Frankfurter Allgemeine Zeitung - 22.10.2019

(Axel Boer) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft DIENSTAG, 22. OKTOBER 2019·NR. 245·SEITE 15


Der Wahlerfolg in der Schweiz


ebnet den Weg für ein schärferes


CO 2 -Gesetz.Seite 16


Bausenatorin Katrin Lompscher


verteidigt ihren Mietendeckel


gegen alle Kritik.Seite 20


Das Fintech will endlich Klarheit


schaffen im Streit um angeblich


gefälschte Bilanzen.Seite 22


Rückenwind für die Grünen Reizfigur für Vermieter Prüfung für Wirecard


D


erSteuergesetzgeber löst sich zu-
nehmend vom wahren Leben in
seinem Wahn, jedes Detail speziell re-
geln zu müssen. Doch bewältigt die Fi-
nanzverwaltung schon heute nicht
mehr alles, was auf sie zurollt. Der
Mangel an Personal und das immer
komplexere Recht fordern ihren Tri-
but. Die Steuerberater sagen, was Sa-
che ist: Beispielsweise dauert die Bear-
beitung von Erklärungen in Nord-
rhein-Westfalen mittlerweile durch-
schnittlich zwei Monate – trotz elektro-
nischer Hilfsmittel und trotz der Be-
schränkung der tiefergehenden Prü-
fung auf einzelne Fälle. Gleichzeitig
drohen im bevölkerungsreichsten Bun-
desland Einnahmen aus der Erbschaft-
steuer verloren zu gehen, weil der Fis-
kus zu lange braucht und mehr und
mehr Fälle in die Verjährung rutschen.
Was macht der Gesetzgeber angesichts
dieses offenkundigen Notstands in der
Verwaltung? Er hat sich mit der „Mobi-
litätsprämie“ ein neues Steuerge-
schenk für Leute ausgedacht, die gar
keine Einkommensteuer zahlen. Es
geht zumeist nur um einen mittleren
einstelligen Eurobetrag im Monat,
eine Tasse Kaffee. Das Geld aber muss
beantragt werden. Davon hat niemand
etwas. Steuerungswahn und Steuer-
wahnsinn liegen dicht beieinander.

