Frankfurter Allgemeine Zeitung - 07.11.2019

(Greg DeLong) #1
V4 Frankfurter Allgemeine Zeitung Verlagsspezial / Nachhaltigkeit und Klimaschutz / 7. November 2019

Mehr als 40 Prozent


des deutschen Stroms


stammen mittlerweile aus


erneuerbaren Energien. Jetzt


wird nach Lösungen gesucht,


wie die Anlagen auch ohne


staatliche Hilfe rentabel


betrieben werden können.


V O N G U I D O Z I N K E U N D T O M K R A U S

A

cht Prozent betrug der Anteil
erneuerbarer Energien an der
deutschen Stromerzeugung, als
das Erneuerbare-Energien-Gesetz
(EEG) im Jahre 2000 in Kraft trat. Vielen
Menschen galten Photovoltaik (PV)- und
Windkraftanlagen damals noch als techno-
logische Nische, und nicht wenige etablierte
Energieversorger sahen kein Potential in den
„Erneuerbaren“. Tatsächlich kam es anders.


Allein die Photovoltaikleistung steigerte sich
von 0,1 Gigawatt im Jahr 2000 auf 42 Giga-
watt im Jahr 2017. Mittlerweile haben die
Erneuer baren einen Anteil von 40,4 Prozent,
und nach Plänen der Bundesregierung sollen
es bis 2050 80 Prozent werden.
Das EEG garantiert vielen Energieprodu-
zenten – Unternehmen wie Bürgern – eine
feste Einspeisevergütung für ihren grünen
Strom in das Stromnetz. Dies machte es für
Eigenheimbesitzer attraktiv, ihre Häuser
mit Solaranlagen auszustatten, nicht nur
zur Eigenversorgung, sondern auch zur Ver-
marktung des überschüssigen Stroms als
„Prosumer“. Ab dem 1. Januar 2021 fallen
jetzt die ersten Anlagen aus der Förderung
heraus. Es besteht die Gefahr, dass Erzeuger
wegen fehlender ökonomischer Anreize
weniger in neue Anlagen investieren oder
alte gar stilllegen.

Digitaler Stromhandel

Daher wird dringend nach Lösungen
gesucht, wie der rentable Anlagen betrieb
auch ohne staatliche Hilfe sichergestellt
wird. An solchen Lösungen arbeiten
BloGPV, ETIBLOGG, pebbles und SMECS


  • vier vom Bundesministerium für Wirt-
    schaft und Energie im Technologiepro-
    gramm Smart Service Welt II geförderte
    Innovationsvorhaben.
    Um die Erzeugung erneuerbarer Ener-
    gien rentabel zu gestalten, kombinieren alle
    vier Projekte Cloud- und Internet-of-Things-
    Ansätze mit der Blockchain für neuartige
    Plattformen und Dienste, in denen der fl exi-
    ble „Peer-to-Peer“-Stromhandel im Zentrum
    steht. Die Blockchain hat dabei die Aufgabe,
    Informationen zu Erzeuger, Abnehmer
    und ausgetauschter Energiemenge für jede
    Energie-Transaktion manipulationssicher
    zu dokumentieren. Dafür muss man sich die
    Blockchain als verteiltes Kassenbuch vor-
    stellen, das jedem Netzwerkteilnehmer als
    lokale Kopie vorliegt. Jede Transaktion ist in
    einem Datensatz abspeichert, der mit einem
    aus vorherigen Transaktionen bestehenden
    Datensatz via kryptographischer Verfahren
    verknüpft ist. So entsteht die namensge-
    bende „Kette“ aus Datenblöcken. Sowohl die
    Datenhaltung als auch das Anfügen neuer
    Blöcke wird dezentral nach festgelegten
    Regeln von Netzwerkteilnehmern umge-
    setzt. Somit ist keine einzelne, zentrale Mitt-
    ler-Instanz nötig, der alle vertrauen müssen.


Der Aufwand, um per Blockchain hin-
terlegte Informationen nachträglich zu
verändern, ist extrem hoch, was etwa
das Projekt BloGPV (Blockchain-basierter
virtueller Großspeicher für PV-Anlagen-
betreiber) nutzt. Projektziel ist es, kleine
Photovoltaik-Hausspeicheranlagen zu einem
virtuellen Großspeicher zusammenzu-
schalten. Dadurch entsteht eine lokale
Community, in der Kleinerzeuger und End-
verbraucher Solarstrom ohne Mittler han-
deln können. Der virtuelle Großspeicher
wieder um optimiert die Stromfl üsse zwi-
schen den Marktteilnehmern und stabilisiert
das Stromnetz.
Will man lokale smarte Netze, soge-
nannte Microgrids, effi zient betreiben,
ist die Netzstabilität elementar. Pebbles
(Peer-to-Peer-Energiehandel auf Basis von
Blockchains) untersucht deshalb Gestal-
tungsmöglichkeiten für einen effi zienten,
plattformbasierten Peer-to-Peer-Stromhan-
del und inwieweit netzdienliches Verhalten
durch spezielle Anreizsysteme hervorge-
rufen werden kann. Das Handelsverfahren
wird hier per Blockchain abgesichert. Zudem
werden Geschäftsmodelle und Maßnah-
men analysiert, um die Nutzerakzeptanz,

