Der Stern - 24.10.2019

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FOTOS: PATRICK JUNKER/STERN; ANADOLU AGENCY/GETTY IMAGES

Binninger, 1962 im
baden-württem-
bergischen
Bonndorf geboren,
begann seine
Karriere als
Streifenpolizist in
Freiburg. Er
studierte an der
Polizeihochschule,
war Referent im
Innenministerium
Baden-Württem-
bergs. 2002
wurde er für die
CDU direkt in den

Bundestag ge-
wählt. Bekannt
wurde Binninger
durch Untersu-
chungsausschüsse,
die er leitete,
darunter den über
die Rechts-
terroristen des
NSU (o.). 2017 zog
er sich aus der
Politik zurück.
Mit seiner Frau
Ulrike hat er eine
Berater firma
in Sindel fingen.

S


ind Sie unter die Privatdetektive
gegangen?
Nein, wie kommen Sie darauf?
Auf der Website Ihrer Beratungs-
firma liest man: „Unser Team mit
jahrzehntelanger Erfahrung aus
Polizei, Justiz und Verwaltung unter-
stützt Sie, Verdachts- und Schadensfälle
diskret, professionell und effizient auf-
zuklären.“
Die Firma, die ich mit meiner Frau gegrün-
det habe, bietet „Internal Investigations“
an. Wir arbeiten mit Wirtschaftskanzleien
und Büros zusammen, wenn die unser
kriminalistisches Know-how brauchen.
Überführen Sie klauendes Personal?
Nein. Es geht um Korruption, Unterschla-
gungen oder Betrug im großen Stil, die
Firmen schädigen können.
Dann arbeiten Sie ja wie ein Polizist.
Ein bisschen schon. Unsere Dienstleistung
bündelt kriminalistische Expertise, Erfah-
rung aus Untersuchungsausschüssen und
der Politik. Denn es geht auch darum, den
Ruf einer Firma in der Krise zu schützen.

Als Sie im Bundestag saßen, wartete im
elterlichen Keller Ihr altes Schlagzeug
auf „bessere Zeiten“ ...
Das Schlagzeug wird mangels Zeit leider
weiter vergebens warten. Ich habe an zwei
Büchern zu sicherheitspolitischen The-
men mitgeschrieben und halte Vorträge,
zum Beispiel bei der Konrad-Adenauer-
Stiftung über den NSU.
Sie bezweifeln, dass es nur drei NSU-Ter-
roristen gab. Und glauben, dass die Poli-
zistin Kiesewetter kein Zufallsopfer war.
Werden wir die Wahrheit je erfahren?
Vielleicht, wenn sich jemand, der mehr
weiß, entschließt, eine Lebensbeichte ab-
zulegen. Oder die Kriminaltechnik neue
Erkenntnisse liefert. Wir müssen uns aber
auch darauf einstellen, dass einige Fragen
für immer unbeantwortet bleiben.
Was ist für Sie das größte Rätsel?
Dass an 27 Tatorten keine DNA von Mund-
los und Böhnhardt gefunden wurde. Und
dass es DNA-Spuren gibt, die bis heute nie-
mand zugeordnet werden konnten.
Haben Ermittler gegen Täter wie den aus
Halle, der sich einsam im Netz radikali-
siert, überhaupt eine Chance?
Ohne jegliche Hinweise oder Verdachts-
momente kaum. Deshalb ist es besonders
wichtig, gefährdete Einrichtungen besser
zu schützen.
Sie wollten es nach Ihrem Ausstieg aus
der Politik eigentlich ruhiger angehen
lassen und was anderes machen.
Meine Frau und ich haben beide 16 Jahre
Politik gemacht. Nachdem wir uns davon
verabschiedet hatten, waren wir begeistert,
wie lange ein freies Wochenende sein kann.
Aber es war auch klar, dass wir keine Mü-
ßiggänger werden. Deshalb haben wir die
Firma gegründet. Jetzt bin ich zwar viel
unterwegs, aber Herr meiner Zeit.
Als Verfassungsschutzpräsident Maaßen
gehen musste, fiel Ihr Name. Die CDU in
Stuttgart wollte Sie zum Oberbürger-
meister machen. Wie lange wollen Sie
sich noch zieren?
(Lacht) Stimmt. Das Angebot, Verfassungs-
schutzpräsident zu werden, gab es. Das hat
mich geehrt. Aber ich wollte nicht wieder
alles aufgeben, um dann zwischen Köln
und Berlin zu pendeln. Und Oberbürger-
meister wäre nicht mein Metier.
Sie sind ein ausgewiesener Sicherheits-
experte. Gerade haben die Behörden dem
rechten Terror den Kampf angesagt. Reizt
Sie das nicht?
Alles hat seine Zeit. Man sollte sich davor
hüten, zu glauben, man sei unverzichtbar.
Es gibt erfahrene und neue Kollegen, die
sich auch sehr gut auskennen. Die sind
jetzt dran. 2 Interview: Kerstin Herrnkind

Der frühere CDU-Politiker wurde als Vorsitzender
des NSU-Untersuchungsausschusses bekannt

Clemens Binninger


Clemens
Binninger, 57,
kürzlich am
Stuttgarter
Flughafen


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