Handelsblatt - 07.11.2019

(Darren Dugan) #1
Ruth Berschens, Jan Hildebrand,
Andreas Kröner, Michael Maisch
Brüssel, Berlin, Frankfurt

O


laf Scholz (SPD) hat für
eine Überraschung ge-
sorgt. Der Finanzminis-
ter gibt die seit Jahren
von Berlin aufrechter-
haltene Blockadehaltung gegen eine
EU-Einlagensicherung auf. „Wir müs-
sen mit der Bankenunion vorankom-
men. Und zwar jetzt“, sagte Scholz
und legte gleichzeitig ein eigenes Mo-
dell für ein Einlagen-Rückversiche-
rungssystem auf den Tisch.
Damit überraschte Scholz nicht nur
die europäischen Partner, sondern
auch Angela Merkel (CDU) und die
Union. Die Kanzlerin habe bei der uni-
onsinternen Vorbesprechung zur Ka-
binettssitzung am Mittwochmorgen
gesagt, dass der Vorstoß innerhalb der
Bundesregierung nicht abgestimmt
sei, erfuhr das Handelsblatt aus Regie-
rungskreisen. Deshalb werde der Vor-
schlag in dieser Form auch nicht kom-
men, habe Merkel deutlich gemacht.
Die Abstimmung innerhalb der Gro-
ßen Koalition beginnt also erst. Und
trotzdem findet der Vorschlag von
Scholz bereits europaweit Beachtung.
Denn das Signal ist deutlich: In Berlin
bewegt sich etwas.
Das Finanzministerium schlägt in
einem achtseitigen Papier zur Ban-
kenunion den Aufbau eines „europäi-
schen Rückversicherungssystems“
vor. Das solle „das Finanzsystem sta-
bilisieren“. Die Rückversicherung soll
das Vertrauen der Bankkunden stär-
ken und so einen Bankansturm –
wenn alle Kunden bei einer Krise
gleichzeitig versuchen, ihr Geld von
den Konten zu holen – vermeiden.
Die EU-weite Rückversicherung
soll im Bedarfsfall den nationalen
Einlagensicherungen „Liquidität über
rückzahlbare Darlehen zur Verfü-
gung“ stellen, so das Scholz-Konzept.
In einem zweiten Schritt, wenn die
EU-Bankenunion vollständig umge-
setzt ist, hält das Finanzministerium
eine „Verlusttragungskomponente“
für möglich. Die nationalen Einlagen-
sicherungen müssten die Kredite des
EU-Fonds nicht vollständig zurück-
zahlen. So würde ein echter Transfer
zwischen den Einlagensicherungen
der europäischen Staaten entstehen.
Der Vorschlag von Scholz sei posi-
tiv, weil er beim Thema Einlagensi-
cherung wieder für mehr Dynamik
sorge, sagte Yves Mersch, der Vize-
chef der EZB-Bankenaufsicht. „Ich
bin dankbar für alles, was dabei hilft,
das Haus der Bankenunion fertig zu
bauen.“ Auch Andrea Enria, der Chef
der EZB-Bankenaufsicht, äußerte die
Hoffnung, dass in das Thema nun
wieder Bewegung kommt. „Sparer
müssen sicher sein, dass ihr Geld gut
geschützt ist, egal, ob es bei einer
Bank in Frankreich, Italien oder
Deutschland liegt“, sagte der Italie-
ner. Das könne nur durch die Einfüh-
rung einer einheitlichen europäi-
schen Einlagensicherung geschehen.

Deutschlands Banken haben nach
wie vor Bedenken gegen eine europa-
weite Einlagensicherung, viele sehen
aber auch die positiven Seiten von
Scholz’ Vorstoß. Deutsche-Bank-Vize-
chef Karl von Rohr hat die Pläne für
die Vollendung der Bankenunion be-
grüßt. Dass Scholz signalisiert habe,
bei dem Thema aufs Tempo zu drü-
cken, sei wichtig für ganz Europa,
sagte von Rohr bei einer Finanzkon-
ferenz des Informationsdienstes
Bloomberg in Frankfurt. Der Prozess
sei bislang zu schleppend verlaufen.
Sollte es am Ende tatsächlich zu ei-
ner Bankenunion mit gemeinsamer
Einlagensicherung kommen, könne
das weitere Fusionen und Übernah-
men in der Bankenbranche zur Folge
haben, sagte von Rohr.
„Es ist erfreulich, dass in die Dis-
kussion um eine Vertiefung des euro-
päischen Finanzbinnenmarktes Be-
wegung kommt“, sagt auch Hans-
Walter Peters, Präsident des privaten
Bankenverbandes BdB. Er sieht es als
richtigen Schritt, dass sich das Bun-
desfinanzministerium von den bishe-
rigen Vorschlägen der EU-Kommissi-
on zur Einlagensicherung löse.
Für die Sparkassen und die Genos-
senschaftsbanken ist es zumindest
„nachvollziehbar“, Maßnahmen zur
Verbesserung eines EU-Kapitalmark-
tes zu diskutieren. Die Sicherheit der
Sparguthaben sei allerdings keine
Verhandlungsmasse. Deshalb müsse
der Eindruck vermieden werden,
dass gemeinsame Lösungen schnell

