Frankfurter Allgemeine Zeitung - 25.10.2019

(avery) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Medien FREITAG, 25. OKTOBER 2019·NR. 248·SEITE 15


Dass die Freitagsfilme im Ersten, laut
Christine Strobl, der Geschäftsführerin
der ARD Degeto, als Gute-Laune-
Rutschbahn ins Wochenende gedacht,
samt und sonders Schlagerschnulzen
fürs Auge wären, soll gar nicht behaup-
tet werden – hin und wieder hütet hier
ja zum Beispiel der erfrischend schlage-
runtaugliche Axel Prahl Kühe. Aber ge-
wisse Parallelen der beiden Gattungen
hinsichtlich Thematik, Stil und schamlo-
ser Rührungsbewirtschaftung wird
kaum jemand abstreiten wollen. So ge-
sehen, hat die (nicht ganz neue) Idee, ei-
nen Schlagerschnulzen-Charmebolzen
zum Angelpunkt der Handlung zu ma-
chen, etwas Apartes, weil sich die frei-
tägliche Romantikkomödie der ARD da-
mit ein Stück weit der Selbstbeobach-
tung unterzieht. Besonders apart ist es,
dass das One-Hit-Wunder Mirko Mor-
tauk elend an seiner One-Hit-Existenz
verzweifelt und ganz generell von billi-
gen Schmachtfetzen den Kanal voll hat.
Jede Neuerfindung als Künstler aber
lehnt sein Kaugummi-Manager (Henry
Hübchen, trotz affiger Sonnenbrille wie-
der zum Knuddeln) mit just dem Frei-
tags-Argument der ARD ab: „Wir zau-
bern Sonne in die Herzen!“
Gespielt wird der ausgebrannte Alt-
star, der bei tristen Stadtfesten in würde-
loser Endlosschleife seinen Danceschla-
ger „Bingo“ zum Besten gibt, von dem fe-
schen und eigentlich recht begabten Pas-
quale Aleardi, der sich filmtechnisch
von „Resident Evil“ bis zu „Kommissar
Dupin“ durchgespielt hat, tatsächlich
singen kann und im echten Leben entzü-
ckenden Soul-Funk produziert. Ob also
der schauspielerisch wohl schlechteste
Zusammenbruch des Jahres – der An-
lass ist ein mit dem „Reh-Mix“ des Hits
beauftragter Witzrapper – insgeheim
eine Revanche für das gütlich unterkom-
plexe Drehbuch von Markus B. Altmey-
er oder die frech unoriginell Dialogsze-
nen vor sonnensattem Hintergrund ver-
nähende Regie von Christian Theede
darstellt, weiß wohl nur Aleardi selbst.
Wenn er aber nicht gerade Burnout-At-
tacken mimt, kann man ihm gefahrlos
zusehen. Im Gegensatz übrigens zu den
Komparsen.
Was macht nun ein erloschener Stern
in der Midlife-Crisis? Natürlich: Er zieht
zurück zu Mama (Gundi Ellert), zumal
das keine Miete kostet. Im idyllischen
Dorf Sankt Maiwald, das dem berühm-
ten Sohn einst sogar einen nun schwin-
denden Trampelpfad gewidmet hat,
wohnt auch der Rest der zuvor kaum be-
achteten Familie: die seit Jahren um ih-
ren Mann trauernde Schwester (Marie
Leuenberger), die aus Leid (vorüber-
gehend) verstummte Nichte (Aleen Jana
Kötter), der von seiner eigenen Spießig-
keit genervte Banker-Bruder (René Geis-
ler) und der immer noch aufs Durchbo-
xen schwörende Vater (Peter Prager).
Außerdem gibt es ein Problem, das nur
der Heimkehrer lösen kann. Der Kir-
chenchor hat seine Leiterin verloren,
weshalb eine Katastrophe droht: das er-
neute Scheitern beim Chorwettstreit.
Das ist schon die ganze Fallhöhe. Es
kommt dann alles wie immer, wobei die
kitschige Vereinigung der versehrten
Herzen, zu denen noch die Jugendliebe
Rosa (Eva Herzig) zählt, diesmal über
die Musik läuft und besonders therapeu-
tisch ausfällt: „Steh auf, und lass dich fal-
len, um zu fliegen, brauchst du keinen
Halt.“ So weit ist also einfach nur Frei-
tag in der ARD: Manche Einstellungen
sind ulkig (der Protagonist im paillettier-
ten Schlagerdeppenkostüm), andere
hübsch, ohne Tiefgang auch nur anzu-
deuten.
Allerdings verbeißt sich Mirko, der an
keiner Gitarre vorbeigehen kann, ohne
loszuschmalzen, in den abgegriffenen ro-
mantischen Topos vom Leid als Motor
der Kunst. Bald nötigt er alle Beteilig-
ten, ihren „Schmerz“ zu nutzen: „Sing
darüber, wie es sich anfühlt, seit der ers-
ten Klasse gemobbt zu werden.“ Das
haut nicht nur, erwartbar, die Zuhörer
beim Chorwettbewerb um (immerhin
die seppelige Jury spielt nicht mit), son-
dern zielt ungeniert aufs Publikum. Die
Rührseligkeitsverzückung ist so groß,
dass sie etwas Übergriffiges bekommt.
Auch weil man merkt, dass die ganze
Handlung nur auf diesen einen ekstati-
schen Moment hinauswollte und sich
rückwirkend in Nichts auflöst. Da spielt
es dann gar keine Rolle mehr, dass man
den Figuren keine Sekunde lang
Schmerz, Ruhm oder Zuneigung abge-
nommen hat oder dass der ohnehin
schon nachlässig gezimmerte Plot mit ei-
ner besonders morschen Retardation –
einem herbeierfundenen Todesfall – end-
gültig ins Unterirdische versenkt wurde.
Lernen kann man hier natürlich
trotzdem etwas. Vielleicht nicht unbe-
dingt von den Zuschauern, aber – Stich-
wort Selbstanalyse – von einer Redakti-
on, die glaubt, man versonnenzaubere
ein Publikum mit Happy-End-Schnul-
zen in Endlosschleife. In einer Art Gar-
tentisch-Vision sieht unsere gerupfte
Nachtigall das Problem nämlich glas-
klar vor sich: „Manchmal ist das Leben
echt beschissen, oder? Vielleicht ist ge-
nau das der Ursprung der Kreativität.
Leute, bei denen alles immer nur super
läuft, haben vermutlich wenig zu erzäh-
len.“Bingo! OLIVER JUNGEN


