Frankfurter Allgemeine Zeitung - 25.10.2019

(avery) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft FREITAG, 25. OKTOBER 2019·NR. 248·SEITE 17


BDI-Präsident Dieter Kempf


stellt der großen Koalition eine


schlechte Halbzeitbilanz aus.Seite 19


Die App Coin Master setzt


MillionenDollar um. Jetzt wird


geprüft, ob sie verboten wird.Seite 23


Der ADAC bittet seine Mitglieder


stärker zur Kasse. Doch


das ist längst nicht alles.Seite 24


Vernichtendes Urteil Umstrittenes Spiel Steigende Beiträge


V


ielleicht ist Tesla-Chef Elon
Musk der größte Unternehmer,
den die Welt zurzeit aufzubieten hat.
Die Börsen scheinen offen für die
Möglichkeit zu sein. Sie billigen Tesla
mit 53 Milliarden Dollar einen deut-
lich höheren Börsenwert zu als Ford
(35 Milliarden Dollar), das rund 20
Mal so viele Autos im Jahr verkauft.
Auch BMW hat mit knapp 50 Milliar-
den Dollar das Nachsehen. Musk hat
das in 16 Jahren geschafft. Im Börsen-
wert kumulieren sich die Zukunftser-
träge. Nicht, dass man sie heute genau
kennen könnte. Aber zurzeit sehen
die Aussichten nicht schlecht aus. Das
Unternehmen hat in kaum fassbarer
Rekordzeit von 168 Tagen eine Fabrik
in China eröffnet. Das Land ist der
größte Absatzmarkt für Autos und för-
dert den Kauf von Elektrofahrzeugen
mit Subventionen. Die zweite Überra-
schung ist, dass Tesla Kosten senken
und damit auch Gewinne erzielen
kann, wenn der Absatz knapp unter
den Erwartungen bleibt. Wer mit Tes-
la-Fahrern spricht, erlebt echte Liebe
für Fahrzeuge, die elegant und schnell
sind. Musk wurde schon häufiger für
geschäftlich tot erklärt, viele Leerver-
käufer haben mit dieser Wette Geld
verloren. Die Autowelt muss sich dar-
auf einstellen, dass er überlebt.

W


ashaben der Quantencomputer
und der Mobilfunkstandard 5G
gemeinsam? Es sind zwei Technolo-
gien mit dem Potential, die Welt zu ver-
ändern. Und es sind zwei Technolo-
gien, die zeigen, wie lange das dauern
kann. Nicht unbedingt zum Nachteil
der Menschheit.
Auf den ersten Blick scheint die
Hightech-Welt atemlos und getrie-
ben. In Wirklichkeit ist sie eine Schne-
cke. Bis sich Neues durchsetzt, verge-
hen Jahrzehnte. In dieser Woche ver-
kündete Google einen Durchbruch in
Sachen Quantencomputer. Er soll um
Dimensionen leistungsfähiger sein
als alle bisherigen Computer, weil er
mehr kennt als nur die Digitalzustän-
de null und eins. Seit 13 Jahren
forscht der Suchmaschinenkonzern
unter Leitung des deutschen Informa-
tikers Hartmut Neven daran.
Jetzt wurde eine Maschine vorge-
stellt, die gut eine Milliarde Mal schnel-
ler rechnet als die schnellsten Super-
computer. Klingt tatsächlich revolutio-
när. Doch von der Praxis ist das Pro-
jekt weit entfernt. Das machte Kon-
zernchef Sundar Pichai deutlich. Er
schwärmte und bremste zugleich. Der
Quantencomputer eröffne zwar gren-
zenlose Möglichkeiten. Doch bis zu
konkret nutzbaren Anwendungen wür-
den noch Jahre vergehen.
Ähnlich läuft es mit dem Mobilfunk-
standard 5G. An ihm wird ebenfalls
seit rund einem Jahrzehnt geforscht.
Im Jahr 2008 war noch der Vorvorgän-
ger 3G alias UMTS das Maß aller Din-
ge. Mit ihm kam das mobile Internet,
mit 5G kommt viel mehr: das Internet
der Dinge, das selbstfahrende Auto,
die komplett automatisierte Fabrik.
Wie beim Quantencomputer ist es
auch bei 5G vor allem der Tempo-
schub, der dies alles Realität werden
lässt. Daten fließen so schnell und so
reibungslos wie nie zuvor.
Anders als beim Quantencomputer
hemmt nicht die Technik die prakti-
sche Umsetzung. 5G ist grundsätzlich
erforscht, ausgereift, aufbaubar. Hier
kommen Hürden anderer Art ins
Spiel, ökonomische und politische. Es
ist zum einen die leidige Henne-Ei-
Problematik: Wer legt vor? Sie münde-
te in eine lange währende Investitions-
unlust. Netzausrüster klagten, dass die
Mobilfunkunternehmen sich mit dem
5G-Ausbau ihrer Netze Zeit ließen.
Die Mobilfunker wiederum sorgten
sich, ob ihre hohen 5G-Investitionen
auch wieder zurückfließen. Und Indus-
trie- wie Privatkunden zweifelten, ob
sie wirklich so schnell auf das noch re-
lativ teure 5G umsteigen müssen.
Inzwischen sind diese Hürden we-
sentlich flacher geworden. Spätestens
wenn Apple im kommenden Jahr ein
5G-iPhone auf den Markt bringt, ist
die Technologie auf dem Massen-
markt angekommen. Und die zuletzt
von Netzausrüstern vorgelegten Ge-
schäftszahlen lassen erahnen: Das

