Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

V


or einigen Wochen war Claudia
Roth zu Besuch beim FC Bayern
München. Die Vizepräsidentin
des Bundestags wollte Uli Hoe-
neß, dem scheidenden Präsidenten des Re-
kordmeisters, ein Geschenk vorbeibringen,
einen Fotoband, aber Hoeneß war nicht
im Büro. Seine Assistentin gab der Politi-
kerin eine kleine Führung über das Ver-
einsgelände. »Es war beeindruckend«, er-
zählt Roth, 64, »dort ist wirklich jeder Trai-
ningsplatz in einem perfekten Zustand.«
Roth betont, kein Fan des FC Bayern
zu sein. Ihr Herz gehört dem FC Augsburg.
Aber sie versteht sich gut mit Hoeneß. Er
stammt wie sie aus Ulm. Die beiden lern-
ten sich im Zuge der Fußballweltmeister-
schaft 2006 kennen, es gab seither immer
wieder Begegnungen, gemeinsame Termi-
ne. Manchmal rufe der CSU-Sympathisant
bei ihr im Büro in Berlin an, wenn ihm
mal wieder was an der Politik der Grünen
nicht passe.
»Uli Hoeneß hat Fehler gemacht und
musste dafür zu Recht geradestehen. Aber
ich mag seine Art«, sagt Roth. Er sei nicht
so aalglatt wie andere Managertypen. Ein
Mensch mit Emotionen. Einer, der als Ver-
einspräsident auch mal mit dem Kopf gegen
die Wand renne und sich »eine Delle« hole.
Am kommenden Freitag wird die Ära
Hoeneß, 67, beim FC Bayern zu Ende ge-
hen. Der Mann, der das Münchner Fuß-
ballimperium über Jahrzehnte aufgebaut
und gegen jeden verteidigt hat, der ver-
suchte, daran zu rütteln, wird bei der Jah-
reshauptversammlung in der Olympiahal-
le abtreten. Sein Nachfolger als Präsident
soll der ehemalige Adidas-Chef Herbert
Hainer werden.
Im Verein reden die Mitarbeiter seit Mo-
naten darüber, wie es nach dem Rückzug
des Patriarchen weitergehen soll. Wird der
Klub seine Ausnahmeposition halten kön-
nen? Oder beginnt mit dem Abgang des
Anführers der langsame Abstieg?
Claudia Roth sagt: »Ich bin mal ge-
spannt, was Uli unter Rückzug versteht.
Das kann der doch gar nicht.«
Eigentlich wollte Hoeneß den FC Bay-
ern in Bestform übergeben, doch die
Mannschaft steckt in einer Krise. Die
Heimniederlage gegen Hoffenheim, das
schwache Pokalspiel in Bochum und dann
auch noch die 1:5-Niederlage bei Eintracht
Frankfurt, woraufhin sich der Klub am vo-


rigen Sonntag von Trainer Niko Kovač
trennte. Wieder mal muss ein neuer Fuß-
balllehrer gefunden werden, der das teure
Münchner Fußballensemble in den Griff
bekommt. Der Vorstandsvorsitzende Karl-
Heinz Rummenigge hat bereits angekün-
digt, dass Hoeneß bei der Suche natürlich
eingebunden sein werde.
Roth hat in den vergangenen Monaten
die Entwicklungen um Niko Kovač, der im-
merhin mit dem FC Bayern die Meister-
schaft und den Pokal gewonnen hat, genau
beobachtet. Wie Rummenigge kaum eine
Gelegenheit ausließ, den Coach öffentlich
zu kritisieren, zu düpieren. Wie dagegen
Hoeneß sich vor den Trainer stellte, ob-
wohl dessen fachliche Defizite nicht zu
übersehen waren.
Solidarisch habe sich der Uli verhalten,
findet Roth. Bravo.
Aus Spielerkreisen in München hört
man, die Rückendeckung für Kovač sei ir-

