Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

bestehende Wachheit für dieses Thema be-
gründet. Wir haben einen regen Austausch
im medizinischen Team. Alle Informatio-
nen laufen da zusammen. Bekommt zum
Beispiel einer der Physiotherapeuten oder
Mediziner mit, dass es einem Spieler
schlechter geht als sonst, werde ich ange-
sprochen. Wir fragen aber nicht jedes Mal
bestimmte Parameter ab, um zu ermitteln,
ob ein Spieler gefährdet ist. Die Spieler
wissen, dass ich da bin. Dass ich sie unter-
stützen kann, wenn sie psychologische Hil-
fe möchten.
SPIEGEL:Es gibt Spitzensportler, die mit
ihrer Erkrankung an die Öffentlichkeit ge-
gangen sind. Im Fußball war das zuletzt
vor der WM 2018 der englische Links -
verteidiger Danny Rose. Kann ein Spieler
seine Karriere erfolgreich fortsetzen, wenn
er erkrankt ist?
Hermann:Selbstverständlich. Auch wenn
man das nicht für jeden garantieren kann,
aber Spieler können geheilt werden bezie-
hungsweise mit medikamentöser Unter-
stützung weiter erfolgreich sein. Rose ist
ein gutes Beispiel dafür, er spielt ja immer
noch für Tottenham und England.
SPIEGEL:Danny Rose hat aber auch er-
zählt, wie ihm in einem Vertragsgespräch
mit einem interessierten Klub gesagt wur-
de, dass der Verein erst einmal sehen wol-
le, ob er nicht verrückt sei. Würden Sie
einem Spieler raten, an die Öffentlichkeit
zu gehen?
Hermann:Nein. Ich würde ihm raten, es
nicht zu tun. Ich würde ihn aber unterstüt-
zen, wenn er glauben würde, dass es ihm
guttäte, an die Öffentlichkeit zu gehen.
SPIEGEL:Warum würden Sie es nicht emp-
fehlen?
Hermann:Wir dürfen den Spitzensport
nicht verniedlichen. Es geht dabei um die
Auswahl der Besten, und es kann durchaus


sein, dass ein öffentliches Sprechen über
die eigene Depression Manager von einer
Verpflichtung abhalten könnte.
SPIEGEL:Aber brauchte es nicht viel mehr
Sportler, die darüber sprechen, um genau
diese Vorurteile zu entkräften und Vorbild
für andere zu sein?
Hermann:Natürlich wäre das der Sache
dienlich, aber sie zahlen möglicherweise
innerhalb ihrer Karriere einen Preis. Und
sie sind genauso glaubhaft, wenn sie nach
der aktiven Karriere an die Öffentlichkeit
gehen.
SPIEGEL:Kamen in der Vergangenheit
Spieler zu Ihnen, die Sie an einen Psycho-
therapeuten vermitteln mussten?
Hermann:In den vergangenen zehn Jah-
ren hatte ich drei Fälle – nicht im Rahmen
der Nationalmannschaft, sondern es wa-
ren andere Profis.
SPIEGEL:In der Nationalmannschaft hat-
ten Sie keinen einzigen Fall?
Hermann:Nein.
SPIEGEL:Das heißt aber nicht, dass es kei-
ne Nationalspieler gab, die Probleme hat-
ten. Per Mertesacker hat 2018 öffentlich
darüber gesprochen, wie sehr er unter dem
Druck gelitten hat.
Hermann:Ja, Spieler können unter dem
Druck leiden, auch Nationalspieler. Da ist
Per kein Einzelfall. Öffentliches Handeln
ist hart, wenn sie den Erwartungen nicht
genügen oder sich selbst übermäßig unter
Druck setzen, was individuell zu heftigen,
äußerst unangenehmen Reaktionen füh-
ren kann. Allerdings sprechen wir hier von
etwas anderem als von der Krankheit
Depression.
SPIEGEL:Welchen Einfluss hat das Thema
Social Media auf die psychische Gesund-
heit von Spielern?
Hermann:Social Media erhöht den Druck
der Öffentlichkeit im Falle eines Schei-

terns. Debatten werden dort heftiger ge-
führt. Je nachdem, wie ausgiebig Spieler
dort aktiv sind, lassen sie auf Facebook,
Twitter oder Instagram mehr Nähe zu. Da-
rin liegt auch eine Gefahr. Spieler müssen
heute vielleicht noch stabiler sein, um da-
mit umgehen zu können.
SPIEGEL:Glauben Sie, dass ein Fall wie der
von Robert Enke heute zu verhindern wäre?
Hermann:(überlegt lange)Ein zweiter Fall
Enke ist nicht hundertprozentig zu verhin-
dern. Es wäre vermessen, das zu behaup-
ten. Es gibt leider eine große Anzahl de-
pressiver Menschen, die zwar in Behand-
lung sind, es aber trotzdem nicht schaffen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass man
Sportlern mit einer solchen Erkrankung
helfen kann, wenn sie sich zumindest ei-
nem gewissen Kreis an Menschen öffnen
und Therapie in Anspruch nehmen.
SPIEGEL:Müsste der eigene Trainer dazu-
gehören?
Hermann:Ja. Ich würde einem Spieler ra-
ten, den Trainer einzuweihen und ihn um
Vertraulichkeit zu bitten. Ich kenne Sport-
ler, die gute, und andere, die schlechte Er-
fahrungen damit gemacht haben. Aber es
gibt keine echte Alternative dazu, wenn
man ein depressiver Sportler ist.
SPIEGEL:Werden Trainer gut genug dafür
geschult?
Hermann:Es ist Teil der Fußballlehreraus-
bildung. Schulung ist vielleicht zu viel ge-
sagt, aber sie werden sehr gut informiert.
SPIEGEL:Wie steht es um die psychische
Gesundheit von Trainern? Es gab den Fall
von Ralf Rangnick.
Hermann:Als Trainer wird man für das
Handeln anderer, der Spieler, bewertet.
Das ist eine fast klassische Grundvoraus-
setzung dafür, dass man unter hohem
Stress leiden könnte, wenn es nicht gut
läuft. Ich sehe bei Trainern daher beson-
ders Bedarf an Unterstützung.
SPIEGEL: Gibt es diesen denn ausrei-
chend?
Hermann:Ich kenne eine Menge Trainer,
die außenstehende Fachkräfte nutzen und
sich mit ihnen über ihre psychischen Be-
lastungen austauschen und Strategien er-
arbeiten, damit umzugehen. Ich kann das
nur empfehlen. Denn gerade der Druck
auf sie ist extrem.
SPIEGEL: Herr Hermann, wir danken
Ihnen für dieses Gespräch.

110 DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019


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MARIA IRL
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