Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

über Ginos kleine Firma in Nordrhein-
Westfalen und das große Geschäft der
’Ndrangheta in Kolumbien.
Während der letzten Kokswelle be-
herrschten noch Drogenbarone wie Pablo
Escobar oder die Ochoa-Brüder aus Kolum-
bien heraus die Lieferkette nach Nordame-
rika und Europa. Nun haben die Mafia und
andere Gangs aus Europa eigene Statthalter
in Südamerika. Vor allem Albaner sind laut
Interpol die neue Macht im Koksgeschäft.
»Die Gruppen aus Europa wollen den
Stoff direkt von den Herstellern haben; so
sparen sie beim Transport und bekommen
ein größeres Stück von der Wertschöpfungs-
kette ab«, erklärt Interpol-Fahnder Andres
Bastidas. Die Handelsvertreter sammeln
zu Hause das Geld der Mafiafamilien oder
Dealerringe ein, stellen einen Einkaufszet-
tel zusammen, besorgen in Übersee en gros
für alle. Aufgeteilt wird später in Europa.
Nach diesem Muster hatte auch der Princi-
pale schon zwei Millionen Euro für den
Kokseinkauf zusammengetragen – sein ei-
genes Geld und das anderer Mafiagrößen.
Auf der anderen Seite stehen die Ko-
lumbianer mit hoch spezialisierten Gangs
für den Koksanbau, die Drogenlabors und
den Transport zur Küste. Auch sie haben
sich zu Genossenschaften zusammengetan.
»Das erklärt, warum Kokain heute immer
gleich tonnenweise gefunden wird«, sagt
Interpol-Mann Bastidas.
Der erste Container von Gino R. landete
im Frühjahr 2015 in Hamburg, 640 Säcke
Holzkohle mit dem Aufdruck »Best Quali-
ty«, geprüft vom Zoll; Ergebnis: sauber.
Nur dass sich Gino R. offenbar gar nicht
dafür interessierte. Noch 2017 lagen genau
solche Säcke unverkauft vor einer Halle in
Hürth herum. Der nächste Container, An-
kunft im Oktober 2015 in Antwerpen, hat-
te Holz geladen – diesmal strandete die
Fuhre in Schwalmtal.
Für die Ermittler eine klare Sache: Das
waren die Probelieferungen, um zu sehen,
ob die Container durchkommen, und um
den Zoll einzulullen. Neue Firmen gelten
als verdächtig. Je mehr saubere Lieferun-
gen sie vorweisen können, umso kleiner
das Risiko, dass der nächste Container
noch aufgemacht wird.
Der mit dem Koks. Der traf am 6. De-
zember 2015 in Rotterdam ein und wurde
doch kontrolliert. Ganz hinten, auf einem
Stapel Bretter, lagen fünf Kartons, eine
Sporttasche und ein Samsonite-Koffer. Die
Drogenspürhunde »Rambo« und »Rocky«
schlugen an, ein Teströhrchen färbte sich
blau, kein Zweifel: Kokain, 82,3 Kilo, Rein-
heitsgrad um die 80 Prozent. Eine Groß-
lieferung sieht heute zwar anders aus, aber
die Fahnder glauben, dass die Gruppe
1,2 Tonnen nach Europa holen wollte. So
steht es in der Ermittlungsakte.
Anfangs dachten die Drogenjäger in
den Niederlanden noch, Firmengründer


DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019 49

Vom Kartell zum
Konsumenten
Kokainhandelsrouten*
nach Europa und
Nordamerika

* nach Anzahl der Beschlagnahmungen
2013 bis 2017; Quelle: UNODC 2019

Bedeutende
Herkunftsländer
Transitländer
Zielländer
Transit- und Zielländer
Kokainhandelsrouten

KOLUMBIEN

BOLIVIEN

PERU

Gino R. habe nichts damit zu tun. Doch
spätestens als sich im Mai 2017 am Telefon
ein »Toto« bei ihm meldete, um zehn
»Brötchen« abzuholen, ging die Polizei da-
von aus: Gino R. gehörte zur Bande. Sein
Anwalt ließ eine SPIEGEL-Anfrage dazu
unbeantwortet; in ein paar Wochen will
die Staatsanwaltschaft ihn anklagen.

Die Kleindealer


Einen aus der Liga der Ginos oder Giu-
seppes bekommt Florian, der Student aus
Berlin, nie zu sehen. Immer nur das Ende
der Kette, die Jungs auf der Straße, die
das »Brötchen« ausfahren. Sie liefern mit
dem »Taxi«, so heißen die Kurierdienste,
die Bestellungen am Telefon aufnehmen
und in der nächsten halben Stunde einen
Wagen mit dem Koks vorbeischicken. Kur-
ze Fahrt um den Block, Fahrer: »Na, mein
Großer, alles gut?«, Florian: »Ja, alles gut,
muss.« Übergabe, 50 Euro gegen eine
Kapsel mit 0,7 Gramm. Bis zum nächsten
Mal.

Meistens, sagt Florian, seien die Fahrer
jung, vermutlich Araber oder Türken, eher
keine Italiener, aber man frage ja nicht.
»Die sind unheimlich höflich, wahrschein-
lich auch deshalb, weil die Konkurrenz so
groß ist«, glaubt Florian. Denn »es gibt
unglaublich viele ›Taxen‹ in Berlin, irgend-
ein Freund hat immer eine neue Nummer,
die man noch nicht ausprobiert hat«.
Das hat mittlerweile auch die Berliner
Polizei begriffen. Sie hat die Ermittlungen
zu Rauschgifttaxis bei einem Fachkommis-
sariat gebündelt. 35 Verfahren laufen, der
Chef der Berliner Drogenfahndung schätzt,
dass einige »Taxizentralen« jeden Tag
mehr als hundert Bestellungen abarbeiten.
Manche liefern sich untereinander sogar
Rabattschlachten. Die SMS »Hey, ich bin’s,
euer Toni. Ich habe wieder super tolles
Bier im Angebot: vier plus eins« übersetzt
Florian mit: Wer vier Kapseln Koks kauft,
bekommt die fünfte gratis. Und liefen die
Deals früher in kleinen, streng abgeschot-
teten Zirkeln, sieht die EU-Antidrogen -
behörde heute eine »neue Qualität im
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