5G-Jahrzehnt kann beginnen. So stuf-
te Ericsson vergangene Woche seine
Prognosen für das kommende Jahr
kräftig nach oben. Vor allem die guten
Aussichten mit Blick auf 5G machen
die Schweden zuversichtlich. Es entwi-
ckele sich schneller, „als wir erwartet
hatten“, stellte Konzernchef Börje
Ekholm freudig fest.
Zugleich stottert derzeit das Ge-
schäft mit dem Hochgeschwindig-
keits-Mobilfunk auf einer anderen
Ebene. Es ist vor allem die heftiger
denn je geführte Polit-Diskussion um
Huawei, die bremst. Die Chinesen be-
trachten sich zwar als Markt- und
Technologieführer: Schon zwischen

2009 und 2013 habe man mehr als 600
Millionen Dollar in die 5G-Forschung
gesteckt. Dieser Expertise zum Trotz
versucht die amerikanische Regie-
rung mit aller Macht und bislang un-
belegten Spionagevorwürfen, Huawei
vom Aufbau neuer 5G-Mobilfunknet-
ze im Westen fernzuhalten.
Die Bundesregierung sperrt sich ge-
gen ein Verbot, doch in den vergange-
nen Tagen haben die Kritiker wieder
Oberwasser bekommen. Vertreter wie
der Direktor der Denkfabrik GPPI,
Thorsten Benner, werfen der Bundes-
kanzlerin vor, „aus Angst vor Repressa-
lien aus Peking“ einen „Hochrisiko-
anbieter“ wie Huawei zuzulassen. Dies
füge Deutschland „sicherheitspoli-
tisch, wirtschaftlich und diplomatisch
schweren Schaden“ zu. Auf der ande-
ren Seite stehen Ökonomen wie der
Wirtschaftsprofessor Torsten Gerpott,
die warnen: Ohne Huawei würde ein
5G-Aufbau hierzulande länger dauern
und teurer. Ähnlich argumentieren
auch Telekommunikationsunterneh-
men wie Vodafone.Selbst wenn man
die Sicherheitsbedenken für übertrie-
ben hält: Ob eine Verzögerung im
5G-Ausbau wirklich schädlich sein
muss, ist nicht ausgemacht.
Noch ein paar Überlegungen mehr
anzustellen, noch ein wenig Zeit zum
Nachdenken über die revolutionäre
Technologie zu haben, kann nicht scha-
den, im Gegenteil. Die Industrie
drängt zwar mit Macht auf den Aus-
bau. Deutschland müsse ein „echter
Leitmarkt und Leitanbieter“ für 5G
sein, heißt es. Letztlich geht es aber
doch darum, was man mit 5G macht,
wie man die Infrastruktur nutzt. Allein
eine schöne neue Autobahn nützt nie-
mandem. Ideen zur Nutzung sind wich-
tiger. Denn ob Quantencomputer oder
5G: Was sich damit alles anstellen
lässt, ist heute noch nicht ansatzweise
ausgedacht. Sicher ist nur: Diese Tech-
nologien haben die Fähigkeit, unsere
Welt besser zu machen.

