Frankfurter Allgemeine Zeitung - 07.11.2019

(Greg DeLong) #1
E

ine Woche ist es her, dass Ibra-
him Miri, die berüchtigte Füh-
rungsfigur des gleichnamigen
Bremer Familienclans, plötzlich
wieder in der Stadt auftauchte und Asyl
beantragte. Die deutschen Sicherheitsbe-
hörden waren düpiert. Denn nur 15 Wo-
chen zuvor hatten sie Miri in einer auf-
wendigen Aktion mit Spezialkräften und
einem eigens gecharterten Privatflug-
zeug aus dem Land gebracht. Nun hat
Bundesinnenminister Horst Seehofer
(CSU) reagiert – und angekündigt, durch-
zugreifen. Der Fall Miri sei ein „Lackmus-
test für die wehrhafte Demokratie“, sag-
te Seehofer der „Bild“-Zeitung, die See-
hofers Vorhaben als „Knallhart-Plan“ be-
zeichnete. „Wenn sich der Rechtsstaat
hier nicht durchsetzt, verliert die Bevölke-
rung das Vertrauen in unser gesamtes
Asylsystem.“
Am Mittwoch führte der Sprecher des
Bundesinnenministeriums aus, was See-
hofer genau vorschwebt. Die Bundespoli-
zei soll künftig die Kontrollen in allen
deutschen Grenzgebieten verstärken. Es
seien keine „Grenzkontrollen im förmli-
chen Sinne“ geplant. Vielmehr sollen
Bundespolizisten örtlich und zeitlich fle-
xible Kontrollen auch unmittelbar an der
Grenze vornehmen. Innerhalb der 30-Ki-
lometer-Zone vor der Grenze finden oh-
nehin schon Schleierfahndungen statt,
eine Verstärkung hatte Seehofer erst vor

einigen Wochen angeordnet. Der Fall
Miri habe gezeigt, dass weitere Anpassun-
gen notwendig seien, sagte der Sprecher.
Der Erlass, der die neue „Schwerpunkt-
setzung“ anordnet, sollte noch am Mitt-
woch in Kraft treten.
Es geht Seehofer darum, die Wahr-
scheinlichkeit zu erhöhen, Personen, die
mit einer Einreisesperre belegt sind, zu
ergreifen. Für Asylbewerber, die nach ei-
nem negativen Asylbescheid nicht frei-
willig ausreisen, tritt eine solche Sperre
in Kraft. Diese Personen können nach
geltendem Recht zurückgewiesen wer-
den, und zwar auch dann, wenn sie in
Deutschland einen Asylantrag stellen
wollen – allerdings ist die Zurückwei-
sung nur so lange möglich, wie sie die
Grenze noch nicht überquert haben. Vor
anderthalb Jahren hatte Seehofer diese
Anordnung getroffen; damit war auch

die Kanzlerin einverstanden, im Gegen-
satz zu den Zurückweisungen von Dub-
lin-Fällen. Bisher waren aber in der Pra-
xis Zurückweisungen wegen Wiederein-
reisesperren nur an der deutsch-österrei-
chischen Grenze möglich, die von der
Bundespolizei kontrolliert wird. Sieben
Migranten, die in Deutschland Asyl su-
chen wollten, wurden seit Juni 2018 we-
gen einer Einreisesperre zurückgewie-
sen, teilte das Bundesinnenministerium
mit. Eine weitere Verlängerung der
Grenzkontrollen zu Österreich hat die
Bundesregierung jüngst beantragt. Das
war vorher nicht ganz klar gewesen, In-
nenpolitiker außerhalb Bayerns haben zu-
letzt häufiger nach der Sinnhaftigkeit die-
ses Kontrollabschnitts gefragt.
Nun gibt es zumindest eine Art Annä-
herung. Bislang nämlich lief an den ande-
ren deutschen Grenzen die Zurückwei-

