Frankfurter Allgemeine Zeitung - 19.10.2019

(Nora) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Finanzen SAMSTAG, 19. OKTOBER 2019·NR. 243·SEITE 27


S


amstag Abend in einer lockeren
Runde beim Aperitif auf einer
Dinnerparty: Während die Män-
ner – ganz dem Klischee entspre-
chend – über den Verlauf des Bundesliga-
spieltages fachsimpeln, kommt in der
Frauenrunde beim Aperol das Thema
auf die Finanzen. „Ich habe“, sagt eine
der Damen, „jetzt endlich mal ein Konto
bei einer Direktbank eröffnet. Das schie-
be ich jetzt schon seit Jahren vor mir
her.“ Aktien seien bei der privaten Vor-
sorge ja offensichtlich ein Muss. „Das
kann ja wohl nicht so schwer sein.“ „So
weit bin ich noch gar nicht“, sagt eine an-
dere Mitvierzigerin. „Für so etwas habe
ich gar keine Zeit. Die Finanzen regelt
bei uns ohnehin mein Mann, der hat von
so was Ahnung.“
So oder ähnlich dürfte so manche Un-
terhaltung verlaufen, wenn es um das
Thema Frauen und Finanzen geht. Auch
das ein Klischee? Mitnichten. Zweifellos
gibt es eine ganze Menge Frauen, die
sich der Vorsorgenöte absolut bewusst
sind und diese Themen auch mit Über-
zeugung und vielleicht sogar gegen man-
chen Widerstand vorantreiben. Doch
während Männer sehr oft über Immobi-
lienkäufe und Aktientipps untereinander
schwadronieren, scheinen Finanzthe-
men unter Frauen oft tabu. Vielleicht
auch aus Sorge, die eigene Wissenslücke
preiszugeben.
Mit dem Bildungsgrad hat das wenig
zu tun. Die Damen in unserem Beispiel
sind allesamt Akademikerinnen, von Be-
ruf Ärztin, Staatsanwältin und TV-Produ-
zentin. Sie verdienen gut – und überlas-
sen die Vorsorge doch meist ihren Gat-
ten. Ob sich diese Art der Vorsorge am
Ende für beide auszahlt, kann mehr als
bezweifelt werden. Das wissen auch die
Mitvierzigerinnen, aber zum Umsteuern
fehlt oft der Mut – und eben Austausch
mit anderen.
Doch so ganz allmählich scheint ein
Umdenken stattzufinden. „Die Diskus-
sion um Niedrigzinsen und Altersarmut
hat deutlich Fahrt aufgenommen“, sagte
Constanze Hintze, die sich mit ihrem Un-
ternehmen Svea Kuschel + Kolleginnen
auf die Beratung von Frauen in Finanz-
fragen spezialisiert hat. Frauen würden
allmählich doch erkennen, dass Männer
nicht unbedingt die beste Altersabsiche-
rung sind. „Oft sind es auch Anlässe wie
Erbschaften oder Scheidungen, die das
Thema plötzlich auf die Agenda setzen“,
sagt Hintze.
Tatsächlich verfügen Frauen nicht
zwangsläufig über zu wenig Geld für die
Anlage. Es sind laut einer Studie der JP
Morgan Asset Management rund 200 Mil-

