Der Stern - 24.10.2019

(ff) #1

ministerin Lucia Borgonzoni der Partei Lega, den


Louvre abblitzen zu lassen. Sie fürchtete, die Fran-


zosen könnten die Feierlichkeiten im Jubiläumsjahr


kapern und damit erneut Hoheit über das italienische


Genie und seine Wirkmacht erlangen.


Die „Mona Lisa“ haben sie ja schon.
Wie es dazu kam, ist nicht exakt zu rekonstruieren.

Der französische König Franz I., ein kunstsinniger Mann


und der Inbegriff eines Renaissance-Fürsten, hatte Leo-


nardo da Vinci 1516 als Hofmaler nach Amboise geholt


und ihm das Château du Clos Lucé zur Nutzung über-


lassen. Mindestens drei Gemälde brachte der Meister


aus Florenz mit, von denen er sich zu Lebzeiten nicht


mehr trennte: „Johannes der Täufer“, „Anna selbdritt“


und die „Mona Lisa“. Dass er an ihnen weitermalte, als


er sich in Frankreich niederließ, wird angenommen.


Alle drei gehören heute dem Louvre. Mit ihnen hin-

terließ der Künstler in Vollendung, was er erfunden


hat und was ihn so unnachahmlich macht: „Wenn man


die letzten drei Gemälde Leonardos sehr nah betrach-


tet, ist es unglaublich, da ist beinahe nichts an Farb-


material, alles ist Transparenz, und der Übergang zwi-


schen Licht und Schatten ist magisch“, erklärt Vincent


Delieuvin. „Leonardo war der Erste, der einem Gemäl-


de Bewegung und Leben einhauchte.“


Als Leonardo am 2. Mai 1519 mit 67 Jahren starb, hin-

terließ er den Inhalt seines Ateliers seinem Lieblings-


schüler Francesco Melzi. Auch Salai bekam etwas ab. Im


Nachlass des als schön und gerissen beschriebenen Die-


ners, Assistenten und vermutlich auch Geliebten des


Malers fand sich ein Inventar mit Preisen zu jedem Bild.


Die Quellenlage ist widersprüchlich, und gerade in

diesem Punkt, sagt Leonardo-Experte und Oxford-


Emeritus Martin Kemp, „folgen die Dokumente der


Regel, dass jeder neue Beleg mehr Fragen aufwirft als


beantwortet“. Der 77-jährige Kunsthistoriker hat sie


alle studiert. So intensiv, dass er seine Autobiografie


„Leben mit Leonardo“ genannt hat. Jetzt erscheint sein


lang erwartetes Buch über den „Salvator Mundi“, das


die Geschichte des Rekordbildes neu aufrollt. Über die
„Mona Lisa“, ihr Modell und den Aufstieg des Bildes
zur populären Ikone veröffentlichte er eine minu tiöse
Dokumentation.
Warum ausgerechnet sie? „Die ‚Mona Lisa‘ besitzt
eine hohe Wiedererkennbarkeit. Du kannst sie auf na-
hezu nichts reduzieren, nur ein paar Lichtflecken und
einen Schatten, und sie ist immer noch da“, begründet
Kemp ihre Wirkung. Außerdem wüssten wir heute alle
viel zu viel, als dass wir sie unvoreingenommen betrach-
ten könnten. „Das ist eine komplizierte kulturelle Er-
fahrung, die über das Betrachten des Bildes hinausgeht.“

E


ine Trophäe war es schon vor rund 500 Jahren,
als Frankreichs König Franz I. das Gemälde nach
Leonardos Tod erwarb. Dass es um 1542 in sei-
nem Schloss in Fontainebleau hing, beschreibt
Künstlerbiograf Giorgio Vasari um 1550 in sei-
nen Aufzeichnungen, bis ins 19. Jahrhundert die
wichtigste Quelle der Leonardo-Forschung. Er liefert
auch einen Hinweis darauf, wer die „Mona Lisa“ war:
„Auch begann Leonardo für Francesco del Giocondo
das Bildnis der Mona Lisa, seiner Frau, zu malen. Vier
Jahre Mühe wandte er dabei auf, dann ließ er es un-
vollendet, und es befindet sich jetzt zu Fontainebleau
im Besitz des Königs Franz von Frankreich.“ Und er
kommt zu einem Urteil, das bis heute Bestand hat:
„Wer die Halsgrube aufmerksam betrachtete, glaubte
das Schlagen der Pulse zu sehen.“
Wann sie entstanden ist und wer Modell saß, belegt
auch eine Notiz, die Machiavellis Sekretär Agostino
Vespucci in einer Ausgabe der Briefe Ciceros hinter-
lassen hat. Darin bezeugt er, dass Leonardo 1503 an
einem Bildnis der Lisa del Giocondo arbeitete. Lisa war
die Frau des Florentiner Seidenhändlers Francesco del
Giocondo. „Da traf neues Geld auf alten Adel“, be-
schreibt Kemp die Ehe der beiden. Lisas Familie, die
Gherardini, besaßen Ländereien im Chianti und
mischten in der Politik der Republik Florenz mit.
Mehrere Jahre beschäftigte sich der Künstler mit der
„Mona Lisa“. Unterdessen emanzipierte sich das Ge-
mälde von seinem Zweck. Kemp: „Was als Auftrags-
bild begann, entwickelte sich zu etwas, das ich als ein
‚universelles Bild‘ bezeichnen würde – eines, in das
Leonardo sein visuelles Wissen und sein Verständnis
des Menschseins einfließen ließ.“
Wie so oft in seiner Karriere fand Leonardo kein Ende.
Vincent Delieuvin beschreibt diese Eigenschaft des

Berühmte
Kopien: Links die
„Mona Lisa“ aus
dem Prado, sie
könnte von einem
Leonardo-
Schüler stammen.
Rechts die
„Isleworth Mona
Lisa“, um die sich
die umstrittene
Behauptung
rankt, Leonardo
selbst habe
sie gemalt

„ DER ÜBERGANG


ZWISCHEN LICHT UND


SCHATTEN IST MAGISCH“


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