Frankfurter Allgemeine Zeitung - 19.10.2019

(Nora) #1

SEITE 4·SAMSTAG, 19. OKTOBER 2019·NR. 243 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Es sind Szenen des Volkszorns, wie sie
derLibanon lange nicht gesehen hat. Die
angestaute Wut der Bevölkerung über
die korrupten politischen Führer entlädt
sich im ganzen Land in spontanen Protes-
ten und Krawallen. Die Regierung in Bei-
rut hatte am Donnerstag das Fass mit
der Ankündigung neuer Steuern zum
Überlaufen gebracht, die wieder einmal
vor allem die einfachen Leute treffen soll-
ten. So hatte sie vor, Abgaben für die Be-
nutzung internetbasierter Telefondienste
wie Whatsapp einzutreiben.
Dem hochverschuldeten Land droht
der Bankrott, die Staatsverschuldung
liegt bei etwa 150 Prozent des Bruttoin-
landsproduktes. Die Regierung, in der
millionenschwere Oligarchen sitzen,
muss dringend Geld auftreiben. Wäh-
rend sich die Lebensumstände stetig ver-
schlechtern, blockieren die politischen
Führer, die den Staat wie einen Selbstbe-

dienungsladen plündern, nötige Refor-
men. „Wir wollen nur in Würde leben,
wollen Strom, sauberes Wasser und sau-
bere Luft zum Atmen“, rief einer der wü-
tenden Demonstranten.
Vor gut vier Jahren hatte es zuletzt
ähnliche Massendemonstrationen gege-
ben, als sich der Müll auf den Straßen zu
hohen Bergen türmte. Gelöst ist auch die-
se Krise noch nicht, woran beißender Ge-
ruch erinnert – etwa in der Gegend um
den Flughafen von Beirut. Die Wirt-
schaftskrise hat sich weiter seither ver-
schärft. Zuletzt wurde angekündigt, Sol-
daten und Polizisten sollten die Pensio-
nen gekürzt werden. Die Tankstellenbe-
sitzer streikten kurz, weil sie wegen der
Devisenknappheit Probleme hatten,
Treibstoff zu importieren. Am Montag
blieben Brotregale leer. So wirken die der-
zeitigen Proteste wütender als die Müllde-
monstrationen, die nach kurzer Zeit ver-

sandeten. Im Zentrum von Beirut hatte
es in der Nacht zum Freitag schwere Kra-
walle gegeben, Demonstranten errichte-
ten Barrikaden und setzten sie in Brand.
Noch am Freitag waren wichtige Straßen
mit brennenden Reifen blockiert, Schu-
len und viele Geschäfte blieben geschlos-
sen. Später gab es im Zentrum neue Zu-
sammenstöße. Die Polizei ging mit Trä-
nengas gegen Hunderte Demonstranten
vor. Zwei ausländische Arbeiter starben
in einem in Brand gesetzten Gebäude.
Ministerpräsident Saad Hariri, der mit
neuen Rücktrittsforderungen konfron-
tiert ist, versprach am Abend in einer
Fernsehansprache Besserungen. Er gab
seinen politischen Partnern in der Regie-
rung 72 Stunden Zeit, sich auf Reformen
zu einigen und die Libanesen und die in-
ternationale Gemeinschaft mit „einer
klaren, entschlossenen und endgültigen
Antwort“ zu überzeugen. (cheh.)

