Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

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Günter Höglinger, 48, ist Direktor der
Klinik für Neurologie an der Medizinischen
Hochschule Hannover und Präsident
der Deutschen Parkinson Gesellschaft.


SPIEGEL:Wann haben Sie das erste Mal
von Joy Milne gehört?
Höglinger:2017, in einem BBC-Beitrag.
Seitdem verfolge ich mit großem Interesse,
was die Kollegen in Manchester machen. Je
früher man Parkinson erkennt, desto höher
die Chance, eine Therapie zu ent wickeln.
Es gab schon Versuche, Parkinson mit Blut-,
Rückenmarkflüssigkeits- oder Speichelpro-
ben zu diagnostizieren. Geruch ist ein neuer
und hoffentlich rich tiger Ansatz.
SPIEGEL:Glauben Sie, auch elektroni-
sche Nasen können Parkinson erkennen?
Höglinger:Warum nicht, die Studien -
ergebnisse aus Großbritannien scheinen
solide zu sein. Der Zeitpunkt ist jedenfalls
günstig, ich hoffe, dass Parkinson endlich
geknackt wird.
SPIEGEL:Reden Sie mit Ihren Patienten
darüber?
Höglinger:Meine Patienten wissen,
dass wir die Symptome mindestens zehn
Jahre lang gut kontrollieren können.
Ob es bis dahin eine krankheitsverzögern-
de Behandlung geben wird, weiß nie-
mand, aber es hat sich so viel getan in der
Forschung. Die Achtziger- und Neunziger -
jahre wirken im Rückblick wie Steinzeit.
SPIEGEL:Weil man nicht viel mehr wuss-
te als James Parkinson 1817?
Höglinger:Wir kannten die Ursachen
nicht. Die Parkinson-Krankheit war:
Zittern, Muskelsteifheit, Nervenzellver-
lust. Heute ist Parkinson biochemisch
definiert: Es hängt mit den Verklumpun-
gen des Proteins Alpha-Synuklein im


Gehirn zusammen. Wir sind nah an den
Ursachen dran.
SPIEGEL:Es gibt Parkinson-Tote, bei
denen keine Alpha-Synuklein-Verklum-
pungen gefunden werden.
Höglinger:Das sind Ausnahmen. Es gibt
nicht die eine Ursache. Bei etwa zehn
Prozent der Patienten ist es genetisch
bedingt, beim Rest spielen Umweltfakto-
ren eine Rolle, vor allem Pestizide er -
höhen das Risiko. Auch wer Hautkrebs
hat oder ein Schädel-Hirn-Trauma,
scheint gefährdet zu sein. Bei den aller-
meisten Patienten finden sich aber Alpha-
Synuklein-Verklumpungen.
SPIEGEL:Wenn es einen Früherkennungs-
test gäbe, was könnte man tun?
Höglinger:Ich vergleiche es mit der
Lungenentzündung: Bevor Penicillin er -
funden wurde, bekamen die Kranken
Hustenmittel. Bei Parkinson heißt das
Hustenmittel Levodopa, es lindert
die Symptome. Wir versuchen gerade, ein
Penicillin für Parkinson zu entwickeln.
Ich sehe vielversprechende Ansätze.
SPIEGEL:Welche?
Höglinger:Stellen Sie sich zwei Nerven-
zellen im Gehirn vor. Die Botenstoffe, mit
denen die beiden kommunizieren, sind in
kleinen Bläschen gespeichert. Normaler-
weise dient Alpha-Synuklein dazu, diese
Bläschen zu stabilisieren. Verklumpt
es, tötet es die eine Zelle und wandert zur
Nachbarzelle weiter. Man kann versu-
chen, dieses Überspringen zu verhindern.
Das tut man mit extra dafür angefertigten
Antikörpern. Da sind mehrere Pharma -
unternehmen dran.
SPIEGEL:Wie soll das funktionieren?
Höglinger:Die Antikörper werden dem
Patienten ins Blut gespritzt. Das Ziel ist
aber das Gehirn, und nicht jede Substanz
schafft es über die Blut-Hirn-Schranke,
nur 0,3 Prozent der Antikörper gelangen
ins Gehirn. Man hofft, dass es trotzdem
ausreicht.
SPIEGEL:Das klingt ein bisschen nach der
Alzheimer-Forschung vor 20 Jahren. Man
hoffte damals, man könne die Krankheit
stoppen, wenn man nur das verklumpte
Eiweißstückchen Beta-Amyloid aus dem
Gehirn herausbekäme. Inzwischen hat
sich so gut wie jede Hoffnung auf diese
Therapie zerschlagen. Was macht Sie
sicher, dass es bei Parkinson anders läuft?
Höglinger:Die Firma Biogen hat gerade
verkündet, dass sie mit einem Antikörper

