Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1
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Steuern

Gnadenfrist für Betrüger


 Bundesfinanzminister Olaf Scholz
(SPD) hat die Einführung manipulations-
sicherer Registrierkassen in Deutschland
verschoben. Vor drei Jahren hatte der
Bundestag zwar beschlossen, dass alle
elektronischen Kassen ab 2020 mit einer
zertifizierten technischen Sicherheitsein-
richtung (TSE) ausgestattet sein müssen.
Damit soll der massenhafte Steuerbetrug
eingedämmt werden. Weil die entspre-
chende Technik aber noch nicht fertig
entwickelt ist, erließ der Minister in die-
ser Woche eine »Nichtbeanstandungs -
regelung«, die bis maximal Ende Septem-
ber kommenden Jahres gelten soll.
Demnach sollen die Finanzbeamten bei
Prüfungen das Fehlen einer TSE nicht
bemängeln. Wie das Ministerium dem
Grünen-Bundestagsabgeordneten Danyal


Bayaz mitteilte, würden derzeit zwar
zwei Zertifizierungsverfahren für Sicher-
heitseinrichtungen laufen. Wann diese
abgeschlossen werden könnten, sei noch
offen.
Der knappe Erlass aus dem Bundes -
finanzministerium stellt die für den Voll-
zug zuständigen Länderfinanzverwal -
tungen allerdings vor Probleme. So sehen
die 2016 beschlossenen Vorschriften
ebenfalls vor, dass ab Januar zwingend
ein Kassenbon ausgestellt werden muss
und nicht gesicherte Kassen nicht mehr
verkauft werden dürfen. So könnte es
geschehen, dass Händler oder Gastrono-
men in den kommenden Monaten keine
neue Kasse kaufen können, wenn ihre
alte kaputt gehe, heißt es. Im Handel gibt
es Bedenken, ob die Nachfrist überhaupt
reicht, mehrere Hunderttausend Kassen
umzurüsten, selbst wenn die entsprechen-
de Technik bald auf den Markt käme. MIF

Tiergartenmord


Regierung protestiert


in Moskau


 In dem Fall des in Berlin erschossenen
Georgiers Zelimkahn Kangoshvili hat
sich das Bundeskanzleramt eingeschaltet.
Grund ist die Weigerung Russlands, bei
den Ermittlungen mit deutschen Behör-
den zu kooperieren. Sowohl der Verfas-
sungsschutz als auch der BND hatten ihre
russischen Partnerbehörden erfolglos
um Mithilfe gebeten. Sie hatten keinerlei
stichhaltige Antworten erhalten. Inzwi-
schen hat das Kanzleramt den Russen sei-
nen Unmut mitgeteilt. Kangoshvili war
am helllichten Tag im Tiergarten erschos-
sen worden. Er hatte unter anderem im
Zweiten Tschetschenien-
krieg gegen von Moskau
unterstützte Truppen
gekämpft. Später hatte
er in Georgien und
in der Ukraine für die
Sicherheitsbehörden
gegen Moskaus Interes-
sen gearbeitet. Nach Re -
cherchen des SPIEGEL,
von The Dossier Center,
Bellingcat und The
Insider weist vieles auf
einen Mord im Auftrag
des russischen Staates
hin. Als mutmaß licher
Mörder sitzt der russi-
sche Staatsbürger Vadim
Sokolov in Untersu-
chungshaft, er bestreitet
die Tat. Er dürfte eine
eigens für den Mord
geschaffene falsche Iden-


tität haben. So wurde Sokolovs Pass
offenbar aus der russischen Reisepass -
datenbank gelöscht, sein Datensatz trägt
im Verzeichnis nationaler Ausweispapiere
einen Sperrvermerk (»Person durch das
Gesetz geschützt«), seine Adressen für
seinen nationalen Pass als auch für seinen
Visumantrag für den Schengen-Raum
waren falsch, sein Name taucht erstmals
wenige Monate vor dem Mord in der
Steuerdatenbank auf. Dennoch heißt es
in deutschen Sicherheitskreisen, all dies
sei in Russland auch durch Bestechung
zu erlangen. Es sei kein Beweis für einen
Mord im Auftrag eines Geheimdienstes.
Der Mangel an Kooperation aus Moskau
allerdings habe der deutschen Seite
nun zu denken gegeben, heißt es in
Berlin. FIS, MBA, MGB

FABRIZIO BENSCH / REUTERS
Tatort im Berliner Tiergarten

EU-Kommission

Kritik an Macrons neuem


Kandidaten


 Frankreichs Präsidenten Emmanuel
Macron droht im Europaparlament
auch mit seinem zweiten Vorschlag für
den Posten des französischen EU-
Kommissars Ärger. Nachdem die Parla-
mentarier Sylvie Goulard als Binnen-
marktkommissarin abgelehnt hatten,
hatte er Thierry Breton nominiert, bis-
lang Vorstandschef des französischen
IT-Konzerns Atos. »Es ist meines Wis-
sens das erste Mal, dass ein hochran -
giger Wirtschaftsführer direkt auf den
Posten des EU-Kommissars wechseln
soll«, sagt Manon Aubry, Co-Vorsitzende
der Fraktion der Linken und Nordi-
schen Grünen. Entsprechend groß sei
die Zahl möglicher Interessenkonflikte.
Breton soll für ein stark ausgebautes
Binnenmarktressort zuständig werden.
Kritik gibt es vor allem daran, dass
seine Aufgaben auch den digitalen Bin-
nenmarkt umfassen. Beispielsweise soll
Breton die Entwicklung europäischer
Hochleistungsrechner vorantreiben; ein
wichtiger Hersteller dieser Geräte
ist ausgerechnet Atos. Unterstützung
erhält Aubry vom stellvertretenden
Chef des Rechtsausschusses, Sergey
Lagodinsky von den Grünen. Bei
Breton stelle sich die Frage, »ab wann
Erfahrung und Vernetzung zu einer
Hypothek werden«, sagt der Parlamen-
tarier. Breton muss am kommenden
Donnerstag die Fragen der Abgeordne-
ten beantworten, zuvor untersucht der
Rechtsausschuss seine Einkommens -
erklärung auf mögliche Interessenkon -
flikte. Um Schwierigkeiten zu vermei-
den, verkaufte Breton zuletzt seine
Anteile an Atos in Höhe mehrerer Mil-
lionen Euro. MP, WAS

PASCAL SITTLER / REA / LAIF
Macron, Breton
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