Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1
SPIEGEL:Zeigt das letztlich nicht nur, dass
sich eben doch nicht wirklich viel verän-
dert hat seit Enkes Tod, dass von einer ech-
ten Akzeptanz keine Rede sein kann?
Hermann:Es hat sich auf jeden Fall viel
getan. Man muss in der Sportpsychologie
zwischen Leistungsoptimierung, Prävention
und Therapie unterscheiden. Aber neh-
men wir an, Sie hätten als Normalbürger
eine Angststörung und gingen zu einem
entsprechend ausgebildeten Therapeuten.
Dann wären Sie wahrscheinlich froh,
wenn das nicht jeder Nachbar weiß. Das
gilt auch für Sportler. Wenn man eine öf-
fentliche Person ist, dann gibt es gleich
Schlagzeilen. Und die bleiben, selbst wenn
man längst wieder gesund ist. Nicht um-
sonst gibt es eine Schweigepflicht für Psy-
chologen und Mediziner.
SPIEGEL:Es wirkt so, als machte es sich
der Fußball leicht. Als erkennte er nicht an,
dass durch Druck und die große Öffentlich-
keit auch Schäden entstehen können.
Hermann:Das stimmt meines Erachtens
nicht, und ich möchte hier auch ein Miss-
verständnis aufklären: Zwanzigers Bot-
schaft, Fußball sei nicht alles, hat bei vielen
den falschen Eindruck hinterlassen, der
Fußball habe Robert krank gemacht. Das
Gegenteil ist richtig. Teresa Enke, seine
Witwe, hat auch in diesen Tagen wieder

DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019 109


Sport

ANKE WAELISCHMILLER / SVEN SIMON / DDP IMAGES
DFB-Psychologe Hermann
»Wir müssen wachsam sein«

Dunkle Gedanken
»Sind Sie mit der Erkrankung Depression
bereits in Kontakt gekommen?«

Quelle: Deutschland-Barometer Depression 2018;
5000 Befragte; Rundungsbedingte Abweichung zu 100 Prozent

selbst erkrankt
(mit Diagnose)

21 %


selbst erkrankt
(ohne Diagnose)
16 %

Angehörige oder
Bekannte erkrankt
27 %

behandle
bzw. berate
Menschen mit
Depressionen
1%

bislang kein Kontakt
34 %

betont, wie viel der Fußball Robert gege-
ben hat. Natürlich können auch Profifuß-
baller bei einer entsprechenden Disposi -
tion an Depression erkranken. Der Druck
durch hohe Erwartungen, öffentliche Leis-
tung und nachfolgende Bewertung kann
Auslöser dafür sein. Aber den allermeisten
Sportlern geht es sehr gut. Der Leistungs-
sport ist nicht gefährlich, er macht nicht
per se psychisch krank! Von Sportpsychia-
tern wurde sogar die Diskussion begonnen,
ob nicht bei jeder Mannschaft ein Sport-
psychiater dabei sein müsste. Sie gehen
also schon von einem latenten Krankheits-
bild aus. Das sehe ich mit Blick auf die
Fallzahlen nicht.
SPIEGEL:Es gibt Gegenpositionen zu Ihrer.
Enkes Psychiater Valentin Markser sagt:
»Das System ist leider noch auf dem Stand
von 2009. Es scheint so, als ob es eine
unheilvolle Allianz im Leistungssport gibt,
die den dringend nötigen Aufbruch zur
besseren Behandlung von seelischen
Krankheiten verhindert.« Er meint Verei-
ne, die um ihr Image fürchten, die Sportler
selbst und die Öffentlichkeit, die erfolgrei-
che Sportler sehen will statt kranker.
Hermann:Niemand hat ein ernsthaftes
Interesse daran, irgendetwas zu verheim-
lichen. Und das hier postulierte Mas-
senphänomen des psychisch geschunde-
nen Fußballers gibt es nicht, auch wenn
hoher Druck zweifellos existiert. Das ist
jedoch nicht nur im Profisport so, sondern
leider in allen Teilen unserer Leistungsge-
sellschaft. Die angesehene Kölner Initiati-
ve »MentalGestärkt« weist auf der Basis
aktueller wissenschaftlicher Ergebnisse da-
rauf hin, dass zwischen 13 und 20 Prozent
der leistungssportlichen Athletinnen und
Athleten im Laufe ihrer Karriere mindes-
tens einmal an Depressionen unterschied-
licher Ausprägung leiden. Das sind genau
die gleichen Werte, die für altersgleiche
Nicht-Leistungssportler ermittelt wurden.
SPIEGEL:Der ehemalige Schiedsrichter
Babak Rafati, der selbst an einer Depres-
sion erkrankt war und heute Mentalcoach
ist, hat gesagt, »dass hinter den Kulissen
ein desaströser Zustand herrscht« und dass
das Thema weiterhin »komplett unter-
schätzt wird«. Sind Markser und er Alar-
misten?
Hermann:Ich arbeite viel mit Kolleginnen
und Kollegen im Spitzensport zusammen,
und wir tauschen uns regelmäßig aus.
Schwere Fälle sind sehr selten. Aber jeder
Betroffene ist einer zu viel. Ich sehe auch
die Gefahr, dass das Thema verdrängt
wird, weil man sich nicht gern damit be-
schäftigt, schon gar nicht, wenn man ge-
sund ist. Wir müssen deshalb dranbleiben,
informieren und wachsam sein.
SPIEGEL:Was konkret machen Sie für die
Nationalspieler?
Hermann:Roberts Tod hat im Kreis der
Nationalmannschaft eine nach wie vor