Bingo im Kopfläuft um 20.15 Uhr im Ersten.


WIEN, 24. Oktober


D


er Rosenkrieg auf der österrei-
chischen Rechten zwischen der
FPÖ und ihrem einstigen Vor-
sitzenden Heinz-Christian Stra-
che wird nicht zuletzt um mediales Mobi-
liar des einstmals gemeinsamen politi-
schen Hauses geführt: die Facebook-Sei-
te von „HC“ Strache. Sie war einst ein
mächtiges Medium, um unmittelbar und
ungefiltert die Zielgruppe der „Freiheitli-
chen“ anzusprechen. Bis zum Senkrecht-
start von Sebastian Kurz war es die mit
gewaltigem Abstand reichweitenstärkste
politische Seite. Strache war der Face-
book-Kaiser. Mehr als 800 000 Follower
konnten auf diesem Kanal erreicht wer-
den, gut zehn Prozent der Gesamtbevöl-
kerung – auch wenn viele ausländische
User darunter waren, vor allem aus
Deutschland.
Doch nun, da sich die Partei und ihre
einstige Identifikationsfigur infolge der
Ibiza- und vor allem der Spesenaffäre
Straches einander tief entfremdet haben,
ist auch mit der Facebook-Seite vorerst
Schluss. Seit vergangener Woche ist sie
offline. Die neue Parteispitze hatte den
einstigen Chef schon im Sommer, als
Strache ihr mit eigenwilligen Kommenta-
ren immer wieder in die Kommunikation
funkte, gleichsam unter Kuratel gestellt:
Inhalte durfte er nur mehr durch die Hän-
de der Parteizentrale posten, die die Ad-