Tage des Volkszorns im Libanon


bub./bin.BERLIN/HANNOVER, 18.
Oktober. Die Innenminister von Bund
und Ländern haben am Freitag diverse
Maßnahmen im Kampf gegen Rechts-
extremismus vereinbart. „Wir müssen
auf mehreren Ebenen tätig werden“,
sagte Schleswig-Holsteins Innenminis-
ter Hans-Joachim Grote, der Vorsitzen-
de der Innenministerkonferenz. Der in-
tensivere Austausch der Ermittlungsbe-
hörden und des Verfassungsschutzes
sei für die wirksame Bekämpfung des
Extremismus essentiell. Laut der Ab-
schlusserklärung haben Bund und Län-
der sich vorgenommen, ihre Strategie
zur Analyse rechtsextremistischer
Strukturen, Netzwerke und Einzelper-
sonen fortentwickeln. Die Herausfor-
derung besteht darin, dass Rechtsextre-
misten sich, anders als früher, oft nicht
in Parteien oder Kameradschaften or-
ganisieren, sondern nur lockere Verbin-
dungen über das Internet knüpfen. Die
Innenminister wollen daher die Zusam-
menarbeit zwischen Bundes- und Lan-
desbehörden bei der Internet-Auswer-
tung verstärken. Neben vielen anderen
Maßnahmen vereinbarten die Ressort-
chefs zudem, jüdische Einrichtungen
durch Polizei und bauliche Vorrichtun-
gen besser zu schützen.
Schon am Donnerstagabend hatte
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger
Stahlknecht (CDU) mit den jüdischen
Gemeinden im Land bei einem Treffen
vereinbart, dass sie künftig vom Landes-
kriminalamt in sicherheitstechnischen
Fragen beraten werden. Bei dem Ter-
min konnte auch ein Konflikt zwischen
dem Innenministerium und den jüdi-
schen Gemeinden entschärft werden.
Der Vorsteher der Hallenser Gemeinde,
Max Privorozki, hatte den Sicherheitsbe-
hörden in den Tagen nach dem Angriff
schwere Vorwürfe gemacht. Privorozki
hatte mehrfach geäußert, er habe die Po-
lizei immer wieder erfolglos um einen
stärkeren Schutz der Synagoge gebeten.
Stahlknecht wies diesen Vorwurf als
„falsche Tatsachenbehauptung“ zurück.
Nach dem Treffen sprach Privorozki im
MDR nun von einem „Missverständ-
nis“. Man habe nicht vergeblich um
mehr Schutz gebeten, und man habe
auch kein Problem mit Stahlknecht.

WIESBADEN,18. Oktober


H


essens Verfassungsschutz hat of-
fenkundig bei der Bewertung des
mutmaßlichen Mörders des Kasse-
ler Regierungspräsidenten Walter Lübcke
versagt. Stephan E. war einst eine der zen-
tralen Figuren in der gewaltbereiten rechts-
radikalen Szene in Kassel, später galt er
dann als „abgekühlt“. 2015 wurde daher
seine Akte gesperrt, ebenso wie jene sei-
nes ebenfalls rechtsradikalen Unterstüt-
zers Markus H. Beides beruhte im Nach-
hinein auf Fehleinschätzungen mit mögli-
cherweise tödlichen Folgen: 2016 soll E.
versucht haben, einen Asylbewerber zu er-
stechen, im Juni dieses Jahres soll er – mit
Unterstützung durch H. – Lübcke auf des-
sen Terrasse erschossen haben. Zu der
Fehleinschätzung könnte, wie nun be-
kannt wurde, auch Andreas Temme beige-
tragen haben. Das ist jener frühere Mitar-
beiter des Verfassungsschutzes, der rein zu-
fällig just zum Tatzeitpunkt am Tatort ge-
wesen sein soll, als der „Nationalsozialisti-
sche Untergrund“ 2006 in Kassel mordete.
In der an Abgründen reichen Geschich-
te rund um den damaligen Mord ist das
Kapitel über Temme eines der dunkels-
ten. Ein großer Teil des mehr als tausend
Seiten starken Abschlussberichts des hes-
sischen NSU-Untersuchungsausschusses,


