Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

wird, verteidigt Kalbitz sich damit, dass
er sich lediglich habe umschauen wollen,
auf dem Boden des Grundgesetzes stehe
und seine Vita nur »rechtsextreme Bezü-
ge« habe. Doch bei all dem, was der MAD
über Kalbitz herausgefunden hat, wird die-
se Verteidigungslinie schwer zu halten sein.
Im März 2001 befragte der Geheim-
dienst Kalbitz, weil er im August 2000 mit
seinem Auto bei der »IJzerbedevaart« war,
einer Gedenkveranstaltung flämischer Na-
tionalisten für die Toten des Ersten Welt-
kriegs. Am Rande der Kundgebung, auf
der Fahnen geschwenkt wurden und Ju-
gendliche in Uniform auftraten, trafen sich
rechtsextreme Kameradschaften.
Kalbitz bestätigte dem MAD laut Ver-
merk, 2000 dort gewesen zu sein, ebenso
im Jahr zuvor. Er könne sich aber an den
konkreten Ablauf der Veranstaltung im
Jahr 2000 nicht erinnern, da er nicht die
gesamte Zeit anwesend gewesen sei. Am
internationalen Kameradschaftstreffen
oder an Ausschreitungen sei er nicht be-
teiligt gewesen, er sei nur »aufgrund des
großen Interesses an der deutschen Ge-
schichte« dorthin gefahren.
Im Sommer 2001 wurde der MAD wie-
der vorstellig. Eine Diskette aus Bundes-
wehrbestand, auf der »Kalbitz« stand, war
gefunden und dem MAD übergeben wor-
den. Darauf befand sich unter anderem
eine Datei, die Kalbitz’ AfD-Karriere ge-
fährlich werden könnte: ein Schreiben von
ihm mit dem Briefkopf der »Jungen Lands-
mannschaft Ostpreußen« (JLO), heute
»Junge Landsmannschaft Ostdeutschland«.
Die rechtsextreme Gruppe wurde damals
vom Verfassungsschutz beobachtet und
galt als Vorfeldorganisation der NPD.
Bislang war nur bekannt, dass Kalbitz
Texte für die JLO-Zeitung »Fritz« geschrie-
ben hatte. Im Gespräch mit den Geheim-


dienstlern 2001 gab Kalbitz laut Vermerk
jedoch zu, Mitglied der JLO zu sein, und
das schon seit vor seiner Zeit bei der Bun-
deswehr. Den genauen Zeitpunkt des Bei-
tritts könne er nicht angeben, auch nicht,
warum er ein Schreiben mit JLO-Briefkopf
verfasst habe. Er habe aber Ende 2000
und Anfang 2001 zwei Veranstaltungen
für sie in den Räumen der rechtsextremen
Burschenschaft Danubia mitorganisiert,
als Einladender und Veranstaltungsleiter.
Da Kalbitz 1994 bei der Bundeswehr
anfing, wäre er demnach damals schon
mindestens sieben Jahre lang Mitglied ge-
wesen. Eigentlich müsste Kalbitz also aus
der Partei ausgeschlossen werden, sollte
er die Mitgliedschaft bei seinem Eintritt in
die AfD verschwiegen haben. Damals gab
es die Unvereinbarkeitsliste zwar noch
nicht, frühere Mitgliedschaften in extre-
mistischen Organisationen mussten AfD-
Anwärter aber schon immer angeben.
Die JLO wurde im Januar 2000 von der
Hauptorganisation »Landsmannschaft Ost -
preußen« abgespalten, nachdem der baye-

rische Innenminister eine Nähe zum Rechts-
extremismus festgestellt hatte. Kalbitz sag-
te den Geheimdienstlern laut Vermerk, er
habe diese Nähe nur »als Randphänomen
wahrgenommen« und nicht gewusst, dass
JLO und »Fritz« von den Verfassungsschutz-
behörden als rechtsextremistisch eingestuft
und beobachtet wurden. Auch habe er keine
Veranstaltungen besucht, bei denen »für ihn
rechtsextremistische Tendenzen erkennbar
gewesen seien«. Er versprach, seine JLO-
Mitgliedschaft nun aufzukündigen.
Die Bundeswehr ließ Kalbitz mit seinen
Ausflüchten durchkommen, obwohl der
MAD ihn offenbar schon zum dritten Mal
angesprochen hatte: Wie Kalbitz laut Ver-
merk selbst einräumte, hatten die Geheim-
dienstler ihn bereits wegen seiner Mitglied-
schaft bei den Republikanern befragt, de-
nen Kalbitz von 1994 bis 1995 angehörte.
Der MAD habe ihm den Austritt nahege-
legt, berichtete Kalbitz, was er »letztend-
lich auch befolgt habe«. Die Ziele und Vor-
gehensweise der Parteimitglieder seien
ihm auch zu rechtsextrem erschienen.
Auf Anfrage lässt Kalbitz über die Kanz-
lei Höcker mitteilen, dass die »Verdachts-
momente nicht zutreffend« seien. Es sei
»schlicht falsch«, dass man ihm empfohlen
habe, bei den Republikanern auszutreten
und er dies befolgt habe. Dem Leser sei
mitzuteilen, dass die Wallfahrt »IJzerbe-
devaart« nichts mit der »Schreckenszeit
des Nationalsozialismus« zu tun habe.
Dann wird es abenteuerlich: Entweder
seien die SPIEGEL-Informationen aus der
Bundeswehrzeit »frei erfunden« – oder es
sei »strafrechtlich relevant gegen Dienst-
und Verschwiegenheitsverpflichtungen
verstoßen« worden. Die Angaben sollen
also ausgedacht oder richtig sein – beides
scheint der Anwalt für möglich zu halten.
Der Landesvorstand der Brandenbur-
ger AfD antwortete bis Donnerstagabend
nicht, ob Kalbitz die JLO-Mitgliedschaft
bei seinem Eintritt 2013 angegeben hat.
Für Kalbitz’ Bundeswehrlaufbahn blie-
ben die MAD-Erkenntnisse fast folgenlos.
Der Geheimdienst bat nicht einmal um ei-
nen Warnhinweis im internen System. Die
einzigen Konsequenzen: der Eintrag in Kal-
bitz’ Stammakte. Außerdem ist er nach
SPIEGEL-Informationen für Reservistenein-
sätze gesperrt. Doch letztlich konnte er sei-
nen Dienst 2005 regulär beenden. Wie kann
es sein, dass die Bundeswehr jemanden of-
fenbar weitgehend unbehelligt als Ausbilder
arbeiten lässt, der sich laut MAD an »extre-
mistischen Bestrebungen beteiligt« hat?
Auf diese Frage hätte man gern Antwor-
ten vom Verteidigungsministerium. Doch
der Sprecher gibt sich wortkarg: »Zu Per-
sonalangelegenheiten geben wir grund-
sätzlich keine Stellungnahme ab.«
Matthias Gebauer, Ann-Katrin Müller
Mail: [email protected]

DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019 39

WIM VAN CAPPELLEN / REPORTERS / LAIF
Nationalistisches Treffen in Belgien um 1999:»Beteiligung an extremistischen Bestrebungen«

THOMAS TRUTSCHEL / PHOTOTHEK.NET / IMAGO IMAGES
Landesvorsitzender Kalbitz
Er könne sich nicht erinnern
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