ob Unternehmens- oder Privatkunde, zu
sichern. Weiterhin sollen den Teilnehmern
Prognosedienste hinsichtlich Stromver-
brauch und -produktion zur Verfügung
gestellt werden.

Neue Preis- und Marktmodelle

Die Ergänzung bestehender Marktmecha-
nismen um Peer-to-Peer-Verfahren hat auch
ETIBLOGG (Energy Trading via Blockchain-
Technology in the Local Green Grid) im Blick.
Der Einsatz von Blockchain wird hier ver-
wendet, um den Handel von Energie-Kleinst-
mengen lukrativ und in Echtzeit zu gestal-
ten. Zielgruppe sind private wie gewerbliche
Kunden. Für die praktische hardwareseitige
Realisierung eines kurzfristigen, börsenähn-
lichen Energiehandels wird die Einbindung
von industrienahen, eingebetteten Sensoren
und Geräten vorangetrieben. Am Fraunhofer-
Institut für Integrierte Systeme und Bau-
elementetechnologie in Erlangen wird ein
erster Demonstrator für das Projekt gebaut.
Um neue Preis- und Marktmodelle geht es
auch SMECS (Smart Energy Communities).
Das Projekt setzt die Blockchain ein, damit
Kunden genau nachvollziehen können, wo

der gekaufte Strom herkommt. Im Blick hat
man aber auch die Erzeugerseite. In deren
Kooperationsverfl echtungen können neue,
schnellere und fehlerfreie Abstimmungspro-
zesse über eine Cloud-basierte Plattform für
mehr Rentabilität sorgen. Daten, die mittels
IoT-fähiger Sensoren und Geräte erzeugt
werden, werden zu diesem Zweck den Pro-
sumenten für die Analyse der Stromproduk-
tion und des prognostizierten Verbrauchs für
Wartungszwecke sowie für den Blockchain-
Stromhandel bereitstellt.
Die Ansätze sind sehr unterschiedlich,
aber von BloGPV über ETIBLOGG bis hin zu
pebbles oder SMECS verfolgen alle Projekte
das Ziel, mit Peer-to-Peer-Handel und digitalen
Technologien, insbesondere der Blockchain,
den Stromhandel für die Betreiber kleinerer
Erzeugungsanlagen wirtschaftlich attraktiv zu
gestalten – auch ohne staatliche Subventionen.

Guido Zinke und Dr. Tom Kraus sind
wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut
für Innovation und Technik der VDI/VDE-IT
und Teil der Begleitforschung des Technolo-
gieprogramms „Smart Service Welt II“, das
vom Bundesministerium für Wirtschaft und
Energie gefördert wird.

Strom handeln mit Nachbarn und Unternehmen

Digitales Ackern

Die Digitalisierung hat längst auch die Landwirtschaft erreicht. Wer vorne dabei sein möchte, muss in großem Stil Pionierarbeit leisten – um ökonomisch

erfolgreich zu sein und das Vertrauen der breiten Bevölkerung zurückzugewinnen, beschreibt Peter Pickel, Experte für Zukunftstechnologie bei John Deere,

die zukünftigen Herausforderungen. Fünf Trends aus der Landwirtschaft der Zukunft.

