Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

(nextflipdebug5) #1
interview: olaf przybilla

Hof– Dieter Döhla war gerade ein Jahr
langOberbürgermeister in Hof, als er es
zweimal hintereinander mit Weltgeschich-
te zu tun bekam. Im Oktober 1989 trafen
Tausende DDR-Bürger aus der Prager Bot-
schaft mit dem Zug in Hof ein. Und ein paar
Wochen später fiel die Mauer.

SZ: Herr Döhla, wie und wo haben Sie vom
Fall der Mauer erfahren?
Dieter Döhla: Das werde ich natürlich nie
vergessen. Wir saßen zusammen in der
Freiheitshalle, einer Regionalkonferenz
wegen. Am frühen Abend haben wir erfah-
ren, was da offenbar gerade vor sich ging.
Damit hat sich die Konferenz dann erle-
digt. Wir haben umgehend unterbrochen.

Und tags darauf ging’s dann los in Hof?
Interessanterweise noch nicht, nein. Der


  1. November war aus Sicht der Stadt Hof
    noch ein relativ ruhiger Tag. Aber am Tag
    darauf, einem Samstag, klingelt bei mir
    frühs um vier Uhr das Telefon. Ein älterer
    Hofer ist dran, er wohnte gegenüber vom
    Rathaus. Er sagt: „Herr Oberbürgermeis-
    ter, Herr Oberbürgermeister, wir müssen
    was tun, wir müssen was tun.“ Ja was ist
    denn, frage ich. Da standen schon Hunder-
    te DDR-Bürger vorm Hofer Rathaus und
    warteten auf das Begrüßungsgeld.


Mitten in der Nacht?
So in etwa habe ich auch reagiert. Ja was
können wir da jetzt um vier Uhr machen?
Ich bin dann halt sehr früh aufgestanden.
Und dann ging’s los: Wo kommt jetzt das
Geld her? Eines war uns im Rathaus klar:
Mit den paar Tausend Mark, die wir da in
Kasse hatten, kann man nichts anfangen.

Was tut man also?
Erst mal haben wir bei den Sparkassen an-
gerufen, die konnten da aber auch nicht
helfen. Die Direktoren haben uns dann
den Hinweis auf die Landeszentralbank ge-
geben, die damals noch eine Hofer Filiale
hatte. Jetzt musste man aber am Wochen-
ende erst deren drei Direktoren auftrei-
ben, weil die nur gemeinsam zu dritt an
den Tresor rankamen. Anschließend ha-
ben wir dann städtische Angestellte aus al-
len möglichen Ämtern zusammengetrom-
melt und erste Zahlstellen eingerichtet.
Mehr als 90 Millionen Mark Begrüßungs-
geld haben wir in Hof ausgezahlt in den ers-
ten Wochen.

Das heißt, dass allein in der Stadt Hof mit
ihren etwa 50 000 Einwohnern 900 000
Anträge gestellt wurden.
Und wenn Sie einrechnen, dass da auch
Kinder mit dabei waren und manche Besu-
cher natürlich mehr als nur einmal über
die Grenze gekommen sind, dürften in den
ersten Wochen mehr als zwei Millionen
DDR-Bürger in der Stadt Hof gewesen
sein. An einem Sonntag waren geschätzte
100000 Besucher im Hofer Zentrum. Ich
sage Ihnen: Die Stadt war gestopft voll.

Wie ging das mit dem Verkehr?
Vor allem mit provisorisch eingerichteten
Parkplätzen vor der Stadt. Es gab da rüh-
rende Geschichten. Was man vergisst: Die
Trabbis hatten ja nur drei oder vier ver-
schiedene Farben. Jetzt kamen die Men-
schen also in ihrer Hektik über die Grenze
und wurden von der Polizei irgendwohin
geleitet, wo sie sich nicht auskannten. Dort-
hin eben, wo breite Straßen waren. In die
Stadt findet man von dort ja schon. Zurück
aber? Viele haben ihr Auto nicht mehr ge-
funden. Ich weiß noch, wie ich eine Familie
mit drei Kindern, die verzweifelt durchs

Zentrum irrte, an den Stadtrand gefahren
habe. Und wie glücklich sie waren, als wir
ihren Wagen wieder gefunden haben.

Für so etwas hatten Sie Zeit?
Das war in meiner Mittagspause, man war
ja in einem Modus der Hilfsbereitschaft.

