FOTO: MARTIN SCHUTT/PICTURE ALLIANCE
Manchmal setzt sich Bodo Ramelow eine
Mütze auf, schiebt die Sonnenbrille ins
Gesicht und geht, so getarnt, mit seinem
Hund im Wald spazieren. Doch trifft er
zwischen Buchen und Fichten auf Bürger,
sagen die oft trotzdem: „Guten Tag, Herr
Ramelow.“ Und wenn er fragt, wie sie ihn
erkannt hätten, antworten die Leute: „Sie
gar nicht, aber das da ist doch Attila!“
Attila ist in Thüringen fast so berühmt
wie sein Herrchen. Der Jack-Russell-
Terrier ist nicht nur „First Dog“ des
Freistaates, er hat sogar einen eigenen
Twitter-Account. Und weil er sein Körb-
chen in der Erfurter Staatskanzlei über die
Wahl am 27. Oktober hinaus behalten soll,
erzählt Herrchen wieder und wieder und
überall im Land diese Waldgeschichte. Die
Menschen schmunzeln dann, das ist gut
für Herrchen. Und gut für Herrchens
Partei.
Ramelow ist so etwas wie ihr letzter
Hoffnungsträger. Ausgerechnet ein 63-jäh-
riger Wessi, der vor drei Jahrzehnten in den
Osten kam, ist der erfolgreichste Linke der
Republik. Ausgerechnet ein betont beken-
nender Christ und „staatlich anerkannter
Legastheniker“, wie er selbst fast stolz
bekundet, ihr erster und einziger Minis-
terpräsident.
Seit fünf Jahren führt er die rot-rot-
grüne Koalition. Und weil die Linke bei
den vorangegangenen Wahlen von Euro-
pa bis Sachsen einen dramatischen Nie-
dergang betrauern musste, setzt sie nun
alles auf Thüringen. Und die Thüringer
Genossen alles auf Bodo. Zur Sicherheit
haben sie auf den Plakaten weggelassen,
was das Bild des Landesvaters stören
könnte, ein Partei logo etwa.
Der Landesvater hat im Fond seiner
Dienstlimousine Platz genommen. Es geht
von Suhl zurück nach Erfurt. Draußen
fliegen die Hügel des Thüringer Waldes vor-
bei, über dessen Wipfeln ein riesiger Voll-
mond aufgeht. Er leuchtet auf ein Bundes-
land, das so zerrissen ist wie kein zweites.
Links gegen rechts, mehr noch: ganz links
gegen ganz rechts. In allen Umfragen führt
die Linke, meist gefolgt von der AfD. Eigent-
lich eine dramatische Situation, doch
Ramelow hat das karierte Jackett ausge-
zogen und wird poetisch: „Ist es das Erhoff-
te oder das Erreichte, das uns verzweifeln
lässt?, fragt Peer Gynt.“ Er sei jedenfalls noch
längst nicht fertig, sagt er. Seine Wahl 2014
galt als historisch, jetzt will er zeigen, dass
es keine Laune der Geschichte war, sondern
der Beginn einer neuen Normalität. Die
Zahlen geben ihm recht: Seine Partei liegt
in Umfragen bei 28 Prozent, einen Punkt
über ihrem letzten Wahlergebnis.
Es komme eben darauf an, sagt er, ers-
tens, wie man regiert und vor allem, zwei-
tens, was hinten herauskomme, da hat er
seinen Kohl gefressen. Unter Punkt eins
hält er sich zugute, einen neuen Stil in der
thüringischen Politik eingeführt zu haben.
Oberste Regel: „Kein Streit am Kabinetts-
tisch.“ Anstatt die kleinen Partner zu
unterdrücken, woraufhin die sich bei je-
der Gelegenheit rächen, hat Ramelow auf
Partnerschaft gesetzt, alles andere wäre
auch Wahnsinn gewesen in einer Koalition,
die mit einer Stimme Mehrheit regiert.
Anfangs, im Herbst 2014, hatten noch
Tausende Menschen mit Kerzen in den
Händen auf dem Erfurter Domplatz
demonstriert, gegen Ramelow und seine
Koalition. Dagegen, dass Thüringen wie-
der „rot beflaggt“ werde, wie der ehema lige
M
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