Frankfurter Allgemeine Zeitung - 07.11.2019

(Greg DeLong) #1
ami.BERLIN. Das Bundeskabinett hat ei-
nen Gesetzentwurf von Bundesumweltmi-
nisterin Svenja Schulze (SPD) zum Ver-
bot von Plastiktüten beschlossen. Er sieht
vor, dass die Ausgabe von Plastiktüten
mit einer Wandstärke von weniger als 50
Mikrometer oder 0,05 Millimeter künftig
verboten wird. Ausgenommen von dem
Verbot sind sogenannte „Hemdchen“-
oder „Knotenbeutel“, die vor allem zum
Abpacken loser Waren in der Obst- und
Gemüseabteilung benutzt werden. Deren
Verbot würde derzeit eher zu einer Zunah-
me der Verpackungsabfälle als zu einer
Verringerung führen.
Schulze nannte Plastiktüten den „Inbe-
griff der Ressourcenverschwendung“,
weil sie aus Rohöl hergestellt und oft nur
wenige Minuten genutzt würden. Häufig
landeten sie zudem in der Umwelt, wo sie
dann über viele Jahrzehnte bleiben und
viel Schaden anrichten könnten. Das Ver-
bot soll sechs Monate nach Verkündung
des Gesetzes in Kraft treten, damit voraus-

sichtlich im Laufe des kommenden Jah-
res. Wer die Tüten nach dem Verbot in
Verkehr bringt, riskiert ein Bußgeld von
bis zu 100 000 Euro.
Schulze begründete das geplante Ver-
bot auch mit dem Erfolg freiwilliger Ver-
einbarungen zur Reduzierung des Tüten-
einsatzes – auf die sie aber trotzdem nicht
weiter setzen will. Sie sagte, die Erfahrun-
gen der letzten Jahre damit hätte gezeigt:
„Es geht auch ohne die Plastiktüte beim
Einkauf.“ Immer mehr Menschen gewöh-
nen sich daran, Mehrwegbeutel mit sich
zu führen. Aktuell verbrauche jeder Bun-
desbürger 20 Plastiktüten im Jahr. „Mit ei-
nem Verbot kommen wir jetzt auf null“,
sagte sie. Denn das gelte auch für jene
Händler, die sich der Vereinbarung bisher
nicht unterworfen hätten.
Der Entwurf verbietet Letztvertrei-
bern, also den Einzelhändlern, Kunst-
stofftragetaschen mit einer Wandstärke
von weniger als 0,05 Millimeter Wandstär-
ke abzugeben. Die Begründung: Leichte

Kunststofftragetaschen würden seltener
wiederverwendet als solche aus stärke-
rem Material. An Stelle leichter Kunst-
stofftragetaschen sollten sinnvollerweise
Mehrweg-Taschen aus Kunststoff und Po-
lyester verwendet werden, empfiehlt das
Ministerium. Je häufiger sie benutzt wür-
den, desto umweltfreundlicher seien sie.
Schulze hält auch nichts vom Ersatz
der Plastik- durch Papiertüten, wie sie vie-
le Supermarktketten im Angebot haben:
„Die Zukunft ist nicht die Einweg-Papier-
tüte.“ Die Zukunft seien vielmehr Mehr-
wegtüten. Die Umweltbilanz einer Mehr-
weg-Tragetasche aus Plastik sei bereits
nach drei Nutzungen umweltfreundlicher
als die der Einweg-Plastiktüte.
Das Verbot von Einweg-Kunststofftra-
getaschen sei indes nur ein Baustein in
der Strategie für weniger Plastik und
mehr Recycling. Bereits im Jahr 2021 wür-
den weitere Einweg-Kunststoffartikel wie
etwa Plastikgeschirr in Umsetzung der
EU-Einwegkunststoffrichtlinie verboten.

