Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

58


Reporter


Innovationen


Brauchen wir digitale


Grabsteine, Herr Lutz?


SPIEGEL:Herr Lutz, Sie haben einen
Grabstein mit eingebautem Computer-
bildschirm entwickelt. Wie sind Sie auf
diese Idee gekommen?
Lutz: Ich habe vor 15 Jahren einen
Freund durch einen tragischen Autounfall
verloren. Sein Facebook-Profil hat nach
seinem Tod weiter existiert. Es sind Ver-
linkungen hinzugekommen, Kommenta-
re, Bilder wurden hochgeladen. Ich habe
mich gefragt, ob das den Angehörigen
recht gewesen ist – und auch meinem
verstorbenen Schulfreund. Das war der
Beginn meiner Überlegungen.
SPIEGEL:Was sieht man, wenn man auf
einen Stein mit Bildschirm stößt?


Lutz: Üblicherweise ist der Bildschirm
dunkel, im Stand-by-Modus. Die Angehö-
rigen können entscheiden, wer was sehen
kann. Der Zugang zu den Inhalten ist
über einen QR-Code möglich, der auf
dem Grabstein zu finden ist. Man kann
die Zugriffsrechte abgestuft vergeben, nur
an Hinterbliebene beispielsweise.
SPIEGEL:Bilder sind möglich, auch
Videos. Wie steht es mit Audio?
Lutz:Auch das ist eine Option. Es
be finden sich allerdings keine Boxen am
Bildschirm und auch keine Buchse. Die
Audiodatei wird über das Smartphone
des Besuchers abgespielt.
SPIEGEL:Der braucht Kopfhörer, oder?
Lutz:Das wäre angebracht.
SPIEGEL: Manche Menschen haben einen
seltsamen Humor, selbst wenn es um den
eigenen Tod geht. Könnte es ein Problem
mit unangebrachten Videos geben?

Lutz:Verantwortlich für den Inhalt sind
die Angehörigen, aber wir können gern
beraten.
SPIEGEL:Nicht alle Gemeinderäte sind
glücklich darüber, dass die Digitalisierung
nun auch die Friedhöfe verändert. Einige
haben sich gegen digitale Grabsteine
ausgesprochen.
Lutz:Das sind kleine Gemeinden, ich
glaube nicht, dass der Fortschritt auf -
zuhalten ist.
SPIEGEL:Haben Sie sich schon Gedanken
über Ihren Grabstein gemacht?
Lutz:Ich habe darüber nachgedacht. Mein
Grabstein wird auch einen Bildschirm -
tragen. Der soll ein Foto von mir zeigen
und wohl auch etwas über unsere Firma.
Unser Betrieb existiert ja bereits in der
sechsten Generation. UBU

Peter Lutz, 34, ist Steinmetz aus Tirol.

die Volkspolizei unseren
Kofferraum öffnet, meine
Kinderbücher durchblättert.
Dieses Foto hat mein Stiefva-
ter mit seiner Leica gemacht.
Danach griff auch er nach
einem Hammer. Wir hatten
uns einen Abschnitt mit
Farbe ausgesucht, dort, wo
heute der Potsdamer Platz ist.
Damals war dort Brachland.
Die Mauer war hart, bei
jedem Schlag splitterte immer
nur ein wenig ab. Ich nahm
ein Stück Mauer mit nach
Hause, fünf Zentimeter lang,
mit Farbflecken, eigenhändig
herausgehauen. Ich bewahre
es bis heute in meinem
Schmuckkästchen im Schlaf-
zimmer auf. Wir wohnen an
der Bernauer Straße, beim
alten Mauerstreifen. Das Bild
ließ mein Mann groß drucken
und hängte es bei uns ins
Gästezimmer. Mein Mann ist
Schotte, ich habe ihn vor
sieben Jahren kennengelernt.
Im vergangenen Winter
hielt er um meine Hand an.
An der Mauer.«
Aufgezeichnet
von Timofey Neshitov

Familienalbum

Mauerspechte,


1989


Laura Schneider, 34, aus Berlin:
»Es war kurz vor meinem fünften
Geburtstag, der zweite Samstag
nach Grenzöffnung, es muss der


  1. November 1989 gewesen sein.
    Auf dem Boden lagen Eis und
    Schnee. Meine Mutter und ich
    hauten auf die Mauer ein, jede mit
    ihrem Hammer. Der Stein war
    kalt, das Eisen war kalt, aber ich
    habe nicht gefroren. Um uns
    herum waren all diese Menschen,
    auch sie mit ihren Hämmern und
    Meißeln, ich erinnere mich daran,
    wie einer von ihnen rief: Mauer-
    spechte, wir sind die Mauerspech-
    te! Es lag etwas Großes in der
    Luft, Menschen lachten und
    weinten, die Mauer trennte nicht
    mehr, sie war jetzt ein Treffpunkt.
    Das begriff ich damals natürlich
    nicht, aber ich wusste, dass wir
    nun unsere Oma in Hessen besu-
    chen konnten, ohne auf der Ost-
    autobahn kontrolliert zu werden.
    Diese Fahrten gehören zu mei-
    nen ersten Erinnerungen: wie


‣Sie haben auch ein Bild, zu dem Sie uns
Ihre Geschichte erzählen möchten?
Schreiben Sie an:[email protected]

»Was Gerüche angeht, bin ich irgendwo zwischen Mensch und Hund.«‣S. 60
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