Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

der beerben. Kahn wird respektiert bei
den Fans, aber nicht geliebt. Und Hasan
Salihamidžić, der Sportdirektor? Gilt in
München nur als Laufbursche der Bosse.
Historiker Havemann, der Bücher über
die Geschichte des deutschen Fußballs ge-
schrieben hat, meint, dass mit Hoeneß’
Rückzug die Übermacht des FC Bayern
zu Ende gehen könnte. »Wenn das Mar-
kante verloren geht, wird es schwierig für
den Verein, an der Spitze zu bleiben.«
Egal wie peinlich Hoeneß mitunter auf-
getreten sei, wie unrecht er mit öffentli-
chen Äußerungen gehabt habe, er habe
dafür gesorgt, dass die Aufmerksamkeit
beim FC Bayern war. Wenn die Chefs des
Dauerrivalen Borussia Dortmund mal eine
knackige These raushauen, ist das in erster
Linie ein Thema für die Sportpresse. Wenn
Hoeneß etwas von sich gibt, redet ganz
Deutschland darüber – und die Sponsoren
des FC Bayern sind zufrieden, weil ihr
Partner mal wieder in aller Munde ist.
Im generell eher verschlossenen Fuß-
ballgeschäft ist Hoeneß eine Rarität. Er
lässt das Publikum hin und wieder in seine
Seele blicken. Er hält dann Monologe, un-
geschützt, ungefiltert, die Sätze überschla-
gen sich. Früher war das, was er sagte, in-
teressant. Zuletzt sorgten seine Vorträge
meist nur noch für Kopfschütteln.
Da war die Tirade gegen den Torwart
Marc-André ter Stegen, den Konkurren-
ten von Bayern-Torwart Manuel Neuer in
der Nationalmannschaft, oder sein Satz,
gut ein Jahr nachdem er eine Haftstrafe
wegen Steuerhinterziehung in Höhe von
28,5 Millionen Euro abgesessen hatte:
»Ich bin der einzige Deutsche, der eine
Selbstanzeige gemacht hat und trotzdem
im Gefängnis war.« Und weiter: »Frei-
spruch wäre völlig normal gewesen. Aber
in diesem Spiel habe ich klar gegen die
Medien verloren.«
Es gibt unzählige Geschichten über den
feinen Kerl Uli Hoeneß, seine väterliche
Seite, sein großes Herz. Er kümmerte sich
um den schwer kranken Gerd Müller. Er
stattete afghanische Fußballerinnen mit
Trainingsklamotten aus.
Aber jetzt hört man in München, dass
ihn die Zeit in Haft wohl doch verändert
habe. Er sei noch impulsiver geworden,
seine Sprache manchmal roh. Über Mesut
Özil, den Weltmeister von 2014, sagte
Hoeneß vor einem Jahr, der spiele doch
nur »einen Dreck«.
Manche seiner langjährigen Wegbeglei-
ter sind froh, dass Hoeneß beiseitetritt. Er
beginne sein eigenes Denkmal zu beschä-
digen.
Am vorigen Montag, einen Tag nach-
dem sich der FC Bayern von Trainer Niko
Kovač getrennt hat, sitzt Philipp Lahm in
München in der Nähe der Isar in einem
Bürozimmer. Irgendwo läuft ein Radio.
Es wird vermeldet, dass Assistenztrainer


Hansi Flick übergangsweise das Team des
FC Bayern übernehmen soll, bis ein neuer
Chefcoach gefunden ist.
Lahm wirkt unbeeindruckt vom aktuel-
len Rummel um den FC Bayern. Der Welt-
meister von 2014 spielte zwölf Jahre als
Profi für den Klub. Vor mehr als zwei Jah-
ren beendete er seine Karriere, er gehört
jetzt zum Organisationsteam der Europa-
meisterschaft 2024 in Deutschland. Lahm
blickt nüchtern auf die Fußballbranche.
Er schätzt Hoeneß. Als Spieler bekam
Lahm im Herbst 2009 aber auch einmal
Ärger mit ihm, weil er die Spielweise des
FC Bayern in einem Interview mit der
»Süddeutschen Zeitung« hinterfragt hatte.
Seine Kritik von damals deckt sich in Tei-
len mit der, die Experten heute am FC Bay-
ern üben: Es fehle dem Klub eine klare
Philosophie. Eine Idee, wie man Fußball
spielen will. Ein taktisches Grundmuster,
das schon den Nachwuchsspielern in der
Talentakademie beigebracht wird.
Hoeneß reagierte damals harsch auf die
Analyse. Alles Papperlapapp. Dem Phi-
lipp, raunte er, würden seine Worte noch
leidtun.
Das Prinzip, mit dem Hoeneß die Vor-
macht der Bayern absicherte, basierte
großteils auf Geld. Er kaufte die besten
Spieler zusammen. Weil er und sein Part-
ner Rummenigge selbst große Fußballer
waren und als Zuschauer Hunderte Partien
verfolgt haben, glaubten sie beurteilen zu
können, ob ein Profi richtig gut oder doch
nur Mittelmaß ist.