I

m Koalitionsstreit über die geplante
Grundrente haben sich CDU/CSU
nun offiziell von der Bedingung ver-
abschiedet, diese an eine „Bedürf-
tigkeitsprüfung entsprechend der Grund-
sicherung“ zu knüpfen. Das gilt zumin-
dest für Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
und die Minister: In der vom Bundeskabi-
nett am Mittwoch beschlossenen „Halb-
zeitbilanz“ der Regierung steht die seit
Monaten umstrittene Rentenaufstockung
für langjährig rentenversicherte Arbeit-
nehmer im Abschnitt „Was wir noch vor-
haben“ – doch weicht die Beschreibung
des Vorhabens nun in zentralen Punkten
von der ursprünglichen Verabredung aus
dem Koalitionsvertrag von 2018 ab.
An der Stelle der damals festgelegten
Bedürftigkeitsprüfung steht nun die offe-
ne Formulierung: „Die Grundrente soll
zielgenau sein und denen zugutekom-
men, die sie brauchen.“ Außerdem heißt
es in der neuen Beschreibung: Die Grund-
rente solle sicherstellen, dass deren Bezie-
her „nicht auf Grundsicherung im Alter
angewiesen sind“. Der Koalitionsvertrag
sah dagegen bisher vor, dass die Grund-
rente nur „für bestehende und zukünftige
Grundsicherungsbezieher“ gelten solle.
Unverändert bleib dagegen das Ziel, dass
nur Rentner mit mindestens 35 Beitrags-
jahren in der Rentenversicherung die ge-
planten Zuschläge erhalten sollen.
Schon am Vortag hatte sich Merkel in
der Unionsfraktion bemüht, die Abgeord-
neten auf die geänderte Grundrente einzu-
schwören. Wie aus der Sitzung berichtet
wurde, warnte sie ihre Parteifreunde da-
vor, in öffentlichen Debatten potentiell be-

zugsberechtigte Villenbesitzer oder Zahn-
arztgattinnen gegen die SPD-Forderung
nach einer Grundrente ohne Bedürftig-
keitsprüfung ins Feld zu führen. Als Volks-
parteien müssten CDU/CSU stärker an Ge-
ringverdiener denken, wurde sie zitiert.
Zudem gestand sie der SPD offenbar
zu, dass die Union den Bürokratieauf-
wand einer „Bedürftigkeitsprüfung ent-
sprechend der Grundsicherung“ unter-
schätzt habe. Eigentlich sind dafür die So-
zialämter zuständig, und ihr Prüfaufwand
würde mit der Grundrente wohl nur ge-
ringfügig steigen. Die SPD hatte im Koali-
tionsvertrag aber durchgesetzt, dass die

„Abwicklung“ durch die Rentenversiche-
rung erfolgen solle. Daraus wird nun ge-
folgert, dass diese 5000 neue Mitarbeiter
für neue Prüfstrukturen wie in den Sozial-
ämtern benötige; also seien die Pläne der
Union nicht umsetzbar. Die CDU/CSU-
Mittelstandsunion verwahrte sich jedoch
am Mittwoch umgehend gegen diese Deu-
tung – und bekräftigte durch einen Vor-
standsbeschluss ihre Position.
Daneben bestätigt die neue Halbzeitbi-
lanz, dass in der Rentenpolitik anderes
ganz liegengeblieben ist. Unter den offe-
nen Vorhaben findet sich etwa die geplan-
te Altersvorsorge-Pflicht für Selbständi-

ge, die als wichtiger Baustein einer Politik
gegen Altersarmut gilt. Ebenso ist wieder
das Vorhaben aufgeführt, die private Zu-
satz-Altersvorsorge („Riester-Rente“) zu
reformieren. Der CDU-Sozialflügel hat
dieses Projekt nun mit einem Antrag an
den bevorstehenden CDU-Parteitag auf-
gegriffen, um dort Druck zu machen.
Jenseits davon listet das 83 Seiten dicke
Bilanzpapier über alle Politikfelder hin-
weg die seit 2018 beschlossenen Vorha-
ben auf und benennt noch offene Punk-
te – die meisten ohne Überraschungs-
wert. Für den Fortbestand der Koalition
jedoch kommt es ohnehin weniger auf die

Selbsteinschätzung der Regierung an als
auf die Urteile der sie tragenden Parteien.
Angelpunkte der Entwicklung bleiben
deshalb die Parteitage der CDU Ende No-
vember und der SPD Anfang Dezember.
Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz
(SPD) plädierten am Mittwoch für eine
Fortsetzung ihrer Zusammenarbeit. Von
300 Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag
habe die Regierung nach 18 Monaten zwei
Drittel umgesetzt oder angepackt, sagte
Merkel. „Das zeigt, dass wir arbeitsfähig
und arbeitswillig sind.“ Scholz hob „große
Fortschritte“ bei der sozialen Sicherung
hervor, es gebe aber noch etwas zu tun.

