Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

wie Sneider. Es regnete kein Glyphosat
mehr, und nach den Farc-Rebellen übernah-
men sofort Drogenbanden das Kokage-
schäft. Finanziert auch von den Kartellen
in Mexiko mit ihrem brutalen Sinn für Ex-
pansion. 209 000 Hektar sind es heute in
Kolumbien, schätzt ein westlicher Nachrich-
tendienst; »die Anbaufläche ist explodiert«.
Von den Feldern Kolumbiens stammen
fast 70 Prozent des Kokains weltweit. Der
Rest kommt aus Bolivien und Peru – noch
zwei Namen für zu viel Land und zu wenig
Staat. Über Bolivien schrieb im April ein
deutscher BKA-Ermittler in einem Bericht,
der eigentlich vertraulich bleiben sollte:
»Kokainbekämpfung findet in nennens-
wertem Ausmaß nicht mehr statt. Ein poli -
tischer Wille ist nicht einmal im Ansatz zu
erkennen.« Der Rest war Sarkasmus: »Die
Statistiken, mit denen Bolivien jeglicher
Kritik von außen begegnet, sind das über-
aus geduldige Papier nicht wert, auf dem
sie gedruckt sind.«
Aus den Dschungeln der Koksländer
geht der Stoff an die Küsten, meist in die
Containerhäfen im Osten. »Brasilien stößt
in schwindelerregende Höhen vor«, heißt
es im BKA-Bericht. Brasilien ist demnach
schon seit 2013 die Hauptdrehscheibe, um
Kokain nach Europa einzuschiffen. Auf
der Zulieferroute liegt dann auch noch ein
Land, das sich erst gar keine Mühe mehr
machen muss, einen politischen Willen im
Kampf gegen Drogen zu heucheln. Vene-
zuela. Seit das Ölembargo der USA der
Wirtschaft und der korrupten Regierung
von Volkstribun Nicolás Maduro den
Schmierstoff nimmt, wird Kokain als Er-
satz immer wichtiger.
»Unsere Ermittlungen haben ergeben,
dass sowohl Mitglieder der Regierung als
auch hochrangige Militärs in den Drogen-
handel verstrickt sind«, sagt ein US-Dro-
genjäger. Auch Europol beobachtet: »Im-
mer mehr Kokain läuft über Venezuela


nach Europa.« Um den ungehinderten
Transport kümmern sich dann internatio-
nale Drogenbanden.

Die Großdealer


Zugriff: Als das Polizeikommando am


  1. Dezember 2018 morgens um vier mit
    der Tür ins Haus fiel, schien Gioacchino R.,
    genannt Gino, nicht besonders beein-
    druckt. Er kannte das ja schon. »Herr R.
    wirkte sehr gefasst und erklärte, aufgrund
    seines Vorlebens mit dem Ablauf vertraut
    zu sein«, vermerkte das Landeskriminal-
    amt hinterher. Das einschlägige Vorleben
    des Gino R. aus Solingen umfasste eine
    Geburt in Palermo auf Sizilien, offenbar
    stabile Familienbande zur kalabrischen
    Mafia ’Ndrangheta und einen Strauß an
    Vorstrafen in Italien; Drogen, Betrug,
    Überfälle auf Autofahrer an der Autobahn.
    Den Hausbesuch morgens um vier ver-
    dankte er seiner mutmaßlichen Rolle in
    einer Kokainbande.
    Nicht einer von diesen Straßenbanden,
    die das Zeug Gramm für Gramm verticken,
    sondern einer Großdealer-Gang, wie sie
    den Ermittlern selten ins Netz geht. Mit
    eigenen Leuten in Südamerika, eigenen
    Containertransporten nach Europa. 84
    Fest nahmen gab es an jenem Dezembertag
    in der »Operation Pollino«, benannt nach
    einem Berg in Kalabrien; 47 Beschuldigte
    allein in Deutschland. Und ausnahmsweise
    lieferte »Pollino« mal Einblicke ins sonst
    so abgeschottete Großgeschäft.
    In der Akte der Staatsanwaltschaft sieht
    die Sache so aus: Jahrelang hatte sich
    Gino R. die Tarnung eines Nobodys ver-
    passt. Kam nach Deutschland, lebte bei
    einem Verwandten in Lüdenscheid, half
    in einem Düsseldorfer Restaurant aus, ver-
    diente nicht mal 1200 Euro brutto im Mo-
    nat. Später jobbte er auf dem Bau, seine
    Freundin musste putzen gehen, damit das