Gab’s eigentlich irgendwelche Pläne, wie
man mit so einer Situation umgeht?
Nein. Ich sage immer: Wir waren auf alles
vorbereitet. Es gab Notstandspläne für den
Atomkrieg, wie man sich die Aktenmappe
über den Kopf hält, um nicht zu sehr ver-
strahlt zu werden. Nur auf eines waren wir
nicht vorbereitet: auf den Mauerfall.

Hatten Sie da mal das Gefühl: um Him-
mels willen, schaffen wir das eigentlich?
Nie. Das ist so meine Wesensart. Ich glau-
be, man kann alles schaffen, wenn auch

vielleicht nicht perfekt. Eine Lösung gibt
es immer. Und das hab ich in Hof auch so
proklamiert: Wir kriegen das hin.

Gab es auch Skeptiker?
Klar, es gab auch Meckerer. Inhaber teurer
Boutiquen haben sich bei mir allen Ernstes
beschwert, dass ihre Kunden nicht mehr
mit der Limousine vors Geschäft fahren
können. Habt ihr halt Pech gehabt, habe
ich denen geantwortet. Dann müssen die
Herrschaften eben ein Stück zu Fuß gehen.

Absurd.
Ärgerliches gab es schon auch. Eine fliegen-
de Händlerin hat doch glatt mit Bananen
für eine Mark gewuchert. Angemessen wa-
ren 20 Pfennig. Da ist mir der Kragen ge-
platzt, da habe ich persönlich eingegriffen:
Dass sie sofort ihr Zeug packen und ver-
schwinden soll, hab ich der mitgeteilt.

Ein Mann der Tat.
Ja, man muss den Leuten doch ein Beispiel
geben! Ärzte haben sich übrigens auch ge-
meldet. Würden wir die Stadt weiter offen
halten, sei das gefährlich bei Atemwegser-
krankungen. Der Trabbis wegen. Da konn-
te ich mich nicht drauf einlassen. Das hier
ist eine Art übergesetzlicher Notstand, war
meine Haltung dazu. Wobei man zugeben
muss: Die Stadt hat in der Zeit gestunken.

Haben sich alle Nachwende-Wünsche der
Stadt Hof erfüllt?
Nein, es gab schon auch Unerfreuliches.
Wir hatten schon gehofft, dass wir mit
dem Wegfall der Grenze bessere wirt-
schaftliche Bedingungen bekommen. Wir
haben das auch so der Staatsregierung ge-
sagt: Wir sind ja jetzt das Schaufenster des
Freistaats, bitte helft uns. Und wir haben
um ein Zweigwerk von BMW gekämpft.

Das Werk wurde dann aber in Leipzig ge-
baut. Klar: Da gab es viele Arbeitskräfte,
höhere Förderung und Flächen ohne Ende
zum günstigsten Preis.

Hatte man sich mehr erwartet in Hof?
Ich denke schon. Für die Stadt ist der wirt-
schaftliche Aufschwung nicht eingetreten.
Auch wenn der Staat sich schon bemüht
hat. Hof bekam das Landesamt für Um-
welt. Ein Staatsamt als – na, ich will nicht
sagen Trostpflaster. Aber vielleicht doch
als Anerkennung und Dankeschön.

Dankeschön dafür, dass zweimal binnen
sechs Wochen die Weltgeschichte vorbei-
geschaut hat in Hof. Und das bei einem
Frischling als Oberbürgermeister.
So etwas mitmachen zu dürfen, war ein gro-
ßes Glück. Wenn ich nur daran denke, wie
wir im Oktober 1989, als die DDR-Flücht-
linge aus der Prager Botschaft mit dem
Zug nach Hof kamen, unsere Freiheitshal-
le für Hunderte Menschen räumen und
mit Feldbetten bestücken mussten. Und
wie die Beamtenfachhochschule ihre Stu-
denten für eine Woche heimgeschickt hat,
um Wohnheime für die Flüchtlinge zur Ver-
fügung stellen zu können. Als OB einer mit-
telgroßen Stadt zweimal im Brennpunkt
der Geschichte zu stehen, das war schon
auch anstrengend. Aber ich empfinde es
heute noch als Gnade. Das war positiver
Stress. Und denken Sie nur: Lange nach
dem Mauerfall bekam ich noch Post samt
100-Mark-Schein. Da hatte einer ein
schlechtes Gewissen, weil er unberechtigt
mehrfach Begrüßungsgeld eingestrichen
hatte. Das hat mich sehr berührt.

