Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1
Anders als der Einzelkämpfer Martin
Sonneborn hat Nico Semsrott sich einer
Fraktion angeschlossen. »Ich kam zu den
Grünen, weil es so guttut, jeden Tag zu
hören, dass die Welt bald enden wird«,
sagte Semsrott, der Satiriker, kürzlich bei
einem Auftritt am Rande der Fraktions-
klausur der Partei in London. Der Politiker
Semsrott sagt, er habe das Gefühl, er
könne in einer Fraktion politisch mehr be-
wegen.
Sven Giegold, Sprecher der deutschen
Grünen im Europaparlament, führte mit
ihm eine Art Bewerbungsgespräch. Zu-
nächst war er skeptisch, schließlich war
Semsrott genauso wie Sonneborn im Wahl-
kampf mit dem Slogan angetreten: »Für
Europa reicht’s«. In Brüssel finden sie so
was nicht witzig.

ihnen erst mal erklären, wofür das Europa -
parlament überhaupt zuständig ist«, sagt er.
Im Konferenzraum geht es um das
nächste Thema. »Wir wollen ein Haustier«,
sagt Semsrott, im Gespräch ist ein Kanin-
chen, Projektname Uschi. Semsrott sagt,
er wolle die Tierschützer von Peta mithilfe
sozialer Medien fragen, ob Kaninchenhal-
tung im Büro okay sei. »Ich tippe mal auf
Nein«, sagt er, »die Büros hier sind ja nicht
mal für Menschen artgerecht.«
Doris, die Büroleiterin, hat Vorbehalte.
»Was ist das Ziel der Kaninchenaktion?«,
will sie wissen. »Das zieht die Leute rein«,
sagt Semsrott, schafft Aufmerksamkeit,
auch für seine sonstige Arbeit. »Bei zwei
Kaninchen möchte ich zu bedenken geben,
dass die sich vermehren«, sagt die Büro-
leiterin.

Abgeordnete wie Semsrott helfen, Un-
kenntnis, aber auch Politikverdrossenheit
etwas entgegenzusetzen.
Ohne Erfolg sind sie dabei nicht, auch
nach traditionellen Maßstäben. Bei der Eu-
ropawahl schaffte es »Die Partei« bei den
Erstwählern hinter den Grünen und der
Union auf Platz drei. Und in Berlin über-
holte sie mit 4,8 Prozent die FDP. Da es
bei der Europawahl in Deutschland anders
als bei Bundes- und Landtagswahlen der-
zeit keine Sperrklausel gibt, reichte das,
um zwei Abgeordnete nach Brüssel zu
schicken.
Semsrotts Teamtreffen neigt sich dem
Ende zu, der Praktikant meldet sich, er
hat die Fellohren übergestülpt. »Du könn-
test heute noch eine Rede zu Ursula von
der Leyens Geburtstag halten«, schlägt er

Doch Giegold änderte seine Meinung.
»Ich glaube, dass er mit seiner Idee, mit
Kunst und Satire Politik zu machen, eine
Bereicherung für das Parlament sein
kann«, sagt er heute.
Während Semsrotts Parteifreund Sonne-
born das Europaparlament oft als Ver-
sammlung von Faulenzern und Spesen -
rittern darstellt, die sich beim Lunch mit
Lobbyisten den Bauch vollhauen, will
Semsrott beschreiben, was in Brüssel und
Straßburg sonst noch so geschieht. Den bei-
ßenden Spott, mit dem sich Sonneborn
über das Brüsseler Personal lustig macht
(»Elmar Brocken«, »Manfred Streber«),
sucht man bei Semsrott vergebens. Statt-
dessen will er bald mit einer Erklärserie
auf YouTube starten. 60 Videos in 60 Mo-
naten, so hat er es im Wahlkampf verspro-
chen. »Man muss die Leute abholen und

Natürlich ist es leicht, Semsrotts Enga-
gement als Klamauk abzutun. Während
sich seine Kollegen mit komplizierten Än-
derungsanträgen für europäische Gesetze
abplagen, diskutiert Semsrott über Büro-
kaninchen. Schadet so einer nicht dem An-
sehen des Parlaments, wie Kritiker sagen?
Nicht unbedingt. Das Europaparlament
gibt Jahr für Jahr Millionen aus, um darauf
aufmerksam zu machen, dass es überhaupt
existiert. Doch Brüssel und Straßburg sind
für die meisten Bürger noch immer weiter
entfernt als Berlin oder Landeshauptstädte
wie Düsseldorf und München. Der neue
Elan, den die Europawahlen und vor allem
die gestiegene Wahlbeteiligung zunächst
erwarten ließen, ist längst dahin. In einer
Zeit, in der die »heute-show« höhere Ein-
schaltquoten hat als die ihr zugrunde lie-
genden Nachrichtensendungen, können

vor, die künftige Kommissionschefin wur-
de am Tag zuvor 61.
Semsrott hat von der Leyen schon ein-
mal gequält, kurz vor ihrer Wahl im Juli.
Da streifte er während der Debatte seine
Jacke ab, sichtbar wurde ein Pulli mit den
Logos von McKinsey und KPMG – eine
Anspielung auf die Berateraffäre aus von
der Leyens Zeit als Bundesverteidigungs-
ministerin. Von der Leyen lächelte milde.
Dieses Mal winkt Semsrott ab, so eine
Intervention muss vorbereitet sein, und er
hat zu viele Termine. Auch auf Kabarett-
auftritte verzichtet er derzeit, jedenfalls
außerhalb des Parlaments. Er will seinen
neuen Job gut machen, das frisst Zeit.
»So ernst«, sagt er, »nehme ich die Sa-
che hier schon.«
Milena Hassenkamp, Peter Müller

DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019 43


  • Neues Hybrid-Expeditionsschiff

  • Deutschsprachiges Expeditionsteam an Bord

  • 11 Erkundungstouren an Land inklusive
    (nicht an See-, Ein- und Ausschiffungstagen)

  • Vollpension mit Tischgetränken an Bord
    (Softdrinks, Bier und Wein)


KOMMEN SIE AN BORD VON
MS FRIDTJOF NANSEN!

Jetzt im Reisebüro buchen oder Tel. (040) 874 084 62
Weitere Informationen unter http://www.hurtigruten.de



  • Limitiertes Kontingent. © Montage/Getty Images/iStockphoto/Hurtigruten Hurtigruten GmbH • Große Bleichen 23 • 20354 Hamburg


April bis Juni 2020
15 Tage ab 3.999 € p. P.*
in einer Außenkabine

NORWEGEN


Auf den Spuren der Postschiffroute


15-TÄGIG
ab/bis

Hamburg

Free download pdf