T


hüringen ist eines von den schwie-
rigen Bundesländern, denn es
kennt ja keiner außerhalb von Thürin-
gen.“ Mit dieser Zeile hat sich der Lie-
dermacher Rainald Grebe zwischen
Gera und Eisenach zwar keine Freun-
de gemacht. Doch seine bissige Landes-
hymne bringt ein Problem dieses Bun-
deslandes auf den Punkt: Viele Men-
schen können mit Thüringen nur we-
nig anfangen. Wenn der Name Sach-
sen fällt, kommen einem sogleich blü-
hende Städte wie Leipzig und Dresden
in den Sinn, mit Mecklenburg-Vorpom-
mern verbindet man die Seenplatte
und die Ostsee. Thüringen dagegen
spielt in der öffentlichen Aufmerksam-
keit allenfalls eine Nebenrolle.
Vor fünf Jahren änderte sich das
schlagartig, als Bodo Ramelow zum
Ministerpräsidenten gewählt wurde.
Zum ersten Mal in der Geschichte
Deutschlands führt seitdem ein Vertre-
ter der Linkspartei die Geschicke ei-
nes Bundeslandes. Zur Erinnerung für
alle Jüngeren: Die Linke ist die Nach-
folgepartei der SED, die in der DDR
mit Gewalt den Sozialismus durchzu-
setzen versuchte. Nicht nur in der
CDU, die zuvor seit der Wiedervereini-
gung stets den Ministerpräsidenten ge-
stellt hatte, war das Entsetzen groß.
Auch der Wirtschaft schwante Schlim-
mes angesichts von Rot-Rot-Grün.
Doch die Aufregung ist schnell wie-
der verflogen, was ebenfalls an Bodo
Ramelow liegt. Der ehemalige Ge-
werkschafter, der übrigens aus dem
Westen kommt, hat schnell gelernt,
dass ein erfolgreicher Landesvater zur
eigenen Partei besser eine gesunde
Distanz hält. Ramelow füllt sein Amt
auf eine überparteiliche, fast schon
präsidiale Weise aus. Das hat schon
bei Winfried Kretschmann in Baden-
Württemberg funktioniert, der zwar
offiziell ein Grüner ist, aber genauso
gut in der CDU sein könnte. Auch in
Hessen bemüht sich CDU-Minister-
präsident Volker Bouffier, über den
Parteigrenzen zu schweben. Keiner
aber treibt die Zuspitzung auf die eige-
ne Person so weit wie Ramelow, der
auf seinen Wahlplakaten das Logo der
Linkspartei gar nicht erst zeigt.
Ob seine Strategie aufgeht, ist offen.
Zwar bekunden mehr als die Hälfte
der Thüringer, dass sie mit der Landes-
regierung zufrieden sind. Dennoch
kommt weder Ramelows Koalition
noch das von CDU-Spitzenkandidat
Mike Mohring angestrebte Kenia-
Bündnis mit SPD und Grünen in den
Umfragen der Meinungsforscher der-
zeit auf eine Mehrheit. Zu stark ist die
AfD mit Werten von 20 Prozent und
mehr. Gut möglich, dass Ramelow erst
mal mit einer Minderheitsregierung
weitermacht. Den Haushalt für 2020
hat er sicherheitshalber schon im Som-
mer durch den Landtag gebracht.
Wirtschaftlich haben die fünf Jahre
unter Ramelows Führung Thüringen
nicht geschadet. Die Arbeitslosenquo-
te ist mit zuletzt 5,1 Prozent so niedrig
wie in keinem anderen ostdeutschen

Bundesland. Auch die Wachstumsra-
ten können sich – auf dem geringen Ni-
veau, auf dem sich Deutschland gegen-
wärtig bewegt – sehen lassen. Im ers-
ten Halbjahr wuchs die thüringische
Wirtschaft um 0,6 Prozent. Damit lag
sie über dem bundesweiten Durch-
schnitt. Vor allem Jena mit seiner opti-
schen Industrie und seiner Gründer-
szene hat sich zu einem jener Leucht-
türme entwickelt, auf die Wirtschafts-
forscher so große Hoffnungen setzen.
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt
je Kopf ist zwar weiterhin Sachsen der
Primus unter den ostdeutschen Bun-
desländern. Aber Thüringen ist dem
Nachbarn dicht auf den Fersen.

Dass die Wirtschaft von vielen klei-
nen Mittelständlern geprägt ist, es an-
ders als in Sachsen kein Werk von
BMW, Porsche oder Infineon gibt,
muss kein Nachteil sein. Schwierigkei-
ten könnte allerdings die große Abhän-
gigkeit von der Autoindustrie bereiten.
Was für Sachsen und Brandenburg der
Kohleausstieg, ist für Thüringen der
Strukturwandel in dieser Branche.
Zwar steht das Opel-Werk in Eisenach
momentan ausnahmsweise mal nicht
auf der Kippe. Aber mehrere Autozu-
lieferer aus der Region mussten zuletzt
Insolvenz anmelden, andere wollen
Standorte schließen. Mehr als jeden
zehnten Arbeitsplatz sieht Wirtschafts-
minister Wolfgang Tiefensee (SPD) im
Bereich der Antriebstechnik in Ge-
fahr. Kein Wunder, dass es der Landes-
regierung so wichtig war, den Spaten-
stich für die neue Batteriezellenfabrik
nahe Erfurt noch vor der Landtags-
wahl zu feiern. Bis zu 2000 neue Ar-
beitsplätze will das chinesische Unter-
nehmen CATL dort schaffen.
Ob sich die Wähler damit beeindru-
cken lassen, ist fraglich. Im Straßen-
wahlkampf dominiert ein anderes
Thema, der Unmut über die geringen
Einkommen. Tatsächlich sind die Löh-
ne in Thüringen deutlich niedriger als
in anderen (auch ostdeutschen) Bun-
desländern. Nicht einmal jeder fünfte
Betrieb zahlt nach Tarif. Dass Unter-
nehmen in Zeiten des Fachkräfteman-
gels alles tun, um ihre Mitarbeiter bei
Laune zu halten – in Thüringen ist die-
ses Phänomen noch nicht zu beobach-
ten. Doch bei aller berechtigten Sorge,
dass niedrigere Löhne später auch
niedrigere Renten bedeuten: Man soll-
te nicht vergessen, dass auch die Le-
benshaltungskosten geringer sind als
andernorts. Unter Studenten aus dem
In- und Ausland erfreut sich Thürin-
gen deshalb schon seit längerem gro-
ßer Beliebtheit. Und ist keineswegs so
unbekannt, wie Rainald Grebe es ihm
andichtet.