ministratorenrechte und entsprechenden
Passwörter hält. Das warf die interes-
sante Frage auf: Wem „gehört“ die Seite?
Sie trägt den Namen – und die Bilder –
von „HC Strache“. Im Impressum stand
aber: „FPÖ, Heinz-Christian Strache“,
dann die Adresse der Parteizentrale in
Wien. Jedenfalls versuchte die Partei in
der vergangenen Woche, die Seite gewis-
sermaßen mit ihrer Partei-Facebook-Sei-
te zusammenzuführen und die 800 000
Abonnenten „mitzunehmen“. Das mach-
te aber Facebook nicht mit. Daraufhin
wurde die Seite ruhend und schließlich
offline gestellt.
Die FPÖ fürchtet offensichtlich, dass
Strache mit einer eigenen politischen
Formation als Konkurrent auftreten
könnte. Dass seine Frau nun doch ihr Na-
tionalratsmandat als fraktionslose Abge-
ordnete angenommen hat, könnte eben-
falls in diese Richtung deuten. Mit einer
derart reichweitenstarken Seite könnte
Strache als Konkurrent noch gefährli-
cher werden. Strache ließ ausrichten, er
werde gerichtlich darum kämpfen. Das
wird eine interessante rechtliche Klä-
rung, die über die Strache-FPÖ-Fehde
hinaus Bedeutung hat.
Am Erfolg der Facebook-Seite hatten
Strache selbst, aber eben auch die Partei
und nicht zuletzt der österreichische
Steuerzahler mitgewirkt, wie Uta Ruß-
mann darlegt. Rußmann forscht an der
FH Wien über digitale Parteienkommuni-
kation und hat nach den vergangenen
Wahlkämpfen jeweils Interviews mit den
Verantwortlichen aller Parteien für die
digitalen Wahlkämpfe geführt. Sie sagt,
Strache sei 2009 als einer der überhaupt
ersten österreichischen Politiker auf
Facebook aufgetreten – auf seine eigene
Initiative hin. „Die FPÖ und Strache wa-
ren früh dabei und kontinuierlich dabei,
nicht nur im Wahlkampf.“ Dabei zeige
sich, dass die „Freiheitlichen“ schnell be-
griffen haben, worauf es auf dieser Platt-
form ankommt: Man setzte stark auf Per-
sonalisierung und auf Bilder. Die rasch
wachsende Follower-Gemeinde trauerte
mit Strache um einen verstorbenen
Hund und freute sich mit ihm über einen

neuen, sie nahm teil an seinem Liebesle-
ben und feierte gleichsam mit ihm Hoch-
zeit, als er seine heutige Frau Philippa
ehelichte. Strache gab auch immer wie-
der selbst Rückmeldung auf Kommenta-
re von Besuchern.
Zugleich war es jedoch immer auch
die Facebook-Seite der Partei. Wenn
man von der Website der FPÖ auf das
Facebook-Symbol klickte, kam man zu
„HC Strache“. Und es stellten auch Ange-
stellte der Partei Informationen auf die
Seite, moderierten oder beantworteten
Kommentare. Im Wahlkampf 2017 wur-
den dafür Mitarbeiter des „Bürgerser-
vice“ der FPÖ abgestellt. Es war Kommu-
nikationsstrategie der Partei, alles auf
die Reichweite der Facebook-Seite zu set-
zen; der Twitter-Kanal der FPÖ diente
hauptsächlich dazu, auf Inhalte dort zu
verweisen. „Nicht auf zu vielen Kanälen
sein, sonst kann man die Beantwortung
der Fragen nicht bewältigen“, hieß es aus-

drücklich. Die FPÖ bezahlte – zum Bei-
spiel im Wahlkampf 2017 – Werbung bei
Facebook für die Seite. Kostenpflichtig
war auch eine Zielgruppenansprache
(Lookalike Audience Targeting). Diese
Auskünfte erteilten FPÖ-Mitarbeiter zu
einer Zeit, als eine solche Entfremdung
undenkbar schien. Sie sind entsprechend
glaubwürdig. Rußmann folgert, man dür-
fe nicht den Auftritt auf Facebook für
sich betrachten, sondern immer nur als
Ganzes mit der Kampagne der Partei.
Die FPÖ, die sich von den etablierten
Medien stets missverstanden oder
schlecht behandelt sieht, erkannte das
Potential von Facebook zur ungefilterten
Kommunikation mit den Wählern. Auf
der anderen Seite stellte Straches Face-
book-Seite „ein öffentliches Sprachrohr
für ihre rechtspopulistische ‚Community‘
dar,“ sagt Rußmann. Als Plattform einer
demokratisch gewählten Partei war sie
ein gern genutztes Vehikel für Aussagen,
die man sonst nur in den Schmuddele-
cken des Netzes tätigen kann. „Auch des-
halb ist sie anders als die Seiten anderer
Parteien und Politiker: Da passierte Inter-
aktion.“
Kommunikationsforscherin Rußmann
sieht es mit Skepsis, dass die Seite dauer-
haft abgeschaltet und damit gelöscht wer-
den soll. Schließlich seien das Inhalte,
die teilweise unter Einsatz von Steuer-
geld erstellt wurden – einerseits, weil die
Parteien staatlich mitfinanziert werden,
andererseits, weil auch zur Zeit von Stra-
che als Minister und Vizekanzler „HC
Strache“ seine offizielle, auch von Minis-
teriumsmitarbeitern bespielte Seite war.
„Wenn die jetzt abgeschaltet wird, ist sie
für niemanden mehr zugänglich. Das ist
auch ein Problem der Transparenz.“
Das Problem sei auch schon bei ande-
ren Politikern aufgetreten, die entweder
die Eigentumsverhältnisse im Impres-
sum hin und her änderten oder teils die
Seiten nach Ausscheiden aus Regierungs-
ämtern ganz löschten. Insofern dürfte,
falls der Streit zwischen Strache und der
FPÖ wirklich vor Gericht kommt, damit
auch ein Präzedenzfall entschieden wer-
den. STEPHAN LÖWENSTEIN