liarden Euro, die Frauen in Europa (ein-
schließlich Großbritannien) nicht an den
Finanzmärkten anlegen. Warum? Weil
sie ein fehlendes finanzielles Selbstbe-
wusstsein, zu geringe Anlagekenntnisse
und zu wenig Zeit in der Alltagshektik
daran zu hindern scheinen. Dies sind
nämlich laut der Studie nur einige der
Faktoren, die Frauen zwischen 30 und 65
Jahren abhalten. Von den 200 Milliarden
könnten etwa 45 Milliarden auf Deutsch-
land und Österreich entfallen. Laut der
Umfrage gibt mit 34 Prozent zwar ein
Drittel der Frauen an, über ein hohes
Selbstvertrauen im Umgang mit Geld zu
verfügen. Bei den Männern sind es aber
fast die Hälfte der Befragten. Frauen wür-
den zudem glauben, dass sie über gerin-
gere Anlage- und Finanzkenntnisse ver-
fügen. Nur eine von fünf Frauen würde
sich bei dem Thema als sachkundig be-
zeichnen. Bei den Männern sind es etwas
mehr als ein Drittel. Fast 60 Prozent wür-
den zudem die Meinung vertreten, dass
es schwierig sei, genügend Zeit während
des Tages aufzubringen, um alle notwen-
digen Arbeiten während des Tages zu er-
ledigen. Daraus abgeleitet würden sich
Frauen entsprechend weniger Zeit für
die Geldanlage nehmen.
Eine schlechte Entwicklung. In einem
Aufsatz des Fondsanbieters Fidelity ist
zu lesen, dass Frauen mit durchschnitt-
lich 26 Prozent weniger gesetzlicher Ren-
te im Vergleich zu Männern auskommen
müssen. Grundlage für den Aufsatz ist
eine Untersuchung der Universität Mann-
heim in Zusammenarbeit mit der Univer-
sität Tilburg. Bei diesen Berechnungen
wurde eine Datenbank mit über 1,8 Mil-
lionen Arbeitnehmern herangezogen.
Mehr als 25 000 Euro – so viel gesetzli-
che Rente fehlt durchschnittlich jeder
Frau im Vergleich zu Männern im Ruhe-
stand. Nach der Berechnungen der Stu-
die heißt dies konkret, dass eine Frau,
die mit 67 Jahren in den Ruhestand geht,
nach heutiger Berechnung im Monat 140
Euro weniger an Rente bekommt als ein
Mann.
Bis zum 35. Lebensjahr sei so gut wie
kein Unterschied bei den gesetzlichen
Rentenansprüchen erkennbar. Danach al-
lerdings würden Männer deutlich mehr
Rentenpunkte erwerben und damit natür-
lich höhere Bruttorentenansprüche ha-
ben. Der Grund dafür liegt auf der Hand.
Viele Menschen gründen in ihren Dreißi-
gern eine Familie. Frauen reduzieren
ihre Arbeitszeiten nach der Geburt eines
Kindes, und somit beginne das ge-
schlechtsspezifische Lohngefälle. Dem
Aufsatz zufolge beträgt das sogenannte
„Gender Pension Gap“ bei Frauen im Al-

ter von 36 bis 45 Jahren rund 15 Prozent.
Innerhalb von etwa zehn Jahren verdop-
pele sich dieser Wert fast. Frauen zwi-
schen 46 und 55 Jahren seien bereits mit
einer Lücke von knapp über 27 Prozent
konfrontiert.
Was also tun? „Ein Wert von 26 Pro-
zent ist zu groß, als dass man ihn ver-
nachlässigen könnte“, sagt Alexandra
Niessen-Ruenzi, Professorin an der Uni-
versität Mannheim. Zugleich sei er aber
auch klein genug, um sehr leicht etwas
dagegen tun zu können. Je früher man
sich mit dem Thema beschäftige, desto
einfacher sei es, mit einem relativ gerin-
gen Sparbetrag durch die lange Laufzeit
und den Zinseszinseffekt erfolgreich da-
gegen zu arbeiten. Das „Gender Pension
Gap“ lässt sich nach Meinung der Profes-
sorin mit gezielter zusätzlicher privater
Vorsorge schließen. Demnach müsste
eine 40-jährige Frau bei einer erwarteten
Rendite von 3 Prozent und einer jährli-
chen Inflationsrate von 1,5 Prozent bei-
spielsweise jeden Monat 77 Euro zusätz-
lich zurücklegen.
Längst hat sich die Erkenntnis durch-
gesetzt, dass Aktien – und das nicht nur
für Frauen – endlich zu einem wesentli-
chen Element der Vorsorge werden müs-
sen. Deutschland verharrt aber in der
Haltung der Aktienmuffel. Das Bild ist

