Frankfurter Allgemeine Zeitung - 19.10.2019

(Nora) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft SAMSTAG, 19. OKTOBER 2019·NR. 243·SEITE 17


Die Türkei kann es sich nicht erlau-


ben,wegen Syrien Geschäfte mit


dem Westen zugefährden.Seite 19


Vitalie Taittinger übernimmt das


gleichnamige Champagnerhaus.


Auf sie warten große Taten.Seite 22


Gewerkschaft Ufo will stattdessen


beiTochtergesellschaften


am Sonntag streiken.Seite 24


Scharfes Schwert Große Fußstapfen Lufthansa-Streik abgesagt


D


ieBürgermeister mussten lange
bangen. Erst jetzt ist so gut wie si-
cher: Die Grundsteuer lebt weiter als
wichtige Einnahmequelle der Kommu-
nen in Deutschland. Dadurch erhal-
ten die Gemeinden rund 14 Milliar-
den Euro im Jahr. So viel zahlen Haus-
besitzer und Mieter mittlerweile an
ihre Gemeinden. Der Neuregelung
der Grundsteuer haben Union und
SPD mit Grünen und FDP am Freitag
im Bundestag den Weg geebnet. Nach
langem Streit haben sie die kommuna-
le Einnahmequelle gesichert und ge-
öffnet: Wenn die neue Grundsteuer
im Jahr 2025 startet, erhalten Bundes-
länder die Möglichkeit, deren Berech-
nung abweichend vom Bundesmodell
zu gestalten. Die letztendliche Höhe
der Grundsteuer in einem Ort ver-
bleibt aber in der Hand der jeweiligen
Kommune. Denn jede Gemeinde legt
weiter den lokalen Hebesatz fest, der
die Höhe der Zahlung des Bürgers
maßgeblich entscheidet. Das stärkt
die Bedeutung kommunaler Politik
und den Wettbewerb der Kommunen
untereinander. Wie teuer die Grund-
steuer im nächsten Jahrzehnt wird, ob-
liegt eben entscheidend den Gemein-
den und deren Hebesätzen. Das liegt
wiederum auch in der Verantwortung
der Bürgermeister.

D


ie Idee, dass freier Handel über
Grenzen hinweg gut ist, ver-
kümmert in erstaunlicher Geschwin-
digkeit. Die jüngste Debatte der demo-
kratischen Bewerber für die ameri-
kanische Präsidentschaftskandidatur
zeigt, wie hoffähig der Protektionis-
mus des amerikanischen Präsidenten
Donald Trump inzwischen geworden
ist.
Die aussichtsreiche Demokratin Eli-
zabeth Warren geriert sich sogar radi-
kaler als der „America first!“-Präsi-
dent. Sie lehnt nicht nur das ausgehan-
delte nordamerikanische Freihandels-
abkommen ab, das der Kongress noch
absegnen muss. Sie will sämtliche
Handelsvereinbarungen der Vereinig-
ten Staaten zur Disposition stellen.
Wer nicht ihren Standards für Umwelt-
schutz und Arbeitnehmerrechte ent-
spricht, kommt nicht in den Genuss ei-
nes Freihandelspaktes. Ihr Plan, Arbei-
tervertreter, Umweltgruppen und an-
dere zivile Organisationen an den Ver-
handlungstisch zu lassen, dürfte Eini-
gungen so wahrscheinlich machen
wie die Lösung des Nahostkonflikts
durch Trumps Schwiegersohn an ei-
nem verlängerten Wochenende.
Die jüngsten Dokumente, die der
Internationale Währungsfonds (IWF)
und die Weltbank zur Jahrestagung
präsentieren, geben Zeugnis von dem
Trend zu neuen Handelsbarrieren.
Lange galt die Faustformel, dass der
Handel doppelt so schnell wächst wie
die Weltwirtschaft. Jetzt stagniert er.
Die Investitionen sinken in aller Welt,
weil die Unternehmen nicht wissen,
wie die von den Vereinigten Staaten
angezettelten Handelskonflikte ausge-
hen werden. Konzerne richten ihre in-
ternationalen Produktionsketten neu
aus, nicht etwa, weil es effizienter ist,
sondern um Zölle zu umgehen. Protek-
tionismus legt sich wie Mehltau über
die Weltwirtschaft.
Gelegentlich fühlt man sich an den
Monty-Python-Film „Das Leben des
Brian“ erinnert, in dem der Führer
der Volksfront von Judäa gegen die rö-
mische Besatzung agitiert und seinen
Leuten die rhetorische Frage stellt:
„Was haben die Römer je für uns ge-
tan?“ Seine Mitstreiter bringen dann
doch viel Positives zur Sprache vom
Aquädukt bis hin zu neuen Straßen.
„Na gut, abgesehen von Sanitäranla-
gen, medizinischer Versorgung, Bil-
dung, Wein, der öffentlichen Ord-
nung, Bewässerung, Straßen, einem
Frischwasser-System und dem Ge-
sundheitswesen, was haben die Rö-
mer je für uns getan?“, schimpft John
Cleese in der Paraderolle eines jüdi-
schen Freiheitskämpfers.
Was hat denn der freie Handel uns
je gebracht? Computer zum Beispiel,
die sich heute fast jeder leisten kann.
Im Jahr 1984 hat ein Computer mit lä-
cherlichen 512 Kilobyte 28 000 Dollar
gekostet. Heute bekommt man deut-
lich leistungsstärkere Geräte für 300
Dollar. Ohne die internationale Ar-
beitsteilung wäre diese Erfolgsge-