M E H R P R Ä Z I S I O N A U F D E M A C K E R

Die Landwirtschaft steckt im Klima-Dilemma: Einerseits ist sie ein
bedeutender Emittent von Treibhausgas, andererseits ist sie in
hohem Maße selbst vom Klimawandel betroff en. Daher müssen
neue Wege beim Düngen mit Gülle und Feldmist gegangen
werden. Zugleich gilt es, die steigende Nachfrage nach Nahrungs-
mitteln zu stillen. Dieser Wandel lässt sich nur mit Präzisionsland-
wirtschaft bestreiten.
Es geht nicht mehr um höher, schneller, weiter. Vielmehr
geht es darum, automatisierter, nutzerfreundlicher und präziser
zu arbeiten. Mähdrescher, Traktor, Häcksler und Co. müssen
„aufgewertet“ werden, um effi zienter zu arbeiten, einen höheren
Kundennutzen zu erzielen und somit ökonomisch und ökologisch
erfolgreicher zu sein. Das Motto: Producing more with less. Dahin-
ter steckt die Idee, Ackerfl ächen umweltschonend und dennoch
effi zient zu betreiben und zu erweitern. Hier greifen Kompetenzen
aus Agrarwissenschaft, Maschinentechnik und Informatik
ineinander. So kann schon bei der Aussaat jedes Korn auf
+/- ein Centimeter genau gepfl anzt werden. Präzision ist auch bei
der Düngung gefragt, da jedes Gramm Nährstoff entscheidend
ist. Insbesondere beim Pfl anzenschutz zählt jeder Tropfen weniger


  • etwa bei der Blattbenetzung und der Treff sicherheit. Bereits
    heute kann mit Hilfe von Bilderkennung der Einsatz von Pfl anzen-
    schutzmitteln um bis zu 90 Prozent reduziert werden. Aber auch
    beim Einsatz der Maschinen ist Präzision gefragt. Wenn sie heute
    Spur an Spur auf 2,5 cm genau fahren, werden Überlappungen
    vermieden. Dadurch kann der Landwirt Kraftstoff sparen, und die
    Kapazität der Maschinen wird voll ausgeschöpft.
    Digitale Lösungen haben somit einen erheblichen Einfl uss auf
    die Umweltbilanz eines Landwirts. Dabei sind es häufi g kleine
    Stellschrauben, an denen man drehen sollte, um CO 2 einzusparen.
    Ein Nahinfrarot-Sensor kann beispielsweise die Nährstoff e in
    organischem Dünger exakt messen und ermöglicht eine bedarfs-
    gerechte Ausbringung. So wird Gülle von einem Abfallstoff zu
    einem Wertstoff. Gelingt das im großen Stil, spart der Landwirt
    Handelsdünger. Das verbessert die CO 2 -Bilanz enorm, da mineral-
    ischer Dünger mit einem hohen Energieinput produziert wird.
    Studien zeigen, dass sich der Handelsdünger-Aufwand durch den
    gezielteren Gülleeinsatz um bis zu 30 Prozent reduzieren lässt.


A U T O M A T I S I E R T U N D A U T O N O M
F Ü R D I E P E R F E K T E E R N T E

Je Frucht und Bodentyp triff t ein Landwirt rund 140 Entscheidungen
während einer Vegetationsperiode. Das hat Konsequenzen.
Diese zeigen sich jedoch oft erst Monate später, etwa bei der
Ernte. Automatisierte Maschinen können den Landwirt dabei
unterstützen und sogar einen großen Teil dieser Entscheidungen
abnehmen. Denn: häufi g geht es darum, in kleinen Zeitfenstern
an mehreren Stellen gleichzeitig zu arbeiten, und das auch noch
präzise. Traktoren, Erntemaschinen und Co. sprechen sich künftig
untereinander ab. In Zukunft werden Maschinen daher nicht
nur wissen, was vor ihnen auf dem Feld liegt, sondern auch, was
frühere Maschinen auf dem Feld geleistet haben. Das schaff t Prä-
zision. Mehr Autonomie im Job des Landwirts bedeutet, dass der
Ackerbau nachhaltiger, wirtschaftlicher und umweltfreundlicher
wird – denn jede Pfl anze wird und muss bestmöglich behandelt
werden. Das kann so aussehen: Mithilfe von GPS-Technologie und
Korrektursignalen führt die Technologie die Fahrzeuge zentime-
tergenau durch das Feld. So kann sich der Fahrer auf zusätzliche
betriebliche Aktivitäten in der Kabine konzentrieren. Dank der
Vernetzung mit anderen Maschinen und Beratern kann er zum
Beispiel weitere Anbaumaßnahmen planen. Die freigesetzte Zeit
lässt sich aber auch für den Einkauf von Betriebsmitteln oder den
Verkauf der nächsten Ernte nutzen.