Kempten– ImProzess gegen eine Mutter
wegen des mutmaßlichen Totschlags an ih-
rer neunjährigen Tochter hat das Landge-
richt Kempten die Verhandlung vertagt.
Für die Strafkammer komme auch eine
Verurteilung wegen Mordes aus Heimtü-
cke in Betracht, sagte der Richter am Mitt-
woch. Die Verteidigerin der Angeklagten
beantragte, die Verhandlung auszusetzen,
da sie sich wegen der veränderten Sachla-
ge nicht genügend vorbereitet sah. Die Be-
schuldigte stimmte einem neuerlichen
Gutachten zu. Ein neuer Termin war zu-
nächst nicht bekannt. Die 50-jährige Ange-
klagte soll im September 2016 in Lindau
am Bodensee ihre Tochter im Schlaf mit ei-
nem Kissen erstickt haben. Zwei Monate
zuvor hatte sich der Partner der Mutter
selbst getötet. Die Frau entwickelte auf-
grund einer Depression Suizidgedanken
und war der Überzeugung, die Tochter wür-
de ihren Tod nicht verkraften, wie es bei ei-
nem Prozess 2018 hieß. Die Mutter überleb-
te ihren Suizidversuch. Die Erste Strafkam-
mer des Landgerichts Kempten hatte sie
2018 wegen ihrer psychischen Erkrankung
vom Vorwurf des Totschlags freigespro-
chen. Der Bundesgerichtshof hob den Frei-
spruch auf, weshalb der Fall vor der Zwei-
ten Strafkammer des Kemptener Landge-
richts neu verhandelt wird. dpa

München– Die Landtagsgrünen haben ih-
re Führungsspitze in der Fraktion neu sor-
tiert. Neuer stellvertretender parlamentari-
scher Geschäftsführer ist der Abgeordnete
Tim Pargent aus Oberfranken. Der finanz-
politische Sprecher hat sich in einer Stich-
wahl am Mittwoch gegen drei Mitbewer-
ber durchgesetzt. Zusammen mit dem par-
lamentarischen Geschäftsführer Jürgen
Mistol wird Pargent, 26, die Grünen im Äl-
testenrat des Landtags vertreten. Er folgt
auf die Schwäbin Eva Lettenbauer, die ihr
Fraktionsamt nach ihrer Wahl zur grünen
Landesvorsitzenden niedergelegt hat.
Als Landeschefin hat Lettenbauer im
oberpfälzischen Teublitz den hundertsten
neuen Ortsverband seit der Landtagswahl
vor gut einem Jahr präsentiert. Insgesamt
zählen die Grünen in Bayern jetzt 430 Orts-
verbände. Man habe sich auf viel Arbeit ein-
gestellt, sagte Co-Landeschef Eike Hallitz-
ky. Stattdessen seien die hundert Neugrün-
dungen „fast ein Selbstläufer“ gewesen.
Am meisten Zulauf haben die Grünen in
Oberbayern, dort entstanden in den ver-
gangenen zwölf Monaten 38 Ortsverbän-
de. Es folgen Unterfranken (16), Schwaben
(14), Mittelfranken (10), Oberfranken (9)
und Niederbayern (8). In der Oberpfalz ka-
men fünf Ortsverbände hinzu. wiw


Prozess wegen Tod einer


Neunjährigen vertagt


„Nur auf eines
waren wir
nicht vorbereitet:
auf den Mauerfall.“

„Aber ich empfinde es
heute noch
alsGnade. Das war
positiver Stress.“

München –Das Ambiente im „Digi-Dach-
geschoss“, wie Gastgeberin Judith Gerlach
(CSU) den sechsten Stock ihres Ministeri-
ums nennt, rangiert zwischen Start-up-
Spirit und Partyraum. Für die Gäste stehen
bunte Sessel und Hocker bereit, jemand
hat Luftballons aufgeblasen. Die Blumenta-
pete an einer Wand geht fast als eines die-
ser Paisley-Muster durch, das Hipster in
München-Ost spazieren tragen könnten.
Willkommen also zur „vorgezogenen Ge-
burtstagsfeier“; die Zeit, sagt Gerlach, sei
so „unglaublich schnell vorangeschritten“.
Am Sonntag feierte Gerlach ihren 34. Ge-
burtstag. Ein anderer ist ihr an diesem Mitt-
woch wichtiger: der ihres Digitalministeri-
ums. Am 12. November 2018 wurde es ge-
gründet. Über dessen Zuständigkeiten wur-
de damals genauso gerätselt wie über sei-
ne Chefin, die bis dahin vielen Bayern unbe-
kannt war. Fast genau ein Jahr später stellt
sich die Frage, wie viel sich daran geändert
hat. Verglichen mit der Präsenz mancher
Kabinettskollegen läuft Gerlach weiter et-
was unter dem Radar. Auch deshalb eignet
sich dieser Mittwoch, um eine erste Bilanz
zu ziehen.
Auf den ersten Blick fällt diese gar nicht
schlecht aus. Die „Hightech Agenda Bay-
ern“ steht zum Beispiel darauf, die Strate-