schichte nicht denkbar gewesen. Gera-
de die Preise für Maschinen und Aus-
rüstungsgüter sind in den vergange-
nen Jahrzehnten kräftig gefallen. Das
hat Investitionen verbilligt und den
Ländern geholfen, zu wachsen.
Na gut, und abgesehen von Compu-
tern und der Tatsache, dass Sachen ge-
nerell billiger geworden sind? Einige
hundert Millionen Menschen konnten
dank der Integration ihrer Länder in
den Welthandel der Armut entrinnen.
Unternehmen können größere Märk-
te bedienen und damit vor allem ihre
fixen Kosten für Forschung und Ent-
wicklung auf mehr Güter verteilen.
Technologischer Fortschritt breitet

sich schneller aus und ermöglicht bei-
spielsweise mobiles Bezahlen in Ke-
nia oder landwirtschaftliche Beratung
übers Handy in Ruanda. Länder im
frühen Entwicklungsstadium können
sich an globalen Produktionsketten be-
teiligen und bekommen die Chance,
nach und nach höherwertigere Güter
herzustellen. Lokale Monopole kön-
nen wegen der Importkonkurrenz
ihre Kundschaft nicht länger übervor-
teilen. Uber wäre so ein Beispiel. Und
schließlich fördert Handel Frieden,
auch wenn man es im Moment kaum
glauben mag.
Die Ressentiments gegen den inter-
nationalen Handel werden vor allem
in reichen Ländern geschürt, und
zwar von zwei Gruppen. Zur ersten ge-
hören die selbsternannten Advokaten
der armen Länder. Sie beklagen die
niedrigen Löhne und schlechten Ar-
beitsbedingungen für die Näherinnen
in Bangladesch und vernachlässigen
die Alternative, ein Leben ohne gere-
geltes Einkommen. Bangladesch wird
von der Weltbank als Erfolgsland her-
ausgestellt. Es verdankt seinen Auf-
stieg der Integration in globale Pro-
duktionsketten.
Die anderen Kritiker des internatio-
nalen Handels verweisen nicht zu Un-
recht auf die Verwerfungen, die Impor-
te aus Billiglohnländern wie China
für die alten Industriereviere in den In-
dustrieländern mit sich gebracht ha-
ben. Tatsächlich haben vor allem in
Amerika, aber auch in anderen Indus-
trienationen viele Arbeiter ihre gutbe-
zahlten Arbeitsplätze verloren. Neue
Stellen in der Exportindustrie haben
die Verluste nicht ausgeglichen. Für
diese Fälle leisten sich reiche Länder
Sozial- und Bildungssysteme. Dazu
kommt, dass der China-Schock eine
historisch einmalige Entwicklung re-
präsentiert. Die nächste Eruption
dürfte Umbrüchen der Technologie zu
verdanken sein. So bekämpfen Protek-
tionisten Entwicklungen von gestern
mit den Rezepten von vorgestern.