bei den Frauen nicht anders. „Leider hal-
ten sich viele Frauen beim Thema Geld-
anlage und Vermögensaufbau im Allge-
meinen und vor allem in Bezug auf die
Aktienanlage zurück“, sagt Christine Bor-
tenlänger, Geschäftsführender Vorstand
des Deutschen Aktieninstituts. Lediglich
jede achte Frau in Deutschland besitze
Aktien oder Aktienfonds. „Dabei sollten
gerade Frauen wegen der drohenden grö-
ßeren Rentenlücke am Aktienmarkt anle-
gen. Nur so können viele Frauen sicher-
stellen, im Alter finanziell ausreichend
versorgt zu sein und ihren Lebensstan-
dard halten zu können. Frauen sollten
selbstbewusst ihre Finanzen in die eige-
ne Hand nehmen.“
Die Scheu vor den Finanzthemen
scheint tatsächlich unbegründet: Auch
wenn Frauen offenbar oft glauben, dass
es an der fachlichen Expertise scheitert.
Mitunter legen sie laut Fidelity sogar er-
folgreicher an. So würden statistische Da-
ten zeigen, dass die Entwicklung der er-
folgreichsten Wertpapierdepots von Pri-
vatanlegerinnen in einer sechsmonati-
gen Stichprobe im Jahr 2013 bei 3,6 Pro-
zent lagen, während Männer auf 2,3 Pro-
zent kamen.
So können also auch die Mitvierzige-
rinnen der Dinnerparty immer noch die
Kurve zu kriegen. Wie das weitergeht?
Diese Geschichte wird fortgesetzt.

ami. BERLIN, 18. Oktober. Die Bundes-
regierung hat ihre Pläne für schärfere Kli-
mavorgaben im Gebäudebereich und das
Verbot von Ölheizungen konkretisiert.
Demnach dürfen Heizkessel, auch solche
auf Gasbasis, die älter als 30 Jahre sind,
ab 2021 nicht mehr betrieben werden.
Heizkessel, die später installiert wurden,
müssten „sukzessive ausgetauscht wer-
den“, heißt es in einem Entwurf für ein
neues „Gesetz zur Vereinheitlichung des
Energiesparrechtes für Gebäude“, wel-
cher der F.A.Z. vorliegt. Dazu gehören
strikte Vorgaben für den Einbau neuer,
klimafreundlicher Heizanlagen. Ab 2026
dürfen in der Regel keine neuen Ölbren-
ner mehr verbaut werden. Doch das Ver-
bot kennt Ausnahmen dort, wo es keine
klimafreundlichere Alternative gibt.
Der Austausch ineffizienter Heizkes-
sel durch moderne Anlagen sei eine be-
sonders wirksame Maßnahme zur Ener-
gieeinsparung, heißt es in dem 194 Sei-
ten langen Papier. Die Wirtschaftlich-
keit, welche die Koalition besonders be-
achten will, sei ohne weiteres gegeben,
da neue, effiziente Anlagen deutlich we-
niger Energie verbrauchten „und dement-
sprechend Heizkosten eingespart wer-
den“.
Die Regierung will Hausbesitzern den
zügigen Umstieg mit einer attraktiven
Austauschprämie schmackhaft machen.
Nachdruck erhält das durch die Dro-
hung, dass in Gebäuden, in denen eine
klimafreundlichere Wärmeerzeugung
möglich wäre, der Einbau von Ölbren-
nern ab 2026 verboten wird. Im Neubau
und Bestand blieben Hybridlösungen
möglich. Das sind etwa Ölheizungen in

Kombination mit Solarthermie für
Warmwasser oder mit Wärmepumpen
auf Ökostrombasis.
Das Gesetz sieht allerdings kein end-
gültiges Aus für die Ölheizungen in Neu-
bauten vor. Moderne Ölbrenner bleiben
dort auch nach dem 1. Januar 2026 im Al-
leinbetrieb zulässig, wo „ein Wechsel
von Heizöl auf Erdgas oder Fernwärme
nicht möglich ist, weil keine Erdgasver-
sorgung oder keine Fernwärmeversor-
gung am Gebäude anliegt“. In ländlichen

