Handelsblatt - 07.11.2019

(Darren Dugan) #1
Christof Kerkmann, Lars-Marten
Nagel Berlin

Z


wischen Ordnung und
Chaos liegt jetzt nur noch
ein einziger Klick. Wenige
Sekunden nachdem Se-
bastian Schreiber das Pro-
gramm auf seinem Notebook gestar-
tet hat, springt die Ampel schnell
zwischen Grün, Gelb und Rot hin
und her. Stünde das Gerät an einer
Baustelle, würden die Autos bald im
Stau stehen – oder ungebremst aufei-
nander zufahren.
Zum Glück ist das Verkehrszeichen
nur in einem Konferenzraum aufge-
baut. Der Geschäftsführer der IT-Si-
cherheitsfirma Syss führt auf der
Handelsblatt-Tagung Cybersecurity
vor, dass Funktechnik häufig schlecht
vor unerlaubten Zugriffen geschützt
ist – mit etwas Zubehör und einigem
Wissen haben seine Mitarbeiter die
veralteten Mechanismen umgehen
können. Die manipulierbaren Am-
peln sind noch im Verkauf, sagt er.
Es ist eines der Themen, die den
Spezialisten arges Kopfzerbrechen
bereiten: Wie lassen sich die vielen
Geräte, die heute in der einen oder
anderen Form vernetzt sind, gegen
Kriminelle, Spione und Saboteure
schützen? Auf der Jahrestagung tref-
fen sich rund hundert IT-Experten
aus Industrie, Behörden, Militär und
Politik, um sich auszutauschen, wie
die IT-Sicherheit in Deutschland ver-
bessert werden kann.
Ein erfolgversprechender Ansatz
für mehr Sicherheit wären Gütesie-
gel, mit deren Hilfe Käufer erkennen

könnten, wie gut ihre Handys, Com-
puter, Smart-TVs oder auch Kühl-
schränke gegen Hackerangriffe
geschützt werden, sagt der Abtei-
lungsleiter für Cybersicherheit im
Bundesinnenministerium, Andre-
as Könen. Ideal wäre es, ein einheitli-
ches IT-Sicherheitskennzeichen ein-
zuführen. Könen schwebt im besten
Falle eine Art „sich ständig aktualisie-
render elektronischer Beipackzettel“
vor. Auf den Geräten könnten QR-
Codes kleben, mit denen Kunden
wichtige Informationen abrufen
könnten, führt er aus. Dann würden
sie wissen, ob es Updates gibt oder
Sicherheitslücken bekannt geworden
sind.
Den Anfang sollen die Router ma-
chen, die in Haushalten als zentraler
Knotenpunkt immer wichtiger wer-
den. Ein Angriff im November 2016,
als Router von mehr als einer Million
Telekom-Kunden ausfielen, war der
Weckruf. Doch das Router-Siegel
kann in Deutschland zunächst nur
auf freiwilliger Basis eingeführt wer-
den, denn verpflichtende Regelun-
gen sind dem Europäischen Gesetz-
geber vorbehalten. Dennoch wäre ei-
ne freiwillige Lösung ein Schritt in
die richtige Richtung, sagt Könen.
„Sicherheit wird so zukünftig ein
Wettbewerbsvorteil sein.“
Dann bleibt nur das Problem, dass
auch die Kunden Sicherheit als Wert
erkennen müssen, mahnt der Vize-
präsident des Bundesamts für Sicher-
heit in der Informationstechnik
(BSI), Gerhard Schabhüser, auf der
Tagung: „Es gibt ein Marktversagen
bei der Kommunikation.“ Es könne

nicht sein, dass beim Handykauf ne-
bensächliche Infos wie die Megapixel
der Kamera erfragt würden, aber
nicht die Informationssicherheit der
Geräte besprochen werde.
Schlimmer noch: Erst jüngst hat
das Oberlandesgericht Köln entschie-
den, dass Elektronikmärkte die Kun-
den nicht auf mögliche Sicherheitslü-
cken und fehlende Updates bei
Smartphones hinweisen müssen. Ein
Verbraucherverband hatte festge-
stellt, dass viele ältere Modelle ohne
aktuelle Software im Angebot sind.
Für den Händler sei der Aufwand un-
zumutbar, jedes einzelne Gerät zu
überprüfen, argumentierte das Ge-
richt.
Eine Zertifizierung allein reicht
nach Ansicht des Syss-Geschäftsfüh-
rers Sebastian Schreiber nicht aus,
um für mehr Sicherheit zu sorgen.
Zum einen handle es sich nur um ei-
ne Momentaufnahme, zum anderen
fördere sie „Sicherheitstheater“ – also
Maßnahmen, die der Show dienen.
Der Informatiker hält daher eine Ge-
setzesänderung für nötig: „Wenn
Hersteller für die IT-Sicherheit haf-
ten, kümmern sie sich auch darum.“
Auch die Perspektive der Großun-
ternehmen war eins der Themen auf
dem Podium. Für die Deutsche Bahn

etwa spielt die Vernetzung eine zen-
trale Rolle. Digitale Leittechnik er-
möglicht beispielsweise, Züge in kür-
zerem Abstand fahren zu lassen. Und
Sensoren erlauben es, den Zustand
von Waggons oder Schienen in Echt-
zeit zu überwachen. Wenn digitale
und physische Welt zusammenwach-
sen – im Fachjargon Information
Technology und Operational Techno-
logy, IT und OT –, führe das aber zu
Konflikten, sagte Frank Fischer, der
bei der Deutschen Bahn für die Infor-
mationssicherheit verantwortlich ist.
So entstehen Risiken, wenn man
alte Komponenten wie Stellwerke,
deren Lebenszyklus viele Jahre oder
Jahrzehnte bemisst, mit moderner
Technik vernetzt. Das Unternehmen
könne dann zwar von überall aus da-
rauf zugreifen, „aber das kann der
Hacker auch“, wie Fischer warnte.
Um das zu verhindern, müsse das
Management geschult werden: Es gel-
te, beide Organisationen „auf Augen-
höhe zusammenzubringen“. Bei der
Bahn habe man allein ein Jahr an ei-
ner einheitlichen Sprache gearbeitet.
Zudem liegt die Verantwortung für
beide Bereiche nun in einer Hand. Es
sind Ansätze, die auch Branchen wie
Industrie und Logistik diskutieren
dürften.

IT-Sicherheit


Wenn alle Ampeln


Grün zeigen


Deutsche IT-Systeme sind hochgefährdet. Auf der


Handelsblatt-Cybersecurity-Tagung geht es um Lösungen.


Gerhard Schabhüser,
Bundesamt für
Sicherheit in der
Informationstechnik:
„Es gibt ein Markt -
versagen bei der
Kommunikation.“

Dietmar Gust für Handelsblatt

Sebastian Schreiber,
Geschäftsführer der
Syss GmbH: „Funk-
technik ist häufig
schlecht geschützt.“

Dietmar Gust für Handelsblatt

Dietmar Gust für Handelsblatt

Sicherheit


wird


zukünftig ein


Wettbe -


werbsvorteil


sein.


Andreas Könen
Innenministerium

Cybersicherheit
DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019, NR. 215
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