E


in Ausbildungsvertrag ist kein Ar-
beitsvertrag, eine Ausbildungsver-
gütung kein Arbeitslohn. Das vielge-
priesene deutsche Berufsbildungswe-
sen dient ja nicht dazu, Betriebe mit
billigen Hilfskräften zu versorgen. Sie
sollen in die Zukunft junger Menschen
investieren, damit aus ihnen erfolgrei-
che Fachkräfte werden – zum beider-
seitigen Vorteil. Natürlich hindert das
keinen Betrieb, mit attraktiven Ausbil-
dungsvergütungen um die besten Nach-
wuchskräfte zu buhlen. Aber warum
soll es eine Staatsaufgabe sein, Min-
dest-Ausbildungsvergütungen festzule-
gen? Um die Sicherung des Lebensun-
terhalts kann es nicht gehen und geht
es auch nicht, wie die nun beschlosse-
nen Mindestsätze zeigen. Dazu dienen
seit je die Unterhaltspflicht der Eltern,
Kindergeld für Auszubildende und an-
dere staatliche Hilfen. Die neue Min-
destvergütung ist deshalb Schaufenster-
politik, die bestenfalls zu einer Entlas-
tung der Staatskasse auf Kosten ausbil-
dungsbereiter Betriebe führt.
Schlimmstenfalls lockt sie Jugendliche
aus Zukunftsberufen mit heute schon
ordentlichen Vergütungen weg – hin
zu Betrieben, die den Mindestbetrag
nicht freiwillig zahlen wollen. Oder zu
Betrieben, deren wirtschaftliche Lage
dafür eigentlich zu wacklig ist.

Was sich mit Quanten-
computern oder 5G alles
machen lässt, wissen wir
nicht ansatzweise.

sibi.FRANKFURT, 24. Oktober. Mit ei-
ner letzten Zinssitzung und einer letzten
Pressekonferenz hat sich am Donnerstag
Mario Draghi, der Präsident der Europäi-
schen Zentralbank (EZB), nach acht Jah-
ren in diesem Amt verabschiedet. Eine
Pressekonferenz, die zunächst so ähnlich
begann wie die meisten, aber doch ganz
anders enden sollte. Draghi lächelt, als
er den Saal betritt. Der EZB-Präsident
verliest die geldpolitischen Beschlüsse
auf Englisch, ohne mit der Wimper zu zu-
cken, in schablonenhaften Worten wie
all die Jahre. Die Notenbank belässt die
Leitzinsen auf einem Rekordtief und
wird vom 1. November an wieder Anlei-
hen kaufen. Fast nebenbei berichtet er,
seine Nachfolgerin Christine Lagarde sei
zum ersten Mal mit dabei gewesen in der
Sitzung des EZB-Rats, des obersten geld-
politischen Organs der Notenbank – sie
habe aber nichts gesagt.
Für die Vorlagen des EZB-Chefvolks-
wirts Philip Lane zur Fortsetzung der
Geldpolitik habe es viel Unterstützung
gegeben, hebt Draghi hervor; fast als ob
er den heftigen Streit in dem Gremium
aus den vergangenen Wochen zum Ab-
schied vergessen machen will. Die Ereig-
nisse hätten die Notenbank eher noch
darin bestärkt, dass die Entscheidungen
vom 12. September, der Beschluss für
eine Zinssenkung und neue Anleihekäu-
fe, richtig gewesen seien.
In der anschließenden Fragerunde für
die Journalisten zieht der EZB-Präsident
dann ein kleines Resümee seiner Amts-
zeit, auch wenn er angekündigt hatte, das
nicht tun zu wollen. Auf die Frage, ob er
in seinen acht Jahren aus heutiger Sicht ir-
gendetwas falsch gemacht habe oder auf
irgendetwas besonders stolz sei, sagt
Draghi nur: „Ich fühle mich wie jemand,
der versucht hat, das Mandat bestmöglich
zu erfüllen.“ Und gleichsam als Essenz
seiner turbulenten Amtszeit in der EZB
verkündet er: „Gib niemals auf!“


