Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1
seeprojekt, sie hat sich sogar gegen den
Widerstand aus der Union dafür einge-
setzt. Sie betrachtet die Pipeline nüchtern-
wirtschaftlich: als zusätzliche Möglichkeit,
die Versorgungssicherheit Deutschlands
zu gewährleisten.
Erdgas dürfte, weil es emissionsärmer
als Kohle oder Erdöl verbrennt, im Ener-
giemix des kommenden Jahrzehnts eine
wachsende Rolle spielen: als Brücke ins
Zeitalter der erneuerbaren Energien. Russ-
land ist vor Norwegen und den Nieder -
landen Deutschlands wichtigster Lieferant.
Da aber in der Region Groningen im-
mer wieder die Erde bebt, haben die Nie-
derländer sich entschieden, schon ab 2022
in ihrer wichtigsten Förderregion nahezu
kein Gas mehr zu produzieren; in Groß-
britannien beginnt eine ähnliche Debat-
te. Die deutschen Gasvorräte wiederum,
überwiegend in Niedersachsen, gehen zur
Neige, sie trugen 2018 nur noch 7 Prozent
zur Versorgung bei. Vor zehn Jahren lag
der Anteil noch bei 15 Prozent.
Es drohe, warnt der Düsseldorfer Gas-
konzern Uniper, eine veritable Versorgungs-
lücke. Mitte des kommenden Jahrzehnts
könnten europaweit 100 bis 300 Milliarden
Kubikmeter Gas pro Jahr fehlen. Nach die-
ser Rechnung bedarf es neben den Pipelines
sogar noch weiterer Bezugsquellen. Bislang
gibt es an Europas Küsten 24 Terminals,
an denen LNG entladen werden kann – in
Deutschland existiert noch kein einziges.
Uniper will eine solche Anlage in Wilhelms-
haven bauen.
Das Terminal soll 2022 in Betrieb gehen,
gefördert vom Bund. Die Regierung will
ein Zeichen guten Willens nach Washing-
ton senden.


  • Beim Besuch eines LNG-Terminals im Bundesstaat
    Louisiana am 14. Mai.


LNG aus Amerika, Pipelinegas aus Russ -
land: Die Kanzlerin wirbt um Energie -
importe jeder Herkunft. Fragt sich nur, ob
dem US-Präsidenten das genügt. Er würde
die Bundesregierung am liebsten zum
Schwur zwingen. Dann müsste sich Mer-
kel entscheiden, wo sie steht: an der Seite
Russlands oder Amerikas?

Die neue Supermacht im
globalen Gasgeschäft
Cove Point, etwa anderthalb Autostunden
von der Hauptstadt Washington entfernt:
Hier, an der Chesapeake Bay, bekommt
man eine Idee davon, wie sich der US-Prä-
sident die Zukunft der europäischen Gas-
versorgung vorstellt. Direkt an der Küste,
inmitten malerischer Dörfer und Strände,
erhebt sich ein Industriekomplex, ein
LNG-Verladeterminal.
Der Zugang zur Anlage ist streng
bewacht. Hier können selbst Riesenschif-
fe der Q-Max-Klasse anlegen, sie sind
345 Meter lang und haben ein Lade -
vermögen von rund 266 000 Kubik -
metern. Mit dieser Menge lassen sich
mehr als 40 000 Wohnungen ein Jahr lang
heizen.
Ursprünglich war das Terminal für den
Import von Gas aus Algerien vorgesehen.
Dann brach die Fracking-Revolution los.
Die umstrittene Fördermethode – das Ein-
pressen von Flüssigkeiten erzeugt Risse im
Gestein, was die Ausbeute erhöht – hat
die USA innerhalb weniger Jahre wieder
in eine Energiesupermacht verwandelt.
Damit änderte sich auch die Bestim-
mung von Cove Point, vom Import- zum
Exportterminal. Seit April 2018 habe man
bereits 85 Schiffe für die Ausfuhr beladen,
so der Betreiber Dominion Energy.
Das Gas gelangt über ein verzweigtes
Pipelinesystem aus verschiedenen Teilen

Nordamerikas hierher; ein Schiff zu betan-
ken dauert etwa einen Tag. Bislang geht
der Rohstoff vor allem nach Indien und
Japan. »Wir würden uns sehr freuen, auch
Europa zu versorgen«, sagt Dominion-
Manager Paul Ruppert. Durch die Lage
am Atlantik sei sein Terminal dafür »gera-
dezu ideal platziert«.
Wie in Cove Point entstehen derzeit in
etlichen Häfen Amerikas LNG-Terminals.
Gas ist dank der Tankerverbindungen zu
einem global handelbaren Gut geworden
und LNG der fossile Energieträger, dessen
Umsatz am schnellsten wächst.
Im Sommer war der Weltmarkt so üp-
pig versorgt, dass die Preise auch in Euro -
pa fielen und LNG im Wettbewerb mit
dem sonst billigeren Pipelinegas gut mit-
halten konnte. Die USA wollen dieses Ge-
schäft beherrschen und zum weltgrößten
LNG-Exporteur aufsteigen.
Dies ist wichtig, um zu verstehen, wa-
rum Amerika gegenüber Russland so do-
minant auftritt. Und warum Richard Burt
sein Job zurzeit nicht leichtfällt.
Burt, 72, sitzt im achten Stock eines Bü-
rogebäudes, kaum 500 Meter vom Weißen
Haus entfernt. In den Achtzigerjahren war
er US-Botschafter in Bonn, heute arbeitet
er als Lobbyist in Washington. Burt ist für
die Energiekonzerne im Einsatz, die hinter
Nord Stream 2 stehen. »Leider hat dieses
Projekt in Washington nicht einen einzi-
gen Verbündeten«, sagt er. »Man könnte
auch sagen, es ist ein Waisenkind.«
Kritik kommt von allen Seiten, nicht
nur vom Präsidenten. Die Phalanx der
Pipelinegegner sitzt in beiden Häusern des
Kongresses und in beiden Parteien. Bei
den Republikanern sind es die Falken, die
Russland generell als Rivalen auf der Welt-
bühne betrachten, den es einzuhegen gelte.
Bei den Demokraten sind es all jene Ab-
geordneten, die Putin für die Einmischung
in die US-Präsidentenwahl 2016 eins aus-
wischen wollen.
»Viele Leute hier in Washington sehen
die Sache zu schwarz-weiß«, sagt Burt.
»Sie denken, Europa wird entweder mit
russischem Gas versorgt oder mit LNG.
Dabei gibt es genug Nachfrage für beides.«
Im Senat machen die Demokratin
Jeanne Shaheen und der Republikaner
Ted Cruz gegen Nord Stream 2 mobil. Der
Kreml baue »ein trojanisches Pferd«, so
Shaheen, da könnten die USA nicht un -
tätig zusehen. Ende Juli brachten sie den
Entwurf mit dem großspurigen Titel »Ge-
setz zum Schutz der europäischen Ener-
giesicherheit« mit 20 zu 2 Stimmen durch
den Außenpolitischen Ausschuss. Jetzt
muss das Gesetz nur noch zur Abstim-
mung gestellt werden, sodass es tatsächlich
in Kraft treten kann.
Um die Sache zu beschleunigen, könnte
der Senat einen alten parlamentarischen
Kniff anwenden. Das Sanktionsgesetz wird

72 DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019

Wirtschaft

EVAN VUCCI / AP
US-Präsident Trump*: »Wir beschützen Deutschland vor Russland«
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