D


as Umfeld für Banken wird rau-
her. Die schwächere Konjunktur
wird vor allem den Instituten zuset-
zen, deren Ertragskraft schwach ist.
Das gilt insbesondere für deutsche
Banken, die in den vergangenen Jah-
ren besonders stark von der Sicherheit
im inländischen Kreditgeschäft und
den Auflösungen von Rückstellungen
für drohende Kreditverluste profitiert
haben. Ein Abschwung wäre weniger
schlimm, wenn die Kreditwirtschaft
nur davon betroffen wäre. Aber sie
muss gleichzeitig in die Digitalisie-
rung ihres Geschäftsmodells investie-
ren. Das stellt für die Banken eine
Mammutaufgabe dar, weil sie sich
grundsätzlich neu aufstellen müssen.
Das werden nicht alle überleben. Un-
ter den Sparkassen sowie den Volks-
und Raiffeisenbanken wird die Konso-
lidierungswelle weiterlaufen. Auch
für die großen Institute nimmt der
Druck zu. Das lässt sich am Wunsch
der Sparkassen nach einem Zusam-
menschluss ihrer Landesbanken und
der Deka-Bank ablesen. Nach dem er-
gebnislosen Ende ihrer Fusionsgesprä-
che haben Deutsche Bank und Com-
merzbank zwar einschneidende Maß-
nahmen ergriffen, aber sie dürften
nicht reichen, um international wie-
der den Anschluss zu finden.

itz.WIEN,21. Oktober. Während die eu-
ropäische Politik nach dem türkischen
Einmarsch in Nordsyrien über Sanktio-
nen nachdenkt, hat die EU-Förderbank
längst Fakten geschaffen. Wegen des zu-
nehmend aggressiven Auftretens des Re-
gimes von Präsident Recep Tayyip Erdo-
gan im In- und Ausland hat die Europäi-
sche Investitionsbank EIB, die den Mit-
gliedstaaten gehört, ihr Neugeschäft in
der Türkei fast gänzlich eingestellt. Nach
Informationen der F.A.Z. haben die Bank-
gremien im bisherigen Verlauf dieses Jah-
res über kein einziges Vorhaben positiv
entschieden. Unterschrieben wurde im
Mai lediglich ein schon genehmigtes Dar-
lehen über 67 Millionen Euro für ein Ab-
wasserprojekt.
Traditionell vergibt die EIB jedes Jahr
Kredite über rund 1,5 Milliarden Euro an
die Türkei. 2016 waren es 2,2 Milliarden.
Doch als nach dem Putschversuch jenes
Jahres die Repressionen im Ausnahmezu-
stand wuchsen und die Türkei auch euro-
päische Staatsbürger willkürlich fest-
nahm, fuhr die Bank ihr Engagement
stark zurück. 2017 vergab sie nur noch
500 Millionen Euro, ein Jahr später kaum