gie der Staatsregierung, mehr in die Ent-
wicklung neuer Technologien zu investie-
ren. Oder die IT-Notfall-Hotline, die Bür-
ger seit diesem Sommer anrufen können,
wenn sie Opfer von Cyberkriminellen wur-
den. Oder das Förderprogramm „BayFiD“,
das junge Frauen motivieren soll, einen Di-
gitalberuf zu ergreifen – ein Herzenspro-
jekt von Gerlach, auf das sie viel positive
Resonanz bekam. Nicht zuletzt hat sie sich
in eine ihr fremde Materie eingearbeitet so-
wie eine neue Verwaltungsstruktur aufge-
baut. Knapp 100 Mitarbeiter zähle ihr Mi-
nisterium inzwischen, die Hälfte davon
Frauen, sagt Gerlach: Das sei ihr wichtig,

ebenso die Möglichkeit, von außerhalb des
Büros zu arbeiten. Gerlach ist zweifache
Mutter, die Familie lebt in Aschaffenburg.
Auf den zweiten Blick fällt ein Problem
auf, das Gerlach seit Amtsantritt begleitet.
Der Aufgabenbereich ihres Ministeriums
ist so schwammig gefasst, dass man
manchmal gar nicht weiß, was es genau
macht. Vereinfacht soll es Ideen liefern

und Neues anschieben. Das geht aber oft
nur in Kooperation mit anderen Ressorts.
Für Außenstehende – und bisweilen die Be-
teiligten selbst – wird dadurch schwer er-
sichtlich, wer an welchem Projekt wie viel
Anteil trägt. Das gilt besonders für große
Projekte wie die Hightech-Agenda, die Vor-
haben quer durch die Ministerien bündelt.

Sich selbst bezeichnet Gerlach als das
„Trüffelschwein“, das nach neuen digita-
len Anwendungen suche. Manchmal laufe
die Zusammenarbeit ganz einfach – etwa
bei der IT-Notfall-Hotline, die gemeinsam
mit dem Innenministerium entstand.
Wann es härter laufe, sagt Gerlach nicht di-
rekt. Sie räumt aber ein, dass es mit der
Sichtbarkeit ein wenig schwierig sei, sie ha-
be keine Förderbescheide, die sie wöchent-
lich ausstellen könne. Ihr Ministerium sei
keines, „wie man es kennt“, es werde wohl
immer ein „Querschnittsministerium“ blei-
ben. Die Digitalisierung spiele in so viele
Bereiche hinein, wenn sie die alle an sich zö-
ge, stünden am Schluss nur noch der Minis-
terpräsident und sie da.
Als Nächstes würde Gerlach gerne „Digi-
talbotschafter“ an Bayerns Schulen etablie-
ren. Das könnten etwa Beratungslehrer
sein, die Schülern helfen, sich im Netz si-
cher zu bewegen und Fake News zu erken-
nen. Für die Umsetzung wäre aber wieder
Kooperation gefragt, diesmal mit dem Kul-
tusministerium. Wenigstens beim Feiern
bleibt das Digitalministerium selbstbe-
stimmt. Mitarbeiter schieben einen Ser-
vierwagen mit Kuchen herein, darin bren-
nen Wunderkerzen. Ist schließlich ein Ge-
burtstag. maximilian gerl

München/Guangzhou – Der Freistaat
und seine chinesische Partnerregion Gu-
angdong wollen künftig enger zusammen-
arbeiten. Das teilte das bayerische Wirt-
schaftsministerium am Mittwoch mit.
Demnach unterzeichneten Minister Hu-
bert Aiwanger (FW) und der Vize-Gouver-
neur Guangjun Zhang einen entsprechen-
den Aktionsplan. Dieser sieht die Eröff-
nung eines sogenannten German Centers
in der Hafenstadt Guangzhou vor. Dieses
soll deutsche Firmen bei der Ansiedlung in
der Region unterstützen. Zudem vereinbar-
ten beide Seiten die Gründung gemeinsa-
mer Arbeitsgruppen sowie „regelmäßige
Besuche auf höchster Regierungsebene“,
um die Kooperation zu vertiefen. Aiwanger
bereist diese Woche China, begleitet von
rund 50 Unternehmern und den Landtags-
abgeordneten Barbara Fuchs (Grüne) und
Sandro Kirchner (CSU). maxi


