Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

Geruchssinns. Kann man einer E-Nase
auch diese Abstufungen beibringen?
In der Mittagspause überquerten Joy
Milne und Perdita Barran die Straße, Mil-
ne stolperte, Barran stellte sich schützend
vor sie und sagte: »Wir sollten deine Nase
versichern.«
2022 soll der NoseToDiagnose-Test fer-
tig sein.
Im Juni reiste Joy Milne zum Welt-Par-
kinson-Kongress nach Kyoto. Sie saß in Vor-
trägen über Frauen und Parkinson, hörte
Patienten zu, die über ihre Sexualität seit
der Diagnose sprachen. Andere redeten
über Kaffee und Parkinson, über Rauchen
und Parkinson, sie hörte, dass Koffein und
Nikotin gegen Parkinson schützen sollen.
Joy Milne stellte die Geschichte ihrer
Nase vor, aber die meisten Teilnehmer
kannten sie bereits. Milne spricht auf Ta-
gungen, ist auf Twitter, gibt der BBC In-
terviews, der »New Scientist« schreibt
über sie. Sie ist eine Art Star der Parkin-
son-Forschung, ohne Forscherin zu sein.
In jedem Panel, in jeder Kaffeepause spra-
chen sie Ärzte und Patienten an: Weiter
so, Joy, wir hoffen auf dich!
Auch Leslie Milne hoffte auf ein heilen-
des Medikament. Wer seine Diagnose be-
reits bekommen hat, wird von einem Früh-
erkennungstest nicht mehr profitieren, es
sind Menschen, die noch nicht ahnen, dass
sie erkrankt sind, für die Joy Milne eine
Hoffnung sein könnte.
Joy Milne riecht sie immer wieder, in
der Warteschlange im Supermarkt, im
Swimmingpool, an Flughäfen. Sie spricht
sie nie an. »Wenn man jemandem sagt:
Du hast Parkinson, muss der Mensch das
von einem Arzt hören, nicht von mir.«
In Kyoto schrieb Joy Milne mehrere
Hefte voll. Sie machte sich Notizen zur tie-
fen Hirnstimulation, Gentherapie, der


Hautpathologie bei Parkinson. Sie war
nach Japan geflogen, weil sie hoffte, hier
zu erfahren, wie die Parkinson-Forschung
mithilfe ihrer Nase zum Durchbruch ge-
langen könnte. Am ersten Kongresstag
sprach ein Forscher aus Michigan über
neue Therapien. Joy Milne ging ans Mi-
krofon und stellte ihm eine einfache Frage:
»Wie bereiten Sie sich auf den Fall vor, dass
wir Parkinson früher erkennen?«
Der Professor verstand zunächst ihre
Frage nicht. Er redete davon, wie gut
man die Symptome behandeln könne, ir-
gendwann fiel Joy Milne ihm ins Wort.
Schließlich gab er zu: Im Moment habe
die Forschung nichts, um die Patienten zu
heilen.
Die Krankenschwester, die immer Wun-
den verbunden, Fieber gemessen, Nacht-
töpfe geleert hatte, ist es gewohnt, Men-
schen zu helfen, nicht zu warten. Joy

Milne war enttäuscht vom Stand der For-
schung, von Wissenschaftlern, die aus ih-
rer Sicht nicht genug miteinander reden.
Sie fragte sich, warum sie das alles über-
haupt tat. Was bringt die sensibelste Nase,
wenn sie umsonst riecht?
In der Nacht bevor Les starb, hatte Joy
Milne ihm versprochen, dass sie nicht auf-
geben werde. Dass kein anderes Paar durch-
machen muss, was sie durchgemacht hatten.
Nach seinem Tod verkaufte sie das
Haus, zog in ein kleineres, einige Straßen
weiter. In ihrem Garten wachsen Rosen,
Knoblauch, ein Fächerahorn. »Jedes Mal,
wenn ich meinen Garten betrete, ist es wie
ein Trip für mich«, sagt sie.
Dort sitzt sie oft mit ihren Freundinnen,
Betty und Rena. Sie lernte sie auf einer Par-
kinson-Veranstaltung kennen, als ihre Män-
ner noch lebten. Renas Mann starb als Ers-
ter. 18 Monate später beerdigten sie Les,
fünf Wochen danach Bettys Mann.
Auf der Kommode in Joy Milnes Schlaf-
zimmer steht ihr Hochzeitsbild. Les trägt
einen Kilt, Joy trägt lange, dunkle Locken.
Im Wohnzimmer sitzt auf dem Fenster-
brett Ohnezahn, der Drache aus dem Film
»Drachenzähmen leicht gemacht«. Den
mochte Les sehr. Unter dem Fensterbrett:
eine grüne Plastikurne.
»Heute kommst du mal raus«, sagt Joy
Milneund holt die Urne in die Mitte des Zim-
mers. Les’ weißen Sessel schenkte sie ihrem
Sohn David. »Ich kann da drin nicht sitzen«,
sagt sie, »das Ding riecht nach Parkinson.«
Wie riecht denn Parkinson?
Monate später, bei einem der letzten Te-
lefonate sagte Joy Milne: »Jetzt weiß ich
es. Es ist doch Moschus, aber ein anderer
Moschus. Wie bei Milch, wenn sie sauer
ist. Es ist immer noch Milch und gleich -
zeitig etwas völlig anderes.«

BASIEREND AUF DER WAHREN GESCHICHTE VON

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Ehepaar Milne 1973
»Heute kommst du mal raus«

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