Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

M


onatelang suchte Urban Busch-
mann das richtige Papier. Er tes-
tete Sorten, die gebleicht waren,
andere, die mit Füllstoffen versetzt waren
und zu schnell rissen. Fündig wurde er
schließlich in Polen – bei einem Zementsack-
produzenten. »Die hatten die beste Ware,
fast unbehandelt, langfasrig und extrem
reißfest«, sagt Buschmann, Verpackungs-
entwickler beim Tiefkühlhersteller Frosta.
Es ist das Papier, aus dem die neuen Beu-
tel des Bremerhavener Unternehmens beste -
hen werden. 40 Millionen Portionen Ba mi
Goreng, Mexican Chicken oder Tagliatelle-
Wildlachs sollen ab 2020 nicht mehr in
weiße Tüten aus glänzendem Polypropy len
verpackt werden, sondern in braunes Sack -
papier mit dem FSC-Siegel für nachhaltige
Forstwirtschaft. Pro Jahr fallen in der Fabrik
dann 320 Tonnen weniger Kunststoff an.
Frosta-Chef Felix Ahlers spricht von
»der größten Innovation seit dem Frosta-
Reinheitsgebot im Jahr 2003«. Damals
verzichtete das Unternehmen auf Aromen,
Farbstoffe und Geschmacksverstärker. Al-
lerdings stiegen die Preise für die Frosta-
Tiefkühlgerichte – und der Umsatz sackte
erst einmal weg.
Ähnliches fürchten Ahlers’ Marketing -
leute nun auch. Pionier durch Papier? Die


ersten Versuche sahen nicht danach aus:
Die Fotos auf den Beuteln waren milchig, die
braune Farbe stach durch. »Es sah schmud -
delig aus«, so Buschmann. Nach zwei -
jährigen Tests sind die Fotos nun scharf,
die ersten Kundenbefragungen seien viel-
versprechend. Auf das zweilagige Spezial-
papier, das mit einem auf Pflanzenstärke
basierenden Kleber zusammengehalten
wird, hat Frosta ein Patent angemeldet.
Selbst Ahlers scheint sich allerdings noch
nicht sicher: »Das Risiko in der Kühltruhe«,
räumt er ein, »ist schwer zu ermessen.«
Denn dort wimmelt es noch immer von
bunten Plastikbeuteln der Konkurrenz.
Fast 50 000 Tonnen Kunststoffe ver-
brauchte die Tiefkühlbranche im Jahr


  1. Aus Pappe oder Karton waren sogar
    212 000 Tonnen, doch die
    wenigsten davon kommen
    ohne Plastik aus: Entwe-
    der ist die Pizza in der
    Schachtel noch mal ver-
    packt, oder der Karton ist
    innen mit Kunststoff be-
    schichtet. Oft liegen Fisch-
    filets, wie bei Iglo, sogar
    noch in einer Schale aus
    Aluminium.
    »Zubereitungsver trauen
    der Verbraucher«, nennt
    das Unternehmen als
    Grund. Seit zwei Jahren
    frickelt man bei Iglo inzwi-
    schen an einem Ersatz, der 2020 marktreif
    sein soll.
    Für das Recycling sind die vielen Ver-
    bundstoffe Gift. Für Hygiene und Haltbar-
    keit seien sie dagegen unerlässlich – das
    zumindest suggeriert die Verpackungsin-
    dustrie seit Jahrzehnten.
    Plastik, das vermögen auch die Bilder
    von mit Tüten im Bauch verendeter Wale
    nicht zu ändern, steht beim Einkauf offen-
    bar noch immer für Sauberkeit und Sicher-


heit. Nur: War nicht auch die keimbelas-
tete Wilke-Wurst sauber und ordentlich
verpackt? Liegt die Gefahr also eher ganz
woanders, und ist der Verzicht auf Kunst-
stoff womöglich gar nicht so schwierig?
Das schwant auch den Nahrungsmittel-
produzenten und Einzelhändlern, von de-
nen viele allerdings bis heute selbst Gur-
ken und Bananen einschweißen. Fast jedes
Unternehmen hat inzwischen ein Projekt
zur Plastikvermeidung im Programm.
Bei Tiefkühlkost scheint eine Verpa-
ckung jedoch schwer ersetzbar, gefrorene
Paella lässt sich kaum aus einer Großbox
abfüllen wie etwa Müsli. Dass aber die
Hygiene leidet, wenn auf eine Kunststoff -
beschichtung verzichtet wird, scheint eine
Mär: Anfang des Jahres führte der Tiefkühl-
hersteller Agrarfrost für sei-
ne Kartoffelpuffer eine Falt-
schachtel ohne Kunststoff-
anteil ein. Auf der Innen -
seite arbeitet die Firma mit
einer dünnen Beschichtung
aus Pflanzenstärke. Die
Haltbarkeit scheint das
kaum zu beeinflussen: Bei
Frosta etwa, de ren neues
Papier unbeschichtet ist,
geht man von mindestens
neun Monaten aus.
Bliebe das Risiko mit
den in die Packung diffun-
dierenden Mineralölrück-
ständen, etwa aus Druckfarben – ein ent-
scheidendes Argument der Industrie für
die Kunststoffinnenbeschichtungen. »Wer
mit wasser- statt mit lösemittelbasierten
Farben arbeitet und mit Frischfaser- statt
Recyclingpapier, der hat diese Probleme
nicht«, sagt Frosta-Chef Ahlers.
Zusammen mit seiner Schwester Frie-
derike ist er an diesem Tag in der Bremer-
havener Produktion. Felix Ahlers trägt seit
einer Stunde einen der neuen Papierbeutel
mit sich herum, befüllt mit einer tief -
gekühlten Toskana-Gemüsepfanne. Das
Zeug taut auf, die ersten feuchten Flecken
zeichnen sich ab, aber der Beutel hält.
Über die Bänder laufen auch weiter Plas-
tikbeutel, denn Frosta produziert auch
Handelsmarken, gerade etwa eine Gemü-
sepfanne für Aldi. Und die sogar in Bio-
Qualität – ein Trend, den Frosta hat vor-
beiziehen lassen.
Nach der Preiserhöhung im Jahr 2003
hätte man kaum noch höher gehen können,
sagt Ahlers. Den Umsatzeinbruch damals
haben die Geschwister noch im Gedächt-
nis. Die Umstellung auf Papier, sagt Friede -
rike Ahlers, mache die Produkte nochmals
etwas teurer als zuvor mit den Beuteln aus
Polypropylen. Wenn dieser Kunststoff ir-
gendwann aber besser recycelbar sei,
»dann können wir im Zweifel auch wieder
umschwenken«. Nils Klawitter

80 DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019

Wirtschaft

Risiko in


der Truhe


PlastikBei Nahrungsmitteln
galten Kunststoffverpackungen
lange als Hygienegarantie.
Nun zeigt ein Tiefkühlhersteller,
dass es auch mit Papier geht.

JOCHEN TACK / IMAGO IMAGES
Tiefkühlschrank im Einzelhandel: Es sah schmuddelig aus

Frostiges Erbe
Tiefkühlverpackungsmüll privater
Endverbraucher in Deutschland *,
in tausend Tonnen

* inkl. Speiseeis
Quelle: GVM

2005 2018 2005 2018
Papier-Pappe-
Karton

Kunststoff

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