Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

(nextflipdebug5) #1
interview: jochen temsch

„The World“, der neue Bildband von Mi-
chael Poliza, ist einen halben Meter hoch,
eine Handbreit dick und 8,5 Kilogramm
schwer. Der 61-Jährige muss selbst stöh-
nen, als er sein Werk auf den Konferenz-
tisch seiner Galerie in Hamburg-Winterhu-
de wuchtet. Das Buch versammelt 280
größtenteils unveröffentlichte Fotografien
aus allen sieben Kontinenten. Poliza führt
das bewegte Leben eines Menschen, dem
die Abenteuerlust genauso im Blut liegt
wie das Unternehmertum. In der Hambur-
ger Kneipe seiner Eltern von Filmleuten
entdeckt, war er in den Siebzigerjahren
Kinderstar in zig Fernsehproduktionen.
Als Informatikstudent in den USA freunde-
te er sich mit Bill Gates an, mit Anfang 20
war er Firmenchef und importierte die ers-
ten IBM-Computer nach Deutschland. Als
Selfmade-Millionär wurde er Ende der
Neunzigerjahre Opfer des Börsencrashs.
Es folgte eine Sinnkrise, Poliza reiste und
fotografierte, unter anderem bei einer drei-
jährigen Erdumrundung per Schiff oder ei-
nem Helikopterflug von Hamburg nach
Kapstadt. Aus seinen Reisen an entlegene
Orte machte Poliza ein exklusives Ge-
schäftsmodell: Er bringt zahlungskräftige
Kunden dorthin, wo seine Fotos entstehen.


SZ: „The World“ klingt nach Vermächtnis.
Ist es eines?
Michael Poliza: Es ist, glaube ich, mein letz-
tes Buch. Ein schönes letztes Buch, wie ich
finde. Aber ich habe nicht den Anspruch,
dass es ein vollständiges Bild der Welt lie-
fert. Das ist auch nicht alles, was ich gese-
hen, sondern nur das, was ich fotografiert
habe: Orte dieser Welt, die mir gefallen,
ganz subjektiv.


Warum wollen Sie Schluss machen damit?
Ich sage nicht, dass ich aufhöre zu fotogra-
fieren oder zu reisen. Ich sage nur, es ist
das letzte Buch. Dass es auch das letzte
Buch von Hendrik(der Verleger te Neues,
der vor wenigen Wochen starb, Anm.)wird,
war ja nicht abzusehen. Man muss es ein-
fach mal realistisch betrachten: Der Buch-
markt ist alles andere als einfach, die Verla-
ge kämpfen alle. Ich habe den Eindruck, Fo-
tos, die nicht auf Instagram passen, sind
heutzutage gar keine Fotos mehr.


Könnte Ihnen das nicht egal sein?
Nein, ich finde es schade, und es hat ja
auch Auswirkungen auf meine Arbeit. Vie-
le Fotos, die ich mache, kommen im Insta-
gram-Format nicht zur Geltung. Die Be-
trachter verweilen dort nicht lange, wollen
das Foto innerhalb einer halben Sekunde
verstehen. Natürlich hat Instagram auch
Gutes, es leistet immerhin einen Beitrag da-
zu, über die Schönheit der Welt zu kommu-
nizieren. Aber es ist auch ein Killer.


Wie erleben Sie das auf Ihren Reisen?
Zum Beispiel in Arizona. Vor zehn Jahren
hatten Besucher den Antelope Canyon für
sich allein. Heute ist er völlig versaut. Für
60 Dollar Eintritt wirst du mit 200 anderen
Touristen in die Schlucht rein- und wieder
herausgepresst. Dieser Ort ist entweiht,
wie viele andere auch. Ins Giraffe Manor in
Nairobi – ein Hotel, in dem Giraffen zum
Frühstück vorbeischauen – fliegen die Leu-
te aus Los Angeles nur für ein Selfie ein. In
Angkor Wat sah ich vor lauter Touristen
den Tempel nicht. Also versuchte ich es ei-


ne Stunde vor Sonnenaufgang – mit unge-
fähr 800 anderen. Eine traurige Entwick-
lung. Sie nimmt dir die Möglichkeit, Orte
zu erleben und zu erfühlen.

Ist Ihr neues Buch also auch ein Statement
gegen die Massen-Knipserei?
Es ist zumindest kein Buch für die Massen.
Ich glaube, es wird eine Renaissance ge-
ben, eine neue Wertschätzung für Gedruck-
tes, Analoges, ähnlich wie bei der Schall-
platte, zumindest bei einem kleinen Teil
der Bevölkerung. Es ist doch ein Unter-
schied, ob ich die Möglichkeit habe, in ein
Foto einzusteigen, immer mehr Details dar-
auf zu entdecken und das Bild schließlich
zu verstehen.