D


as Wohngeld für Geringverdie-
ner zählt zu den wenigen Sozial-
leistungen, die politisch eher zu wenig
Beachtung finden als zu viel. Als In-
strument zum Entschärfen von Miet-
steigerungen und Wohnungsmangel
ist es viel tauglicher als die unselige
Mietendeckel- und Enteignungspoli-
tik, die sich quer durch die Parteien
wachsender Popularität erfreut. Über-
dies ist es zielgenau, weil der Staat
knappe Ressourcen hier nicht mit der
Gießkanne verteilt, sondern nur an
Haushalte, die Unterstützungsbedarf
nachweisen. Die nun beschlossene
Wohngelderhöhung ist insofern eine
der wenigen sozialpolitischen Ent-
scheidungen dieser Regierungskoaliti-
on, die auch in Zeiten schrumpfender
Haushaltsspielräume zukunftsfähig er-
scheint. Ärgerliche Schwachstellen im
System der Einkommenszuschüsse für
Geringverdiener bleiben indes beste-
hen. Das sind vor allem die Wechsel-
wirkungen, die Familien spüren, wenn
sie Wohngeld und Kinderzuschlag
gleichzeitig erhalten: Mit steigendem
Erwerbseinkommen wird ihnen bei-
des oft so rabiat gekürzt, dass sich zu-
sätzliche Arbeit gar nicht lohnt. Offen-
bar fehlt der Koalition vor lauter Zank
über die Grundrente die Kraft, solche
Respektlosigkeiten zu beseitigen.

gb./hpe./mec. MÜNCHEN, 18. Oktober.
Vor einigen Wochen hat es Irritationen
über das mutigste Automobilprojekt des
BMW-Konzerns gegeben. Lässt der
Münchner Autohersteller das kompakte
Elektromodell i3 auslaufen? Davon kön-
ne überhaupt nicht die Rede sein, stellte
Oliver Zipse, der neue Vorstandsvorsit-
zende von BMW, in seinem ersten Inter-
view nach Amtsantritt klar.
Im Gegenteil: „Der i3 wird weiter produ-
ziert werden, keine Frage“, sagte Zipse im
Gespräch mit der morgen erscheinenden
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszei-
tung. „Der Wagen ist heute schon eine Iko-
ne. Welches Auto kann das nach nur sechs
Jahren von sich behaupten? Ikonen ticken
nach einer anderen Logik, die haben kei-
nen klassischen Nachfolger, die bleiben
sich im Kern immer treu.“
Der i3, ein Leichtbau aus Karbon, war
eine kostspielige Vision. Und zum Ver-
kaufsstart im Jahr 2013 war BMW seiner
Zeit voraus. Das Auto wurde von Grund
auf als Elektroauto mit eigener Plattform
konzipiert, die kein anderes Fahrzeug im
Konzern nutzt. Die Käufer blieben je-
doch aus: nur 16 000 verkaufte i3 im Jahr
2014, 24 000 im Folgejahr. Heute sei der
i3 gefragter denn je, werde „bei Batterie
und Bedienkonzept noch mal einen
Sprung“ machen und sei selbst neuen
Konkurrenten wie dem ID3 von Volkswa-
gen technologisch überlegen: „Wir wach-
sen mit dem i3 jedes Jahr – in Europa die-
ses Jahr um rund 20 Prozent. Die Investi-
tionen sind abgeschrieben, wir verdienen
mit jedem i3 Geld. Wieso in Gottes Na-
men sollten wir dieses Auto, das jetzt auf
der Höhe seiner Zeit ist, aufgeben? Wir
sind uns sicher: Der i3 hat noch großes Po-
tential!“