SPIEGEL:Haben Sie sich gefragt, ob Sie
für Enke mehr hätten tun können?
Hermann:Ja, und ich habe mich gefragt,
warum er sich mir nicht anvertraut hat. Ich
habe mir damals Vorwürfe gemacht. An-
dererseits war Robert nur sporadisch in
meinem direkten Umfeld. Ich habe ihn
immer nur rund um die Länderspiele ge-
sehen. Später hat mir sein Berater Jörg
Neblung erzählt: »Wir wussten, dass Sie
irgendwann eine Vermutung haben wür-
den. Und wir haben uns auf Roberts
Wunsch hin darauf vorbereitet, wie er Sie
argumentativ davon abbringen kann.«
SPIEGEL:Bei der Trauerfeier für Enke
sagte der damalige DFB-Präsident Theo
Zwanziger: »Fußball ist nicht alles.« Das
wurde zu einer Art Stunde null im deut-
schen Fußball stilisiert. Hat sich zehn Jahre
später beim Thema psychische Gesundheit
im Fußball wirklich etwas verändert?
Hermann:Ja. Das Thema ist Teil vieler
Aus- und Fortbildungen geworden – bei
Trainern, aber auch bei Sportmedizinern
und Physiotherapeuten. Auch dank der
Initiativen der Robert-Enke-Stiftung und
betroffener Bundesligaprofis, die über
dieses Krankheitsbild berichtet und auf -
geklärt haben. Zusätzlich wurden der
Deutsche Fußball-Bund und die Deutsche
Fußball Liga aktiv, der Problematik De-
pression strukturell zu begegnen, indem
Nachwuchsleistungszentren verpflichtet
wurden, Sportpsychologen einzusetzen.
SPIEGEL:Andererseits gibt es diese Pflicht
im Profifußball nicht. Laut einer Umfrage
beschäftigen nur sieben Profiklubs von der
ersten bis zur dritten Liga einen festange-
stellten Sportpsychologen.
Hermann:Aber Sie finden im Profifußball
heute kaum noch jemanden, der sagt: Die
Spieler sollen sich nicht so haben, die be-
kommen doch genug Geld. Es gibt defini-
tiv eine Bereitschaft zu akzeptieren, wenn
ein Spieler sagt, dass ihm alles zu viel wird,
dass er nicht mehr kann. Trainer und Ma-
nager reagieren viel sensibler.
SPIEGEL:Ist das nicht zu wenig?
Hermann:Die allermeisten Vereine in
Deutschland machen es heute so, dass sie
betroffenen Spielern Hilfe anbieten, ent-
sprechend ausgebildete Therapeuten zu
suchen. Bei einem solchen Krankheitsbild
ist es den Spielern lieber, wenn es jemand
von außen ist, um sicherzugehen, dass das
Thema außerhalb des Vereins bleibt.
SPIEGEL:Warum muss sich ein betroffener
Spieler verstecken? Es wirkt, als würden
Vereine zwar gern die Topleistung ab-
schöpfen, aber als wollten sie mit eventu-
ellen psychischen Problemen nichts zu tun
haben.
Hermann:Psychische Gesundheit ist heu-
te immer noch ein sehr privates Thema.
Spieler sind oft froh, dass nicht gleich alle
im Team und im Umfeld davon etwas mit-
bekommen.

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