Dafür greifen Sie zum Großformat, zu
Opulenz und Überwältigung, oft aus der
Vogelperspektive eines Helikopters. Kriti-
ker sagen: Das kann ja jeder, zumal in die-
sen spektakulären Landschaften.
Die Arbeit des Fotografen ist da, und sie ist
notwendig. Der Fotograf hat die Verantwor-
tung der Motiv-Auswahl, der Kompositi-
on, des Framings, also des In-Bezug-Set-
zens. Aber was macht ein Foto schön? Ent-
weder es berührt dich oder nicht. Es hängt
von der Lichtstimmung ab, von der Umge-
bung, den Wolken, der Positionierung,
dem Moment – es muss so sein, dass der
Betrachter daran teilnehmen kann.

Wie viel ist dabei inszeniert?
Mit einem Foto kann man natürlich auch
schummeln. Das weiß das Foto nicht, aber
die Seele merkt das. Meine Bilder entste-
hen an Orten, an denen das Bild die Wahr-
heit darstellt und nicht etwa die Rückseite
anders aussieht. Das sind schwer zu errei-
chende Orte, die tatsächlich noch die Kraft
der Wildnis haben. Orte, an denen du einen
360-Grad-Blick hast ohne Straßen und
Strommasten. Die machen etwas mit mir –
und glücklicherweise auch mit anderen
Menschen.

Ist das die Lösung gegen zu viel Touris-
mus – auch noch in die letzte Wildnis zu
reisen?
Klar, die Frage kann man immer stellen.
Ich glaube, man muss die Schönheit der
Welt zelebrieren, um Bewusstsein für die
Verantwortung zu schaffen, die wir für sie
tragen. Wir schützen nur, was uns emotio-
nal berührt.

Wie teuer sind solche Reisen?
Wenn einer sagt, er hat zwölf Tage Zeit und
4000 Euro zur Verfügung für eine Flugsafa-
ri in Kenia, dann antworte ich: Das kann
ich nicht. Das ist nicht unser Markt. Bei
uns geht es mit ungefähr 10 000 Euro für
zehn Tage los, nach oben gibt es kein Limit.

Ein elitärer Ansatz, dass nur noch Reiche
schöne Reisen machen können.
Dass es teuer ist, an bestimmte Orte zu ge-
langen, scheint sehr unfair zu sein. Aber es
funktioniert. Zum Beispiel in Botswana,
wo sie keinen Massentourismus im Oka-
vango-Delta haben wollen. Wer dort eine
Lodge bauen will, muss nachweisen, was
er für den Erhalt der Arten tut. Für jeweils
20000 Hektar gibt es eine Obergrenze von
20 bis 40 Gästen. Das geht nur über un-
glaublich hohe Preise, 2000 bis 3000 Euro
pro Nacht. Aber das ist das Ziel: niedriges
Volumen, geringe Auswirkungen, hohe Ein-
nahmen. Oder im Nationalpark Katmai in

Alaska, dort wird ausgelost, wer zu den
Braunbären darf. Hoher Preis und großer
Aufwand hinzugelangen – das sind die Or-
te, denen es gut geht.

Welche Kunden bringen Sie dorthin?
Es kommt keiner zu mir und sagt, er will
sechs Tage Botswana machen. Meine Kun-
den sagen: Meine Tochter lebt in Hong-
kong, mein Sohn in New York, und einmal
im Jahr versuchen wir, zusammen etwas
zu erleben. Und sie sagen: Mir geht eher
die Zeit aus als das Geld. Sie merken entwe-
der, dass sie so viel arbeiten, dass die weni-
ge freie Zeit so wertvoll ist, dass für sie alles
perfekt sein muss, oder sie werden 80 und
wollen die Familie versammeln, damit sich
alle an die tolle Reise mit dem Opa erin-
nern. Keiner will in einer Schlange stehen
oder sonst irgendwie warten. In unserer Lo-
gistik gibt es keinen Raum für Fehler. Die
Kunden schätzen das. Die Erkenntnis
steigt, dass Erinnerungen unbezahlbar
sind. Meine Arbeit bezeichne ich nicht als
Reisegeschäft, ich bin im Memory Creati-
on Business.

Wie schafft man Erinnerungen?
Ein spannendes Thema, mit dem ich mich
lange beschäftigt habe. Erinnerungen ha-
ben mit Choreografie, Timing und Überra-
schung zu tun. Was in uns bleibt, ist die
Schönheit der Natur – Bilder, die sich ein-
brennen. Emotionale Begegnungen mit
Tieren: ein Elefant, der einem seinen Rüs-
sel auf die Schulter legt, ein Erdmännchen,
dass mir auf den Schoß hüpft. Und alles,
was Leute aus ihrer Komfortzone holt –
nicht zu lange, nicht zu weit, nicht gefähr-
lich. In Kenia fliegen wir mit Helikoptern
über Gewässer voller Krokodile. Dann
landen wir zum Schwimmen, an einer
harmlosen Quelle, an der definitiv keine
Krokodile sind. Gut ist auch Digital Detox,
also die Kommunikationsmöglichkeiten
abzuschalten, damit sich die Leute wieder
mit ihren Kindern unterhalten können.