Der 55 Jahre alte Zipse, zuvor Produkti-
onsvorstand, stellt BMW auf die Transfor-
mation der gesamten Autoindustrie ein,
die „für manche existenzbedrohend“ wer-
den könne. Auf der anderen Seite schütz-
ten die hohen Eintrittshürden davor, dass
Neueinsteiger wie Apple oder Google in
das Automobilgeschäft eindringen. „Tat-
sache ist: Es gibt keinen richtigen Neuein-
steiger“, sagte Zipse. Keiner der „neuen
Player“ habe es mit einem profitablen Ge-
schäftsmodell geschafft, „und keiner wird
es so schnell schaffen“, zeigte sich der
BMW-Chef überzeugt.
Anders als im Automobilbau seien die
Eintrittshürden für Vermittlungsdienste
im Mobilitätsgeschäft sehr niedrig. Für
das gemeinsam mit Daimler betriebene
Mobilitäts-Joint-Venture „Your Now“ wer-
den nun noch weitere Partner gesucht: „Es
ist ausdrücklich erwünscht, die ,Now-Fa-
milie’ auf breitere Füße zu stellen, über Ko-
operationen oder finanzielle Beteiligun-
gen von Dritten.“ Einen Verkauf von
„Your Now“, in dem Carsharing, Mitfahr-

gelegenheiten und Taxivermittlung gebün-
delt sind, schloss Zipse aus. Die Gerüchte
waren vor wenigen Wochen aufgekom-
men, nachdem überraschend die Manage-
rin Daniela Gerd tom Markotten das in
Berlin angesiedelte Mobilitätsunterneh-
men nur ein halbes Jahr nach Dienstan-
tritt schon wieder verlassen hatte.
Zipse selbst schart derzeit ein Netz von
Vertrauten um sich. Mit Milan Nedeljko-
vic, zuvor Qualitätschef und Werksleiter
in München, wurde ein neuer Produktions-
vorstand und mit Ilka Horstmeier, Leite-
rin des Werks Dingolfing, eine neue Perso-
nalchefin berufen. Auf der Ebene dar-
unter soll jede vierte Stelle umbesetzt wer-
den, ist im Unternehmen zu hören. Zipse
wollte das nicht kommentieren. Nur so
viel: „Mir ist wichtig, dass wir auf den zen-
tralen Positionen Führungskräfte haben,
die mit Fachkompetenz und Erfahrung
die Industrie lesen und gestalten können.“
Nach Informationen der F.A.Z. besetzt
Zipse mehrere Schlüsselressorts neu. Mit
dem McKinsey-Berater Florian Weig wird

die wichtige Position des Strategiechefs für
die Unternehmensplanung erstmals extern
besetzt. Außerdem wird ein neuer Bereich
Beteiligungsmanagement geschaffen, in
dem etwa das Your-Now-Joint-Venture an-
gesiedelt ist. Den neuen Bereich leitet vom


  1. Januar an Reiner Feurer. Neuer Bereichs-
    leiter für die Informationstechnologie im
    Konzern soll Alexander Buresch werden.
    Zipse hat Mitte August den Vorstands-
    vorsitz von Harald Krüger übernommen.
    Seitdem drückt er aufs Tempo. Am Ziel
    seines glücklosen Vorgängers, den Riva-
    len Mercedes als größte Marke im soge-
    nannten Premiumsegment abzulösen,
    hält Zipse ausdrücklich fest. „Natürlich ist
    es Anspruch einer Marke wie BMW, die
    Nummer eins zu sein. Wir wollen die Kun-
    den begeistern, und wir wollen unseren
    Investoren wieder eine Rendite zwischen
    8 und 10 Prozent zeigen“, sagte er. „Ganz
    klar gilt: Die Zeichen stehen auf Angriff.“
    Das vollständige Interview mitOliver Zipselesen
    Sie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszei-
    tung am 20. Oktober.


