Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1
Kokainhandel«, weil »soziale Medien re-
lativ offen genutzt werden, Kokain zu be-
werben«. Auf den wild wuchernden Inter-
netmarktplätzen im Darknet lassen sich
Koksverkäufer und ihr Stoff inzwischen
von Kunden bewerten wie bei Ebay.
Ganz so dick wie die Konkurrenz war
das Kokstaxi aus Rüdersdorf bei Berlin
noch nicht im Geschäft. Aber René F. und
sein kleiner aufstrebender Familienbetrieb
hatten ja gerade erst angefangen, im Sep-
tember 2018. Den Stoff bekamen sie, so
steht es in der Anklage, vermutlich von ei-
nem Mann, der zum Berliner Araber-Clan
der Rammos gehört. Vielleicht erklärt die
stadtbekannte Bezugsquelle, warum die
Polizei Familie F. schon beim ersten Deal
überwachte.
Vater René lebte vorher wie seine Ex-
Frau von Hartz IV, ihr Sohn lernte Auto-
verkäufer. Mit Drogenhandel hatte bis da-
hin nach Aktenlage keiner etwas zu tun.
Dass solche Amateure es trotzdem gleich
mit Koks versuchen, dem teuersten Stoff,
verrät viel über die Verfügbarkeit – und
die Nachfrage. Im März war damit dann
aber Schluss. Der Patron bekam vier Jahre
und drei Monate, für die anderen gab es
Bewährung. Alle hatten gestanden.

Die Ermittler


Schöner Erfolg für die Fahnder oder nicht?
In Wahrheit sind die Erfolge ein Witz, und
im belgischen Antwerpen ist der Witz nur
zwei Sätze lang. Schon gehört? Im Hafen
haben sie gestern im Kokain ein paar Ba-
nanen gefunden.
Den Kalauer hört man in Lissabon, bei
der EU, und wenn ihn schon EU-Beamte
erzählen, sagt das viel über die Lage in
Antwerpen. Der Kampf gegen Koks in
Antwerpen ist verloren, heißt es überall,
Antwerpen ist verloren.
Auch wenn einiges an Stoff über Afrika
und Spanien kommt, gilt der belgische Ha-
fen als Kokstrichter Europas. Noch vor
Rotterdam und mit weitem Abstand vor
Hamburg. 51 der 150 Tonnen, die 2018 in
Europa beschlagnahmt wurden, fischten
die Ermittler in Antwerpen heraus; in die-
sem Jahr waren es bis Ende Oktober schon
wieder fast 42 Tonnen. In der Logik jedes
Fahnders, der sich nicht lächerlich machen
will, kann das nur eines heißen: Nirgend-
wo versuchen es die Banden so oft, und
nirgendwo kommen sie so leicht durch.
Der Hafen, den die Schmuggler lieben,
ist nach Fläche der größte der Welt. 120
Quadratkilometer, ein Moloch, maximal
darauf getrimmt, die Container schnell ab-
zufertigen, knapp sieben Millionen im Jahr.
Nichts soll die Anziehungskraft von Ant-
werpen auf die Weltwirtschaft mindern,
Schnelligkeit, sagen Fahnder, gehe hier
noch mehr vor Sicherheit als in anderen
Häfen. Daran kann auch eine Sonderein-

heit der belgischen Polizei mit 40 Ermitt-
lern nicht viel ändern. »Alles, was im Hafen
gut für die Wirtschaft ist, nutzt auch den
kriminellen Banden«, sagt Manolo Tersago,
ihr Chef. Und auf die Frage, was er brauch-
te, kommt die lapidare Antwort: Personal,
»so schnell wie möglich«. Ihm fehlen Leute,
für die Suche nach dem Stoff, dem Geld,
den Hintermännern. Nach allem.
»Der Hafen wurde über Jahre hinweg
von den Kartellen aus Albanien und Ma-
rokko infiltriert«, stöhnt ein Drogenfahn-
der. Ein vertraulicher Bericht der Antwer-
pener Polizei zeichnete schon 2017 das
Bild einer Enklave, die der Staat weitge-
hend an die Drogenmafia verloren hat.
»Die schrecken vor nichts zurück«, be-
schreibt Chefermittler Tersago die Lage,
nicht mal davor, Polizisten mit Mord zu
drohen.
So weit muss es aber nicht kommen.
Die Banden verdienen so viel Geld, »die
können sich jeden kaufen, den sie wol-
len«, so Tersago. Und das tun sie auch.
60 000 Menschen arbeiten direkt im Ha-
fen. Die Banden schicken Anwerber in
Cafés, in Fitnessstudios, immer auf der
Suche nach Leuten aus dem Hafen, die
helfen, das Zeug aus den Containern zu
holen. So eine Stahlkiste für zwei Stun-
den an eine ab gelegene Stelle zu hieven,
wo sie kein Ermittler vermutet, kostet
einen Container stapler nur Minuten,
bringt ihm aber nach Tersagos Schätzung
25 000 bis 75 000 Euro.
Der Hauptgewinn für Gangs ist ein be-
stochener »Selektor«, ein Zollbeamter, der

50 DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019

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NICOLÓ LANFRANCHI / DER SPIEGEL

Zu Hause


im Irgendwo


Am Ende ihrer Odyssee hatten Augustine A.
und Joëlle S. doppeltes Glück: Vor gut
einem Jahr fischten die Seenotretter der
»Aquarius« sie aus dem Mittelmeer, nach


tagelanger Irrfahrt und EU-Streit um die
Aufnahmeländer durften sie schließlich in
Malta von Bord. Zusammen mit anderen
Bootsflüchtlingen aus Afrika bekamen sie
dadurch ganz zufällig einen enormen
Vorteil im EU-Aufnahmeroulette: Transit in
Rekordzeit. Was ist aus den »Aquarius«-
Migranten geworden? Eine Spurensuche in
Deutschland, Frankreich und Luxemburg,
die zeigt, wie chaotisch die europäische
Flüchtlingspolitik noch immer ist und wie
willkürlich der Traum vom guten Leben in
Europa in Erfüllung geht – oder zerplatzt.

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