Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

10 DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019


Meinung


Wer wissen will, was der
vielleicht künftige SPD-
Vorsitzende von 2010 bis
2017 als NRW-Finanzmi-
nister getrieben hat, kann
beim Verfassungsgerichts-
hof in Münster nachfragen.
Dort haben sie über Nowabo, wie sich
Norbert Walter-Borjans manchmal sel-
ber nennt, eine dicke Akte.
Gleich sein erster Nachtragshaushalt
2010 verstieß gegen die Landesverfas-
sung: zu viel Schulden. Sein Haushalt
2011: wieder zu viel Schulden, wieder
verfassungswidrig. Sein Haushalt 2012:
gerügt wegen Verletzung der verfas-
sungsmäßigen Parlamentsrechte. Seine
Reform der Beamtenbesoldung 2014:
teilweise verfassungswidrig wegen
Ungleichbehandlung.
Obwohl Nowabo mehr Steuern kas-
sierte als jeder NRW-Finanzminister
vor ihm, bekam er seinen Etat kaum in
den Griff. Als er nach der verlorenen
Landtagswahl 2017 aus dem Amt
schied, hinterließ er dem Nachfolger
einen Schuldenberg, der 60 Prozent
größer war als jener, den er selbst
von seinem Vorgänger übernommen
hatte. Nordrhein-Westfalen galt als
deutsches Griechenland mit vielen
armen Menschen, kaputten Straßen

und einer unfähigen Regierung. Und
über Nowabo als die rheinische Aus -
gabe des griechischen Finanzministers
Yanis Varoufakis hieß es: gut, dass
der in Rente geht.
Nun muss man zugestehen, dass
nicht Nowabo hauptverantwortlich für
die Politik war, sondern die damalige
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
Dennoch fällt auf, dass er sich auf seine
Erfolgsgeschichte mit den Steuer-CDs
konzentriert, wenn er heute über seine
Zeit als Finanzminister spricht. Er will
lieber der Steuer-Robin-Hood gewesen
sein als der Nowabofakis vom Rhein,
wer will es ihm verdenken.
Ich bezweifle, dass er damit bei den
Bürgern durchkommt. Die Jusos
mögen begeistert sein, wenn Nowabo
nun einen »radikalen Umbau« des
Steuersystems ankündigt und Saskia
Esken, seine Mitstreiterin um den Par-
teivorsitz, auf Twitter schwärmt:
»Demokratischer Sozialismus bleibt für
uns die Vision.«
Wer Nowabos Amtszeit in Nord-
rhein-Westfalen miterlebt hat, hält bei
solchen Aussichten das Portemonnaie
fester.

An dieser Stelle schreiben Alexander Neubacher
und Markus Feldenkirchen im Wechsel.

Alexander NeubacherDie Gegendarstellung

Nowabofakis vom Rhein


So gesehen

Irgendwie weiter


Wie die Regierung die GroKo
und das Land stabilisieren will

Angesichts des desolaten Zustands
der Großen Koalition erwägt die
Bundesregierung ein Bündel von
Sofortmaßnahmen, das zur Beruhi-
gung der Lage beitragen und eine
geordnete Weiterarbeit bis zum
Ablauf der Legislaturperiode garan-
tieren soll.
Für die Suche nach verbleibenden
Gemeinsamkeiten der Regierungs-
parteien sowie zur Identifikation
von attraktivem Führungspersonal in
Union und SPD wird eine speziell
von Carl Zeiss Jena entwickelte
Hochleistungslupe zum Einsatz kom-
men, die dem menschlichen Auge

weit überlegen ist und die Entde-
ckung selbst kleinster politischer
Fortschritte auf subatomarer Ebene
ermöglicht.
Der verstörenden Kakofonie des
christdemokratischen Richtungs-
streits im Umgang mit der AfD und
der sozialdemokratischen Identitäts-
krise soll mit der Ausgabe der neues-
ten Generation von Kopfhörern
begegnet werden, mit denen Stör -
geräusche in der Umgebung nahezu
vollständig ausgeblendet werden
können.
Gegen den punktuell wahrgenom-
menen Eindruck einer wachsenden
Unzufriedenheit und tiefgreifenden
gesellschaftlichen Spaltung im Land
plant die Regierung den Einsatz
einer traditionellen Kräuterteemi-
schung aus Kamille, Johanniskraut
und Baldrian, von der täglich min-
destens fünf große Tassen einzuneh-
men sind. Zusätzlich sollen staatlich
organisierte Auslandsreisen für eine
Stimmungsaufhellung sorgen.
Kritik an den Maßnahmen begeg-
net die Regierung mit dem Verweis
auf einen erfolgreichen Testeinsatz.
Dieser laufe bereits seit Jahren: bei
der Bundeskanzlerin. Stefan Kuzmany
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