erreichbar seien, heißt es in einer Er-
klärung beider Bankenverbände.
Dem Verband der Genossen-
schaftsbanken (GVB) in Bayern ist die
Stellungnahme des Bundesverbandes
allerdings offenbar zu freundlich. In
einem eigenen Statement warnen sie,
dass Scholz die „Regionalbanken op-
fern“ wolle. „Scholz will den letzten
Schritt zur europäischen Einlagensi-
cherung vollziehen, bevor überhaupt
zum ersten angesetzt ist“, schimpft
GVB-Präsident Jürgen Gros, der den
Vorstoß des Finanzministers „ent-
schieden“ ablehnt.
In Brüssel rennt der deutsche Fi-
nanzminister mit seinem neuen
Vorstoß zur EU-Einlagensicherung
offene Türen ein. Der für das The-
ma zuständige EU-Kommissionsvize
Valdis Dombrovskis zeigte sich er-
freut. „Wir begrüßen jegliche Öff-
nung und Diskussion, die das Euro-
päische Einlagensicherungssystem
zum Leben erwecken können“, sag-
te Dombrovskis. Die Brüsseler Be-
hörde wartet schon seit Längerem
darauf, dass Deutschland seine Blo-
ckadehaltung in dieser Frage end-
lich aufgibt.
Die EU-Kommission hatte bereits
eine Rückversicherung vorgeschla-
gen. Ein neuer Gesetzentwurf zur
Einlagensicherung sei nicht geplant,
hieß es in Brüssel. „Wir glauben,
dass der Vorschlag der Kommission
der beste Weg ist, um vorwärtszu-
kommen“, sagte eine Sprecherin
der Behörde am Mittwoch.

Bisher hatte die Bundesregierung
darauf bestanden, erst einmal ver-
bleibende Risiken in den Bankenbi-
lanzen auszumerzen, bevor der EU-
Sparerfonds in Angriff genommen
wird. Diese Bedingung findet sich
auch in Scholz’ Papier. So sollen die
faulen Kredite, die sogenannten Non-
Performing Loans, weiter reduziert
werden. Das ist für viele südeuropäi-
sche Staaten eine Herausforderung.
Zudem fordert Scholz auch weiter-
hin, dass Staatsanleihen nicht länger
als risikolose Anlagen in den Bankbi-
lanzen behandelt werden sollen. Die
Finanzkrise habe gezeigt, dass Staats-
anleihen eben nicht risikofrei sind,
heißt es in dem Papier. „Banken
müssten so Vorsorge auch für Risiken
aus Forderungen gegenüber Staaten
bilden.“ Gegen eine solche Risikobe-
wertung von Staatsanleihen hat sich
bisher vor allem Italien heftig ge-
wehrt. Die dortigen Banken haben be-
sonders viele italienische Staatsanlei-
hen in ihren Büchern. Weiterhin for-
dert Scholz ein harmonisiertes
Insolvenzrecht für Banken in der EU.
Außerdem will er die Steuerver-
meidung innerhalb der EU stärker
bekämpfen. Dazu soll es unter ande-
rem eine gemeinsame Bemessungs-
grundlage für die Körperschaftsteuer
geben. Diese Forderung dürfte vor al-
lem in Ländern wie Irland, die mit
niedrigen Steuersätzen locken, auf
Widerstand stoßen.
Für eine Einführung der EU-Einla-
gensicherung stellt Scholz also noch
viele Bedingungen – und trotzdem ist
sein Vorstoß eine Neupositionierung.
Der Finanzminister erkennt in sei-
nem Papier ausdrücklich, dass auch
die EU-Einlagensicherung zur Vollen-
dung der Bankenunion gehört.
Zudem ändert Scholz die zeitliche
Abfolge: Der Risikoabbau ist nicht
mehr Vorbedingung, um überhaupt
über die europäische Einlagen-Rück-
versicherung zu verhandeln. Stattdes-
sen soll nun über die kommenden
Schritte parallel gesprochen werden.
Damit könnte beim EU-Finanzminis-
tertreffen im Dezember begonnen
werden.
Die entscheidende Frage wird aller-
dings sein, ob sich Scholz mit seinem
Vorschlag innerhalb der Großen Ko-
alition durchsetzen kann. Auch in der
Vergangenheit waren die Unionsabge-
ordneten äußerst kritisch in Bezug
auf die EU-Einlagensicherung. Das
galt schon, als noch Wolfgang
Schäuble (CDU) Finanzminister war.
Und das dürfte nun umso mehr gel-
ten, als der Vorschlag von einem Fi-
nanzminister kommt, der SPD-Vorsit-
zender werden will. Das macht auch
der interne Hinweis von Merkel auf
die fehlende Abstimmung innerhalb
der Bundesregierung deutlich.
Scholz will nun schnell die Ressort-
abstimmung einleiten. Erst danach
kann er in Brüssel sein Modell als das
der Bundesregierung präsentieren und
entsprechend verhandeln.

> Kommentar Seite 18

Banken


Scholz wagt Vorstoß


zur EU-Einlagensicherung


Der Finanzminister legt ein Modell für die Absicherung von Sparguthaben


vor. Die EU-Partner sind erfreut – die Union bleibt skeptisch.


Olaf Scholz (SPD):
Der Bundesfinanz-
minister überraschte
die Kanzlerin
mit seiner Idee.

dpa

Ich bin


dankbar für


alles, was


dabei hilft,


das Haus der


Bankenunion


fertig zu bauen.


Yves Mersch
EZB-Direktor

Wirtschaft & Politik
DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019, NR. 215
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