Die Ressentiments gegen
freien Handel werden in
reichen Ländern geschürt,
von zwei Gruppen.

dc. BERLIN, 18. Oktober. Etwa 660 000
Haushalte in Deutschland mit kleinen Ar-
beitseinkommen sollen zum Jahreswech-
sel von einer Erhöhung des staatlichen
Wohngelds profitieren. Die Koalitions-
mehrheit im Bundestag beschloss am Frei-
tag die von Bundesbauminister Horst See-
hofer (CSU) vorgelegte Reform dieser So-
zialleistung. Die Förderbeträge von mo-
natlich bisher beispielsweise bis zu 870
Euro für einen Vierpersonenhaushalt sol-
len damit je nach Einkommens- und Miet-
höhe um bis zu 30 Prozent steigen. Seeho-
fer erwartet in der Folge einen Anstieg
der Ausgaben um rund ein Fünftel auf 1,
Milliarden Euro im Jahr 2020.
Außerdem enthält das Gesetz eine Neu-
regelung, die in Zukunft für regelmäßige
Wohngelderhöhungen alle zwei Jahre sor-
gen soll. Bisher galt für das Wohngeld, an-


ders als etwa bei den Grundsicherungsleis-
tungen für Arbeitssuchende („Hartz IV“)
und für Senioren, keine automatische An-
passung. Zuvor hatte die Regierung das
Wohngeld in den Jahren 2009 und 2016 er-
höht. Als Maßstab für die neue „Dynami-
sierung“, die erstmals zum 1. Januar 2022
greift, soll die vom Statistischen Bundes-
amt ermittelte Preis- und Mietenentwick-
lung dienen. Jenseits der grundsätzlichen
Koppelung des Wohngelds an Einkom-
men und individuelle Miethöhe sind die
Förderbeträge nach sogenannten Mieten-
stufen gestaffelt; sie spiegeln das regiona-
le Wohnkostenniveau wider.
Zuletzt war die Zahl der Wohngeldbe-
zieher deutlich gesunken, von zeitweilig
mehr als einer Million auf knapp eine hal-
be Million, was eine Folge steigender Ein-
kommen bei unveränderten Einkommens-

grenzen und Förderbeträgen war. Mit den
unregelmäßigen Erhöhungen war der Be-
zieherkreis jeweils sprunghaft gewachsen
und dann wieder geschrumpft.
Ministeriumsschätzungen zufolge wer-
den mit der nun bevorstehenden Erhö-
hung etwa 180 000 Haushalte neu in den
Kreis der Bezieher kommen.Allerdings
heißt das in vielen Fällen nicht, dass diese
Haushalte bisher keinen Anspruch auf
staatliche Hilfen hatten. Vielmehr gibt es
im Alltag eine Wechselwirkung zwischen
dem Bezug von Wohngeld einerseits und
dem Bezug aufstockender Hartz-IV-Leis-
tungen für Geringverdiener. Steigen die
Hartz-IV-Bedarfssätze im Zeitablauf stär-
ker als das Wohngeld, „rutschen“ schritt-
weise mehr Haushalte aus dem Wohngeld
in den Hartz-IV-Bezug und mit der nächs-
ten Wohngelderhöhnung dann wieder zu-

