Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

entscheidet, ob ein gerade abgeladener
Container durchsucht oder durchgewinkt
wird. Im Hafen von Rotterdam gab es mal
einen, der mitgemacht hat, weil er für 100
Kilo Koks, die er durchließ, 250 000 Euro
kassierte. Das war das eine. Das andere:
»Sie wussten alles über mich, sogar, wo mei-
ne Kinder zur Schule gingen«, sagte der
Mann 2015 nach seiner Verhaftung.
Ein geschmierter Zöllner, was könnte
besser sein für die Syndikate? Tatsächlich
läuft es aber auch ohne nicht viel schlech-
ter. Wenn die Koksfahnder keinen Tipp
bekommen haben, wo sie suchen sollen,
verlieren sie sich in den Tiefen der Lade-
räume. Ende September klettern im Ham-
burger Hafen drei Beamte des Hauptzoll-
amts, Sachgebiet C, Schiffskontrollen, in
den Bauch eines 300-Meter-Container -
riesen, der am Burchardkai liegt. An einer
Bodenluke neben der Rudermaschine
setzt einer den 30-Millimeter-Schlagboh-
rer an, siiiit, siiit, siiiiiit, 20-mal, dann ist
die Luke zum Ballasttank offen. Und fünf
Minuten später wieder zu. Die eine Luke.
Es gibt Hunderte solcher Luken auf die-
sem Schiff. Tausende Hohlräume. Dazu
mehr als 14 000 Container, wenn der
Frachter voll ist. Und von solchen Riesen-
pötten kommen jedes Jahr ein paar Hun-
dert an. Jahresleistung des Hafens: 5,4 Mil-
lionen Container. Wenn von denen einer
auf dem Ladedeck in der zweitobersten
Reihe steht, eingeklemmt zwischen ande-
ren, wie kommt man da überhaupt hin?
»Manchmal gar nicht«, sagt der Zöllner.
Er könnte ihn natürlich abladen lassen.
Wie in allen Großhäfen spucken Compu-
terprogramme aus, welche Container be-
sonders verdächtig sind; es geht dann da-
rum, ob sie aus Südamerika kommen, was
sie geladen haben, ob die Firma bekannt
ist, die sie nach Europa holt. Der Zoll könn-
te einen Container zur Röntgenanlage fah-
ren lassen, die gut 100 Stück am Tag
schafft. Aber das dauert, und wenn nichts
gefunden wird, wie meistens, stellt sich die
Frage, ob das nötig war. Auch der Ham-
burger Hafen will schnell sein.
»Man muss in diesem Beruf auch verlie-
ren können«, sagt der Zöllner. Dass sie im
Sommer den größten Fund aller Zeiten in
Deutschland machten, 4,5 Tonnen, hebt
natürlich die Moral. Früher haben sie
schon gefeiert, wenn sie 20 Kilo hatten.
Aber hat sich irgendetwas auf dem Markt
getan, weil 4,5 Tonnen Koks fehlen; sind
die Preise gestiegen, weil das Angebot
knapper wurde? Nichts, absolut nichts.
»Trotz der sichergestellten Rekordmen-
gen lässt sich keinerlei Änderung des Tä-
terverhaltens feststellen«, schrieb das BKA
schon im April. Das »lässt nur den Schluss
zu, dass die Schmerzgrenze noch nicht er-
reicht wurde«. »Wir ahnen, dass der Groß-
teil durchkommt«, sagt auch Günther Los-
se, der Chef der Hamburger Kontrollein-


heit. Und wieder das BKA: »Das würde
bedeuten, dass ungeheure Mengen Kokain
auf den europäischen Markt gelangen müs-
sen.« Kein Fahnder, der widerspricht.
Viele Ermittler haben kaum noch Hoff-
nung, den Kampf zu gewinnen. Der Chef
der Hamburger Zollfahndung, René Matsch -
ke: »Wir stoßen nie auf feste Strukturen
und wissen deshalb nicht, wer den Stoff
hereinholt. An die Bosse kommen wir
meist nicht heran.« Andres Bastidas, In-
terpol: »Es ist viel schwerer geworden, die
großen Fische zu schnappen.« Peter Keller,
leitender Drogenfahnder des Zollkriminal-
amts in Köln: »Es gibt zu viel Koks im
Markt, und wir finden nur die Spitze des
Eisbergs.«
Schuld an der Misere hat auch die Poli-
tik. Die habe sich »nicht mehr so sehr« für
Drogenschmuggel interessiert, heißt es aus
dem Zollkriminalamt. Das Gleiche bei
Europol: Drogen seien der Politik »schon
lange irgendwie von der Agenda gekippt«.
In Antwerpen zum Beispiel wurden Poli-
zisten nach den Anschlägen in Brüssel aus
dem Hafen abgezogen, um Terroristen
zu jagen. Beim Zoll in Hamburg sind
mehr als zehn Prozent der Stellen in der
Schiffskontrolle unbesetzt; die Suche nach
Schwarz arbeitern erscheint wichtiger.
Also nachgehakt bei der neuen Drogen-
beauftragten der Bundesregierung, Danie-
la Ludwig (CSU). Die sieht die Probleme
vor allem in Kolumbien, weit weg. Auf
Nachfragen zu Deutschland kommt nur
Schweigen. SPD-Gesundheitspolitiker Lau -
terbach nimmt die Kritik immerhin an:
»Den Ermittlern fehlen schlicht die Mittel.
Das Thema Drogen hatte nicht die Priori-
tät, die ihm zusteht.«
Die Innenexpertin der Grünen im Bun-
destag, Irene Mihalic, fordert deshalb
mehr Geld für die Polizei, aber auch für
Aufklärung und Therapie. Dagegen formu-
liert der drogenpolitische Sprecher der Lin-
ken, Movassat, schon die Kapitulations -
erklärung: Er ist für Kokain vom Staat,
eine regulierte Abgabe. Nur so könne man
die Weltmacht der Narcos noch erschüt-
tern, ihr Milliardengeschäft austrocknen.
Das wäre die radikalste Lösung. Und
die verzweifeltste. Der Kampf gegen Ko-
kain scheint längst verloren, auf den Fel-
dern Kolumbiens, in den Häfen Europas,
auf den Straßen von Berlin. Die Lawine
rollt; was soll sie jetzt noch aufhalten?
Jürgen Dahlkamp, Jörg Diehl, Gunther
Latsch, Claas Meyer-Heuer, Juan Moreno,
Jörg Schmitt, Katja Thimm, Andreas Ulrich
Mail: [email protected]

51

Deutschland

Interaktiv
Eine Nacht im geheimen
Koks-Chat
spiegel.de/sp462019kokain
oder in der App DER SPIEGEL

Bildnachweise: Kai Bublitz

Nächste Woche


im SPIEGEL:


S-Magazin


Das Stilmagazin


vom SPIEGEL


Themen der Ausgabe:


Zeit für eine bessere Welt
Eine schwedische Firma
stellt Uhren aus recycelten
Waffen her

Denn sie wissen,
was sie tun
Sechs Menschen erzählen
vom Glück, in ihrer Arbeit
einen Lebenssinn zu fi nden

Außerdem:
Das gezeichnete Interview
mit Inma Bermúdez
Free download pdf