390 Millionen. Für 2019 werden weniger
als 100 Millionen Euro erwartet. „Solan-
ge sich die türkische Politik nicht grundle-
gend ändert, gehen wir Richtung null“,
heißt es aus dem Luxemburger Institut.
Generell mehren sich in Europa die
Aufrufe, wegen des Einmarsches in Sy-
rien gegen die Türkei wirtschaftlich vorzu-
gehen. So forderte das niederländische
Parlament die Regierung dazu auf, sich
für europäische Sanktionen einzusetzen.
In der Resolution heißt es explizit, die
EIB solle der Türkei keine neuen Kredite
gewähren.
In Deutschland wird darüber nachge-
dacht, ähnlich wie 2017 die staatlichen
Exportkreditversicherungen (Hermes-
Bürgschaften) zu reduzieren. Nachdem
das schon die Opposition angeregt hatte,
gewinnt die Idee auch in der SPD Anhän-
ger. Fraktionschef Rolf Mützenich sagte
im Deutschlandfunk: „Hermes-Bürgschaf-
ten müssen nicht gewährt werden in einer
Situation, wo wir ja wissen, dass in der
Türkei weiterhin Deutsche festgehalten
werden.“
Der Wert der Ausfallgarantien für die
Türkei ist 2018 um mehr als 13 Prozent

auf 1,78 Milliarden Euro gestiegen. Da-
mit erreichte das Land gemeinsam mit
Amerika Platz zwei hinter Russland. Im
ersten Halbjahr 2019 war die Türkei wie-
derum das wichtigste Schwellenland für
Hermes-Kredite hinter Russland. Aller-
dings nahmen die Deckungen um 24 Pro-
zent auf 630 Millionen Euro ab.
Die zweite große europäische Förder-
bank, die Europäische Bank für Wieder-
aufbau und Entwicklung EBRD, fährt ihr
Türkei-Geschäft ebenfalls zurück. Aber
nicht so stark wie die EIB und auch ohne
ihr Vorgehen politisch zu begründen. Die
EBRD hat im laufenden Jahr schon fast
550 Millionen Euro in 20 türkische Projek-
te investiert. Im Gesamtjahr 2018 waren
es 1,0 Milliarden gewesen, 2017 rund 1,
Milliarden und im Jahr davor 1,9 Milliar-
den Euro. Der Rückgang liege an „der her-
ausfordernden makroökonomischen
Lage, den sinkenden Direktinvestitionen
und der gefallenen Nachfrage nach
EBRD-Investitionen“, sagte ein Sprecher.
Unter den Bankeigentümern gebe es
seines Wissens aber keinerlei Diskussion
darüber, die Aktivitäten in der Türkei we-
gen Erdogans Politik zu verringern. Die
Bank gehört fast 70 Ländern, wobei Ame-

rika und die EU eine Mehrheit stellen. Sie
könnten daher das Geschäft mit Ankara
einstellen lassen. Mit Russland ist das we-
gen der Krim-Annexion schon der Fall.
Allerdings steht für die EBRD einiges
auf dem Spiel, denn in keinem anderen
Land der Welt hat sie mehr Geld ausgege-
ben als in der Türkei, rund 10 Milliarden
Euro. Ähnliches gilt für die EIB. Obgleich
sie sich zurückzieht, bleibt sie in der Tür-
kei stark exponiert: Ende 2018 betrug der
Gesamtbetrag der gewährten Darlehen
16,2 Milliarden Euro. Keine andere Nati-
on außerhalb der EU hat mehr Geld aus
Luxemburg empfangen. Unter allen Kre-
ditnehmern rangiert die Türkei auf Platz
neun vor den Niederlanden.
Die deutsche Entwicklungsbank KfW
ist ebenfalls in der Türkei aktiv, konnte
die Höhe am Montag aber nicht beziffern.
Das Institut reicht unter anderem 620 Mil-
lionen Euro für die Hilfe syrischer Flücht-
linge in der Türkei aus. „Die aktuelle Ent-
wicklung beobachten wir vor diesem Hin-
tergrund mit Sorge“, sagte eine Spreche-
rin und legte damit den Finger in die Wun-
de: Die EU tut sich so lange mit Sanktio-
nen schwer, wie sie in der Flüchtlingsfra-
ge auf die Türkei angewiesen ist.