sungsmöglichkeit ins Leere. Migranten,
die schon eingereist waren und von der
Bundespolizei bei der Schleierfahndung
aufgegriffen wurden, kamen ins Asylver-
fahren, wenn sie einen Antrag stellten.
Miri wurde nicht aufgegriffen, er ist auf
bislang unbekanntem Weg nach Deutsch-
land gekommen und hat in Bremen Asyl
beantragt. Wie wahrscheinlich es ist,
dass verstärkte Kontrollen an der Grenze
dazu geführt hätten, ihn vor Grenzüber-
tritt anzutreffen und abzuweisen, sei da-
hingestellt. Im Bundesinnenministerium
ist man jedenfalls froh darüber, dass es
die Möglichkeit künftig gibt.
Miri selbst war, noch bevor er seinen
Asylantrag stellen konnte, festgenom-
men worden – zunächst wegen illegaler
Einreise. Kurz darauf hatte der Bremer
Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) Ab-
schiebehaft beantragt. Seehofer will die-
se Möglichkeit für alle Fälle schaffen, in
denen ein Einreiseverbot besteht. Nach
derzeitiger Rechtslage ist eine Inhaftie-
rung möglich, wenn Fluchtgefahr be-
steht, ein Ausländer vollziehbar ausreise-
pflichtig ist oder eine Gefahr für die Si-
cherheit der Bundesrepublik besteht. Es
gibt aber keine explizite Regelung für
den Fall einer Wiedereinreisesperre. Die
will Seehofer nun schaffen: Ein neuer
Haftgrund soll erlauben, Personen, die
nicht einreisen dürfen, in Abschiebehaft
zu nehmen. Dazu ist eine Gesetzesände-
rung nötig. „Wichtig ist: Das Gerichtsver-
fahren wird in der Haft abgeschlossen“,
sagte Seehofer der „Bild“-Zeitung.
Miris Asylantrag soll nun möglichst
schnell beschieden werden, bevor er auf
freien Fuß gelassen werden muss. Der
derzeitige Abschiebehaftbefehl gilt bis
zum 2. Dezember, kann aber verlängert
werden. Das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge bearbeitet den Fall „mit
der gebotenen Beschleunigung“, heißt
es. Eine Abschiebung könnte dann direkt
aus dem Gefängnis erfolgen. Für den
deutschen Staat wäre es ein starkes Si-
gnal, dass er handlungsfähig ist. Ob ein
Mann wie Miri aber, der seit seinem 13.
Lebensjahr in Deutschland lebt, nicht
bald den nächsten Rückkehrversuch star-
tet, steht auf einem anderen Blatt.

Frankfurter Zeitung
Gründungsherausgeber Erich Welter †

VERANTWORTLICHE REDAKTEURE: für Innenpolitik: Dr. Jasper von Altenbockum; für
Außenpolitik: Klaus-Dieter Frankenberger; für Nachrichten: Dr. Richard Wagner, Andreas
Ross (stv.); für „Zeitgeschehen“:Dr. Reinhard Müller; für „Die Gegenwart“: Dr. Daniel De-
ckers; für Deutschland und die Welt: Dr. Alfons Kaiser; für Politik Online: Andreas Ross; für
Wirtschaftspolitik: Heike Göbel;für Wirtschaftsberichterstattung: Johannes Pennekamp;
für Unternehmen: Sven Astheimer;für Finanzen: Inken Schönauer;für Wirtschaft und Fi-
nanzen Online:Alexander Armbruster, Christoph Schäfer;für Sport: Anno Hecker, Peter
Penders (stv.); für Sport Online: Tobias Rabe; für Feuilleton: Hannes Hintermeier, Sandra
Kegel, Jakob Strobel y Serra (stv.); für Literatur und literarisches Leben: Andreas Platthaus;
für Feuilleton Online: Michael Hanfeld;für Rhein-Main-Zeitung: Dr. Matthias Alexander,
Manfred Köhler (stv.).