in dem den Behörden „Versagen“ vorge-
worfen wird, beleuchtet Temmes Rolle.
Zentrale Fragen bleiben dabei unbeant-
wortet. Sie landen nun mit Wucht wieder
auf dem Tisch. Ein neuerlicher Untersu-
chungsausschuss – nun zum Mord von
2019 in Kassel – ist nach der jüngsten Sit-
zung des Innenausschusses am Donners-
tag wahrscheinlich. In dieser hatte Hes-
sens Innenminister Peter Beuth (CDU)
auf eine Frage der SPD geantwortet, Tem-
me sei dienstlich mit E. befasst gewesen.
Als Halit Yozgat durch zwei Schüsse in
den Kopf aus kurzer Distanz in seinem In-
ternetcafe 2006 ermordet wurde, war Tem-
me wohl anwesend. Bewiesen wurde das
nie, wie auch nicht die Hinweise darauf,
dass er im Vorhinein von dem Mord ge-
wusst haben könnte. Und auch nicht die
Vermutungen, dass das NSU-Trio Unter-
stützer in der rechtsradikalen Kasseler Sze-
ne hatte, zu der auch E. gehörte. Temme
wurde bei den damaligen Ermittlungen
zeitweise als Tatverdächtiger geführt. Bei
der Durchsuchung seiner Wohnräume
wurden zahlreiche Waffen sowie Nazi-Li-
teratur sichergestellt. Die Ermittler woll-
ten damals auch die V-Leute vernehmen,
die Temme führte. Doch der damalige In-
nenminister und heutige Ministerpräsi-
dent Volker Bouffier (CDU) verfügte, alle
V-Leute für die Vernehmung zu sperren.
Mit einem der V-Männer Temmes soll E.
Medienberichten zufolge gut bekannt ge-
wesen sein.
Temme stand dann seit 2007 nicht
mehr im Dienst des Verfassungsschutzes.
Er wurde stattdessen just in das Regie-
rungspräsidium Kassel versetzt, das Lüb-
cke ab 2009 und bis zu seinem Tod führte.
Und just zu dessen Mörder soll Temme
nun in dienstlicher Verbindung gestan-
den haben? Oppositionspolitiker in Hes-
sen äußerten sich auch am Freitag em-
pört über die Neuigkeit, von einem
„Schock“, war die Rede. Die CDU hinge-
gen suchte dies als „Skandalisierung“ ab-
zutun, die mitregierenden Grünen schwie-
gen. Doch ein neuerlicher Untersuchungs-
ausschuss wird wahrscheinlicher.
Das Innenministerium reagierte auf
die Vorwürfe mit einer Warnung vor „Ver-
schwörungstheorien“. Es sei „nicht über-
raschend“, dass der frühere Verfassungs-
schutzmitarbeiter Temme, der „in ver-
schiedenen Funktionen als Sachbearbei-
ter in Nordhessen auch für den Bereich
Rechtsextremismus eingesetzt war“, sich
dienstlich mit E. befasst habe, sagte ein
Sprecher. Demnach hatte Temme zwei Be-
richte in der Akte von Stephan E. im Jahr
2000 mit seinem Namen gezeichnet.
Auch das hessische Landesamt für Ver-
fassungsschutz (LfV) suchte den Vorgang
zu erklären: Dem Amt seien „keine dienst-
lichen Treffen“ zwischen Temme und E.
bekannt. Und, da auch diese Vermutung
naheliegt: „Stephan E. war zu keiner Zeit
als V-Mann (.. .) tätig.“ Mit ihm habe es
„zu keiner Zeit“ eine Zusammenarbeit ge-
geben. Zudem verwies ein Sprecher dar-
auf, dass die Akte von E. im Jahr 2015 ge-
sperrt wurde, nachdem von der Behörde
seit 2009 keine neuen Erkenntnisse zu
ihm registriert worden seien. Aus der Tat-
sache, dass Temme „seit dem Jahr 2007
nicht mehr im LfV beschäftigt ist, ergibt
sich, dass Temme in die Sperrung nicht in-
volviert gewesen sein kann“, so der Verfas-
sungsschutz. Zu einem – falschen – Bild
des Verfassungsschutzes über den späte-
ren mutmaßlichen Mörder Stephan E. hat
Temme aber eventuell trotzdem beigetra-
gen. Inwiefern, wird wohl bald ein Unter-
suchungsausschuss aufklären. Oder dies
zumindest versuchen.

Das Fass läuft über:Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei in Beirut in der Nacht zum Freitag Foto AP


MORGEN IN DER


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Zwischen Dschungel und Malaria
Der Ort, an dem Indonesien seine
neue Hauptstadt bauen will

Foto AP


Frau Ministerpräsidentin, Sie haben
am Dienstag Kanzlerin Merkel besucht
und mit ihr über den Kampf gegen den
Klimawandel gesprochen ...
Ja, wir wünschen uns beide eine EU,
die sich das Ziel setzt, die Kohlendioxid-
Emissionen um 55 Prozent bis 2030 zu re-
duzieren. Das ist schon das deutsche
Ziel, und alle anderen Länder sollten
sich das auch setzen. Bei uns in Norwe-
gen ist das noch einmal etwas anderes,
da wir unsere Energie bereits vollständig
aus Wasser- und Windkraft gewinnen
können. Wir fokussieren uns daher auf
die Emissionen beim Verkehr, von Autos
bis hin zu Schiffen. Das wird herausfor-
dernd, aber das ist es für uns alle.

Sie waren wie Kanzlerin Merkel auch
bei den UN in New York, als Greta
Thunberg ihre Wutrede gehalten hat –
fühlten Sie sich angesprochen?
Wir sollten uns alle angesprochen füh-
len von der Bewegung der jungen Men-
schen. Wir können als Ältere aber natür-
lich noch anfügen, dass es Zeit braucht.
Zum Beispiel bis alle Familien in Norwe-
gen sich ein neues Auto kaufen können.
Man kann eine Gesellschaft nicht so
schnell transformieren. Aber ich verste-
he die Ungeduld. Weltweit steigen die
Emissionen, wo sie doch sinken sollten.
Damit kann niemand zufrieden sein.

