Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

D


eutsche Rapper geben sich immer
rätselhaftere Namen. Der Superstar
Capital Bra rollt sein Zungen-R viel-
leicht auch deshalb tsunamigleich, um dem
Missverständnis vorzubeugen, er könnte
sich nach überdimensionierten Büstenhal-
tern benannt haben. Apache 207 eröffnet
ein Assoziationsspektrum von Winnetou
bis zum Kampfhubschrauber. Der Titel sei-
nes gerade mal 22 Minuten langen Debüts
hingegen lautet schlicht »Platte«. Vinyl
und Hochhausgetto, vereint in edler Ein-
falt und stiller Größe.
Zwei Meter misst Volkan Yaman, so
Apaches bürgerlicher Name. Er trägt eine
schwarze Mähne, die prächtig im Wind
der Prärie wehen könnte, beleuchtet vom
Licht der goldenen Stunde: Fünf seiner


Songs stehen derzeit in den Top Ten der
Spotify-Charts. Seine Videos werden auf
YouTube millionenfach geklickt. Der 22-
Jährige ist im deutschen Mainstream-Hip-
Hop ganz oben angekommen.
Vordergründig bietet er alles, was das
Genre auszeichnet: Es geht um Autos und
um viel Geld, um Bitches und um die
eigene Mama. Erzählt im Slang, aber
literarisch stilisiert. Die Grammatik ist
eigenwillig, oft nah am Telegrammstil,
Artikel fallen im Zweifelsfall weg, die
eine oder andere englische Phrase hat der
Rapper wörtlich ins Deutsche übernom-
men: »Ich geb kein Fick« heißt es im Hit
»200 km/h«.
Das sogenannte Migrantendeutsch ist
für den Pop ein Segen. Die Sprache von
Thomas Mann und Tocotronic geht uns
damit ja nicht verloren, sie wird nur um
eine Facette bereichert. Apache hat diesen
Stil nicht erfunden, bespielt ihn aber mit
Witz: »Warum fickt ihr Kopf, Kopf? Mein
Kopf platzt, Gucci-Sandalen, ich trag sie
nur aus Trotz, Trotz«.
Seine »Platte« bietet mehr als das sonst
übliche akustische Viagra für Hip-Hop-Al-
phamännchen. Mal klingt der Sound wie
Achtzigerjahre-Chartsmusik, mal wird der
Eurodance der Neunziger geplündert bis
hin zur Anspielung auf den gefürchteten
Partyhit »Barbie Girl« in Apaches derzeit
erfolgreichstem Song »Roller«.

Apache 207 sprechsingt im virilen
Bariton, schraubt sich aber auch immer
wieder ins effektpolierte Kopfstimmen -
gejodel. Die emotionalen Höhepunkte
seiner Songs röhrt er mit der Dramatik
einer Diva ins Mikro: »Wieso tust du
dir das an?«, ruft er, rhythmisch wirkungs-
voll komprimiert, im gleichnamigen Song.
Er singt darin in der Rolle des unzuver -
lässigen Liebhabers, der seiner Freundin
davon abrät, sich weiter an ihm aufzu -
reiben.
Ganz ohne die genretypischen homo-
phoben Beleidigungen kommt er leider
nicht aus. Ärgerlich auch, dass in den Vi-
deos junge Frauen als lächerliche Staffage -
bitches rumstehen müssen. Wie mecha-
nisch hier Klischees bedient werden, wirkt
eher dümmlich und fällt damit gegenüber
der sonstigen Inszenierung ab. Dabei hat
der junge Mann aus Ludwigshafen laut Wi-
kipedia sogar Abitur.
Unter Vertrag genommen hat ihn
sein Kollege Bausa aus der heimlichen
deutschen Hip-Hop-Hauptstadt Bietig-
heim-Bissingen. Die südwestdeutsche
Provinz scheint der perfekte Melting Pot
für Hip-Hop zu sein, was wohl nicht allein
durch die räumliche Nähe zur Mercedes-
Tuningfirma AMG zu erklären ist, deren
Wagen unverzichtbares Tool für Rap -
videos sind.
Entscheidender Anstoß für Apache
aber scheint ein Nussnugat-Brotaufstrich
gewesen zu sein. Im Spätsommer postete
er auf Instagram ein Foto von sich neben
einem weißen Mercedes-Cabriolet vor
einem schmutzigbraunen Häuserblock.
Dazu erzählte er, wie ihm als Kind auf
dem Heimweg vom Discounter Netto ein
Glas Nutella, das er als besonderen Luxus
stolz in den Händen trug, heruntergefal-
len und zersplittert war. Seine Mutter,
schreibt er, sei in Tränen ausgebrochen.
Damals will er sich geschworen haben,
für die Familie später einen solchen Wa-
gen zu kaufen.
Es ist leicht, diese Story als Kitsch ab-
zutun – und doch berührt sie einen. Genau
in solchen Widersprüchen liegt das Erfolgs-
geheimnis von Pop. Authenti zitätsgesten
und affige Show gehen in einander über,
eine Menge künstlerische Intelligenz fließt
in großen Quatsch, die Identitäten formen
sich immer wieder neu.
Ob man am coolsten im getunten Mer-
cedes oder, wie im Videoclip von Apache,
auf einem Motorroller durchs Leben
rauscht, ist dabei keineswegs ausgemacht.
Juliane Liebert

130 DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019


Kultur

Am Anfang


war Nutella


Hip-HopApache 207 kommt aus
Ludwigshafen und führt Rap -

klischees ins Absurde – mit gleich


fünf Songs dominiert er
die deutschen Spotify-Charts.

PETER KAADEN
Rapper Apache 207: In der Rolle des unzuverlässigen Liebhabers

Video
So klingt
Apache 207
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