Regionen sei das sehr häufig der Fall.
Nach Angaben der Deutschen Energie-
agentur Dena betrifft das insbesondere
den Süden. Mineralöl sei dort doppelt so
häufig vertreten wie in Norddeutsch-
land. In Bayern, Baden-Württemberg,
Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saar-
land liege der Anteil der mit Öl beheiz-
ten Gebäude zwischen 30 und 40 Pro-
zent. Laut den Schornsteinfegern sind in
Deutschland rund 5,4 Millionen Ölhei-
zungen in Betrieb, die Hälfte davon sei äl-

ter als 20 Jahre, jede siebte sogar älter als
30 Jahre.
Wenn eine Ölheizung wegen fehlen-
der Netzanschlüsse nicht durch eine Erd-
gasheizung oder Fernwärmeversorgung
ersetzt werden könne, „wäre es unver-
hältnismäßig, den Weiterbetrieb der Öl-
heizung von der anteiligen Nutzung er-
neuerbarer Energien abhängig zu ma-
chen“, heißt es in dem Entwurf. Auch für
Erdgas oder Fernwärme gebe es keine
bundesgesetzliche Pflicht zur Mitnut-
zung erneuerbarer Energien. „Deswegen
darf in diesen Fällen ein mit Heizöl be-
schickter Heizkessel eingebaut werden,
auch wenn erneuerbare Energien nicht
anteilig zu Wärmezwecken genutzt
wird.“
Die mit der Umstellung der Ölheizun-
gen ab 2026 verbundenen Kosten schätzt
die Regierung auf jährlich 60 Millionen
Euro. Allerdings gebe es beträchtliche
Unsicherheiten. Denn es sei nur schwer
abzuschätzen, wie viel Ölheizungen auf-
grund der Regelung ab 2026 durch klima-
freundlichere Alternativen ausgetauscht
werden müssten. Nicht zuletzt setze man
wegen der Förderung auf eine schnellere
Umstellung auf neue und effizientere
Heizsysteme. „Es ist zu erwarten, dass
schon aufgrund der verbesserten Förde-
rung ein großer Teil bestehender Ölhei-
zungen ersetzt wird.“
Das neue Gesetz führt vor allem beste-
hende Gesetze und Verordnungen zum
Energiesparen in Gebäuden zusammen
und setzt EU-Vorgaben um. Das mache
die Anwendung der Regeln einfacher, sor-
ge für weniger Bürokratie und spare Kos-
ten von knapp 33 Millionen Euro im Jahr.

Weitaus mehr als


nur ein kleiner


Unterschied


Ausnahmen vom geplanten Verbot für Ölheizungen


Nach einem neuen Gesetzentwurf dürfen Ölbrenner auf dem Land auch nach 2026 in Betrieb bleiben


Heizsaison:Qualmende Schornsteine in Leipzig Foto dpa


DIE VERMÖGENSFRAGE


Männer sind nicht zwangsläufig die beste Altersvorsorge für Frauen. Foto Getty


Finanzen


Kinder, Küche, Kirche: Das Rollenverständnis der


Frauen geht schon lange darüber hinaus. Doch bei


den Finanzen gibt es jede Menge Nachholbedarf.


