Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

Stadt sehr viel Grün geben, das kühlt und
Schatten spendet.«
»Klimaaktive Stadtquartiere« will der
Baubotaniker erschaffen, mit »Baumfas-
saden«, aus denen Äste ragen, und mit
Mehrfamilienhäusern, die von Baum -
kronen überschattet werden. »Man geht
durch ein dicht bebautes Gebiet, fühlt sich
aber wie in einem Park«, sagt er und ver-
spricht mehr Lebensqualität und Nachhal-
tigkeit. Zum Bewässern der hauseigenen
Bäume soll zum Beispiel das Duschwasser
der Bewohner weiterverwendet werden.
Der Architekt schwärmt von den visio-
nären Hochhäusern des italienischen Ar-
chitekten Stefano Boeri in Mailand, »Bos-
co Verticale« (vertikaler Wald) genannt.
Über 5000 Bäume und Sträucher wachsen
auf den Terrassen und Balkonen der bei-
den Türme und verwandeln die Fassaden
in einen wahren Dschungel.
Der Aufwand sei allerdings enorm, sagt
Ludwig. Zusätzlicher Beton und Stahl sei-
en notwendig, damit das Gebäude nicht
unter dem enormen Gewicht der Pflanz -
erde auf den Balkonen zusammenbreche.
Zudem würden die Pflanzen zeitlebens
»am Tropf der Bewässerung« hängen. Viel
einfacher sähe es aus, wenn die Bäume tat-
sächlich Teil des Bauwerks wären: »Der
im Boden wurzelnde Baum hat eine Ro-


bustheit, die technisch gar nicht zu errei-
chen ist«, sagt Ludwig.
Wären seine Hightech-Baum-Häuser
also tatsächlich geeignet, die Städte der
Zukunft zu prägen? Auch der Baubotanik-
Pionier glaubt nicht daran, dass eines
Tages komplette Häuser aus lebenden Bäu-
men bestehen könnten. Flächige Struktu-
ren etwa lägen außerhalb dessen, was Bäu-
me leisten könnten. »Der Baum will keine

Wand werden«, sagt Ludwig. Doch er
wirbt für eine »Symbiose«, eine enge Ver-
zahnung von Baum und Bauwerk. Natur
und Mensch könnten gleichermaßen da-
von profitieren.
So wie in Indien: Die lebenden Brücken
Meghalayas verbinden Dörfer, Märkte und
Felder. Gleichzeitig bietet das Luftwurzel-
geflecht vielen Tieren und Pflanzen eine
Heimstatt.
Ohnehin ist der Gummibaum baubota-
nisch ideal. »Die Luftwurzeln sind sehr fle-
xibel und lassen sich fast frei formen«, sagt
Architekt Ludwig. »Im Prinzip können Sie
damit auf einem Gebäude eine Baum -
krone wachsen lassen, und am Eck, 20 Me-
ter weiter, führen Sie die Wurzel herunter
zum Boden, wo das Gebilde Wasser und
Nährstoffe aufnehmen kann.«
Solche botanischen Meisterwerke wer-
den indes nur in subtropischem Klima
möglich sein, wo sich Ficus elastica
heimisch fühlt. Bäume der gemäßigten
Breiten haben keine Luftwurzeln. Sie sind
deshalb weit schlechter formbar. »Bei mit-
teleuropäischen Bäumen streben alle sicht-
baren Teile immer zum Licht«, sagt Lud-
wig. »Da müssen Sie sich als Baubotaniker
schon sehr anstrengen, damit der Baum
nicht gegen Sie arbeitet.« Philip Bethge

RODERICK AICHINGER / DER SPIEGEL
Baubotaniker Ludwig
Bypässe aus Ästen
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