B


ei Facebook, so fasst es Alexandria
Ocasio-Cortez zusammen, gehe es
um die Auswertung von Daten aus der
Vergangenheit seiner Nutzer, um deren zu-
künftige Entscheidungen vorhersagen
und beeinflussen zu können. Für den poli-
tischen Umgang mit dem weltgrößten so-
zialen Netzwerk schlägt die demokrati-
sche Kongressabgeordnete ein ganz ähnli-
ches Verfahren vor: In einer Anhörung
des Finanzdienste-Ausschusses im Reprä-
sentantenhaus zur geplanten Einführung
einer weltweiten Digitalwährung am Mitt-
woch empfahl sie, doch darauf zu schau-
en, wie sich Facebook und der Unterneh-
menschef Mark Zuckerberg in der Vergan-
genheit verhielten, wenn die Geschäfte
des Konzerns demokratische Prozesse be-
einflussten. Vor anderthalb Jahren war
Zuckerberg zum letzten Mal im Kongress
in Washington befragt worden. Nach zwei
Tagen, an denen es Mitte April 2018 in
Ausschüssen des Senats wie des Abgeord-
netenhauses um den Cambridge-Analyti-
ca-Skandal gegangen war, blieb bei Beob-
achtern der Eindruck zurück, den Politi-
kern sei nicht gelungen, Zuckerberg mit
kritischen Fragen in Bedrängnis zu brin-
gen. Cambridge Analytica hatte unter an-
derem für das Wahlkampfteam von Do-
nald Trump gearbeitet und die Daten von
geschätzt siebzig Millionen Amerikanern
ausgewertet, um deren künftige politische
Entscheidungen nach Kräften zu beein-
flussen. Bei der Befragung zu möglichen
Auswirkungen der geplanten Digitalwäh-
rung Libra auf die amerikanischen und in-
ternationalen Finanzsysteme wehte dem
35 Jahre alten Multimilliardär ein rauhe-
rer Wind entgegen. Gleich in ihrer Eröff-
nungsrede hatte die demokratische Aus-
schussvorsitzende Maxine Waters Zucker-
berg vorgeworfen, Politikern eine „Lizenz
zum Lügen“ zu erteilen, und auf ernsthaf-
te Überlegungen verwiesen, den Konzern
zu zerschlagen. In den fünf, sechs Minu-
ten, die Alexandria Ocasio-Cortez zur Be-
fragung hatte, gelang es der jungen Abge-
ordneten mehrfach, Zuckerberg in Verle-
genheit zu bringen — mit Fragen, welche
Art Missinformation sie im kommenden
Wahlkampf einsetzen könne, ohne von
Facebook daran gehindert zu werden, ob
Facebook Wahlwerbung sperren würde,
die eindeutige Lügen enthält, wann die
Chefetage von Facebook erstmals von
Cambridge Analytica gehört und wann
sie dessen Datennutzung problematisiert
habe. „Ich weiß es nicht“, setzte Zucker-
berg an — und wurde von Ocasio-Cortez
unterbrochen: Es gehe um den größten
Datenskandal seines Unternehmens mit
katastrophalen Auswirkungen auf die
Wahl von 2016, und das wisse er nicht?
„Ich bin sicher, wir haben es besprochen,
nachdem uns klargeworden ist, was pas-
siert war“, antwortete Zuckerberg im zwei-
ten Anlauf. Und das war Antwort genug:
Dass die Unternehmensleitung erst über
Auswirkungen spricht, wenn ihr klarge-
worden ist, was sie angerichtet hat, sollte
im Fall von Libra nicht passieren. kue

Wem gehören die achthunderttausend?