Das muss sich jetzt ändern.Von Inken Schönauer


Zu Ihrem Interview mit Tino Chrupalla,
demstellvertretenden Fraktionsvorsitzen-
der der AfD im Bundestag, über den An-
schlag in Halle, Björn Höcke und den Kli-
mawandel („Es ist infam, uns jetzt in Mit-
haftung zu nehmen“, F.A.Z. vom 15. Okto-
ber): Die Interviewer ließen Herrn Chru-
pallas Frage, wann sie denn zuletzt Antise-
mitismus oder Gewaltaufrufe aus der AfD
vernommen hätten, leider unbeantwortet.
Hier ein paar Antworten:
Ihren Antisemitismus hat die Parteifüh-
rung als Ganzes im Fall Gedeon bewie-
sen, als sie diesen schützte und drei exter-
ne Gutachten brauchte, um beurteilen zu
können, ob die „Protokolle der Weisen
von Zion“, die Bezeichnung des Juden-
tums als „innerem Feind“ des „christli-
chen Abendlands“ sowie die Verharmlo-
sung von Holocaustleugnung antisemi-
tisch seien. Laut einer in der F.A.Z. veröf-
fentlichten Umfrage nach der Bundestags-
wahl teilten 55 Prozent der AfD-Wähler
antisemitische Überzeugungen. Die antise-
mitische Verschwörungstheorie vom „gro-

ßen Austausch“ ist zentraler Bestandteil
der AfD-Ideologie, die von den Mördern
von Christchurch, Halle und so weiter nur
expliziter judenfeindlich formuliert wird.
Zur Frage nach Gewaltaufrufen sei
Herr Chrupalla an die Hetze offizieller
Partei-Accounts gegen den ermordeten
Walter Lübcke sowie zahlreiche andere po-
litische Gegner und Journalisten verwie-
sen, an die unvollständige Liste von „An-
die-Wand-Stellen“ bis „Löschkalk-oben-
drauf“ auf das-ist-afd.de, an das berüchtig-
te „Entsorgen“-Wahlversprechen seines
Fraktionsvorsitzenden, das bestenfalls De-
portation und grundgesetzwidrigen Ent-
zug der Staatsbürgerschaft meinen kann,
an das Lob für die gewalttätigen Ausschrei-
tungen in Chemnitz, an die personellen
Überschneidungen mit der verfassungs-
feindlichen Identitären Bewegung und an
die Beschäftigung mindestens zweier Ter-
rorverdächtiger im Bundestag, Manuel
Ochsenreiters und des mutmaßlichen
Komplizen von Franco A.
MANUEL MÄRKER, BRÜSSEL

Zu „Integration durch die Schule?“
(F.A.Z. vom 17. Oktober): Ulrich Schna-
kenberg schreibt in seinem Artikel zu schu-
lischer Integration – sehr richtig, auch
nach meinen eigenen Erfahrungen –, dass
die Integration von nichtdeutschen Kin-
dern „fast unterhingehbar“ im Elternhaus
beginnt, und wenn es dort kein Interesse
an Integration gibt, dann können Schulen
Purzelbäume noch und noch schlagen –
das Ergebnis wird denkbar enttäuschend
und frustrierend für die Lehrer sein.
Zwei selbsterlebte Beispiele: R. kam vor
einigen Jahren als kleiner Junge aus Osteu-
ropa mit seinen Eltern hierher, ohne jede
Deutschkenntnisse. Jetzt hat er das Abitur
als einer der vier Besten seines Jahrgangs
bestanden und beginnt sein Studium,
ohne dass die Eltern großen Druck aufge-
baut hätten – Lernen und Anstrengung wa-
ren einfach eine Selbstverständlichkeit.
Das Gegenbeispiel kommt aus Südeuropa:
Auch wenn die Eltern seit vielen Jahren
hier lebten, sprachen sie trotz einiger
Deutschkurse kaum Deutsch, die Mutter
noch weniger als der Vater. Es gab keinen
Arbeitsplatz für die Kinder zu Hause,
nicht das geringste Interesse am Fortkom-
men der Kinder, die ohne Frühstück zur
Schule kamen und oft verspätet. Sie stör-
ten regelmäßig den Unterricht, Arbeitsma-
terialien fehlten, und trotz ziemlicher Be-

gabung erreichten die beiden inzwischen
volljährigen Jungen den Hauptschulab-
schluss nur mit Mühen. Wenn in diesem
Fall nun die Schule das zuständige Jobcen-
ter über die erzieherischen Versäumnisse
der Eltern informiert, und die Kürzung
der Sozialleistungen angedroht oder gar
durchgesetzt hätte, wäre die Motivation
zur Unterstützung der Integrationsleis-
tung der Schule durch die Eltern wahr-
scheinlich gestiegen. Das Geheimnis aller
Erziehung, so meine Lehrer-Erfahrung,
ist die Konsequenz.
BERND WEINGÄRTNER, BAD AROLSEN

