Der Stern - 24.10.2019

(ff) #1
Was kann man erwarten, wenn ein Haute-
Couture- Designer einen Film dreht? Ein Werk
von Eleganz, Verspieltheit und maxi maler
Oberflächlichkeit? Im Fall des Texaners Tom
Ford wurde es ein intensives psychologisches
Thrillerdrama, das in die tiefsten Schichten
menschlicher Beziehungen und der Selbst-
wahrnehmung vordringt. Auf zwei Handlungs-
ebenen erzählt der Film clever verschachtelt
die Geschichte einer großen Liebe: Die un-
glücklich verheiratete Galeriebesitzerin Susan
Morrow (Amy Adams) erhält
von ihrem Ex-Mann Edward
Sheffield (Jake Gyllenhaal)
ein Romanmanuskript, das
er ihr gewidmet hat – natür-
lich um sich an ihr zu rächen.
Der Roman erzählt die bru-
tale Geschichte eines nächt-
lichen Überfalls auf Tony Hastings (ebenfalls
Jake Gyllenhaal) und seine Familie durch eine
Highway-Gang. Während Tony die Flucht ge-
lingt, werden seine Frau und Tochter entführt.
Zusammen mit dem sterbenskranken Sheriff
Andes (herausragend: Michael Shannon) be-
gibt sich Tony auf die Suche – und anschlie-
ßend auf einen blutigen Rachetrip.

Zweite Heimat Film


„Nocturnal Animals“ ist wie Fords Erstling „A
Single Man“ (2009) eine Literaturverfilmung.
Das Drehbuch basiert auf dem 1993 erschie-
nenen Roman „Tony and Susan“ von Austin


Wright. Ford hat es gemeinsam mit dem
Schriftsteller verfasst. Neben der kunstvollen
Zusammenführung der in David- Lynch-Manier
komponierten Handlungs ebenen (Filmrealität
und Roman im Film) ist Ford auch ein echter
Besetzungscoup gelungen: Der gerne ein wenig
verschlafen wirkende Gyllenhaal überzeugt in
der Doppelrolle neben Admas und Shannon,
Aaron-Taylor Johnson wurde für seine Rolle als
White-Trash-Vergewaltiger mit einem Golden
Globe ausgezeichnet. Selbstredend ist „Noc-
turnal Animals“ auch optisch
ein Meisterwerk. Ford und
sein Kameramann Seamus
McGarvey („Nowhwere Boy“)
kleiden den anspruchsvollen
Stoff in kunstvolle Bilder, die
zwischen der verstaubten
Wüste und der kühlen Welt
der Kunstgalerien wechseln.
Bekannt wurde Tom Ford, als er in den 90ern
als angestellter Designer die Gucci- Renaissance
„inszenierte“, im Filmemachen hat der 58-Jäh-
rige mittlerweile so etwas wie eine zweite kre-
ative Heimat gefunden. Zur Kinopremiere 2016
erklärte er in einem Interview, worum es ihm
als Regisseur geht: „Ich will, dass die Zuschau-
er das Kino verlassen und über ihre eigenen Le-
bensentscheidungen nachdenken.“ Mit „Noc-
turnal Animals“ wird er diesem Anspruch auf
überzeugende Weise gerecht.

Mittwoch, ZDFneo, 23.15 Uhr

„Ich will, dass die
Zuschauer über ihre
Lebensentscheidun-
gen nachdenken.“

Tom Ford ist mit seinem kunstvollen Thrillerdrama


„Nocturnal Animals“ ein wuchtiges Meisterwerk über


Rache, Verlust und Selbsttäuschung gelungen


Feinster Stoff


Oben: Hastings (Jake Gyllenhaal, l.) und Sheriff
Andes (Michael Shannon) sind ratlos. U. l.: Gewalt
auf off ener Straße. U. r.: Andes verhört Ray (A. Tay-
lor-Johnson). Ganz u.: Susan Morrow (Amy Adams)

MAGAZIN Highlight


Titelfoto & Fotos: ZDF/Merrick Mor

ton/Fade to Black Productions

| Text: B. Sommersacher

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