Das heißt, Sie helfen ganz schön nach bei
den Erlebnissen?
Ich spreche von Erlebnis-Design. Zum Bei-
spiel bei Picknicks mitten in der Savanne.
Plötzlich steht da ein gedeckter Tisch in
der Natur, ohne Fußabdrücke drumher-
um. Dafür arbeiten wir mit portablen Brü-
cken. Jeeps verstecken wir, Landrover statt
Toyota. Wir achten auf den Ausblick, etwa
auf Akazien, die aussehen wie in unseren
Kindheitsvorstellungen von Afrika – es
sind viele kleine Dinge, die es in der Sum-
me aber ausmachen.

Dadurch schüren Sie selbst das Fernweh,
das vielerorts fatale Folgen hat. Wie sehen

Sie Ihre Rolle im Spiel mit der bedrohten
Umwelt?
Ich bin mit der Umweltorganisation WWF
als Botschafter assoziiert. Die sagen: Rei-
sen fördert die Kommunikation, Kommu-
nikation fördert Frieden. Der Nationalis-
mus, der in vielen Ländern wieder auf-
kommt, entsteht ja auch durch mangelnde
Kommunikation.

Aber müssen Sie dafür so viel fliegen?
Da habe ich absolut kein schlechtes Gewis-
sen. Wir kompensieren jeden Helikopter-
flug automatisch, ohne die Kunden zu fra-
gen. Dazu kommt, dass wir uns in einer
Wildnis bewegen, in der wir zum Glück kei-
ne geteerten Straßen haben. Zum Beispiel
am Turkana-See an der Grenze von Kenia
und Äthiopien. Jeeps kommen nicht
durch, Motorräder können nicht so viel
Sprit transportieren, Kamele wären eine Al-
ternative, wenn man wochenlang Zeit und
genug Wasser hätte. Es ist für mich keine
Frage, dass Autofahrten deutlich mehr
Treibstoff verbrauchen und mehr Flur-
schäden anrichten würden als Flüge.

Ein anderer Fotograf, der die Kraft der Na-
tur thematisiert, ist Sebastião Salgado,
der dieses Jahr den Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels bekommen hat.
Fühlen Sie sich ihm verbunden?
Ich freue mich, wenn Kollegen so eine Aner-
kennung bekommen. Aber ich bin in dieser
politischen Fotografenszene nicht aktiv.
Wir haben ja alle unsere Leidenschaften
und Spezialitäten. Es gibt viele Bücher, die
sich mit Zerstörung und Krieg auseinan-
dersetzen. Ich tue das nicht.

Nach all Ihren Reisen – sind Sie eher opti-
mistisch oder pessimistisch, was den Zu-
stand der Welt angeht?
Die Erde hat Zeit und wird uns überleben.
Ich weigere mich deshalb zu sagen, wir
müssen die Erde schützen. Nein, wir müs-
sen unser Wunschbild der Erde schützen,
unseren Lebensraum, das, was wir brau-
chen, um zu überleben: Sauerstoff, das Kli-
ma. Der Erde ist es egal, wenn sie zwei Milli-
onen Jahre lang überschwemmt ist. Der
Mensch ist nur ein Augenzwinkern. Es
geht um den Schutz der Erde, wie wir sie ha-
ben wollen.

Entspricht das Ihrer Fotografie? Zeigen
Sie die Erde, wie wir sie sehen wollen?
Das ist nicht die Frage, die ich mir stelle.
Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt
und fotografiere, was mir gefällt. Ich über-
lege im Bruchteil einer Sekunde: Berührt
mich das oder nicht? Meistens ist dieser
Moment nicht reproduzierbar.

Gibt es Orte, die Sie noch nicht gesehen ha-
ben?
Je mehr du reist, desto eher merkst du, wie
wenig du gesehen hat. Ich war sicher in
182 Ländern, aber es gibt noch genügend
Destinationen, etwa Mali, Sudan, Tschad.
Ecken in Südamerika, in der Arktis. Seit
ein paar Jahren entdecke ich Deutschland.
Zu Hause habe ich einen fetten Globus. Es
ist schon ein tolles Gefühl, auf einen belie-
bigen Punkt zu zeigen und zu wissen, wie
es dort aussieht.

Michael Poliza: The World. te Neues, Kempen 2019,
416 Seiten, 280 Farbfotografien. Nummeriert und
limitiert,ab250 Euro, Collector's Edition mit Foto-
print 799 Euro.

Michael Poliza.
FOTO: ANDREAS EGE

Die Welt


von


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DerFotograf und Unternehmer


Michael Poliza feiert


die Schönheit der Natur – wie sie nur wenige


Menschen erleben können


DEFGH Nr. 257, Donnerstag, 7. November 2019


REISE


Orte, die etwas mit dem Betrachter machen,
dem neuen Bildband „The World“ entnommen:
Mangrovenwälder in der Bucht von Phang Nga in Thailand.
Drei Löwinnen am Ndutu-See in Tansania.
Ein Weg wie zum Himmel im Naturreservat
Namib-Rand in Namibia.
FOTOS: MICHAEL POLIZA

Nach Sibirien
Tobolsk, Exilort der letzten Zarenfamilie,

vermarktetseine Geschichte 30


Mit Frauen
In Ladakh gibt es jetzt Bergführerinnen.

Dankeiner hartnäckigen Vorkämpferin 28

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