Zu „Verdrängte Vergangenheit“ von Rein-
hard Bingener (F.A.Z. vom 14. Oktober):
Im Rahmen meiner früheren Zugehörig-
keit zur evangelischen Kirche ist mir noch
die Sentenz geläufig „Im Himmel ist mehr
Freude über einen reuigen Sünder denn
über neunundneunzig Gerechte“.
Wenn ich nun in der F.A.Z. lese, dass
der evangelische Landesbischof von Sach-
sen, Carsten Rentzing, von seinem Amt zu-
rückgetreten ist, weil er als spätpubertärer
Jüngling angeblich demokratiefeindliche
und fragwürdige Texte in einem rechten
Journal publiziert hat, dann kann ich mich
über die dahinterstehenden Kirchenstruk-
turen und das hierarchische Machtgefälle
in der EKD nur wundern!
Wozu gibt es den Begriff der Jugendsün-
de? Politiker wie Winfried Kretschmann
oder wie Jürgen Trittin oder wie der ehe-
malige Außenminister Joseph Fischer sind
in ihrem zweiten und dritten Lebensjahr-
zehnt Kommunisten und Angehörige an-
derer K-Gruppen gewesen, sie sind nach
Läuterungsprozessen längst in der Mitte
der Gesellschaft angekommen und heute
respektable Minister, Ministerpräsident
und in anderen staatstragenden Funktio-
nen tätig.
Auch als Nichtchrist danke ich meinem
Schöpfer, dass niemand meine Briefe und

Traktate aus der Sturm-und-Drang-Zeit
auf Political Correctness und Demokratie-
gesinnung überprüft und ausgewertet hat.
Besonderen Anstoß nehme ich daran,
dass die Gegner Rentzings in einer Petiti-
on gefordert haben, Rentzing möge seine
Beziehungen zu seiner schlagenden Stu-
dentenverbindung „Alte Prager Lands-
mannschaft Hercynia“ unverzüglich been-
den.
Dieser Gipfel an Intoleranz ist nur noch
mit Ignoranz zu erklären. Die waffenstu-
dentischen Verbindungen sind eine hetero-
gene Gruppierung, und es zeugt von gera-
dezu peinlichem Unwissen, wenn gewis-
sermaßen alle schlagenden Verbindungen
über einen Kamm geschoren werden.
Als Kösener Corpsstudent stehe ich für
eine offene Gesellschaft, für Demokratie,
für Gleichberechtigung der Geschlechter,
für Toleranz sowie für Anstand, Rechts-
treue und Ehrenhaftigkeit.
Vielleicht entspricht das nicht dem Zeit-
geist. Die Ideale der Studentenverbindun-
gen wie insbesondere die Freundschaft
der Mitglieder auf Lebenszeit sind zeitlos,
und deshalb überdauert die Mehrheit der
Studentenverbindungen schon mehr als
zwei Jahrhunderte!
PROFESSOR DR. MED. DR. H. C. MULT. HANS-
WERNER SPRINGORUM, BAD MERGENTHEIM

Zu „Mehr rein englischsprachige Studien-
gänge“ (F.A.Z. vom 14. Oktober): Wie
sich die Zeiten ändern: Als ich 1953, zu-
rückgekehrt von einem Postgraduate-Stu-
dium in England, meine Dissertation in
der Staatswirtschaftlichen Fakultät an der
Ludwig-Maximilians-Universität Mün-
chen einreichte, wurde sie zurückgewie-
sen, weil in englischer Sprache. Ich musste
sie ins Deutsche übersetzen und neu ein-
reichen. Damals galt Besatzungsrecht,
heute ist Deutschland souverän. Das heißt
dann „Bayern First“. Soll man lachen oder
weinen?
HERBERT B. SCHMIDT, MARQUARTSTEIN

