeswehr befindet sich in einem Zu-
stand zwischengroßem Anspruch und gro-
ßer Not. Einerseits stellt es das Ministerium
schon vor große Probleme, alle Soldaten zü-
gig mit neuen Kampfschuhen auszustatten.
Erst 2022 herrscht voraussichtlich Vollaus-
stattung am Fuß. International ist die Bundes-
wehr in ihren Einsätzen andererseits gefor-
dert wie selten zuvor. In den beiden großen
Auslandsmissionen, in Afghanistan und im
westafrikanischen Mali, mit jeweils etwa
1000 Soldaten, verschlechtert sich die Sicher-
heitslage wieder.
Die deutschen Soldaten, die in Afghanis-
tan auf Ausbildungs- und Trainingsmission
sind, verlassen kaum noch ihre hochgesicher-
ten Stützpunkte. Die afghanischen Streitkräf-
te, die gegen die Taliban kämpfen, melden na-
hezu Nacht für Nacht Verluste. Auch die Ar-
mee in Mali ist kaum in der Lage, allein das ei-
gene Land zu schützen. Das macht den Ein-
satz dort auch für die Deutschen gefährlich
und zehrt an den Kräften. Im Anti-IS-Einsatz
im Irak und über Syrien hat die LuftwaffeTor-
nado-Jets im Einsatz, die im wahrsten Wort-

sinne abgekämpft sind. Die Nato fordert den
vollen Einsatz der Deutschen ein. Die Zahl der
Großübungen hat zugenommen. Das sind Mo-
mente, in denen die Truppe beweisen kann,
dass sie noch funktioniert. Danach jedoch
fällt das Gerät für Wochen, teils Monate aus,
weil es wieder flottgemacht werden muss.
Unter Annegret Kramp-Karrenbauers Vor-
gängerin Ursula von der Leyen (beide CDU)
hat die Truppe zwar die Wende hin zu einer
wachsenden Bundeswehr geschafft. Der Etat
ist beachtlich gestiegen, von mehr als 32 Milli-
arden Euro im Jahr 2014 auf bald 45 Milliar-
den. Doch in der Bundeswehr dauern Prozes-
se lange. Bis ein neuer Panzer oder ein neuer
Kampfjet ausgeliefert werden, vergehen vie-
le Jahre. Auch am Beschaffungsamt wurde
lange gespart. Kramp-Karrenbauer hat von
ihrer Vorgängerin eine Truppe im Umbruch
übernommen. An vielen Stellen hatte von der
Leyen Veränderungen angestoßen. Sie hatte
sich aber nicht gleichzeitig auch noch um die
CDU als Chefin zu kümmern.
Annegret Kramp-Karrenbauer hatte nicht
vor, in Merkels Kabinett zu wechseln, griff

dann aber im Sommer doch überraschend zu,
als von der Leyen an die Spitze der EU-Kom-
mission gewählt wurde. Diese Kehrtwende
brachte ihr Kritik in der Partei ein. In der Bun-
deswehr begleitet sie seither das Misstrauen,
eher ihre Karriere als mögliche Kanzlerkandi-
datin im Blick zu haben als die Probleme der
Truppe. Im Moment führen beide Aufgaben
zusammen – eine betreuungsintensive Bun-
deswehr und eine in Teilen rebellische Union,
in der es drunter und drüber geht – die 57-Jäh-
rige an die Belastungsgrenze.
Ihr Start als CDU-Chefin gilt als misslun-
gen. Unbedarfte Äußerungen und ein
schlecht funktionierender Apparat im Konrad-
Adenauer-Haus haben Zweifel daran aufkom-
men lassen, dass sie der Führung der CDU ge-
wachsen ist. Ihre internen Widersacher, allen
voran Friedrich Merz, bringen sich in Stellung.
In der Truppe wird Kramp-Karrenbauer für ih-
re aufgeschlossene Art geschätzt. Dass sie
Vorstöße wie zur Sicherheitszone in Nordsyri-
en aber nicht mal mit ihren engsten militäri-
schen Beratern zuvor vorbereitet, verstört
die militärische Spitze im Haus. MSZ

„Die Sicherheit in der Sahelzone


ist Teil unserer Sicherheit“


Warum Annegret Kramp-Karrenbauer mehr Auslandseinsätze


der Bundeswehr für nötig hält, was Donald Trump damit zu tun hat


und wie sie mit parteiinterner Kritik von Friedrich Merz umgeht


„Diese Partei gehört nicht
einer oder einem allein.
Niemand prägt die CDU allein.“

„Ich bin der Auffassung,
dass wiruns nicht immer
verweigern können.“

„Wir haben kein generelles
Problemmit Rechtspopulisten
in den Streitkräften.“

Zwischen Truppe und Rivalen


Interview mit Annegret Kramp-KarrenbauerEine Truppe,der Ausrüstung fehlt, eine Welt, in der viele Konflikte eskalieren, und


eine CDU, in der Kontrahenten gegen die Chefin sticheln: Die CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin ist derzeit nicht unterbeschäftigt.


Trotzdem will sie nicht nur auf Kritik reagieren, sondern eigene Akzente setzen – zum Beispiel mit neuen Militärmissionen


2 HMG (^) THEMA DES TAGES Donnerstag, 7. November 2019, Nr. 257 DEFGH
„Wir können voller Stolz sagen, dass wir bisher unsere Beiträge geliefert haben“:
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) beim Besuch von
Bundeswehrsoldaten im westafrikanischen Mali.FOTO: ARNE IMMANUEL BÄNSCH/DPA

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