sju.FRANKFURT. Mehr als zwölf Millio-
nen Tonnen Lebensmittel landen jedes
Jahr in Deutschland auf dem Müll. Bundes-
ernährungsministerin Julia Klöckner
(CDU) will das ändern. Am Mittwoch
stellte sie auf einer Konferenz mit Vertre-
tern verschiedener Branchen und Verbän-
de eine Online-Plattform vor, die für mehr
Lebensmittelspenden an Tafeln sorgen
soll. Schon im Februar hatte die Bundesre-
gierung eine Strategie beschlossen, mit
der die Lebensmittelabfälle bis 2030 um
die Hälfte gesenkt werden sollen.
Die Plattform mit dem Namen Eco ist
ein weiterer Schritt, um dieses Ziel zu er-
reichen. Mittels einer App sollen Unter-
nehmen und Tafeln in Zukunft das Ange-
bot und den Bedarf von Lebensmitteln ef-
fektiver abstimmen können. Das Ministe-
rium will den Aufbau der Plattform mit
1,5 Millionen Euro fördern und schätzt,
dass dadurch 40 Prozent mehr Lebensmit-
tel „gerettet“ werden können. „Wir brau-
chen solche innovativen Lösungen, um
die Lebensmittelverschwendung effektiv
zu reduzieren“, sagte Klöckner.
Auf der Konferenz mahnte sie, die Ver-
meidung von Lebensmittelabfällen gehe
alle an. Verbraucher und Wirtschaft müss-
ten daher ihre Anstrengungen verstärken.
Die Strategie der Bundesregierung sieht

vor, dass in verschiedenen Dialogforen
festgestellt wird, wo Lebensmittelver-
schwendung vermieden werden kann und
was dazu getan werden muss. Außerdem
will die Bundesregierung die Forschung
stärker fördern und Verbraucher mit Infor-
mationen für das Thema sensibilisieren.
Viele Verbraucher etwa werfen Lebensmit-
tel weg, deren Mindesthaltbarkeitsdatum
erreicht oder schon überschritten ist, ob-
wohl diese noch verzehrt werden können.
Nach im Oktober veröffentlichten Be-
rechnungen des bundeseigenen Thünen-
Instituts wurden 2015 in Deutschland
etwa 12,7 Millionen Tonnen Lebensmit-
tel weggeworfen. Der Großteil der Abfäl-
le (55 Prozent) entsteht laut der Studie in
privaten Haushalten: Jeder Deutsche
wirft etwa 85 Kilogramm Lebensmittel
im Jahr weg. Die übrigen Abfälle vertei-
len sich auf die Landwirtschaft (11 Pro-
zent), Verarbeitung (17 Prozent), Gastro-
nomie (13 Prozent) und den Handel (
Prozent). Trotz seines geringen Anteils
spielt der Handel aus Sicht der Projekt-
gruppe eine zentrale Rolle. „Er beein-
flusst sowohl die Produzenten durch hohe
Qualitätsanforderungen als auch die Ver-
braucherinnen und Verbraucher durch
Kaufanreize“, sagte Projektkoordinator
Thomas Schmidt vom Thünen-Institut.

S tellt sich selbst ein gutes Zeugnis aus: Das Bundeskabinett am Tisch im Kanzleramt Foto Imago


Das Ende der Plastiktüte


Das Kabinett beschließt einen Gesetzentwurf zum Verbot von Einkaufstaschen aus


Kunststoff. Die Umweltministerin möchte nicht, dass Papiertüten in Mode kommen


Kann Erdgas CO
2

minimieren?

Die Technologien

dafür sind da.

Man muss sie nur

nutzen.

Seit 40 Jahren sind wir Energiepartner Deutschlands und helfen, die Kosten
der Energiewende und CO 2 -Emissionen zu senken – mit erneuerbaren
Energien und dem effizienten Einsatz von Erdgas aus Norwegen. Denn
Erdgas-Technologien bieten zuverlässige Lösungen, wenn es um Emissions-
vermeidung geht: Von moderner Brennwerttechnik über Wärmepumpen
bis hin zu Power-to-Gas ist Erdgas die innovative Antwort auf die Fragen
der Energiezukunft. Mehr Information aufequinor.de