das Fortschreiten von Alzheimer-Sympto-
men verlangsamen konnte. Mal sehen,
wie belastbar die Daten sind. Alzheimer
ist komplizierter als Parkinson, weil
zwei Proteine im Gehirn verklumpen. Bei
Parkinson haben wir es bis jetzt nur mit
einem Protein zu tun.
SPIEGEL:Joy Milne meint, die Forschung
sollte sich weniger auf Alpha-Synuklein
konzentrieren. Einige Pharmaforscher in
England interessieren sich für die Rolle
der geschädigten Mitochondrien im Ge -
hirn, den Kraftwerken der Zellen.
Höglinger: Meine Wahrnehmung ist, dass
kaputte Mitochondrien in der Kette der
Ereignisse nicht an erster Stelle stehen.
Erst verklumpt das Alpha-Synuklein,
dann leiden die Mitochondrien. Mit end-
gültiger Sicherheit kann Ihnen das nie-
mand sagen.
SPIEGEL:Wäre es nicht wichtig, die Suche
nach neuen Medikamenten möglichst
breit aufzustellen und zum Beispiel die
Rolle des Immunsystems zu erforschen?
Höglinger:Das wird gemacht. 2020 be -
ginnt eine Studie mit einem entzündungs-
hemmenden Medikament, einem
sogenannten Myeloperoxidase-Hemmer.
SPIEGEL:Welches sind die anderen viel-
versprechenden Entwicklungen?
Höglinger:Eine ist: die Hirnzellen dazu
zu bringen, das krank machende Protein
erst gar nicht herzustellen. Das macht
man, indem man ein Schnipsel modifizier-
tes Erbgut in das Nervenwasser injiziert.
Das hat bei einer anderen neurodegenera-
tiven Krankheit geklappt. Das Präparat,
Spinraza, ist auf dem Markt. Für Parkinson
haben wir leider noch kein solches Medi-
kament.
SPIEGEL:In den USA wird viel mit
Stammzellen experimentiert.
Höglinger:Der Gedanke, gestorbene
Hirnzellen mit Stammzellen zu ersetzen,
scheint mir absurd. Wenn bei Ihnen
die Badewanne überläuft, können sie ent -
weder einen Lappen nehmen und den
Boden wischen oder den Hahn zudrehen.
Stammzellen sind der Lappen. Wir
sollten die Hirnzellen schützen, nicht er -
setzen. Was man mit Stammzellen
gut tun kann, ist, Krankheitsmodelle zu
simulieren.
SPIEGEL:Was halten Sie von Gen -
therapien?
Höglinger:Der Mensch hat etwa
20 000 Gene, etwa 17 000 davon kann
man in zwischen gezielt ausschalten.
Wir haben im Labor zwölf spannende
Gene gefunden: Schaltet man sie aus,
bleiben die Nervenzellen gesund. Nun
müssen wir verstehen, welche Gene
wir bei Patienten ausschalten können,
ohne dass es zu Nebenwirkungen führt.
Interview: Timofey Neshitov

MAGDALENA JOOSS / TUM

MedizinIn Manchester arbeiten Wissenschaftler daran, Parkinson früher


als bisher diagnostizieren zu können. Was heißt das für die Patienten?


»Nah an den Ursachen dran«

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