rück. Dieser Mechanismus soll mit der ge-
planten Dynamisierung nachlassen.
Weitere Wechselwirkungen gibt es al-
lerdings mit dem Kinderzuschlag für Ge-
ringverdiener: Viele Familien haben An-
spruch auf beide Leistungen, deren Be-
zugsbedingungen nach Ansicht von Kriti-
kern aber nicht immer schlüssig aufeinan-
der abgestimmt sind. Die FDP hatte da-
her beantragt, alle Einkommenshilfen für
Geringverdiener zu einer schlüssigen Ge-
samtleistung zusammenzufügen, kam da-
mit aber erwartungsgemäß nicht durch.
Die Regierungskoalition bereitet indes
jenseits des aktuellen Gesetzes schon die
nächste Wohngeldänderung vor: Als Aus-
gleich für steigende Energiepreise will sie
das Wohngeld mit ihrem kürzlich im Kabi-
nett beschlossenen Klimaschutzplan um
weitere 10 Prozent erhöhen.

Neuer Hausherr im BMW-Vierzylinder:Oliver Zipse Foto Dominik Gierke


Die Grundsteuer lebt


Von Jan Hauser


Der Mehltau des Protektionismus


Von Winand von Petersdorff, Washington


mas. BERLIN, 18. Oktober. Kriminell er-
worbene Gelder, die hierzulande „weißge-
waschen“ werden, stammen nach den Er-
kenntnissen deutscher Behörden häufig
aus Russland oder Osteuropa sowie der
Türkei und China. Die EU-Mitgliedstaa-
ten Malta und Zypern gehören neben be-
kannten Steueroasen (Britische Jungfern-
inseln, Kaiman-Inseln, Bermuda, Guern-
sey, Jersey und Isle of Man) ebenfalls zu
den Ländern mit besonders hohem Gefah-
renpotential. Das geht aus der noch unver-
öffentlichten ersten nationalen Risikoana-
lyse zur „Bekämpfung von Geldwäsche
und Terrorismusfinanzierung“ hervor, die
der F.A.Z. vorliegt.
Russische oder russischsprachige Grup-
pierungen gelten demnach als „eine sub-
stantielle und nachhaltige Bedrohung für
deutsche (und europäische Sicherheits-)
Interessen“. In dem Bericht heißt es: „So
liegt ein Schwerpunkt der Geldwäscheak-
tivitäten der russischen organisierten Kri-
minalität in Westeuropa.“ Eine enge Ver-
zahnung der russischen organisierten Kri-
minalität mit nachrichtendienstlichen
Strukturen aus der Region erhöhe das
Geldwäscherisiko zusätzlich. „Inkrimi-
nierte Gelder aus Russland wurden nach
Erkenntnissen von deutschen Sicherheits-
behörden in der Vergangenheit auch über


den Finanzplatz Frankfurt am Main gewa-
schen (beispielsweise mit Hilfe von Kor-
respondenzbankbeziehungen deutscher
Banken).“ Sie würden sowohl nach Lon-
don, in die Schweiz, auf Überseeinseln,
nach Malta und Zypern als auch nach
Frankfurt gesendet und dann in Deutsch-
land investiert.
In Malta wird das Geldwäscherisiko we-
gen der Ausgestaltung des Finanzplatzes
gesehen, was Intransparenz und Ver-
schleierung ermöglichen könnte. Zudem
sei das Land ein Schwerpunkt für das
Glücksspiel. So werde von dort aus On-
line-Glücksspiel angeboten, das in
Deutschland verboten sei. „Dadurch wer-
den in Deutschland illegale Gewinne er-
wirtschaftet.“ Zudem führe Malta seit Jah-
ren ein „Golden Visa“-Programm durch,
mit dem die maltesische Staatsbürger-
schaft gegen ein spezifisches Entgelt zu er-
werben sei. Ähnlich wird Zypern einge-
stuft und die von dort ausgehenden Geld-
wäscherisiken für Deutschland.
Wie in der Analyse hervorgehoben
wird, ist das Geldwäscherisiko immer be-
sonders groß, wenn Geldgeschäfte an-
onym abgewickelt werden können, also
mit Bargeld, verschachtelten Gesell-
schaftsformen und mit Kryptowährun-
gen. Als heikel wird die Zusammenarbeit

