Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

immer zur Stelle, wenn Hoeneß ruft, wenn
Not am Mann ist.
Die Fans und viele Experten finden das
Retro-Duo an der Seitenlinie in Ordnung.
Hauptsache, die Abwehr ist endlich dicht
und Müller spielt wieder. Einige Spieler
sollen hingegen enttäuscht sein von der
Zwischenlösung, die nicht wirklich große
Fortschritte verspricht.
In den vergangenen Tagen spielte sich
in München ein absurdes Casting ab. Jeden
Tag gab es neue Meldungen, wer als neuer
Chefcoach für den FC Bayern infrage kom-
me. Und fast jeden Tag sagte einer der ge-
handelten Kandidaten ab.
Der Wunschtrainer scheint Erik ten Hag
von Ajax Amsterdam zu sein. Er könnte
im nächsten Sommer in München anfan-
gen. Oder findet sich doch noch irgendwo
ein renommierter Fußballlehrer, der sofort
mit der Arbeit auf der Baustelle FC Bayern
anfangen könnte?
Am Mittwochabend schlugen die Bay-
ern in der Champions League Olympiakos
Piräus 2:0. Man sah dem Team an, wie es
um Ordnung bemüht war. Die Abwehr
stand. Thomas Müller spielte. Aber es
fehlte an Esprit, die talentiertesten Fuß-
baller, Thiago und Coutinho, saßen auf
der Bank.
Es war ein fader Auftritt, drei Tage vor
dem Bundesligaspiel gegen den Dauer -
rivalen Borussia Dortmund. Uli Hoeneß


sprach nach der Partie nicht mit den war-
tenden Journalisten.
Er hat sich das Ende seiner Amtszeit an-
ders vorgestellt. Sicherlich: Überall wird
ihm jetzt für sein Lebenswerk gehuldigt.
In der ARD lief eine Dokumentation über
ihn. Alle sind nett. Dortmunds Chef Hans-
Joachim Watzke, mit dem sich Hoeneß oft
bekriegt hat, sagt dem SPIEGEL: »Wir bei-
de sind mit Haut und Haaren, mehr als je-
der andere, mit unserem Klub verbunden.
Das ist eine Einheit. Es bleibt nicht aus,
dass du da ab und zu mal übereinander
stolperst. Was Uli Hoeneß in den 40 Jah-
ren für den FC Bayern geleistet hat, ist
ohne Frage außergewöhnlich.«
Hipp, hipp, hurra.
In Wahrheit kommen die Mängel seiner
Politik gerade zum Vorschein. Er hätte frü-
her starke Nachfolger aufbauen müssen.
Er hat es verpasst, das sportliche Konzept
des FC Bayern zu reformieren. Er war zu-
letzt kein guter Häuptling mehr.
Die neue Klubführung, die Hoeneß zu-
sammengestellt hat, ist im Fußballgeschäft
weitgehend unerfahren. Dabei muss es
dem Verein nun dringend gelingen, eine
eigene Spielidee zu entwickeln und diese
kontinuierlich zu verfolgen. Sonst büßt er
seine Position im europäischen Spitzen-
fußball ein. Um das zu verhindern, gibt es
nur einen Weg: Hoeneß muss die Straße
wirklich freigeben.

Und es ist ja auch nicht so, dass ihn ein
tristes Rentnerdasein erwarten würde.
Hoeneß und seine Frau Susanne wohnen
in einem großen Haus oberhalb von Bad
Wiessee. Von ihrem Grundstück aus ha-
ben sie einen wunderbaren Blick über den
Tegernsee. Dass er sich einfach dorthin zu-
rückzieht und die Füße hochlegt, klar,
nicht vorstellbar, dafür hat er noch zu viel
Energie, einen zu ausgeprägten Gestal-
tungswillen. Und es gäbe wirklich genug
zu tun.
Claudia Roth erzählt, Hoeneß habe sie
einmal eingeladen, ihn in Bad Wiessee zu
besuchen. Vielleicht komme sie mal da-
rauf zurück. Sie hätte da ein paar Ideen
für ihn. Im Einsatz gegen Rassismus
und Rechtsextremismus im Fußball zähle
jede Stimme; auch von der Bekämpfung
der Klimakrise sei die Profibranche nicht
ausgenommen. »Da braucht es gute Bot-
schafter.«
Es würde dem Uli schon nicht langwei-
lig werden.
Andreas Meyhoff, Gerhard Pfeil,
Christoph Winterbach

104 DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019


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