Wirtschaftlich haben die
fünfJahre unter Bodo
Ramelow Thüringen
nicht geschadet.

maf.FRANKFURT, 21. Oktober. Euro-
pas Banken, insbesondere die deutschen,
sind ertragsschwach. Ein sich verschärfen-
der konjunktureller Abschwung kann eini-
ge Institute überfordern. Denn dann müs-
sen sie für ihre ausfallgefährdeten Kredi-
te Rückstellungen bilden, was in Zeiten
schwindender Erträge an die Substanz
geht. Die Unternehmensberater von
McKinsey schlagen in ihrem jüngsten
Bankenbericht Alarm: In der ganzen Welt
näherten sich die Banken in keiner idea-
len Verfassung dem Ende des Konjunktur-
zyklus. Fast 60 Prozent aller Institute
könnten nicht ihre Kapitalkosten, also
die von den Anlegern geforderte Verzin-
sung von Eigen- und Fremdkapital, ver-
dienen. Sie vernichten also Wert.
Das belastet den Börsenwert, der bei
vielen Banken deutlich unterhalb des
Buchwerts, also des in der Bilanz ausge-
wiesenen Eigenkapitals, liegt. Nach Anga-
ben von McKinsey wurden in den Jahren
vor der Finanzkrise in den Industrielän-
dern 28 Prozent aller Banken mit einem
Abschlag zum bilanziellen Eigenkapital
an der Börse gehandelt. In den vergange-
nen Jahren waren es 61 Prozent. Beson-
ders schlecht schneiden Deutsche Bank
und Commerzbank ab: Sie werden nur zu
jeweils einem Viertel ihres Buchwerts,
also zu einem Kurs-Buch-Verhältnis von
0,25, gehandelt. Im Vergleich dazu kom-
men die französische BNP Paribas auf
0,63 und die spanische Santander auf
0,65 Prozent. Deutlich besser schneiden
amerikanische Häuser ab, die zum Teil so-
gar auf einen Aufschlag kommen. Das ist
bei JP Morgan mit 1,6 und bei der Bank of
America mit 1,1 der Fall.
Was Banken, ihre Vorstände und ihre
Anleger so nervös werden lässt, ist die Tat-
sache, dass die schwachen Ertragszahlen
und Börsenbewertungen noch keine kon-


junkturelle Abschwungphase widerspie-
geln, sondern sich in einem guten Wirt-
schaftsumfeld ergeben haben. Jedoch gibt
es klare Unterschiede: Amerikanische
Banken stehen deutlich stärker da als ihre
europäischen Wettbewerber. Zum einen
nagen die Negativzinsen der Europäi-
schen Zentralbank (EZB) an deren Profita-
bilität. Zum anderem ist die Kostenbasis
vor allem für deutsche Institute zu hoch.
Und sie müssen nun schon für die schwä-
cher werdende Konjunktur vorsorgen. Bei
allen großen Instituten wie Deutsche
Bank, Commerzbank, DZ Bank oder den
meisten Landesbanken ist die Risikovor-
sorge im ersten Halbjahr gegenüber dem
Vorjahreszeitraum deutlich gestiegen.
In den vergangenen Jahren war die Si-
cherheit im Kreditgeschäft, die neben ei-
ner niedrigen Risikovorsorge oft auch mit
der Auflösung von Rückstellungen ver-
bunden war, eine wichtige Ergebnisstütze
für die deutschen Banken. In einer Rezes-
sion kann sich das Bild schnell wandeln.