Norwegens Klimaziele sind ambitio-
niert, Deutschland tut sich schwerer –
sind Sie enttäuscht vom deutschen Bei-
trag?
Nein. Wir haben zwar einige Instru-
mente schon länger eingeführt, um die
Emissionen zu reduzieren, aber wir sind
natürlich weiterhin ein Land, das Öl för-
dert. Das heißt, dass wir dabei auch Koh-
lendioxid emittieren.

Gerade erst wurde wieder ein riesiges
Ölfeld eröffnet. Wie passen Ihre ambi-
tionierten Ziele denn mit der Förderung
von Öl zusammen?
Man kann diskutieren, ob man die
Emissionen bei der Förderung misst
oder beim Verbrennen des Öls in ande-
ren Ländern. Wir
glauben, dass es die
norwegische Verant-
wortung ist, die Emis-
sionen bei der Förde-
rung zu senken. Den
Konsum zu stoppen
muss in den anderen
Ländern gelingen.
Und das angesproche-
ne neue Feld wird
elektrisch betrieben,
die Energie kommt aus Wasserkraftwer-
ken vom Festland.

Im Gegensatz zu Deutschland hat Nor-
wegen seit fast 30 Jahren schon eine
Kohlendioxid-Steuer. Sie haben ange-
kündigt, diese anzuheben, und andere
Länder aufgefordert, es Ihnen gleichzu-
tun. Es gibt jedoch Kritik, weil sie den
Effekt für Autofahrer abmildern wol-
len. Warum?
Weil Norwegen ein weites Land ist,
die Menschen leben verstreut außerhalb
der Städte. Es gibt viele, die ihr Auto da
brauchen. Und weil der Ölpreis schon
recht hoch ist, wollten wir die Belastung
nicht weiter erhöhen. Aber wir fördern
auch den Kauf von E-Autos, fast 70 Pro-
zent aller Neuzulassungen im Septem-
ber hatten bereits Hybrid- oder E-Moto-
ren.

Glauben Sie denn, dass selbst in einem
so reichen Land wie Norwegen der
Kampf gegen den Klimawandel zu einer

Spaltung führen könnte – zwischen Arm
und Reich, zwischen Stadt und Land?
Ja. Das haben wir gerade bei den Lokal-
wahlen gesehen. In meiner Heimatstadt
Bergen ist eine Partei, die einfach nur ge-
gen die City-Maut war, aus dem Stand
zweitstärkste Kraft geworden. Wir müs-
sen immer wieder erklären, warum das al-
les so wichtig ist. Wir müssen eine Politik
machen, bei der die Menschen nicht das
Gefühl bekommen, es würde ihnen nur
persönlich schaden. Wir müssen ihnen
zeigen, dass es möglich ist, den eigenen
Lebenswandel zu ändern. Für Menschen
in den Städten ist das meist leichter, da ist
man nicht so abhängig vom Auto. Wenn
man aber außerhalb der Städte lebt, ist
das schwieriger. Das müssen wir respek-
tieren und alle mitnehmen.

Bei einem anderen Thema waren Sie in
den vergangenen Jahren offenbar nicht
so glücklich mit dem deutschen Beitrag.
Bei der Finanzierung der Nato haben Sie
Verständnis für die Forderung des ameri-
kanischen Präsidenten Donald Trump ge-
zeigt, dass die Mitgliedsländer mehr zah-
len sollten.Sie haben gesagt, Sie erwar-
ten, dass Deutschland mehr tut.
Ich erwarte von jedem Land, mehr zu
tun. Ich denke, wir alle haben verstan-
den, dass wir mehr zahlen müssen.

Warum?
Weil sich die Sicherheitsumgebung ge-
wandelt hat in den vergangenen Jahren.
Wir sehen ein selbstbewusstes Russland,
ein Russland mit mehr militärischem Po-
tential. Wir haben unsere Verteidigungs-
ausgaben gesteigert, wir werden unser Mi-
litär ausbauen und modernisieren. Wir ge-
ben schon 1,8 Prozent unseres Bruttoso-
zialprodukts dafür aus. Wir haben bei vie-
len Themen zwar eine gute Kooperation

mit Russland, aber wir kennen auch unse-
re geographische Lage. Wenn Russland
in einen Konflikt mit dem Westen gerät,
ist Norwegen im Weg. Deshalb sind wir
Mitglied in der Nato. Da darf man nicht
naiv sein.