Da der FC Bayern mehr Geld einsetzen
kann als alle anderen Profiklubs in
Deutschland, wurde der Abstand zur Kon-
kurrenz in den vergangenen Jahren immer
größer. Zuletzt wurde der Klub siebenmal
in Folge deutscher Meister.
Hoeneß’ Scheckbuchpolitik war sehr
auf den schnellen Erfolg ausgerichtet. In
den letzten zehn Jahren wechselte der
FC Bayern sechsmal den Cheftrainer. Un-
ter ihnen war nur einer, der seine Vorstel-
lungen vom Fußball langfristig durchset-
zen konnte: Pep Guardiola. Der penible
Katalane perfektionierte beim FC Bayern
den Ballbesitzfußball. Noch heute profi-
tiert der Klub von seiner Arbeit. Aber
nach seinem Abgang nach nur drei Jahren
verwässerten die Ansätze, lösten sich
Strukturen unter wechselnden Trainern
auf, die andere Vorstellungen hatten oder
schlicht nicht die Klasse Guardiolas.
Kovač zum Beispiel. Er kam im Som-
mer 2018 als Notlösung nach München,
weil die Bayern Thomas Tuchel nicht be-
kommen hatten, der zu Paris Saint-Ger-
main gewechselt war. Hoeneß stellte dem
Kroaten eine Topmannschaft hin. Kovač
rackerte sich ab, versuchte aus seinen Feh-
lern zu lernen. Er sammelte im Schnitt pro
Spiel immerhin 2,26 Punkte – doch das ist
reine Statistik. Auf dem Platz war kein Stil
zu erkennen, kein schlüssiges System.
Dann kam die Serie der schlechten Spie-
le, und nach der Frankfurt-Partie reichte
es den Bayern-Bossen augenscheinlich. Es
heißt, die Trennung von Kovač sei einver-
nehmlich erfolgt. Am Sonntag nach dem
Spiel gegen Frankfurt traf er die Mann-
schaft an der Säbener Straße. Um diese
Zeit herum saßen Rummenigge, Hoeneß
und Salihamidžić zusammen und berieten,
wie es weitergehen sollte.
Irgendwann nach dem Training riefen
sie Kovač an. In diesem Telefonat soll er
gesagt haben, wenn die Führung der Mei-
nung sei, er sei die Ursache für die Krise,
biete er an, die Konsequenzen zu ziehen.
Daraufhin hätten sich die Bayern-Bosse
mit ihm für den Abend verabredet. Bei
diesem Treffen, das nicht sehr lange ge-
dauert haben soll, hätten die drei Männer
das Rücktrittsangebot angenommen.
Auf Anfrage erklärte der FC Bayern,
dass er die Details des Tagesablaufs nicht
kommentiere. Die vom SPIEGELgeschil-
derte Abfolge entspreche jedoch nicht den
Tatsachen.
Jetzt arbeiten sie beim FC Bayern Mün-
chen erst mal mit Hansi Flick als Über-
gangslösung. Ein ehemaliger Spieler des
Klubs, ein langjähriger Assistent von Joa-
chim Löw, ein Taktikfuchs, wie es heißt.
Ihm wurde Hermann Gerland zur Seite
gestellt. Der Gemütsmensch aus dem
Ruhrgebiet war zuletzt Leiter der Talent-
akademie des FC Bayern, ist schon seit
einer gefühlten Ewigkeit im Verein und

102 DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019

Dem Verein muss es
nun dringend gelingen,
eine eigene Spiel-
idee zu entwickeln.

BERND FEIL / IMAGO IMAGES
Bayern-Trainer Kovač vorigen Samstag
Konsequenzen gezogen
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