Sehr wortkarg gibt Draghi sich auf die
Frage, was er fortan machen will, ob es
für ihn ein Leben nach der EZB gibt. „Fra-
gen Sie meine Frau“, sagt er nur. Aber als
er später angesprochen wird, ob er sich
beispielsweise das Amt des Staatspräsi-
denten in Italien vorstellen könne, guckt
er etwas unwirsch. Auch einen Ratschlag
an seine Nachfolgerin Lagarde will er
nicht geben – sie benötige keinen Rat.
Humorvoll reagiert Draghi auf eine an-
dere Frage. Die „Bild“-Zeitung hatte ihm
zum Amtsantritt eine alte Pickelhaube ge-
schenkt, um ihn gleichsam stets an seine
lobenden Worte über preußische Tugen-
den und die Leistungen der EZB-Vorgän-
gerorganisation Bundesbank zu erinnern.
Jetzt forderte die Zeitung etwas boshaft
die Pickelhaube zurück, weil sie ent-

täuscht ist. Draghi entgegnete knapp und
wechselte überraschend ins Deutsche. Es
gebe in Deutschland doch eine alte Re-
densart: „Geschenkt ist geschenkt.“ Er
werde den Helm behalten.
Zuletzt ist Draghi häufig vorgeworfen
worden, er habe die Kommunikation
nicht glücklich betrieben und beispiels-
weise die Bevölkerung in Deutschland
nicht ausreichend für die Geldpolitik
der EZB gewonnen. Er sagt dazu, die
Kommunikation in einer Währungsuni-
on mit 19 verschiedenen Ländern sei be-
sonders schwierig. Da hätten die einzel-
nen Notenbanken wie die Bundesbank
vielleicht mehr Möglichkeiten als der
Präsident oder ein einzelnes Direkto-
riumsmitglied. Zudem richte sich die
Kommunikation der Notenbank zu-

nächst an die Finanzmärkte. Wenn man
das Publikum wechseln und direkt mit
der Bevölkerung kommunizieren wolle,
brauche man eine ganz andere Sprache


  • das aber wiederum berge die Gefahr,
    dass man in den Bereich der Politik vor-
    stoße.
    Draghi räumt ein, dass die Notenban-
    ken überall auf der Welt heute stärker
    Versuchen der Politik ausgesetzt seien,
    Einfluss zu nehmen. Das gelte aus seiner
    Sicht aber nicht so sehr für die EZB. Die
    Notenbank sei weiter unabhängig – aber
    in einer viel stärker von gegenseitigen Ab-
    hängigkeiten geprägten Welt. Zum Ab-
    schied bekommt Draghi von den Journa-
    listen, die ihn oft kritisierten hatten,
    freundlichen Applaus. (Abschied von
    Mario Draghi, Seite 18.)


chs./hmk.PARIS/BRÜSSEL,24. Okto-
ber. Frankreich versucht, mit einem Kon-
zernmanager und ehemaligen Wirt-
schaftsminister die EU-Kommission zu er-
neuern: Präsident Emmanuel Macron hat
am Donnerstag den Franzosen Thierry
Breton als künftigen EU-Kommissar für
ein breites Ressort vom Binnenmarkt
über Digitales bis zu Verteidigungsfragen
vorgeschlagen. Vor rund zwei Wochen
war die französische Kandidatin Sylvie
Goulard vom EU-Parlament abgelehnt
worden, weil die Abgeordneten Zweifel
an ihrer Integrität hegten. Der 64 Jahre
alte Breton, der noch bis Ende Oktober
als Vorstands- und Verwaltungsratschef
den französischen IT-Konzern Atos steu-
ert, ist nach Angaben aus dem Elysée-Pa-
last ein Kandidat mit „großen Kompeten-
zen“ und ein „Mann der Tat“.
Unmittelbar ist am Donnerstag aller-
dings auch die Sorge vor möglichen Inter-


essenkonflikten laut geworden. Atos ist
ein Empfänger von EU-Subventionen, er-
hält unter anderem Zuwendungen im Pro-
gramm „Quantum Flagship“, das Hochleis-
tungsrechner fördert. Breton hat im ver-
gangenen Jahr einen großen Teil seiner
Atos-Aktien verkauft, hält aber immer
noch einen bedeutenden Bestand. Der grü-
ne EU-Abgeordnete Yannick Jadot vermu-
tete, dass Bretons Zuständigkeiten in Digi-
talfragen verringert werden könnten – zu
Lasten der Effizienz.
Im Elysée-Palast hieß es, dass Breton
eine Lösung vorschlagen werde. Schon in
seiner Zeit als Finanz- und Wirtschaftsmi-
nister habe er Interessenkonflikte mit sei-
nen ehemaligen Arbeitgebern vermieden;
damals galt die Regelung, dass der Pre-
mierminister die Verantwortung jener Pro-
jekte übernimmt, die mit den entsprechen-
den Konzernen in Verbindung stehen. Bre-
ton leitete in seiner Karriere vor Atos die