Das ist auch ein Grund, warum der Aus-
schuss für Finanzstabilität, dem Vertreter
des Bundesfinanzministeriums, der Bun-
desbank und der Finanzaufsicht Bafin an-
gehören, im Frühjahr mit dem „antizykli-
schen Eigenkapitalpuffer“ einen zusätzli-
chen Schutzring für die Banken beschlos-
sen hat.
Noch sind die Aufseher und die Rating-
agenturen nicht in Alarmstimmung. So er-
wartet die Bundesbank in ihrem am Mon-
tag veröffentlichten Monatsbericht keine
Rezession „im Sinne eines deutlichen,
breit angelegten und länger anhaltenden
Rückgangs der Wirtschaftsleistung“. Je-
doch gebe es wenig Anzeichen für eine
nachhaltige Belebung der Exporte und
eine Stabilisierung der Industrie. Das Um-
feld für Banken wird rauher. Wäre es das
einzige Problem, könnten sie dies mit Hil-
fe ihres höheren Eigenkapitals abfedern.
Doch die Banken müssen gleichzeitig in
die Digitalisierung ihres Geschäftsmo-
dells investieren, während neue Wettbe-

werber aus der Finanztechnologie (Fin-
techs) einzelne Teile der Wertschöpfung
von Banken für sich erobern. Ein Beispiel
ist der Zahlungsverkehr.
Auf der Jahrestagung des Internationa-
len Währungsfonds und der Weltbank am
Wochenende in Washington haben nicht
nur die Vertreter der deutschen Kredit-
wirtschaft wie Sparkassenpräsident Hel-
mut Schleweis oder Bankenpräsident
Hans-Walter Peters mehr fiskalische Un-
terstützung in der schwachen Konjunktur-
phase gefordert. Auch der UBS-Verwal-
tungsratsvorsitzende Axel Weber oder
der Vorstandschef der amerikanischen
Bank State Street, Ron O’Hanley, halten
die geldpolitischen Möglichkeiten der No-
tenbanken inzwischen für nahezu ausge-
schöpft. Für die Berater von McKinsey
läuft mit dem konjunkturellen Ab-
schwung vielen Banken die Zeit davon,
entweder ihr Geschäftsmodell neu auszu-
richten oder durch Übernahmen die
Schlagkraft zu erhöhen.

Im Steuerwahn


Von Manfred Schäfers


Abstand nach links


Von Julia Löhr


mas.BERLIN, 21. Oktober. Nachwuchs-
probleme und das komplexe Steuerrecht
überfordern zunehmend die Finanzver-
waltung. Die Steuerberater beklagen,
dass die Bearbeitung der Steuererklärun-
gen immer länger dauere. In Nordrhein-
Westfalen müsse man mittlerweile
13 Tage länger auf den Bescheid warten
als früher, berichtete der Präsident ihres
Verbands, Harald Elster, am Montag am
Rande des Steuerberaterkongresses. Das
entspreche einem Anstieg um mehr als
ein Viertel. Nach seinen Angaben sind in
dem bevölkerungsreichsten Bundesland
nunmehr 63 bis 65 Tage einzuplanen –
statt wie früher 50 Tage. „Mit steigender
Tendenz.“ Dies gelte für die Einkommen-
steuer wie für die Körperschaftsteuer.
Noch schlimmer ist nach Beobachtung
der Berater die Lage bei der Erbschaft-
steuer. Die Programme für die Bearbei-


tung liefen immer noch nicht, jede Erklä-
rung müsse einzeln in die Hand genom-
men und geprüft werden. „Bei der Erb-
schaftsteuer droht in vielen Bundeslän-
dern Verjährung, weil die Bearbeitung de-
finitiv überhaupt nicht mehr hinterher-
kommt“, warnte Elster. Allein in Nord-
rhein-Westfalen gehe es um 4 Milliarden
Euro. Auch wenn nicht alles gleichzeitig
verjähren werde, rutsche ein Teil nach
dem anderen in die Verjährung hinein.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz
(SPD) warb vor den mehr als 1600 Steuer-
beratern um Verständnis für die geplante
Meldepflicht für grenzüberschreitende
Steuergestaltungen, die in der Zunft kri-
tisch gesehen wird. Gleichzeitig rühmte
der SPD-Politiker die neue Grundsteuer.
Man habe sie von altem Ballast befreit.
„Wir haben ein digitalisierbares Grund-
steuerrecht auf den Weg gebracht.“ Die

