Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

(nextflipdebug5) #1

Wendemarken


Wendezeit– Zeitenwende –
wann war das noch mal, als
alles anders wurde? Das kann
persönliche Desaster, aber
auch gesellschaftliche Umwäl-
zungen meinen. Etwa den Fall
der Mauer. Über die Welt nach
1989 diskutieren Frank Witzel
und der Bosnier Dževad Kara-
hasan. Donnerstag, 14.11.,
18.30 Uhr, Literaturhaus.

Schöner scheitern


Eine Pechsträhne hat jeder
mal. Was aber, wenn sich der
Misserfolg als Leitmotiv fürs
Leben herausstellt? Darüber
sinniert der Österreicher Hein-
rich Steinfest. Er seziert das
eigene Unglück und das der
anderen – und verfasst daraus
eine Gebrauchsanweisung
fürs Scheitern. Donnerstag,
28.11., 19 Uhr, Gasteig.

Die schönste Nebensache der
Welt,das war der Fußball mal.
Doch längst ist er eine Indus-
trie mit knallharten Regeln.
Am legendären Torjäger Gerd
Müller erklärt Hans Woller in
seinem Buch, wie das große
Geld in den Fußball kam und
diskutiert darüber mit Felix
Magath. Mittwoch, 20.11.,
20 Uhr, Literaturhaus.

von yvonne poppek

D


ie erste Münchner Bücherschau
war zu kurz. Zunächst zumindest.
84 Münchner Verlage stellten im
November 1960 ihre Bücher im Stadtmuse-
um aus. „Hier haben sie so etwas wie die
Frankfurter Buchmesse hingezaubert, frei-
lich in kleinerem Maßstab und nicht auf in-
ternationaler, sondern ganz im Gegenteil
auf exklusiver lokaler Basis“, schrieb da-
mals dieSüddeutsche Zeitung. 14 Tage soll-
te diese Verlagsvorstellung dauern, doch
das Interesse der Münchner war so groß,
dass sie kurzerhand um eine Woche verlän-
gert wurde. Der Beginn also: ein Erfolg.
In diesem Jahr wird die 60. Ausgabe der
Bücherschau eröffnet. Es ist ein runder Ge-
burtstag, den die Veranstalter vom Börsen-
verein des Deutschen Buchhandels und
der Stadt München genauso unaufgeregt
begehen, wie auch schon das Jubiläum
zum Fünfzigsten. Letztlich besteht die Bü-
cherschau auch diesmal wieder aus Buch-
präsentation und Veranstaltungen im Ga-
steig. Zudem wird es im zweiten Stock eine
Ausstellung geben mit alten Plakaten, Fo-
tos und Programmheften, die die „Entwick-
lung von einer Leistungsschau der bayeri-
schen Verlage zu einer der größten Buch-
ausstellungen im deutschsprachigem
Raum“ nachvollziehbar machen soll.

Wie sich daraus schon ablesen lässt: Die
Bücherschau hat sich stetig weiter entwi-
ckelt und vor allem vergrößert. Kamen im
ersten Jahr nach Schätzungen der Veran-
stalter 20 000 Besucher, so sind es inzwi-
schen jährlich 160 000. Die Anzahl der Ver-
lage ist ebenfalls gestiegen von 84 auf etwa
300, und diese kommen nicht mehr nur
aus München. Auch die Öffnungszeit ist
mit 15 Stunden an 18 Tagen sehr großzügig
bemessen. Und natürlich gibt es die Lesun-
gen, Ausstellungen und Aktionen, die aus
einer reinen Bücherschau ein umfangrei-
ches Programm rund um Bücher und Auto-
ren haben werden lassen.
Bevor die Bücherschau die heutigen Aus-
maße erreichte, brauchte sie zunächst ein
paar Jahre, um sich als beliebte Publikums-
veranstaltung zu etablieren. Doch schon
1967 war der Andrang so groß, dass sie ins
Haus der Kunst umzog, der Platz im Stadt-
museum reichte nicht mehr aus. Im selben
Jahr kamen die Organisatoren auf die Idee,
das Programm um einen Vorlesewettbe-
werb für Frauen im „Großmutter-Alter“
anzureichern. 400 Bewerberinnen traten
zunächst in regionalen Wettbewerben an,
um sich für das Finale in München zu quali-
fizieren.