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Zuckerberg in Not


EineAbgeordnete der Demokraten
stellt Facebook die richtigen Fragen

Die Bemühungen von Produzenten, Ge-
schichten zu entwickeln, zu denen der Zu-
schauer schon ein emotionales Verhält-
nis hat, bevor er die ersten Bilder sieht,
nehmen kein Ende. Läuft etwas gut, las-
sen Ableger nicht lange auf sich warten.
Praktisch, wenn man aus einem schier
endlosen Pool an Figuren schöpfen
kann, wie ihn die Comic-Universen von
Marvel und DC Comics bieten.
Um ein paar aktuelle Beispiele aus dem
direkten Dunstkreis des wohl beliebtesten
DC-Helden, Bruce Wayne alias Batman,
zu nennen: Im Kino treibt gerade sein
größter Feind, der Joker, sein Unwesen.
Dessen Geliebte, Harley Quinn, folgt in
„Birds of Prey“ im kommenden Februar.
Im Fernsehen ist in den Vereinigten Staa-
ten eine Batwoman-Serie gestartet, „Go-
tham“ ging im Frühjahr nach fünf Staffeln
zu Ende. Die Entscheidung, James Gor-
don, Batmans Verbündeten bei der Poli-
zei, zum Helden einer eigenen Serie zu ma-
chen, war so unorthodox wie erfolgreich.
Jetzt lehnt sich das Drehbuch-Regie-
Duo Bruno Heller und Danny Cannon
noch weiter aus dem Fenster und ernennt
Alfred Pennyworth zum Titelhelden. Wer
nun Bilder von Michael Caine oder Mi-
chael Gough im Kopf hat, die Batmans
Butler in bisherigen Verfilmungen ge-

spielt haben, muss allerdings umdenken.
Denn in „Pennyworth“ ist Alfred noch lan-
ge nicht der weise alte Diener, der seinem
Fledermaus-Schützling stets die haarsträu-
bendsten Pläne auszureden versucht.
Ganz im Gegenteil: „Alfie“ (Jack Bannon)
ist hier selbst noch ein Draufgänger Mitte
zwanzig, der sich von niemandem außer
der Queen persönlich etwas sagen lässt.
Zehn Jahre als Soldat haben ihm ge-
reicht und in Form von ständigen Albträu-
men ihre Spuren hinterlassen. Jetzt will
Alfred keine Befehle mehr annehmen
und plant, mit seinen ehemaligen Kame-
raden Bazza (Hainsley Lloyd Bennett)
und Dave Boy (Ryan Fletcher) ein Sicher-
heitsunternehmen aufzuziehen. Bis das
anläuft, verdingt er sich als Türsteher in
einem Nachtclub, wo ihm Thomas Way-
ne, der später mal Batmans Vater werden
wird, seine Karte zusteckt. Viel interes-
santer findet Alfred an diesem Abend
aber die Tänzerin Esme (Emma Corrin),
eine junge Frau aus gutem Hause, die
Geld braucht, weil ihr Vater ihre Schau-
spiel-Aspirationen nicht unterstützen
will. Gänzlich unverlegen bittet Alfred
um einen Spaziergang im Park, und bald
wünscht sich der junge Veteran nichts
sehnlicher als ein bürgerliches Familien-
leben mit Esme an seiner Seite.

Seine Berufswahl passt dazu eher weni-
ger, wird er doch schon bei seinem ersten
Engagement (wider Willen) in die Ma-
chenschaften der sogenannten Raven So-
ciety verwickelt, einer faschistischen Un-
tergrund-Organisation, die den „weich-
herzigen, liberalen Idealisten“ im Land
den Kampf angesagt hat.
Wo diese Idealisten zu finden sind,
bleibt allerdings schleierhaft, schaut man
sich um in diesem fiktiven, mit Steam-
punk-Elementen gespickten London der
sechziger Jahre, wo Hinrichtungen vor ju-
belndem Publikum vollstreckt und im
Fernsehen übertragen werden. Überall in
der Stadt hängen Verbrecher am Pranger,
den (meist üblen) Launen des Volkes aus-
gesetzt, im Staatsapparat wütet Korrupti-
on. Politik ist Alfreds Sache allerdings
nicht, nach Jahren im Dienste seiner Ma-
jestät will er sich jetzt vor allem um sein
Privatleben kümmern. Von dieser Hoff-
nung muss er sich endgültig verabschie-
den als Martha Kane in sein Leben tritt,
Gegnerin der Faschisten und Batmans zu-
künftige Mutter, die sich um Alfreds
Anti-Waffen-Klausel wenig schert.
Es sind vor allem Bruce Waynes Eltern,
die immer wieder daran erinnern, um
wen es sich bei diesem gutaussehenden,
in jeder Hinsicht schlagfertigen Helden

