Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

S


eine erste Flugstunde in der zwei -
sitzigen Cessna verlief bestens – bis
der 29-jährige Australier Max Syl-
vester bemerkte, dass der Fluglehrer ne-
ben ihm ohnmächtig war.
Über Funk rief Sylvester Hilfe. Was jetzt
folgte, ist klassischer Stoff für Abenteuer-
filme. »Haben Sie schon mal ein Flugzeug
gelandet?«, fragte der Fluglotse. »Nein«,
antwortete der Novize.
Der Lotse zog einen Fluglehrer hinzu,
beide redeten behutsam auf Sylvester ein.
Sie erklärten ihm Schritt für Schritt, was
zu tun sei – und tatsächlich: Fast eine Stun-
de später brachte Sylvester die Cessna heil
zu Boden. Der bewusstlose Fluglehrer
kam in die Klinik, wo ein gutartiger Hirn-
tumor festgestellt wurde.
Ein solches Adrenalindrama, wie es sich
Ende August nahe Perth zutrug, könnte
sich künftig vermeiden lassen – zumindest
an Bord teurer Edelflieger. Die für ihre Na-
vigationsgeräte weltbekannte US-Firma
Garmin hat ein Steuerungssystem für mo-
derne einmotorige Kleinflugzeuge entwi-
ckelt, das aus »Star Trek« stammen könn-
te. Verliert der Pilot der brandneuen Piper
M600/SLS (Listenpreis: drei Millionen
Dollar) plötzlich das Bewusstsein, dann
muss einer seiner Passagiere im Cockpit
ganz einfach auf eine rot umrandete Taste
namens »Emergency Autoland« drücken.
Selbst einem Kind sollte dies gelingen.
Mehr ist nicht zu tun.
Eine freundliche weibliche Computer-
stimme meldet sich sogleich zu Wort, die
ein wenig an Siri auf dem iPhone erinnert:
»Emergency Autoland activated«, sagt sie.
»Bitte bleiben Sie ruhig, und greifen Sie
nicht in die Steuerung ein!«
Sekundenschnell prüft der Bordrechner
seine Datenbank und wählt die nächstge-
legene geeignete Piste für eine Notlandung
aus. Er konzipiert die Flugroute dorthin –
unter Berücksichtigung von Bergen, Bäu-
men, Hindernissen, Wind, Wetter und
Treibstoffvorrat. Die Flugsicherung setzt
er auch gleich ins Bild, aktuelle meteoro-
logische Daten holt er über das Iridium-
Satellitennetzwerk ein.
»Sie müssen gar nichts tun«, beruhigt
das vollautonome Flugsystem seine Passa-
giere und informiert sie über die verblei-


bende Flugzeit. Ganz von selbst reduziert
Captain Computer im Anflug Höhe und
Geschwindigkeit, justiert den Schubhebel,
setzt die Landeklappen, fährt das Fahr-
werk aus. Er lenkt aktiv gegen eventuelle
Seitenwinde an und landet auf der Mittel-
linie der Landebahn, er bremst und ruft
die Rettungsdienste herbei, ehe er sich ver-
abschiedet mit den Worten: »Warten Sie,
bis das Flugzeug und der Propeller ange-
halten haben, bevor Sie aussteigen.«
Emergency Autoland markiert den Be-
ginn der Ära autonomer Passagierflug -
zeuge, die keinen Piloten mehr brauchen.
Hunderte Testflüge hat Garmin bereits aus-
geführt, und laut der Firma steht die Zu-
lassung durch die US-Luftaufsichtsbehör-
de FAA unmittelbar bevor.
Das System soll auch in anderen Flug-
zeugen Verwendung finden, etwa im ein-
motorigen Vision Jet des Herstellers Cir-
rus, der sechs Passagieren Platz bietet und
schon für rund zwei Millionen Dollar zu
haben ist. Und das ist nur der Anfang.
Noch darf Garmin seine Autoland-Soft-
ware allein als lebensrettendes Sicherheits-
merkmal für den absoluten Notfall anbie-
ten. In Zukunft dürfte die Firma mit der
Technologie aber deutlich ehrgeizigere Zie-
le verfolgen.

* Mit rot umrandeter Taste zur Aktivierung von »Emer-
gency Autoland«.

Acht Jahre lang hat Garmin bisher an
der autonomen Steuerung gearbeitet,
mehr als hundert Experten waren daran
beteiligt. Ein noch erweitertes System
dieser Art könnte in nicht allzu ferner
Zeit eine Rolle im Flugalltag von Klein-
flugzeugen spielen, später auch an Bord
komplexerer Fracht- oder sogar Passagier -
maschinen.
Denkbar wäre, dass der Rechner das
Kommando übernimmt bei Landungen in
dichtem Nebel. Möglich wäre ebenfalls,
dass sogar größere Verkehrsmaschinen
irgendwann nur noch von einem mensch-
lichen Piloten geflogen werden, den digi-
talen Kopiloten liefern dann Firmen wie
Garmin hinzu. Die Flugroboter-Technolo-
gie wird zudem bei den vielen Drohnen
und fliegenden Taxis Einzug halten, die
den urbanen Luftverkehr eines Tages revo -
lutionieren könnten.
Der Siegeszug der Computer im Cock-
pit bringt allerdings auch Nachteile mit
sich: Je besser die automatisierten Flug-
systeme funktionieren, desto schlechter
funktionieren die Piloten. Ihnen fehlt dann
schlicht die Übung.
In modernen Verkehrsfliegern schalten
die Flugzeugführer vieler Airlines den
Autopiloten Momente nach dem Start an
und übernehmen die Maschine erst wieder
kurz vor der Landung. Die FAA kritisiert
dies in einem aktuellen Bericht an die in-
ternationale Luftfahrtorganisation ICAO.
Wenn fliegerisch entwöhnte Piloten unter-
wegs auf ein technisches Problem stießen,
fehle ihnen oft die Erfahrung oder sogar
die Fähigkeit, die Kontrolle über das Flug-
zeug zu erlangen. Marco Evers
Mail: [email protected]

DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019 117

Technik

Bleiben Sie


ruhig!


LuftfahrtDas autonome Flug-
zeug ist da: Fällt der Pilot
aus, bringt es seine Passagiere
trotzdem heil auf den Boden.

Piper M600/SLS, Cockpit*
Captain Computer mit weiblicher Stimme
Free download pdf