FÜR REGELMÄSSIG ERSCHEINENDE BEILAGEN UND SONDERSEITEN: Beruf und
Chance:Nadine Bös; Bildungswelten: Dr. h.c. Heike Schmoll;Der Betriebswirt: Georg
Giersberg; Der Volkswirt: Maja Brankovic;Die Lounge: Johannes Pennekamp; Die Ord-
nung der Wirtschaft: Heike Göbel;Forschung und Lehre: Thomas Thiel;Geisteswissen-


schaften: Patrick Bahners; Immobilien: Michael Psotta; Jugend schreibt: Dr. Ursula Kals; Ju-
gend und Wirtschaft: Lisa Becker; Kunstmarkt: Dr. Rose-Maria Gropp; Medien: Michael
Hanfeld; Menschen und Wirtschaft: Philipp Krohn; Natur und Wissenschaft: Joachim Mül-
ler-Jung; Neue Sachbücher: Helmut Mayer; Politische Bücher: Dr.Peter Sturm;Recht und
Steuern: Dr. Hendrik Wieduwilt; Reiseblatt: Freddy Langer; Staat und Recht: Dr. Reinhard
Müller; Technik und Motor: Holger Appel.
Bildredaktion: Christian Pohlert; Chefin vom Dienst: Dr. Elena Geus; Grafische Gestal-
tung: Holger Windfuhr (Art Director), Benjamin Boch (stv.); Informationsgrafik: Tho-
masHeumann.
DIGITALE PRODUKTE: Carsten Knop (Chefredakteur), Kai N. Pritzsche (Redaktions-
leiter).
GESCHÄFTSFÜHRUNG: Thomas Lindner (Vorsitzender), Dr. Volker Breid.
VERANTWORTLICH FÜR ANZEIGEN: Ingo Müller.
Anzeigenpreisliste Nr. 79 vom 1. Januar 2019 an; für Stellenanzeigen: F.A.Z.-Stellen-
markt-Preisliste vom 1. Januar 2019 an. Internet: faz.media
HERSTELLER: Andreas Gierth.
MONATSBEZUGSPREIS: Inland: Abonnement Frankfurter Allgemeine Zeitung
67,90€;einschließlich Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 74,90 €. Abonnenten
der gedruckten Zeitung lesen für einen Aufpreis von 10,00 € die digitalen Ausgaben

der F.A.Z. und Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Darin enthalten ist außerdem
der vollständige Zugang zur Website FAZ.NET. Mehr Informationen zu allen Angebo-
ten und Preisen (z. B. für junge Leser und Studierende, Geschäftskunden, Digital- und
Auslandsabonnements) im Internet unter abo.faz.net. Ihre Daten werden zum Zweck
der Zeitungszustellung an Zustellpartner und an die Medienservice GmbH & Co. KG,
Hellerhofstraße 2– 4, 60327 Frankfurt am Main, übermittelt. Gerichtsstand ist Frankfurt
am Main.
NACHDRUCKE: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wird in gedruckter und digitaler
Form vertrieben und ist aus Datenbanken abrufbar. Eine Verwertung der urheber-
rechtlich geschützten Zeitung oder der in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen,
besonders durch Vervielfältigung oder Verbreitung, ist ohne vorherige schriftliche Zu-
stimmung des Verlages unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz
nicht anderes ergibt. Besonders ist eine Einspeicherung oder Verbreitung von Zei-
tungsinhalten in Datenbanksystemen, zum Beispiel als elektronischer Pressespiegel
oder Archiv, ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.
Sofern Sie Artikel dieser Zeitung nachdrucken, in Ihr Internet-Angebot oder in Ihr Int-
ranet übernehmen oder per E-Mail versenden wollen, können Sie die erforderlichen
Rechte bei der F.A.Z. GmbH online erwerben unter http://www.faz-rechte.de.Auskunft er-
halten Sie unter [email protected] oder telefonisch unter (069) 7591-2901.Für
die Übernahme von Artikeln in Ihren internen elektronischen Pressespiegel erhalten
Sie die erforderlichen Rechte unter http://www.presse-monitor.de oder telefonisch unter
(030) 28 49 30, PMG Presse-Monitor GmbH.

© FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG GMBH, FRANKFURT AM MAIN
DRUCK: Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG, Kurhessenstraße 4–6,
64546 Mörfelden-Walldorf; Märkische Verlags- und Druck-Gesellschaft mbH Pots-
dam, Friedrich-Engels-Straße 24, 14473 Potsdam; Süddeutscher Verlag Zeitungs-
druck GmbH, Zamdorfer Straße 40, 81677 München.
Amtliches Publikationsorgan der Börse Berlin, Rheinisch-Westfälischen Börse zu Düs-
seldorf, Frankfurter Wertpapierbörse, Hanseatischen Wertpapierbörse Hamburg, Nie-
dersächsischen Börse zu Hannover, Börse München, Baden-Württembergischen
Wertpapierbörse zu Stuttgart
ANSCHRIFT FÜR VERLAG UND REDAKTION:
Postadresse: 60267 Frankfurt am Main, Hausanschrift: Hellerhofstraße 2–4, 60327
Frankfurt am Main; zugleich auch ladungsfähige Anschrift für alle im Impressum ge-
nannten Verantwortlichen und Vertretungsberechtigten.
TELEFON: (069)7591-0. Anzeigenservice: (069)7591-33 44. Kundenservice: (0 69)
75 91-10 00oder http://www. faz.net/meinabo.
Telefax: Anzeigen(0 69)7591-80 89 20; Redaktion (0 69) 75 91-17 43; Kundenservice
(0 69) 75 91-21 80.
BRIEFE AN DIE HERAUSGEBER: [email protected]
Deutsche Postbank AG, Frankfurt am Main;
IBAN: DE58 5001 0060 0091 3936 04; BIC: PBNKDEFF

bub. BERLIN. DieFDP kritisiert,
dass die Bundesregierung das Waffen-
recht verschärfen will, obwohl sie zu-
vor nicht geprüft habe, ob das gelten-
de Recht ausreiche. Konkret geht es
um den Plan der Bundesregierung,
dass künftig die bloße Mitgliedschaft
in einer verfassungsfeindlichen Verei-
nigung – und zwar auch dann, wenn
diese nicht verboten ist – in der Regel
zur Unzuverlässigkeit führen soll. Per-
sonen, die nicht zuverlässig sind, be-
kommen keine Waffenerlaubnis; ha-
ben sie eine, wird sie wieder entzo-
gen. So soll nach den Vorstellungen
der Bundesregierung der Zugang von
Extremisten zu Schusswaffen er-
schwert werden. Diese Verschärfung
ist Teil des Neun-Punkte-Plans gegen
Rechtsextremismus und Hasskrimina-
lität, den die Bundesregierung in der
vergangenen Woche beschlossen hat.
Der FDP-Abgeordnete Konstantin
Kuhle, innenpolitischer Sprecher sei-
ner Fraktion, argumentiert, dass es
nach den geltenden Vorschriften des
Waffenrechts schon möglich sei, die
Erlaubnis wegen der Mitgliedschaft in
einer verfassungsfeindlichen Vereini-
gung oder Partei zu versagen oder zu
entziehen. Auf eine schriftliche Fra-
ge, in wie vielen Fällen die betreffen-
den Normen zur Anwendung gekom-
men seien, antwortete das Bundesin-
nenministerium, auf Bundesebene
gebe es keine systematische Erfas-
sung, weil die Länder für den Vollzug
des Waffengesetzes zuständig seien.
„Bevor die Bundesregierung einen Ge-
neralverdacht gegen Jäger und Sport-
schützen auf den Weg bringt, sollte
sie sich einen Überblick verschaffen,
ob das geltende Recht nicht längst aus-
reicht“, sagte Kuhle dieser Zeitung.
„Rechtsextremisten müssen dringend
entwaffnet werden. Dazu bedarf es ei-
ner abgestimmten Strategie der Innen-
minister der Länder auf der Basis des
geltenden Rechts und einer besseren
Kommunikation zwischen Waffenbe-
hörde und Verfassungsschutz.“