Berater sind skeptisch, ob die Umstellung
reibungslos gelingen wird. „Jeder sagt, es
sind doch noch 5 Jahre, aber für alle 35
Millionen Grundstücke muss eine Steuer-
erklärung abgegeben werden“, betonte
Elster. Zudem werde dafür das ein oder
andere Gutachten erforderlich sein. „Das
muss alles bearbeitet werden. „Wer das in
der Verwaltung machen soll, steht in den
Sternen.“ Der Minister spreche zwar von
einer digitalen Form, in der das bearbei-
tet werden solle, aber er wolle erst einmal
sehen, wann das zur Verfügung stehe.
Der Präsident des Bundesfinanzhofs,
Rudolf Mellinghoff, erinnerte an Reichsfi-
nanzminister Matthias Erzberger, der vor
hundert Jahren in neun Monaten 16
grundlegende Steuergesetze durchsetzte.
Aktuell gebe es zwar auch eine ganze Rei-
he von Gesetzen: „Aber wenn man es da-
mit vergleicht, muss man sagen: Sie sind

kompliziert, streitanfällig, unsystema-
tisch und haben eine geringe Halbwerts-
zeit.“ Konkret spießte er die Mobilitäts-
prämie auf, mit der Menschen unterstützt
werden sollen, die weite Strecken zur Ar-
beit fahren, aber zu wenig verdienen, um
Steuern zu zahlen und somit von der hö-
heren Entfernungspauschale profitieren
zu können. Er äußerte Zweifel, ob mit der
aufwendigen Prämie die Menschen er-
reicht werden, auf die sie zielt. Steuerbera-
ter-Präsident Elster sprach von einem
Schnellschuss. „Ich sehe die Verwaltung
gar nicht in der Lage, die Mehrerklärun-
gen zu bearbeiten.“
Trotz aller Erhebungsprobleme und
Konjunkturwidrigkeiten steigen die Steu-
ereinnahmen immer weiter. Im Septem-
ber wuchs das Aufkommen um 5,6 Pro-
zent. Für die ersten neun Monate ergibt
sich ein Plus von 3,1 Prozent.

Im Gegenwind


Von Markus Frühauf


EU-Förderbank hat Neugeschäft mit Türkei eingestellt


Diskussion um Hermes-Bürgschaften lebt auf / Auch die KfW beobachtet die Lage in Syrien mit Sorge


Banken läuft im Abschwung die Zeit davon


Steuerforderungen drohen zu verjähren


Finanzverwaltung kommt nicht mehr hinterher / Steuerberater: Bearbeitung von Erklärungen dauert immer länger


Das schwächere


Wachstum sollte der


Kreditwirtschaft große


Sorgen bereiten. Die


Berater von McKinsey


fordern die Institute zu


mutigen Schritten auf.


Quelle: McKinsey / Foto Getty / F.A.Z.-Grafik Walter
Kaffeepause im New Yorker Finanzdistrikt

2006 181614121008

12

4

2

6

8

10

0





Veränderung zum Vorjahr in %

Kreditvergabe und globales BIP

Eigenkapitalrendite,
in Prozent

2002–

Industrieländer

Schwellenländer

2010–

Ertragswachstum,
in Prozent

Anteil der Banken,
die unter Buchwert
gehandelt werden,
in Prozent

Kennzahlen für die gesamten
Banken in der Welt

Globales
Bruttoinlandsprodukt

Globale
Kreditvergabe
der Banken

16,

16,

28,
19,

10,

3,

61,
37,
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