Zu Ihrem Interview mit Peter Wohlleben
(F.A.Z. vom 10. Oktober): Ihre Fragen
möchte ich gern aus der Perspektive eines
Forstmanns und Waldbewirtschafters, der
der Nachhaltigkeit verpflichtet ist, beant-
worten: Dem Wald wurde in den heißen
Sommern 2018 und 2019 Schaden zuge-
fügt. Die globale Klimaerwärmung hinter-
lässt deutlich sichtbare Spuren. Diese
Schäden betreffen nicht nur Fichte und
Kiefer, sondern auch Buche und Tanne.
Die dafür ursächliche Klimaerwärmung
haben wir alle zu verantworten, und wir
alle müssen nun mit den Konsequenzen le-
ben.
Landwirtschaftsministerin Julia Klöck-
ner will den Waldbesitzern bei der Bewälti-
gung der Trocknisschäden helfen. Sie tut
das mit Steuergeldern und will damit auch
den Waldumbau voranbringen. Das ist ein
substantiell nachhaltiges Handeln der Poli-
tik, das Förster und Waldbesitzer sehr be-
grüßen. Sie sind der Nachhaltigkeit über
Generationen hinweg verpflichtet und
brauchen jetzt die Unterstützung des Staa-
tes, um diesen Generationenvertrag gegen-
über unseren Kindeskindern einzuhalten,
da wir dies aus eigener Kraft nicht mehr
leisten können. 97 Prozent der Waldfläche
in Deutschland ist durch den Menschen in
den letzten 200 Jahren bewirtschaftet wor-
den. Es ist ein Wirtschaftswald. Die Forst-
wirtschaft in Deutschland genießt interna-
tional ein hervorragendes Ansehen, gera-
de weil die Bewirtschaftung nicht in Form

einer Plantage, sondern naturgemäß er-
folgt. Wer diese Bewirtschaftung als „Plan-
tage“ bezeichnet, vertritt eine Einzelmei-
nung, die wissenschaftlich nicht geteilt
wird. Wer den Wald in Deutschland als ei-
nen „Plantagenwald“ diskreditieren will,
verfolgt mit dieser unsachlichen Argumen-
tation andere Ziele.
Auf den kahlgefallenen Waldflächen
wird sich ohne aktives Anpflanzen von
Bäumen der nächsten Waldgeneration
kein Wirtschaftswald entwickeln, der
nachfolgenden Generationen Holz liefert
und als Naherholungsraum dient. Wer
jetzt auf die „Selbstheilungskräfte der Na-
tur“ setzt, blendet die Konsequenzen der
absehbaren Klimaerwärmung in den
nächsten 100 Jahren für die Wälder in Mit-
teleuropa aus. Denn die sich jetzt natür-
lich ansamenden Bäume besitzen die gene-
tische Veranlagung ihrer Eltern, also derje-
nigen Bäume, die gerade in den beiden
letzten heißen Sommern besonders gelit-
ten haben. Wie sollen sie dann nochmals
um zwei Grad heißere Sommer überle-
ben? Der Wald wird auch in den nächsten
Jahrzehnten, bedingt durch die Klimaer-
wärmung, geschädigt werden. Gemäß
dem Verursacherprinzip ist es richtig,
dass der Staat dem Wald und seinen Eigen-
tümern – zu 50 Prozent übrigens die öf-
fentliche Hand – bei der Bewältigung der
Schäden hilft. Dies ist im Sinne der Nach-
haltigkeit und des Generationenvertrages
gut angelegtes Geld der Steuerzahler.
MICHAEL FUNK, MARIENMÜNSTER

Briefe an die Herausgeber


DerGipfel an Intoleranz


Antisemitismus in der AfD? Ein paar Antworten


Lachen oder weinen?


Ein substantiell nachhaltiges Handeln der Politik


Erziehung braucht Konsequenz

Free download pdf