Grüne wählen


Lettenbauers Nachfolger


Go West: Nach dem Fall der Mauer kamen zahllose DDR-Bürger mit ihren Autos – vor allem
Wartburg und Trabbi – über die Grenze. Wenige Wochen vorher musste OB Dieter Döhla bereits
Tausende Ostdeutsche in der Freiheitshalle unterbringen. Und auch das Begrüßungsgeld –
100Mark pro Person – musste er erst organisieren.FOTOS: IMAGO (2), DAVID EBENER/DPA

von johann osel

F


amilienidylle beim „Mensch ärgere
Dich nicht“-Spiel am Küchentisch.
Scheinbar. Der kleine Heinz-Rüdi-
ger hat wenig Lust. „Dann würfel’ halt ich
für dich“, meint der Vater und ist wie die
Gattin mit kicherndem Ehrgeiz zugange.
Es dauert nicht lange, bis Heinz-Rüdiger
ausflippt und alle Figuren wegfegt. „Du
Rotzlöffel, da wird anständig gspielt, ja
wo samma denn“, schimpft der Vater und
hält eine Watschn für angemessen. Das
Spiel werde in den Italien-Urlaub mitge-
nommen: „Dann wird so lang gespielt,
bis du den Ernst von dem Spiel a mal be-
greifst!“ Ende der Siebziger ist der Sketch
mit Gerhard Polt und Gisela Schneeber-
ger entstanden, an Aktualität hat er
kaum eingebüßt. „Mensch ärgere Dich
nicht“ – der Imperativ, den der Name vor-
schreibt, wird selten befolgt. MÄDN, wie
Kenner der Spielszene den Klassiker nen-
nen, bedeutet häufig: Eskalation. Politi-
ker debattieren über die Gefahr durch di-
gitale Ballerspiele; das Aggressionspoten-
zial bei Brettspielen wird völlig verkannt.
Ein Kapitel dazu in der Kriminalstatis-
tik gibt es nicht, es wäre aber stattlich. Im-
mer wieder ist in Polizeiberichten zu le-
sen, wie Spieleabende mit Zoff oder sogar
Handgreiflichkeiten enden. Neulich wie-
der im unterfränkischen Bad Brückenau:
Mit Freunden geriet ein Paar Anfang
30bei „Mensch ärgere Dich nicht“ derart
in Streit, dass Gegenstände zu Bruch gin-
gen und die Polizei gerufen werden muss-
te. Die Streife stellte fest, dass alle Betei-
ligten betrunken waren, was dem Spiel-
frieden wenig zuträglich sein dürfte. Ähn-
liche Konfliktherde wie MÄDN bietet nur
Monopoly, da sollen schon Ehen zerbro-
chen sein. Ebenfalls in Unterfranken hat
ein Mann mal zeternd die Polizei alar-
miert, weil er beim Monopoly verloren
hat; das hat ihm dann eine Geldstrafe we-
gen Missbrauchs des Notrufs beschert.
Die Erfinder der Spiele hatten derlei si-
cher nicht im Sinn. „Mensch ärgere Dich
nicht“, eine bayerische Innovation, sollte
einst Ruhe schaffen. Vor mehr als 100 Jah-
ren wollte ein Oberpfälzer Kaufmann, in
München wohnhaft, damit seine quenge-
ligen Kinder unterhalten – wie es Spiele
allgemein leisten sollten. Der Schriftstel-
ler August Strindberg definierte das 1893
so: „Das Brettspiel wird als Blitzableiter
im Hause eingeführt, die gefährliche Un-
terhaltung wird durch das Klappern der
Würfel ersetzt.“ Ach wenn es nur so wäre!


Digitalbotschafter für jede Schule


Judith Gerlachfeiert den ersten Geburtstag ihres Digitalministeriums – Zeit für eine Bilanz und für neue Pläne


Enge Wirtschaftsbande


mit China


Judith Gerlach feiert den ersten Geburts-
tag ihres Ministeriums – mit Kuchen und
Wunderkerze. FOTO: STMD

„Die Stadt war gestopft voll“


Dieter Döhla hat zweimal hintereinander Weltgeschichte erlebt: als Tausende DDR-Bürger per Zug aus der Prager Botschaft nach Hof kamen
und als wenig später die Mauer fiel. Für den damaligen Oberbürgermeister logistisch herausfordernd und emotional aufwühlend

Sichtbar ist die Digitalministerin
selten, sie hat keine
Förderbescheide zu verteilen

MITTEN IN BAYERN

Eskalation


beim Brettspiel


DEFGH Nr. 257, Donnerstag, 7. November 2019 R13


BAYERN

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