E

Lebensmittel retten


Spenden von Unternehmen sollen erleichtert werden,


umNahrungsmittel-Abfälle zu reduzieren


Merkel lenkt im Streit um Grundrente ein

hmk. BRÜSSEL. Die EU tut sich im
Umgang mit China nicht leicht. Die
Frage, ob China als Konkurrent und
Gefahr für die heimische Wirtschaft
zu sehen ist oder als Partner, beant-
wortet jedes Mitgliedsland anders.
Umso schwerer ist es für die Europäi-
sche Kommission, in den Verhandlun-
gen über heikle Themen wie den Zu-
gang zum chinesischen Markt, den
Transfer von Technologie oder den
Schutz von europäischen Investitio-
nen voranzukommen. So hat die nun
erzielte Einigung über den Schutz von
jeweils 100 „geographischen Indikato-
ren“ von „Münchener Bier“ bis zum
Parma-Schinken nach mehr als zwölf
Jahren Verhandlungen durchaus sym-
bolische Bedeutung.
Geographische Indikatoren schüt-
zen die Produzenten einer Region da-
vor, dass Produkte aus anderen Regio-
nen mit demselben Namen beworben
werden. So muss Parma-Schinken in
der EU immer aus Parma kommen,
Champagner aus der Champagne,
Münchener Bier aus München und
Feta-Käse vom griechischen Festland
oder Lesbos. Mit der Einigung gilt
das künftig auch für China. Dabei ist
die Regel nicht unumstritten. Kritiker
sehen darin eine Einschränkung des
Wettbewerbs, zumal sie zunächst ein-
mal nichts über die Qualität oder Zu-
sammensetzung des Produkts aussa-
gen. In Handelsverträgen der EU mit
Drittstaaten spielen sie – zum Schutz
der europäischen Produzenten – stets
eine große Rolle.
100 solcher Bezeichnungen sind
nun auch in China geschützt, dar-
unter fünf aus Deutschland. Neben
dem Münchener Bier ist das „Bayeri-
sches Bier“ sowie Weine von der Mo-
sel, aus Franken und aus Rheinhes-
sen. Generell wird die Liste der ge-
schützten Angaben aus der EU von
Weinen und Spirituosen dominiert.
Auf chinesischer Seite werden vor al-
lem Teesorten, aber auch Reis und
Bohnenpaste geschützt. Das Abkom-
men soll nach Zustimmung des Euro-
päischen Parlaments und der Mitglied-
staaten spätestens Ende 2020 in Kraft
treten. Vier Jahre danach soll die Lis-
te um jeweils 175 weitere geographi-
sche Angaben aufgestockt werden.
Um welche es geht, ist noch offen.

kann.FRANKFURT. Wegen der ohne-
hin niedrigen Zinsen rufen die Deutschen
immer weniger Förderkredite von der
staatlichen KfW-Bankengruppe ab. Das
inländische Fördervolumen ging von Ja-
nuar bis September um neun Prozent auf
31,6 Milliarden Euro zurück, wie das Insti-
tut am Mittwoch mitteilte. Im Gegenzug
hat aber die Nachfrage von Unternehmen
nach Export- und Projektfinanzierungen
kräftig zugelegt. Die Bank sagte mit 17,
Milliarden Euro fast 50 Prozent mehr zu
als im Vorjahreszeitraum. Als Begrün-
dung nennt die Bank unter anderem ein
Programm, über das die Kunden deut-
scher Werften den Kauf neuer Schiffe fi-
nanzieren können. „Damit wird ein wich-
tiger Beitrag für die Zukunftsfähigkeit
und den Erfolg der deutschen Wirtschaft
auf den globalisierten Märkten geleistet“,
findet KfW-Chef Günther Bräunig. Alles
in allem liegt die Fördersumme in den ers-
ten neun Monaten mit 53,5 Milliarden
Euro über jener im Vorjahreszeitraum.
Der Gewinn ging in den ersten drei Quar-
talen um ein halbes Prozent auf 1,25 Milli-
arden Euro zurück. „Mit Blick auf das Jah-
resende erwarten wir einen Konzernge-
winn unter Vorjahr, aber erneut oberhalb
des langfristigen Ergebnispotenzials der
KfW“, sagte Bräunig weiter. Damit meint
er eine Zielgröße von einer Milliarde
Euro nach Steuern. 2018 hatte die KfW
1,64 Milliarden Euro verdient.

Die Halbzeitbilanz des


Bundeskabinetts nennt


als offenes Vorhaben


eine Grundrente – ohne


Bedürftigkeitsprüfung.


Das erregt Widerspruch.


Von Dietrich Creutzburg,


Berlin


China schützt


bayrisches Bier


KfW hilft beim


Schiffsverkauf


FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019·NR. 259·SEITE 19

Free download pdf