Bischof gesteht Fehler ein
Im Missbrauchsskandal in der katholi-
schen Kirche hat der emeritierte
Hamburger Erzbischof Werner This-
sen eingestanden, in seiner Zeit im
Bistum Münster schwere Fehler be-
gangen zu haben. In einem Interview
mit dem Bistumszeitung „Kirche und
Leben“ sagte er, es sei ein „großer
Fehler“ gewesen, dass er in seiner
Zeit als ein Personalverantwortlicher
im Bistum Münster „mit den Betroffe-
nen kaum Kontakt“ gehabt habe.
Thissen hatte vor seiner Einführung
als Erzbischof von Hamburg im Janu-
ar 2003 mehr als zwanzig Jahre lang
als Leiter der Hauptabteilung Seelsor-
ge-Personal und als Generalvikar Per-
sonalverantwortung im Bistum Müns-
ter getragen. Die Personalkonferenz
sei gar nicht in der Lage gewesen, an-
gemessen mit Missbrauchsfällen um-
zugehen. „Da hätten Fachleute dazu
gehört.“ Vor allem hätte es „auch ei-
ner größeren Distanz zu den Tätern
bedurft“, sagte der emeritierte Erzbi-
schof in dem Interview. reb.

Razzia nach Hass im Netz
Im Kampf gegen Hass im Internet ist
diePolizei am Mittwoch in neun Bun-
desländern im Einsatz gewesen. In
insgesamt 21 Fällen gab es unter an-
derem Wohnungsdurchsuchungen
oder Vernehmungen, wie das Bundes-
kriminalamt (BKA) in Wiesbaden
mitteilte, das die Aktion koordinier-
te. Am bundesweit fünften Aktions-
tag gegen Hasspostings beteiligten
sich Ermittler aus Baden-Württem-
berg, Hessen, Bayern, Berlin, Bran-
denburg, Bremen, Nordrhein-Westfa-
len, dem Saarland und Sachsen. Laut
BKA sind die erfassten Fälle von
Hasskriminalität in Verbindung mit
dem Internet leicht zurückgegangen;
von 2458 im Jahr 2017 auf 1962 im
vergangenen Jahr. Dies sei aber kein
Grund zur Entwarnung. In diesem
Jahr hatten die Netz-Reaktionen auf
den Mord am Kasseler Regierungs-
präsidenten Walter Lübcke Empö-
rung ausgelöst. Auch der Attentäter
von Halle soll sich im Internet radika-
lisiert haben. dpa

Abgeordneter verletzt
Bei einem Angriff während einer
Wahlkampfveranstaltung ist ein
Hongkonger Abgeordneter, der als
Unterstützer der Pekinger Regierung
gilt, verletzt worden. In einem Video
ist zu sehen, wie ein Mann mit einem
aus einer Tasche gezogenen Gegen-
stand auf Junius Ho einsticht, als die-
ser am Mittwochmorgen in seinem
Wahlbezirk Tuen Mun für sich wirbt.
Bei dem Gerangel seien drei weitere
Menschen verletzt worden, darunter
auch der mutmaßliche Täter, berich-
teten örtliche Medien. Dieser sei
nach dem Vorfall festgenommen wor-
den. Ho musste laut einer Mitteilung
seines Büros operiert werden, ist
aber nicht in Lebensgefahr. Die Hong-
konger Regierung verurteilte den An-
griff scharf und kündigte eine „einge-
hende Untersuchung“ an. Seit dem 9.
Juni demonstrieren die Hongkonger
gegen den wachsenden Einfluss der
Pekinger Führung auf die ehemalige
britische Kronkolonie. dpa

Johnson: Labour wie Stalin
Der britische Premierminister Boris
Johnsonhat das wirtschaftspolitische
Programm der Labour Party mit Me-
thoden Josef Stalins verglichen. „Sie
geben vor, dass ihr Hass nur gewissen
Milliardären gilt und zeigen mit einer
Freude und Rachsucht auf Menschen,
die seit der Verfolgung der Kulaken
durch Stalin nicht zu sehen war“,
schreibt Johnson in einem Gastbei-
trag für die Tageszeitung „The Tele-
graph“. Stalin hatte Anfang der drei-
ßiger Jahre des vergangenen Jahrhun-
derts Hunderttausende wohlhabende-
re Bauern – sogenannte Kulaken –
enteignen, verhaften, deportieren
und ermorden lassen. dpa

Korrektur
Anders als in unserer Samstagsausga-
be berichtet, ist Dmitrij Sergeje-
witsch Peskow, der Sprecher des russi-
schen Präsidenten Wladimir Putin,
nicht zugleich dessen Digital-Sonder-
beauftragter; dieser heißt Dmitrij Ni-
kolajewitsch Peskow. (F.A.Z.)