Unternehmen Bull, Thomson und France
Télécom. Die künftige Kommissionspräsi-
dentin Ursula von der Leyen lobte die
Wahl Bretons. Er sei offensichtlich ein er-
fahrener Kandidat, wenn es um die Digita-
lisierung gehe, hieß es aus ihrem Über-
gangsteam. Es sei auf jeden Fall gut, dass
es jetzt einen Namen aus Frankreich gebe.
Der Amtsantritt der neuen Kommission
war nach dem Veto des Parlaments gegen
Goulard sowie die rumänischen und unga-
rischen Kandidaten um einen Monat auf
den 1. Dezember verschoben worden.
Auch dieser Termin ist jedoch in Gefahr.
So ist in Rumänien zwischenzeitlich die Re-
gierung gestürzt worden. Das Land kann
erst dann einen neuen Kandidaten für die
Kommission nominieren, wenn die neue
Regierung steht. Anschließend müssen die
neuen Kandidaten vom Europaparlament
angehört und die Kommission als Ganzes
von ihm gebilligt werden. Unklar ist zu-

dem, ob das Vereinigte Königreich nach ei-
ner möglichen Verschiebung des Brexits
über den Antritt der neuen Kommission
hinaus auch noch einen Kandidaten für
die Kommission benennen müsste. Von
der Leyen stellte am Donnerstag in Helsin-
ki klar, dass sie Großbritannien in diesem
Fall um einen Kandidaten bitten werde.
Die Europaabgeordneten kommentier-
ten die Nominierung Bretons am Don-
nerstag zunächst kaum. Die Fraktionsvor-
sitzende der Linken, die französische Ab-
geordnete Manon Aubry, bezeichnete Bre-
ton wegen der Gefahr von Interessenkon-
flikten als „nicht die beste Wahl“ für
Frankreich. Der Fraktionsvorsitzende der
Grünen, Philippe Lamberts, sagte, Breton
sei angesichts seines Lebenslaufes „das
richtige Kaliber“ für den Binnenmarkt-
kommissar. Interessenkonflikte müssten
aber ausgeschlossen werden.(„Wandler
zwischen den Welten“, Seite 22.)

dc. BERLIN,24. Oktober. Unternehmen,
die in die Ausbildung junger Menschen in-
vestieren, müssen diesen künftig eine ge-
setzlich festgelegte Mindestvergütung zah-
len. Die Koalitionsmehrheit im Bundestag
hat dazu am Donnerstag die lange umstrit-
tene Neufassung des Berufsbildungsgeset-
zes beschlossen. Auszubildende im ersten
Lehrjahr müssen damit von 2020 an min-
destens 515 Euro im Monat erhalten. Im
Lauf ihrer Ausbildung steigt der gesetzli-
che Anspruch dann schrittweise auf 695
Euro im dritten Lehrjahr und auf 721
Euro, falls es ein viertes Lehrjahr gibt.
Für die kommenden Jahre schreibt das
Gesetz außerdem eine Erhöhung dieser
Beträge vor. Damit werden für den Ausbil-
dungsjahrgang 2023 anfangs mindestens
620 Euro fällig, im dritten Lehrjahr sind
es dann 837 und im vierten 868 Euro. Da-
nach werden alle Mindestbeträge jährlich
um einen gesetzlich definierten Prozent-
satz erhöht, und zwar entsprechend der
branchenübergreifend ermittelten Erhö-
hung tarifvertraglicher Ausbildungsvergü-
tungen, die Gewerkschaften und Arbeitge-
berverbände miteinander aushandeln. Im