gendwann nur noch kontraproduktiv ge-
wesen. Hätte Hoeneß schon früher seine
schützende Hand weggezogen, wäre man
nicht derart tief abgestürzt. Zu viele Profis
seien schon zu lange unzufrieden gewesen
mit Kovač, weil er keine klare Strategie
für ein Offensivspiel entwickelt hatte. Weil
die Abwehr wackelte. Weil er Spieler auf
wechselnden Positionen einsetzte und sie
damit ihrer eigentlichen Stärken beraubte.
Uli Hoeneß wird in Zukunft nur noch
im Aufsichtsrat des FC Bayern sitzen. Er
wird sich aus dem Zentrum der Macht ent-
fernen und sein altes Büro in der Vereins-
zentrale an der Säbener Straße räumen.
Er vertraue seinem Nachfolger, den er
selbst ausgesucht hat, sagt Hoeneß. Er hat
angekündigt, künftig nur noch Ratgeber
sein zu wollen, sich nicht in die Geschäfte
einzumischen.
Aber kann er das? Schafft es der Dampf-
plauderer, sein Temperament, sein Ego zu
zügeln? Oder wird er zum Heckenschüt-
zen, der alle wahnsinnig macht mit Rat-
schlägen und Kommentaren?

Der Rückzug von Hoeneß ist für den
FC Bayern eine Zäsur. Der Verein verliert
seinen Häuptling, seine Identifikations -
figur. Hoeneß ist das fleischgewordene
»Mia san mia«. Ihm gelang ein ziemlicher
Spagat: Er trieb die Kommerzialisierung
des Klubs an allen Stellen voran, achtete
aber darauf, dass der Verein seine Volks-
nähe und Volkstümlichkeit nicht verlor.
Es gibt beim FC Bayern bis heute regel-
mäßig öffentliche Trainingseinheiten, bei
denen die Anhänger ihren Idolen aus
nächster Nähe bei der Arbeit zuschauen
können. Jedes Jahr in der Vorweihnachts-
zeit besuchen Spieler Fanklubs. Thomas
Müller bekam voriges Jahr bei den »Red
Bulls Taubenbach« ein Schaukelpferd ge-
schenkt, Niko Kovač musste mit den Mit-
gliedern von »Rode Stean Inzell« Schuh-
platteln und Fingerhakeln.
Für ausländische Spieler, die zum FC
Bayern kommen, ist diese Verbundenheit
mit der Basis gewöhnungsbedürftig. Sie
kennen das nicht. Fast alle Spitzenklubs
in Spanien, Italien oder England schotten
ihre Teams ab. Als der FC Bayern im Au-
gust zu einem Freundschaftsspiel gegen
eine Amateurmannschaft antrat, fragte ein
Neuzugang einen Mitspieler, ob man hier
richtig spielen müsse. Oh ja, kam als Ant-
wort zurück.
In der Geschäftsstelle des FC Bayern
hoffen sie, dass die neue Führung die alten
Werte nicht aufgibt. »Der FC Bayern ist
ein bayerischer Verein, der sich der Welt
öffnet. Das war immer unser Ideal. Es
wäre ein Offenbarungseid, wenn wir das
aufgäben«, sagt ein Mitarbeiter.
Außerdem lassen sich Bilder von der
Mannschaft in Tracht auf dem Oktoberfest
vor allem in den USA und in China gut
vermarkten.
Der Historiker Nils Havemann, seit Jah-
ren ein kritischer Beobachter des deut-
schen Fußballs und des FC Bayern, bezwei-
felt, dass der Verein ohne Hoeneß das Bild
vom traditionsbewussten Fußballgroßkon-
zern mit Herz aufrechterhalten kann. Weil
es kaum noch Figuren gibt, die das Ideal
verkörpern. Thomas Müller ist der letzte
Bayer in der Mannschaft. Hoeneß-Nach-
folger Hainer, der Prototyp des CEO, prä-
sent, präzise, kühl, taugt eher nicht als
Rampensau für die Basis und die Medien.
Oliver Kahn? Die Torwartlegende soll
2022 Rummenigge als Vorstandsvorsitzen-

100 DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019


Sport

Abschied vom Häuptling


FußballNach 40 Jahren gibt Uli Hoeneß die Macht beim FC Bayern ab. Am Ende seiner Ära


wird deutlich: Seine Politik war zuletzt zu sehr auf den schnellen Erfolg ausgerichtet.


Wird er zum Hecken-
schützen, der alle
wahnsinnig macht mit
Ratschlägen?
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