oll.BERLIN. Mit zwei Gesetzentwürfen
will die Bundesregierung die Möglichkei-
ten von Adoptionen und die Beratung der
daran beteiligten Familien verbessern.
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch so-
wohl den Entwurf des Adoptionshilfe-Ge-
setzes aus dem Familienministerium als
auch den Gesetzentwurf zur Stiefkind-
adoption aus dem Ministerium für Justiz
beschlossen. Partner, die „eheähnlich“
seit vier Jahren mit dem Elternteil des
Kindes zusammengelebt haben oder zu-
sammenleben, sollen das Stiefkind künf-
tig adoptieren können. Schließlich sei
eine Stiefkindadoption mit Pflichten und
Rechten verbunden und „sie ist unum-
kehrbar“, sagte Bundesfamilienministe-
rin Franziska Giffey (SPD) am Mittwoch
in Berlin.
Über mögliche Änderungen wird der
Bundestag bei der ersten Lesung der bei-
den Gesetzentwürfe Mitte Januar bera-
ten. Nötig geworden war die Neuregelung
der Stiefkindadoption nach der Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts vom
März dieses Jahres. Die Richter haben
den Gesetzgeber dazu verpflichtet, bis
zum 31. März 2020 eine Neuregelung für
die Stiefkindadoption zu treffen, die eine
Benachteiligung nichtehelicher Familien
ausschließt.
Beim Adoptionshilfe-Gesetz geht es
darum, die rund 400 Adoptionsvermitt-
lungsstellen in Deutschland bei inländi-
schen und ausländischen Adoptionen stär-
ker in die Beratung vor, während und
nach der Adoption einzubinden. Damit
sollen die Adoptionsverfahren stärker be-
gleitet, aber auch kontrolliert werden. Je-
den Tag werden in Deutschland im
Schnitt zehn Kinder adoptiert; die Annah-
me eines Kindes begleitet die Herkunftsel-
tern, die Kinder und die Adoptivfamilien
ein Leben lang. Vier Bausteine des Geset-
zes sollen die Adoptionshilfe verbessern.
Es soll erstens einen Rechtsanspruch auf
Begleitung auch nach der Adoption si-
chern. Zweitens soll der Gesetzentwurf
zu einem offenen Umgang mit dem The-

ma Adoption beitragen; wie und wann
das Kind über seine Herkunft aufgeklärt
wird, entscheiden die Adoptiveltern. „Kin-
der müssen wissen, woher sie kommen“,
sagte Giffey. Sie habe in den Gesprächen
mit Adoptierten gelernt, dass diejenigen,
„die nicht mit einem Geheimnis groß ge-
worden sind“, im Erwachsenenalter bes-
ser mit der Adoption umgehen können.
Mit 16 hat das Kind ohnehin ein Recht
auf Akteneinsicht. Außerdem soll die Ver-
mittlungsstelle möglichst früh mit den
Herkunftseltern und den Adoptionsbe-
werbern erörtern, ob und wie ein Informa-
tionsaustausch oder Kontakt gestaltet
werden kann. Wie viele Informationen
die Adoptivfamilie freigibt oder für sich
behält, entscheidet sie selbst. Einen An-
spruch auf allgemeine Informationen ha-
ben die Herkunftseltern in jedem Fall.
Die Adoptionsvermittlungsstellen sol-
len drittens einen Katalog bekommen,
der ihre Aufgaben klärt. Sie sollen außer-
dem durch ein Kooperationsgebot mit an-
deren Beratungsstellen wie der Schwan-
gerschaftsberatung, der Erziehungsbera-
tung und dem Allgemeinen Sozialen
Dienst zu einem fachlichen Austausch er-
muntert werden. Viertens sollen Aus-
landsadoptionen in jedem Fall durch die
Adoptionsvermittlungsstellen begleitet
werden. Im vergangenen Jahr kamen die
Kinder in 176 von 3733 Fällen aus dem
Ausland, wie das Familienministerium
mitteilt. Etwa jede dritte dieser Adoptio-
nen aus dem Ausland läuft nach Schätzun-
gen unbegleitet ab. Der Staat müsse ge-
nau hinschauen, um zu vermeiden, dass
Kinder gegen den Willen der leiblichen El-
tern adoptiert werden. Solche Fälle gab
es in Kambodscha und anderen Ländern.
Kinderhandel müsse strikt verhindert wer-
den. „Auslandsadoptionen ohne Beglei-
tung einer Vermittlungsstelle werden un-
tersagt“, heißt es in dem Gesetzentwurf.
Für mehr Rechtssicherheit und Rechts-
klarheit will das Familienministerium ein
verpflichtendes Anerkennungsverfahren
für ausländische Adoptionsbeschlüsse ein-
führen.