hiesiger Finanzinstitute mit lokalen Ban-
ken im Ausland gewertet. „Korrespon-
denzbanken werden häufig auch als Um-
weg genutzt, um Zahlungen in Offshore-
Gebiete zu verschleiern.“ Als hoch wird
auch das Risiko gesehen, das mit Dienst-
leistern verbunden ist, die Zahlungen in
der Regel in bar und häufig außerhalb ei-
ner bestehenden Geschäftsbeziehung ent-
gegennehmen. Bei der Terrorismusfinan-
zierung wird dem sogenannten Hawala-
Banking, das in Deutschland verboten ist,
eine hervorgehobene Bedeutung zuge-
schrieben.
Deutschland ist nach den Regeln der Fi-
nancial Action Task Force (FATF) sowie
der jüngsten EU-Geldwäscherichtlinie
nunmehr verpflichtet, regelmäßig eine
derartige Risikoanalyse vorzulegen. Mit ih-
rer Hilfe sollen die Problembereiche bei
der Bekämpfung von Geldwäsche und Ter-
rorismusfinanzierung identifiziert wer-
den. Einige der aufgelisteten Schwachstel-
len werden schon angegangen. Ende Juli
hat das Bundesfinanzministerium dazu ei-
nen Gesetzentwurf vorgelegt. So soll der
Schwellenwert, ab dem beispielsweise
Goldhändler genauer hinschauen müssen,
von 10 000 Euro auf 2000 Euro sinken.
Auch wird die Pflicht freier Berufe zur Ab-
gabe von Verdachtsmeldungen bei Immo-

bilientransaktionen verschärft. Dahinter
steht die Erkenntnis, dass die Zuordnung
kriminell erworbenen Vermögens nur
schwer möglich ist, wenn der wirtschaft-
lich Berechtigte und der formale Eigentü-
mer an einer Immobilie auseinanderfal-
len. Besonders verschachtelte Konstrukte
und Firmengeflechte gelten dafür als an-
fällig, aber auch Konstellationen, in de-
nen Grundstücke für eine andere Person
gehalten werden. Faktisch gehe daher im
Immobiliensektor ein besonderes Geldwä-
scherisiko von der Anonymität aus.
Nach Auskunft der an der Risikoanaly-
se beteiligten Polizeibehörden werden
Versteigerungen oft zum Erwerb von Im-
mobilien oder hochwertigen Gütern
durch mutmaßliche Kriminelle genutzt.
Diese Erkenntnisse nimmt die Bundesre-
gierung nach eigenem Bekunden „sehr
ernst“. Man werde daher künftig Verstei-
gerungen durch die öffentliche Hand geld-
wäscherechtlichen Pflichten unterwerfen.
Das Ausmaß der Geldwäsche ist wegen
der Dunkelziffer nicht belastbar abzu-
schätzen, wie in dem Bericht hervorgeho-
ben wird. Verwiesen wird jedoch auf ein
früheres Gutachten im Auftrag des Bun-
desfinanzministeriums, das auf eine Grö-
ßenordnung von 100 Milliarden Euro im
Jahr kam.

Bundestag beschließt mehr Wohngeld für Geringverdiener


Koalitionsmehrheit billigt Seehofers Reform / Weitere Erhöhung soll mit dem Klimaschutzpaket folgen


BMW produziert den i3 weiter


Besser Wohnen


Von Dietrich Creutzburg


Wie Schwarzgeld ins Land geschleust wird


Mittel aus Russland sind auch über den Finanzplatz Frankfurt gewaschen worden


Neue Manager, mehr


Tempo: BMW-Chef


Oliver Zipse baut den


Konzern um. An dem


teuren Elektroauto i


hält er aus gutem Grund


fest, wie er in seinem


ersten Interview sagt.

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