Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

ein ziemlich starker Kokser. Heute ist er
an einem Punkt, an dem er einsieht, dass
es so nicht weitergehen kann, wenn er
nicht zum Ekel werden will.
»Der Stoff macht mich selbstbewusst,
das steigert sich mit der Dosis, und am
Ende führe ich mich dann ziemlich selbst-
herrlich auf.« Einmal saß er mit Freunden
in einer Bar in Hamburg, am Nachbartisch
Engländer, die ins Gespräch kommen woll-
ten; Florian ließ sie auflaufen, fühlte sich
gut und mit jedem rotzigen Satz besser.
»Ich habe diese Arroganz sehr gern zur
Schau getragen, ich war dieser coole Typ,
der die coole Droge nimmt. Und ich be-
nahm mich immer öfter auch in Momen-
ten so, in denen ich kein Kokain genom-
men hatte.« Sein neuer Begleiter war nun
die Ungeduld, die Kälte, mit der er auf
andere herabschaute. »Sogar die eigenen
Freunde konnte ich manchmal kaum noch
ertragen, Fremde schon gar nicht.«
Wie Lukas hielt sich auch Florian am
Anfang »für einen ziemlich reflektierten
Konsumenten«; dann spürte er langsam,
wie sich immer mehr um Koks drehte.
Etwa bei einer Familienfeier: ein Tisch im
Garten, gutes Essen, Getränke, eine schö-
ne Stimmung, »und dann habe ich mich
bei dem Gedanken erwischt, wie nett jetzt
doch eine Nase Kokain wäre«.
Florian hasst diese Momente, in denen
das Kokain seinen Kopf erobert, be-
herrscht, nicht mehr freigibt. Er wollte die
Kontrolle zurück. Seit Januar, sagt er, habe


er nur noch einmal gekokst. Aber ganz
aufhören? In seinem Philosophieseminar
kokse sicherlich die Hälfte, sagt er. Auch
der Bekannte, der ein Café führt und
denkt, ohne Koks nicht lang genug in der
Küche stehen zu können. Oder die Mutter
einer Freundin, die in einer Castingagentur
arbeitet. Oder der Bekannte seines Vaters,
Unternehmer. Sogar die junge Frau, die er
kürzlich beim Tischtennis kennengelernt
hat und die so unauffällig wirkt: lässt sich
regelmäßig Koks kommen. Machen die an-
deren ja auch. Und alles beste Ware, ganz
leicht zu bekommen.

Die Produzenten


Kolumbien, das Land, in dem die Weltrei-
se des Kokains startet – von den Feldern
der Provinz Putumayo in die Klubs von
New York, Moskau, Berlin. Ein Mann mit
Spitzbart und Schirmmütze, den alle nur
Sneider nennen, sitzt auf der breiten Ve-
randa, die er vor ein paar Monaten gebaut
hat. Hinter seinem Haus beginnt der Ur-
wald, nach vorn guckt er auf fünf Hektar
Koka, grüne, brusthohe Sträucher. Sein
Stolz, sein Geld, sein Leben.
Das Feld hat Sneider selbst gerodet;
Knochenarbeit in der feuchten Hitze des
Dschungels. Deshalb kann er kaum glau-
ben, dass ihn einer ernsthaft so etwas fragt:
Warum er nicht Kartoffeln anbaut? Oder
Kaffee? Mais? Reis? Irgendwas, nur nicht
Koka. Genauso gut könnte man ihn fragen,

ob er mal für 15 Minuten die Luft anhalten
will, um das Weltklima zu retten.
»Natürlich muss ich hier Koka anbau-
en«, sagt er. »Ist doch das Einzige, was ge-
nug abwirft.« Um die Ernte in den nächs-
ten größeren Ort zu bringen, braucht er
mit dem Boot sechs, sieben Stunden. Mit
Kartoffeln oder Mais würde er kaum das
Geld für den Sprit wieder herausbekom-
men. Die Kokspaste, die er macht, wird
sogar abgeholt.
Sneider schaut eine kleine Böschung hi-
nab, zum Fluss. Die einzige Verbindung
nach außen. Es gibt keinen Strom, kein Te-
lefon, keine Kanalisation, keinen Arzt. Und
auch keine Polizei, keine Richter, genau
genommen kein Gesetz. Das alte Problem
Kolumbiens. Viel zu viel Land für viel zu
wenig Staat. Für Sneider, den Koksbauern,
ist das weniger Problem als Lösung.
In der Gegend haben jetzt wieder linke
Farc-Guerilleros die Kontrolle übernom-
men. Aber ob Farc oder Mafia, vom Koks
leben sie alle, mehr oder weniger. Eine
Zeit lang war es weniger; die Regierung
kämpfte gegen die Farc und schickte nicht
nur Soldaten, sondern seit Mitte der Neun-
zigerjahre auch Sprühflugzeuge mit dem
Pflanzenkiller Glyphosat. Ohne Koka kein
Geld, ohne Geld keine Gewehre, so war
das Kalkül. Von den 163 000 Hektar im
Jahr 2000 waren deshalb 2013 noch
48 000 Hektar Anbaufläche übrig.
Dann kamen die Friedensverhandlun-
gen, und der Frieden war gut für Männer

DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019 47


OLIVER TJADEN / LAIF
Containerhafen Antwerpen: Geschätzt 95 Prozent kommen durch

Marktplatz Europa
Sichergestelltes Kokain,
in TonnenQuelle: UNODC

2007
80

2017

143


Belgien 31 Spanien 29

Frank-
reich 12

Nieder-
lande 10

Deutschland 6

Groß-
britannien 4

Sonstige 8

Kokain-
funde
in den Ländern,
Anteil in Prozent
2017

Quelle: Europäischer Drogenbericht 2019

2017

+28%


–5%


Preis-Leistungs-Verhältnis
Veränderung von Q Preis und
Q Reinheitsgrad gegenüber 2007
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