BERLIN. Seit dem Ende des Kalten
Kriegs verfügt die Nato über einige strate-
gische Schwachstellen, die sie nach Jah-
ren des Sparens allmählich beseitigen
will. So werden auch bei der Marine Insti-
tutionen zu neuem Leben erweckt, die
über viele Jahre eher als Kaminrunden
der Admirale dienten. Eine davon ist
„Chancom“, das Kanal-Kommando. Auf-
gestellt 1952 mit Sitz in Northwood bei
London, aufgelöst 1994. Übrig blieb nur
ein kleines Beratungskomitee, das einmal
im Jahr tagt.
Neben der Situation in den baltischen
Staaten und Polen rücken dabei die nord-
europäischen Gewässer ins Blickfeld.
Russland richtet nämlich Aktivitäten sei-
ner wieder erstarkenden Marine und ins-
besondere der U-Boot-Flotte einerseits
auf das vergleichsweise flache Meer vor
seiner Haustüre, die Ostsee. Dort verlau-
fen wichtige See- und Unterwasserverbin-
dungen. Im Falle einer Auseinanderset-
zung um das Baltikum würde Russland
versuchen, Riga, Tallinn und den wichti-
gen Flüssiggas-Hafen Klaipeda abzurie-
geln. Zugleich aber sind die Baltische und
die Nordmeer-Flotte der russischen Mari-
ne auch im hohen Norden vor Norwegen
beziehungsweise über die Ostsee hinaus
bis hinein in den Atlantik aktiv.
So sind die Nordsee und die Kanalzone
zwischen den Britischen Inseln und dem
europäischen Festland wieder von strate-
gischer Bedeutung. Nach Angaben der
deutschen Marine wurden allein über die
Handelshäfen Rotterdam, Antwerpen,
Hamburg und Bremen rund 40 Millionen
Container pro Jahr umgeschlagen. Über
diese Häfen würde im Spannungs- oder
Kriegsfall amerikanischer und britischer
Nachschub an Personal und Material
nach Europa gelangen. Russische Aktivi-
täten in der Region haben sich nach Jah-
ren des Stillstandes und des Niedergangs
vervielfacht. Kriegsschiffe und U-Boote
der modernisierten Flotte tauchen an den
Küsten der Nato auf, manchmal heimlich,
manchmal geradezu demonstrativ, wie

zur Großübung „Trident Juncture 2018“
in Norwegen. Dabei gelingt es der russi-
schen Seite mitunter durchaus, die Nato
zu überraschen; im August etwa mit ei-
nem Ostseemanöver, an dem bis zu 70
Schiffe teilnahmen.
Wenn sich nun also diese Woche in
Hamburg die Marine-Chefs von Deutsch-
land, Großbritannien, Frankreich, Bel-
gien und den Niederlanden treffen, wol-
len sie Konsequenzen aus der veränderten
Lage erörtern. Gemeinsam wollten die Ad-
mirale am Mittwoch eine Erklärung unter-
zeichnen, die eine Wende zumindest an-
deutet. Darin wird beschrieben, dass die
internationale Ordnung in den vergange-
nen Jahren immer öfter herausgefordert
werde, die kollektiven Verteidigungskapa-
zitäten also gestärkt werden sollten. Zu
diesem Zwecke solle die maritime Zusam-
menarbeit der Anrainerstaaten stark ver-
bessert, harmonisiert und intensiviert wer-
den. Eine stärkere maritime Zusammenar-
beit sei unerlässlich.
An der Spitze der deutschen Marine
kann man sich wohl darüber hinaus vor-
stellen, dass aus dem ranghohen Kanal-
Komitee wieder der Kern eines Nato-
Kommandos wird. Für die Ostsee verfügt
die Marine seit diesem Jahr über einen na-
tionalen Stab in Rostock mit internationa-
lem Anteil, der zu einem deutlich größe-
ren internationalen Führungsstab ausge-
baut werden kann und dann als „Baltic
Maritime Component Command“ der
Nato zur Verfügung stünde.
Der Inspekteur der Marine, Vizeadmi-
ral Andreas Krause, hatte früher selbst an
Bord von U-Booten gedient und noch den
Kalten Krieg in den Gewässern vor Euro-
pas Haustür erlebt. Er blickt mit Sorge auf
die Möglichkeit, dass es gegnerischen
Kräften gelingen könnte, die Ostseever-
sorgung der baltischen Nato-Partner zu
unterbinden. Umso wichtiger wären dann
die Landwege. Das amerikanische Heer
übt das im kommenden Frühjahr mit ei-
ner großen Übung, „Defender 20“. Doch
vor dem Landweg steht auch für sie die si-
chere Atlantik-Überquerung. pca.