Jahr 2018 beispielsweise lag diese Steige-
rungsrate laut Bundesinstitut für Berufs-
bildung (BIBB) bei 3,7 Prozent.
Zugleich schreibt das neue Gesetz vor,
das Auszubildende künftig seltener im Be-
trieb sein müssen: In Berufsschulwochen
mit mehr als fünf Unterrichtsstunden je
Tag sollen sie höchstens noch für wö-
chentlich zwei Stunden im Betrieb sein
müssen. Findet die Berufsschule nicht im
Blockunterricht statt, sondern an einzel-
nen Wochentagen, müssen die Lehrlinge
an mindestens einem Wochentag nicht in
den Betrieb. Dies hatte die SPD, abwei-
chend vom Gesetzentwurf der Regierung,
später noch durchgesetzt. Weitere Neure-
gelungen betreffen die Erleichterung ei-
ner Ausbildung in Teilzeit und eine Neu-
bezeichnung von Fortbildungsabschlüs-
sen. Um das Fortbildungssystem interna-
tional verständlicher zu machen, soll sich
etwa ein Handwerksmeister künftig auch
„Bachelor professional“ nennen dürfen.
Bildungsministerin Anja Karliczek
(CDU) lobte das Gesetz als großen Fort-
schritt. „Jetzt wird die duale Berufsbil-
dung noch attraktiver, flexibler und inter-

nationaler“, sagte sie. Überdies werde da-
mit die „Tarifpartnerschaft“ gestärkt. Dies
zielt auf eine Klausel, die besagt, dass Ge-
werkschaft und Arbeitgeberverband in ei-
ner Branche die Vergütung mittels Tarif-
vertrag unter das gesetzliche Mindestni-
veau senken dürfen. In vielen Ausbildungs-
berufen in Industrie und Handel liegen die
Vergütungen zwar ohnehin längst höher.
Manche Handwerksberufe aber liegen dar-
unter, weshalb vor allem das Handwerk
vor einer Überforderung kleiner Betriebe
und einem Abbau von Lehrstellen warnt.
Bisher sind aber keine Fälle bekannt, in de-
nen Gewerkschaften zusammen mit ihren
Mitgliedern die Senkung von Ausbildungs-
vergütungen befürworten.
Daneben beschloss die Mehrheit von
Union und SPD am Donnerstag zwei wei-
tere umstrittene Gesetze, mit denen sie
Arbeitsbedingungen verbessern will: zum
einen für Paketdienste und ihre Fahrer
und zum anderen für Altenpflegekräfte.
Mit dem neuen Pflegelohngesetz soll der
Staat künftig durch Rechtsverordnung –
über den aktuellen Branchenmindestlohn
von rund 11 Euro je Stunde hinaus – leich-

ter ganze Lohntabellen oder Tarifverträ-
ge für alle Arbeitsverhältnisse in der Al-
tenpflege festlegen können. Die konkre-
ten Vorgaben sollen dabei wahlweise von
einer neu besetzten Lohnkommission be-
stimmt werden oder von der Gewerk-
schaft Verdi in Verhandlungen mit einem
von der Arbeiterwohlfahrt angeführten
Arbeitgeberverband. Die Vorbereitungen
dafür haben kürzlich begonnen.
Zudem beschloss die Koalition unter
dem Titel „Paketbotenschutzgesetz“ eine
neue Regel für Paketdienste: Lassen diese
ihre Lieferaufträge durch Vertragspartner
ausführen, sollen sie künftig auch die Sozi-
albeiträge für deren Mitarbeiter zahlen,
falls es offene Forderungen der Sozialkas-
sen gibt. Schon heute gilt für alle Arbeitge-
ber eine „Nachunternehmerhaftung“, falls
Subunternehmen gegen den Mindestlohn
verstoßen; eine Haftung gegenüber den So-
zialkassen gilt bisher aber nur für Fleisch-
industrie und Bau. Die Koalition erwartet
nun bessere Arbeitsbedingungen für Paket-
boten; Kritiker warnen, dass bald weniger
angestellte und mehr selbständige Fahrer
in den Lieferwagen sitzen könnten.

Superstar


Von Winand von Petersdorff


Schnelligkeit braucht ihre Zeit


Von Thiemo Heeg


Mit einem Lächeln:Draghi kommt zu seiner letzten Pressekonferenz. Foto AP


Macron schlägt Konzernmanager für EU-Kommission vor


Thierry Breton soll nach Brüssel / Er hört beim IT-Unternehmen Atos auf / Drohen Interessenkonflikte?


Auch für Lehrlinge gilt künftig ein Mindestlohn


Koalition beschließt Untergrenzen von 515 bis 868 Euro / Neue Lohnregeln zudem für Pflegekräfte und Paketboten


Die neue Irrlehre


Von Dietrich Creutzburg


Mario Draghis letzter Einsatz


Zum Abschied zieht der


EZB-Präsident zaghaft


Bilanz. Seine Essenz


aus acht Jahren in dem


schweren Amt:


Gib niemals auf!

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