1975 wurde wieder ein Besucherrekord
registriert: 77 000 Interessierte kamen, die
Veranstaltungen waren ausgebucht. „Bei
den meistbesuchten Lesungen oder Dis-
kussionen wurden bis zu 800 Interessen-
ten gezählt“, schrieb dieSZ. Als 1987 die
Kinder- und Jugendbuchschau hinzukam
und schließlich auch Verlage von außer-
halb Bayerns ausstellen durften, schmäler-
te dies das Interesse naturgemäß nicht, die
Besucherzahl stieg. 1990 stand ein weite-
rer Umzug an, das Haus der Kunst wurde
renoviert. Die Stadt München bot die Räu-
me im Gasteig kostenlos an. Sie betrachte-
te die Bücherschau als eine Bereicherung
für die Kulturinteressierten, die am glei-
chen Ort Philharmonie, Stadtbibliothek
und Volkshochschule besuchten. Der da-
malige Oberbürgermeister Christian Ude
befand, dass die Bücherschau nun dort sei,
wo sie hingehöre.
Nicht nur die Schau wuchs über die Jah-
re, auch das Rahmenprogramm wurde um-
fangreicher. Zum 40. Geburtstag gab es 86
Veranstaltungen, dieses Jahr sind es
knapp 60 – Lesungen, Gespräche, Diskus-
sionen, Ausstellungen, Workshops und Ak-
tionen für Kinder und Erwachsene. Seit 20
Jahren sind für dieses Programm Edith Of-
fermann (für Kinder und Jugendliche) und
Thomas Kraft zuständig. Sie setzen, wie
Kraft es formuliert, auf eine „Balance aus

Bewährtem und Weiterentwicklung“. So
gibt es stets populäre Autoren im Pro-
gramm, aber auch literarische Neuentde-
ckungen. Zugleich werden neue Formen
der Vermittlung ausprobiert, Schriftsteller
lesen längst nicht mehr nur aus ihren Bü-
chern vor und nippen an einem Glas Was-
ser, oft gibt es ergänzende Elemente wie
Musik, Projektionen oder Diskussionen.
Dieses Jahr hat das Programm eine the-
matische Klammer erhalten – eine Beson-
derheit, die bisher nur das seit zehn Jahren
parallel laufende Kuratorenprogramm „Fo-
rum : Autoren“ kennzeichnete. „Das schö-
ne Mysterium“ – so lautet das Motto. Bis-
lang habe man gedacht, die Welt sei gren-
zenlos belastbar, erklärt Kraft die Wahl des
Themas. „Diesmal, scheint mir jedenfalls,
schaut es anders aus.“ Die eingeladenen Au-
toren – Physiker Harald Lesch, Schriftstel-
ler wie Sten Nadolny, Raoul Schrott, Matthi-
as Politicky, Meeresbiologin Frauke Bagu-
sche oder Astronautin Samantha Cristofo-
retti – versuchen, dieses Mysterium aus
wissenschaftlicher, politischer oder gesell-
schaftlicher Sicht zu ergründen. Das Pro-
gramm klingt spannend – und dürfte die
Erfolgsgeschichte der Bücherschau weiter-
schreiben.

Der Vater Araber, die Mutter
Französin: zwei Sprachen,
zwei Kulturen, eine zerrissene
Familie. So die Kurzversion
von Riad Sattoufs Jugend.
Statt daran zu zerbrechen,
schafft er daraus etwas Origi-
nelles: Er zeichnet sein Leben
als Comic, mittlerweile den
vierten Band. Donnerstag,
28.11., 20 Uhr, Literaturhaus.

Über das Glück des Gehens hat
einst schon der Naturphilo-
soph John Muir geschrieben.
Wie dieser begibt sich Albert
Kitzler auf eine philosophische
Wanderschaft, während Nora
Bossong in ihrem Roman
„Schutzzone“ nach Gerechtig-
keit und Verantwortung sucht.
Beide diskutieren am Sonntag,
1.12., 19 Uhr, Gasteig.

Leben als Comic


Im ersten Jahr
kamen etwa
20 000 Besucher
ins Stadtmuseum,
um die Werke
bayerischer Verlage
anzusehen

Zum ersten Mal
gibt es ein
übergeordnetes
Thema für die
Veranstaltungen:
das schöne
Mysterium

Wanderschaft Bomber der Nation


Lesen mit Libressen: 1968 warben diese einheitlich
kostümierten Frauenfür mehr literarische Begeisterung.
FOTO: MÜNCHNER BÜCHERSCHAU

Lokal global


Die Münchner Bücherschau hat sich


in 60 Jahren von einer exklusiv bayerischen


Leistungsschau zu einem überregionalen


Kulturereignis entwickelt


8 LITERATURFEST MÜNCHEN Donnerstag, 7. November 2019, Nr. 257

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