Will schärfer kontrollieren: Horst Seehofer am Mittwoch in Berlin Foto dpa


Wiedersehen macht keine Freude

Wichtiges in Kürze


Mehr Adoptionsberatung


Bundeskabinett beschließt zwei Gesetzentwürfe


Wachsamkeit im Kanal


Die Nato erinnert sich an alte Schwachstellen zur See
rso. STUTTGART. Bayern und Ba-
den-Württemberg wollen antisemiti-
sche Straftaten härter bestrafen. Die
grün-schwarze Landesregierung Ba-
den-Württembergs unterstützt eine
Bundesratsinitiative der Bayerischen
Staatsregierung. Diese sieht vor, die
strafschärfenden Gründe in Para-
graph 46 Strafgesetzbuch ausdrück-
lich um „antisemitische Tatmotive“
zu ergänzen. Bislang können „rassisti-
sche“, „fremdenfeindliche“ oder auch
„menschenverachtende“ Beweggrün-
de einem Angeklagten strafverschär-
fend zur Last gelegt werden.
Bayerns Justizminister Georg Ei-
senreich (CSU) und sein Kollege Gui-
do Wolf (CDU) in Stuttgart halten
die jetzige Formulierung angesichts
deutlich ansteigender antisemiti-
scher Straftaten in Deutschland für
unzureichend. Antisemitische Taten,
heißt es in der Begründung des Ge-
setzentwurfs, hätten immer eine „be-
sondere gesellschaftliche Dimensi-
on“ und seien geeignet, den „Rechts-
frieden weit über den Lebenskreis
der Verletzten zu beeinträchtigen“.
Es sei stets auch die „kollektive Identi-
tät der jüdischen Gemeinschaft in ih-
rem Kern“ berührt. „Straftaten mit
antisemitischer Motivation haben in
den letzten Jahren in besorgniserre-
gender Weise zugenommen. Erst
jüngst hat dieses Thema mit Blick auf
die schrecklichen Ereignisse in Halle
noch einmal stark an Aktualität ge-
wonnen“, sagte Wolf. Als strafver-
schärfendes Merkmal müsse deshalb
der Begriff der antisemitischen Moti-
vation in das Strafgesetzbuch aufge-
nommen werden. Antisemitische Ta-
ten seien nicht Straftaten wie alle an-
deren, sagte Baden-Württembergs
Justizminister.
Laut der bundesweiten Statistik für
politisch motivierte Kriminalität hat
die Zahl antisemitischer Straftaten
seit 2013 um 40 Prozent zugenom-
men.


Innenminister Seehofer


will verhindern, dass


Abgeschobene wieder


einreisen. Deshalb gibt


es jetzt mehr Kontrollen.


Von Helene Bubrowski,


Berlin, und Alexander


Haneke


FDP kritisiert


Pläne zum


Waffenrecht


Juden besser


schützen


Für die Herstellung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird ausschließlich Recycling-Papier verwendet.


SEITE 4·DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019·NR. 259 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

Free download pdf