Der Klimawandel hat auch Auswirkun-
gen auf die Arktis, und da spielt Russ-
land wieder eine Rolle – Rohstoffe wer-
den freigelegt, neue Schifffahrtsrouten
entstehen, und Ansprüche werden ange-
meldet. Sehen Sie das als Chance –
oder als sicherheitspolitisches Risiko?
Wir möchten, dass die Arktis eine Re-
gion geringer Spannungen bleibt. Und
deswegen möchten wir diese Region
überwachen. Wir investieren in diesem
Sinne und kaufen zum Beispiel Flugzeu-
ge zur Überwachung. Wir sind die kleine
Nato im Norden, sagen wir immer. Wir
arbeiten in der Region außerdem gut mit
Russland zusammen. Ich glaube nicht,
dass ihnen daran gelegen ist, die Span-
nungen zu erhöhen. Was aber eine Her-
ausforderung ist, ist die gesteigerte Akti-
vität in der Region. Ich habe da mehr die
Herausforderungen bei Verschmutzung
und mit der Seenotrettung im Blick, bei
all den Schiffen, die da nun fahren. Dar-
über müssen wir diskutieren, da haben
wir noch viel zu tun.

Was haben Sie gedacht, als Sie vom
Kaufinteresse Trumps an der Insel
Grönland gehört haben?
Erstens, dass man nicht einfach die
Menschen und ihr Land kaufen kann.
Und zweitens, auf der eher humoristi-
schen Seite, dass die Insel mal norwe-
gisch war, bevor wir sie an die Dänen ver-
loren haben.
Die Fragen stellteMatthias Wyssuwa.

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Lt. BERLIN, 18. Oktober. Außenminis-
ter Heiko Maas hat in Berlin eine erste Ta-
gung von Fachleuten für Rüstungskontrol-
le aus aller Welt initiiert, die vom Londo-
ner Internationalen Institut für Strategi-
sche Studien organisiert wird. Sie soll Vor-
schläge für neue Wege und Vereinbarun-
gen zur Kontrolle von Raketen und Flug-
körpern machen. Maas sagte, es werde zu
einem neuen weltweiten Wettrüsten kom-
men, wenn die Entwicklung von Raketen-
programmen und Abfangsystemen weiter-
gehe wie bisher. Nicht nur die Verletzung
des Vertrags über Mittelstreckenwaffen
durch Russland und seine anschließende
Kündigung durch die Vereinigten Staaten
haben diesen Wettlauf in Gang gesetzt,
sondern auch die Bestrebungen anderer
Länder: Maas nannte die Ambitionen
Nordkoreas bei der Entwicklung einer In-
terkontinentalrakete oder die jüngsten At-
tacken auf Ölanlagen Saudi-Arabiens mit-
tels Drohnen und Marschflugkörpern. Er


warnte, jede falsche Einschätzung eines
Raketenstarts könne zu einer Katastro-
phe führen.
Die Konferenz erörterte unter ande-
rem die immer stärkere Verzahnung von
konventionellen und nuklearer Bewaff-
nung, die es immer mehr erschwere, die
Art eines Angriffs zu identifizieren. Die
Fachleute aus allen Teilen der Welt, auch
aus China, Russland und dem Nahen Os-
ten, sollen Szenarien der Bedrohung
durch Raketenwaffen abbilden, die techni-
sche Entwicklung prognostizieren und
Vorschläge zur Reduzierung und Kontrol-
le von solchen Waffensystemen machen.
Maas sagte, das Ziel sei, ein Rüstungskon-
trollregime für das 21. Jahrhundert zu ent-
wickeln. Deutschland habe im vergange-
nen April dafür gesorgt, dass die Fragen
der nuklearen Abrüstung zum ersten Mal
seit 2012 wieder Gegenstand einer Debat-
te im Sicherheitsrat der Vereinten Natio-
nen gewesen seien.

Im Gespräch: Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg über den Klimawandel, die Nato und die Arktis


Alle sind so krass hier
Welcher Weg führt vom Gamer zum
Massenmörder?

Intensiverer


Austausch


Maßnahmenpaket gegen


Rechtsextremismus


Immer wieder


Temme


Maas warnt vor weltweitem Wettrüsten


„Ich erwarte von jedem Land, mehr zu tun“


Erna Solberg


Das große Herbsträtsel
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Tisch

Für die Herstellung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird ausschließlich Recycling-Papier verwendet.


Beider Aufklärung des


Mordfalls Lübcke


tauchen Verbindungen


in die Zeit des NSU auf.


Schon damals hat der


Verfassungsschutz viel


Kritik auf sich gezogen.


Von Julian Staib


Esst mehr Fleisch
Warum es viel besser ist als sein Ruf
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