tatsächlich handelt, und doch bleibt der
geistige Transfer zum alten Butler nie lan-
ge präsent. Das ist zu begrüßen, sparen
sich die Macher doch übermäßige Anspie-
lungen auf Hintergründe aus anderen Me-
dien, die in so vielen Ableger-Serien und
-Filmen verhindern, dass eine Geschichte
zu sich selbst findet. Ähnlich wie in der
„Breaking Bad“-Vorgeschichte „Better
Call Saul“ gelingt es hier, eine ganz eigene
Erzählung zu entwickeln, die mit ihrer
Mutter-Marke nicht viel mehr zu tun hat,
als dass deren Fans ihretwegen einschal-
ten. Das ist im aktuellen Serienwust viel
wert, gleichwohl kann man sich als Zu-
schauer davon durchaus gegängelt fühlen.
„Pennyworth“ versöhnt aber schnell wie-
der, mit einem charismatischen Protago-
nisten, der das Zeug zur britischen Kult-Fi-
gur mitbringt, großartigen Nebenfiguren,
über die man dringend mehr erfahren
möchte, und einem originellen Erzählstil
zwischen der neuen Sherlock-Holmes-Se-
rie, älteren James-Bond-Filmen und der
Kingsman-Reihe. Um sein Publikum zu
finden, mag dieser Alfred Pennyworth
noch im Dienste der Fledermaus stehen.
Abgesehen davon, ist er ganz und gar sein
eigener Herr.^ CLAUDIA REINHARD
Pennyworthist von heute an bei Starzplay auf
Amazon Prime verfügbar.

Hier jault


jede Muse


Gesangstherapie als


Komödie: „Bingo im Kopf“


Der Pfarrer
Herbert Malzacher kümmerte sich
über 40 Jahre um seine Gemeinde.
Wie meisterte er den Ausstieg?

Eine Influencerin und Youtuberin muss
nach einem Beschluss des Oberlandesge-
richts (OLG) Frankfurt am Main Werbung
auf Instagram kenntlich machen. Das Ge-
richt untersagte der Frau, auf ihrem Instag-
ram-Account Bilder von sich mit Waren
oder Dienstleistungen zu präsentieren, die
ohne Werbehinweis zu den Accounts der
Hersteller oder Anbieter verlinkt sind. Da-
mit gab das Oberlandesgericht der Be-
schwerde einer Verlagsleiterin gegen ein
Urteil des Landgerichts Frankfurt statt
(Az.: 6 W 68/19; Landgericht Az: 2-6 O
235/19). Demnach handele die Beklagte un-
lauter. Sie habe den kommerziellen Zweck
ihrer geschäftlichen Handlungen nicht
kenntlich gemacht. Die Influencerin prä-
sentiere sich in ihren Posts als Privatper-
son, dabei dienten diese der Förderung
fremder Unternehmen. Die Entscheidung
ist nicht anfechtbar. dpa/F.A.Z.

Endlich ist er sein eigener Herr


Noch nicht im Dienste seiner Fledermaus: Die Serie „Pennyworth“ zeigt die Vorgeschichte von Batmans Butler


Der Familienunternehmer
Ferdinand Schöneberg hat den eige-
nen Betrieb 45 Jahre lang geführt. Wie
kommt so einer zur Ruhe?

Transparenz-Urteil
Influencerin muss Werbung anzeigen

Nach dem unrühmlichen


Abgang des einstigen


FPÖ-Vorsitzenden


Heinz-Christian Strache


nimmt der Zwist


zwischen ihm und der


Partei skurrile Formen


an: Gestritten wird um


seine Facebook-Seite.


Kämpft um sein Publikum: Ex-Vize-
kanzler Heinz-Christian Strache will sei-
ne Facebook-Seite behalten. Foto dpa

Noch lange nicht der weise alte Diener: In der Serie „Pennyworth“ ist Alfie noch ein ziemlicher Draufgänger. Foto Starzplay


Die Erzieherin
Wie die Kölner Kita-Leiterin Inquaesh
Menghestu nach 30 Berufsjahren den
Start in die Rente erlebte.
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