Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1
der Zombiefizierung besonders betroffen,
etwa zehn Prozent der Beschäftigten in
solchen untoten Firmen, die Banken des
Landes haben 173 Milliarden Euro an fau-
len Krediten in ihren Büchern.
Zombiefirmen gelten als ein Grund
für das chronisch schwache Wachstum in
Europa: Sie unterbieten gesündere Wett-
bewerber bei den Preisen, um irgendwie
im Geschäft zu bleiben, obwohl sie damit
Verluste in Kauf nehmen; sie erschweren
es innovativen Newcomern, in den Markt
zu kommen. Und sie binden Ressourcen
bei den Banken, die deshalb zu wenig in
zukunftsträchtigere Geschäfte investieren.
Unter dem Strich werden ganze Volks-
wirtschaften unproduktiver, weil Zombie-
banken und -firmen den Prozess »schöp-
ferischer Zerstörung« verhindern, den der
Ökonom Joseph Schumpeter einst als
Motor des Fortschritts ausgemacht hat.

Berlin, Washington: Der Finanzminister
investiert zu wenig, muss sich gegen Popu -
listen wehren und ringt um Kontrolle.

Eine kleine Bühne im Zentrum von Wa-
shington, der deutsche Finanzminister ver-
sucht mit einiger Mühe, die schwarz-rote
Regierung in Berlin als Bündnis der Mo-
dernisierung anzupreisen. Im Publikum:
Außenpolitiker, Banker, Finanzexperten
aus aller Welt, die Stadt ist voll mit ihnen,
zur gleichen Zeit tagen IWF und Weltbank.
Eine gute halbe Stunde hat Olaf Scholz
schon über das Klimapaket der Großen
Koalition geredet, als es plötzlich ernst
wird. Was er denn zu den niedrigen Zinsen
sage? Und was die Nullzinsära für seine
Finanzpolitik bedeute?
Scholz macht eine lange Pause, er sieht
nicht so aus, als wenn er über die Frage
glücklich wäre. Dann kneift er die Augen

zusammen und hält ein Fachreferat zum
Phänomen der schwindenden Kapitaler-
träge und der tieferen Logik schwarz-roter
Haushaltspolitik.
Nicht die Zentralbanken seien zuvör-
derst für die niedrigen Zinsen verantwort-
lich, so führt er aus, sondern die Anleger
selbst. »Die Niedrigzinsen haben vor al-
lem mit der großen Menge an anlagesu-
chendem Kapital zu tun, das die Zinsen
drückt«, sagt er. »Diese Entwicklung gibt
es auf der ganzen Welt und nicht nur in
Europa.« Dagegen könne der Staat nur
wenig ausrichten, so befindet Scholz, und

* Steven Mnuchin (USA), Bill Morneau (Kanada).

er müsse es auch nicht, solange die Wirt-
schaft nicht in die Krise rutsche.
Ein bisschen klingt das nach: alles nicht
so schlimm, so lange die positiven Effekte
überwiegen, die Arbeitslosigkeit niedrig
bleibt und die Wirtschaft wenigstens ein
bisschen wächst. Irgendwie werden sich
auch die Sparer schon anpassen.
Das stimmt. Allerdings nur so lange, bis
es knallt.
Die Weltwirtschaft tuckert zwar ganz
okay vor sich hin – aber nur, weil das Gas-
pedal schon bis zum Boden durchgetreten
ist, mit Nullzinsen und riesigen Schulden-
summen. Wenn die nächste Krise kommt,
und sie wird kommen, was dann? Wie soll

WOLLEN.


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ERIC PIERMONT / AFP
Finanzminister Scholz, Amtskollegen im Juli*: Leitbild der schwäbischen Hausfrau
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