I N T E L L I G E N T E M A S C H I N E N F Ü R D E N U M W E L T S C H U T Z

Bodenanalyse, Unkrauterkennung und Gesundheitsmanagement für
Pfl anzen – das Potential für Anwendungen Künstlicher Intelligenz ist
groß. Machine Learning kann so dabei helfen, die lokalen Bedingungen
für jede einzelne Pfl anze individuell oder jedes Korn des geernteten
Getreides zu beurteilen und zu optimieren – eine Grundvoraussetzung für
Präzisionslandwirtschaft.
In der Praxis funktioniert die Optimierung während der
Vegetationsperiode bis hin zur Ernte mit Hilfe von Machine Learning so:
Die Sensor- und Informationssysteme des landwirtschaftlichen Betriebs
analysieren die Entwicklung von Ertrag bzw. des Ertragspotentials
permanent. Sollte das Ergebnis nicht optimal sein, können die
intelligenten Systeme dem Landwirt einen Vorschlag machen, welche
Maßnahmen er ergreifen oder verändern sollte, um ein wirtschaftlich
besseres Ernteergebnis zu erzielen. Das Maschinensystem wird dann
entsprechend der gewählten Maßnahmen optimal zusammengestellt,
voreingestellt und im Betrieb überwacht bzw. optimal gesteuert.
Ein spezielles Einsatzgebiet: Basierend auf Kameraaufnahmen
unterscheiden Maschinen Unkraut von Nutzpfl anzen, während sie das Feld
befahren. Dabei gleicht die Maschine das Bild mit einer Datenbank aus
etlichen Bildern von Feldkombinationen mit Unkraut und Pfl anzen ab und
kann automatisch Herbizide auf das Unkraut sprühen. So muss nur gezielt
ungewünschtes Unkraut bespritzt werden, die breitfl ächige Anwendung
entfällt, und die Aufwandmenge der Pfl anzenschutzmittel sinkt deutlich.
Die Pfl anzenerkennung ermöglicht aber auch eine Renaissance der
mechanischen Unkrautbekämpfung. Mit Hilfe von Highspeed-Kameras
können Hackgeräte mit hoher Geschwindigkeit durch den Bestand geführt
werden, ohne dass die Kulturpfl anzen beschädigt werden.

E L E K T R I F I Z I E R U N G D E S A C K E R S

Auch beim Thema Energieversorgung ist die Landwirtschaft
gefordert, den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Zugleich
geht es in der Realität auch um Effi zienzsteigerung und die
Maximierung des Ernteertrags. Erneuerbare Energien müssen
künftig auch auf dem Feld zum Einsatz kommen. Hier gibt es noch
erheblichen Handlungsbedarf, um die Klimaschutzpotentiale
zu erschließen. Mechanische und hydraulische Komponenten
können künftig durch elektrische ersetzt werden, um Maschinen
auf dem Feld produktiver zu machen und zugleich emissionsfreier
zu werden. In der Praxis existieren bereits Lösungen zur
Elektrifi zierung des Ackers, wie beispielsweise ein Getriebe, das
zugleich als Generator fungiert, der mit 100 Kilowatt weitere
Maschinen antreiben kann. So lassen sich etwa die Achsen eines
angehängten Güllefasses elektrisch antreiben. Kleinere und
leichtere Traktoren sind dadurch in der Lage, größere Anbaugeräte
ziehen zu können. Elektroantriebe haben das Zeug dazu, Geräte
viel genauer zu steuern, als es hydraulisch oder mechanisch
möglich ist. Das ist wiederum eine wichtige Voraussetzung für mehr
Präzision. Es gilt: Die Elektrifi zierung wird eine Schlüsselrolle bei
der Versorgung der Maschinen in der Landwirtschaft der Zukunft
spielen. Zudem kann die Landwirtschaft zum Selbstversorger
werden, wenn Strom aus eigenen Biogas-, Windkraft- oder
Solaranlagen für den Antrieb der Landmaschinen genutzt wird.

V E R B R A U C H E R V E R T R A U E N D U R C H D O K U M E N T A T I O N

Die Digitalisierung kann Landwirten helfen, das angekratzte Vertrauen
der Bevölkerung zurückzugewinnen. Schärfere Verordnungen treff en die
Landwirte hart. Gleichzeitig sinkt das Vertrauen weiter, und es werden
immer strengere Aufl agen eingeführt. Doch die Digitalisierung stellt
Technologien bereit, die die Transparenz im Ackerbau erhöhen, indem
sie die Fakten zur Umweltwirkung des Ackerbaus aufzeichnen und
veröff entlichen. So kann der Landwirt Auskunft geben, welche Dünger
verwendet wurden, wie rückstandsfrei die Produkte sind und damit seine
Regelkonformität ausweisen. Gerade in der aktuellen Debatte rund um
Klima- und Umweltschutz kann die gewonnene Nachvollziehbarkeit –
auch konkret durch die Veröff entlichung der CO 2 -Bilanz – für ein größeres
Vertrauen und eine bessere Akzeptanz aus der Bevölkerung sorgen.

FOTO VALIO84SL ISTOCK
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