Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

schnittfassung wirkt. Alles musste rein in
dieses vielleicht letzte große Werk, alles
musste erzählt werden, einmal, zweimal,
dreimal. Scorsese zeigt es in seinen Bildern
und erklärt es noch mal in Worten.
In einer Szene wirft De Niro nach einem
Mord seine Pistole in einen Fluss. Der Zu-
schauer sieht sie langsam auf den Grund
sinken – wo schon viele andere Waffen lie-
gen. Ein starkes Bild, das alles sagt. Warum
muss der Off-Kommentar noch hinzu -
fügen, dass dieses Arsenal reichen würde,
einen Bürgerkrieg zu führen?
Hat Scorsese das Vertrauen in seine er-
zählerische Meisterschaft verloren? Oder
dachte er, das Publikum sei beim Streamen
weniger konzentriert als im Kinosaal? Der
Zuschauer hat bisweilen den Eindruck, der
Regisseur halte ihn für begriffsstutzig.
Aber natürlich verstellen Scorseses frü-
here Meisterwerke etwas den Blick auf
»The Irishman«. Bei allen Schwächen ist
es immer noch ein ziemlich wuchtiges
Epos. Dem Regisseur vorzuwerfen, dass
er vor 30 Jahren bessere Filme gedreht
habe, ist etwas ungerecht, wenn man be-
denkt, wie gut diese Filme sind.
Vielleicht muss man sich auf »The
Irishman« einlassen wie auf ein Treffen
mit inzwischen etwas betagten Freunden,
die von den alten Zeiten reden und mit de-
nen man Geduld haben sollte, weil sie viel
erlebt und Wichtiges zu erzählen haben.
»The Irishman« ist vom Bewusstsein
durchdrungen, dass Korruption und Verrat
allgegenwärtig sind. Er handelt nicht nur
von der Unterwelt, sondern von Amerika
und seinem Raubtierkapitalismus. Scorsese
zeigt ein Land der unbegrenzten Mög -
lichkeiten, in dem jeder seines Glückes
Schmied sein kann, wenn er bereit ist, mit
dem Hammer seine Konkurrenten zu er-
schlagen. Die illusionslose Weltsicht eines
alten, weisen Mannes.
Im Lauf des Films hält Scorsese immer
wieder das Bild an, verweilt auf einer Figur
und blendet einen Text ein, der den Zu-
schauer informiert, wann und wo diese
Person ermordet wurde. Wenn Sheeran
im Pflegeheim seine Pillenbox öffnet, hat
man das Gefühl, dass er der einzige all die-
ser Gangster ist, der noch lebt. Er hat ein-
fach Pech gehabt. Jetzt muss er als Gottes
einsamster Mann sterben.
Ganz am Ende bittet er eine Kranken-
schwester, die Tür zu seinem Zimmer
nicht ganz zu schließen. Vielleicht ist das
auch die Tür, die sich Scorsese und De
Niro dann doch noch offen lassen.
Lars-Olav Beier


DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019 129

Kultur

Video
Ausschnitte aus
»The Irishman«
spiegel.de/sp462019kino
oder in der App DER SPIEGEL

Belletristik Sachbuch

1 (1)Sebastian Fitzek
Das Geschenk Droemer; 22,99 Euro

2 (2)Saša Stanišić
Herkunft Luchterhand; 22 Euro

3 (3)Jussi Adler-Olsen
Opfer 2117 dtv; 24 Euro

4 (4)Jojo Moyes Wie ein Leuchten
in tiefer Nacht
Wunderlich; 24 Euro

5 (7)Ildikó von Kürthy
Es wird Zeit Wunderlich; 20 Euro

6 (5)Cecelia Ahern
Postscript. Was ich dir noch
sagen möchte Fischer Krüger; 20 Euro

7 (6)Maja Lunde
Die Letzten ihrer Art btb; 22Euro

8 (8)Eugen Ruge
Metropol Rowohlt; 24 Euro

9 (12)John le Carré
Federball Ullstein; 24Euro

10 (10)Delia Owens Der Gesang
der Flusskrebse Hanserblau; 22 Euro

11 (9)Martin Suter
Allmen und der Koi Diogenes; 22 Euro

12 (14)Ursula Poznanski
Erebos 2 Loewe; 19,95 Euro

13 (–)Sabine Ebert Schwert und Krone.
Herz aus Stein Knaur; 19,99Euro

14 (11)Jo Nesbø
Messer Ullstein; 24 Euro

15 (13)Stephen King
Das Institut Heyne; 26Euro

16 (15)Rebecca Gablé
Teufelskrone Lübbe; 28 Euro

17 (–)Isabel Allende
Dieser weite Weg Suhrkamp; 24 Euro

18 (–)Olga Tokarczuk
Unrast Kampa; 24 Euro

19 (18)Ulrich Tukur
Der Ursprung der Welt S. Fischer; 22 Euro

20 (16)Dror Mishani
Drei Diogenes; 24Euro

1 (–)Marc Friedrich / Matthias Weik
Der größte Crash aller Zeiten
Eichborn; 20 Euro

2 (2)Edward Snowden
Permanent Record
S. Fischer; 22 Euro

3 (3)Bas Kast Der Ernährungskompass
C. Bertelsmann; 20 Euro

4 (1)Richard David Precht
Sei du selbst Goldmann; 24 Euro

5 (7)Doris DörrieLeben, schreiben,
atmen Diogenes; 18 Euro

6 (5)Stephen Hawking Kurze Antworten
auf große Fragen Klett-Cotta; 20 Euro

7 (6)Peter Wohlleben
Das geheime Band zwischen
Mensch und Natur Ludwig; 22 Euro

8 (–)Harald Lesch Was hat das Universum
mit mir zu tun? C. Bertelsmann; 18 Euro

9 (8)Thomas Pletzinger
The Great Nowitzki
Kiepenheuer & Witsch; 26 Euro

10 (4)Hans-Joachim Watzke / Michael Horeni
Echte Liebe C. Bertelsmann; 20 Euro

11 (9)Max Otte
Weltsystemcrash Finanzbuch; 24,99 Euro

12 (–)Torsten Sträter Es ist nie zu spät,
unpünktlich zu sein Ullstein; 16 Euro

13 (16)Thomas Gottschalk
Herbstbunt Heyne; 20 Euro

14 (12)Klaus Brinkbäumer / Samiha Shafy
Das kluge, lustige, gesunde,
ungebremste, glückliche, sehr
lange Leben S. Fischer; 22 Euro

15 (11)Deniz Yücel
AgentterroristKiepenheuer & Witsch; 22 Euro

16 (14)Michelle Obama
Becoming Goldmann; 26 Euro

17 (17)Sascha Lobo Realitätsschock
Kiepenheuer & Witsch; 22 Euro

18 (20)Denis Scheck
Schecks Kanon Piper; 25 Euro

19 (–)Jill Lepore
Diese Wahrheiten C. H. Beck; 39,95 Euro

20 (–)Biyon Kattilathu Der Rikscha-Fahrer,
der das Glück verschenkt
Gräfe und Unzer; 16,99 Euro

Die Kulisse ist histo-
risch, das Thema hoch-
aktuell: In den USA der
Dreißigerjahre kämpfen
berittene Bibliotheka -
rinnen für Frauenrechte.

Für die einen ist er
ein Held, für die ande-
ren ein Staatsfeind.
Hier erzählt der
Whistle blower seine
Geschichte selbst.

Im Auftrag des SPIEGELwöchentlich ermittelt vom Fachmagazin »buchreport« (Daten: media control);
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