Geld bis zum Monatsende reichte. Ein Le-
ben auf Kante genäht, wie so viele.
Allerdings fragten sich die Fahnder, die
ihn überwachten, warum sich ihr Mann
ohne Eigenschaften so »äußerst konspira-
tiv« verhielt. Und noch etwas passte nicht
ins Bild: dass Gino R. im Januar 2015 eine
Firma mitgegründet hatte, die aus Kolum-
bien Holzkohle importierte. Und Bretter
aus Guyana. Rötliches Holz der Sorte Wa-
mara, in Westeuropa kaum gefragt, prak-
tisch unverkäuflich. Warum ließ ein Mann,
der kein Geld hatte, kein Deutsch konnte,
keine Ahnung von Holz im Speziellen und
der Leitung einer Firma im Allgemeinen
hatte, so etwas in einen Seecontainer nach
Europa packen?
Mit Kokain wird mehr Geld gemacht
als mit jeder anderen Droge; 300 Milliar-
den Euro weltweit, schätzten deutsche Ge-
heimdienstler. Europa ist nach Nordame-
rika der zweitgrößte Markt; ein Viertel der
Kokser lebt in Europa, vermutet die Uno.
Da muss der Stoff also hin. Man hat ihn
schon auf Segeljachten, Schnellbooten und
Fischkuttern gefunden. Erst kürzlich düste
ein Privatjet mit 600 Kilo von Uruguay
nach Nizza und weiter nach Basel – der
Premiumversand. Im kleinen Schmuddel-
schmuggel sitzen Kuriere in die Touristen-
klasse, haben den Stoff in Kondomen
heruntergeschluckt, tragen ihn unter der
Perücke, sogar in Brustimplantaten.
Der Königsweg nach Europa ist aber
seit Jahren der Seecontainer. Einer der
größten Funde aller Zeiten, 19 Tonnen im
Juni, war auf mehrere Container verteilt,
die ein Frachter in Philadelphia an Bord
hatte. Sie sollten nach Rotterdam gehen.
Tausende dieser Kisten passen auf ein
Schiff, Millionen Kisten schippern über die
Weltmeere. Jede mit genug Platz, um Koks
im Straßenwert von ein paar Hundert Mil-
lionen Dollar zu verstecken, je nachdem,
wie voll die Banden die Container packen
und wie stark sie die Ware später strecken.
Machten sich die Gangs früher noch die
Mühe, den Stoff in aufgeschnittene Ana-
nas zu quetschen, stecken sie ihn heute
einfach in Sporttaschen oder Kartons.
Dann knacken sie in Südamerika einen
schon beladenen Container und legen das
Kokain dazu. Komplizen in Europa fi-
schen es meist schon im Hafen wieder he-
raus. »Rip-on, Rip-off« nennen das die
Fahnder. Die Firmen, die den Container
losschickten, wissen in der Regel nichts
davon, haben mit dem Deal nichts zu tun.
Bei Gino R. und seiner Firma war das
aber wohl anders, er steckte offenbar mit
drin. Und dass ihm die Polizei morgens
um vier die Tür einrammte, lag an Giu -
seppe T., einem Mafiaboss in Italien. Der
Mann mit dem Spitznamen »Principale«,
Chef, hatte Angst, von anderen Mafia -
paten liquidiert zu werden. Im Juli 2015
ging er zur Polizei und packte aus. Auch

48

Deutschland

FEDERICO RIOS / DER SPIEGEL
Kokainaufkäufer der Farc im kolumbianischen Dschungel: Zu viel Land, zu wenig Staat
Free download pdf