Frankfurter Allgemeine Zeitung - 22.10.2019

(Axel Boer) #1

SEITE 16·DIENSTAG, 22. OKTOBER 2019·NR. 245 Wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


MORGEN IN NATUR

UND WISSENSCHAFT

Kostenloses Probeabo
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Luft anhalten und los
Wie Robben es schaffen, ohne Pause
fast eine Stunde lang zu tauchen

loe.BERLIN,21. Oktober. Vermieter
müssen sich in Berlin auf harte Zeiten
einstellen. An diesem Dienstag will der
rot-rot-grüne Senat das umstrittene Ge-
setz zum Mietendeckel beschließen. Dar-
in enthalten ist auch eine Tabelle, die je
nach Baujahr und Ausstattung eines Ge-
bäudes zwölf absolute Mietobergrenzen
definiert. Die unterste liegt bei 3,92 Euro
kalt je Quadratmeter für Wohnungen bis
Baujahr 1918, die weder eine Zentralhei-
zung noch ein Bad haben. Die obere
Grenze zieht der Senat bei 9,80 Euro für
Wohnungen aus den Jahren 2003 bis
2013, die – in diesen Baujahren wenig
überraschend – sowohl eine Zentralhei-
zung als auch ein Bad haben. Wohnun-
gen von 2014 an sind vom Mietendeckel
ausgenommen; auf diese Weise will die
Landesregierung den Neubau schützen.
Die am Montag bekanntgewordenen
Zahlen sind in zwei Fällen relevant: wenn
Mieter in einem bestehenden Mietverhält-
nis die Miete senken wollen und bei ei-
nem Mieterwechsel. Bei Letzterem gilt:
Hat der Vormieter mehr gezahlt als die Ta-
belle vorsieht, soll die Miete in dem neu-
en Vertrag auf die staatliche Obergrenze
sinken. Bausenatorin Katrin Lompscher
(Linke) will so einen Teil der Preiszu-
wächse rückgängig machen. In bestehen-

den Mietverhältnissen sollen Mieter dann
eine Senkung verlangen können, wenn
sie mehr als 120 Prozent des für sie rele-
vanten Tabellenwerts zahlen. In diesem
Fall soll die Miete auf besagte 120 Pro-
zent gedeckelt werden. In guten Lagen ge-
steht der Senat Vermietern einen Zu-
schlag von bis zu 74 Cent je Quadratme-
ter zu. Das bedeutet, dass die absolute
Obergrenze alles in allem bei 12,65 Euro
liegen wird – 9,80 Euro plus 74 Cent für
gute Lagen plus 20 Prozent Toleranz für
höhere Bestandsmieten.
Noch gibt es keine konkreten Zahlen,
wie viele der Berliner Haushalte mehr
zahlen als jetzt vom Senat vorgesehen.
Die Rede ist jedoch von mehreren hun-
derttausend Betroffenen. Die Neuver-
tragsmieten haben sich in Berlin in den
vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Ak-
tuell liegen sie nach Angaben des Portals
Immowelt über alle Stadtteile hinweg im
Schnitt bei 11,60 Euro. In den beliebten
Altbauvierteln klafft die Lücke zwischen
Tabelle und Realität besonders weit aus-
einander. Für bis 1918 gebaute Wohnun-
gen mit Zentralheizung und Bad sieht die
Tabelle maximal 6,45 Euro vor. Selbst mit
allen Zuschlägen läge die Maximalmiete
für solche Wohnungen unter 9 Euro.
Nach den Zahlen der Investitionsbank

Berlin lagen die Angebotspreise in Vier-
teln wie Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte
und Charlottenburg zuletzt aber bei 12
Euro und mehr.
Entsprechend gab es auch am Montag
wieder Kritik an den Plänen der Landesre-
gierung. Verbände, Organisationen und
Unternehmen aus der Berliner Bau- und
Immobilienbranche warnten in einem of-
fenen Brief vor den negativen Folgen für
die Wirtschaft. Investitionen in den Be-
stand würden künftig ausbleiben, das
Thema Neubau werde politisch vernach-
lässigt. Der Präsident des Deutschen Städ-
tetags Burkhard Jung sieht in dem Berli-
ner Vorgehen kein Modell für andere
Städte. „Ich kann gut verstehen, dass Ber-
lin wegen der schwierigen Situation auf
dem Wohnungsmarkt neue Lösungen auf
den Weg bringt“, sagte er. Berlin könne
das machen, weil es zugleich ein Bundes-
land sei, andere Städte dagegen nicht.
„Ich glaube, dass wir andere Lösungen
brauchen“, sagte der Leipziger Oberbür-
germeister. Bauen müsse wieder günsti-
ger werden, Politik und Wirtschaft sollten
enger zusammenarbeiten. Jung kritisierte
aber auch, dass sich einige Immobilienin-
vestoren Gewinnmargen vorstellten, „die
ich für völlig unbegründet halte“.(Eine
Reizfigur für Vermieter, Seite 20.)

Kontinentaldrift des Denkens
Die Amerikanisierung des
Publikationsmarktes und ihre Folgen

Rauchstopp mit E-Zigaretten
Umstritten und doch Hoffnungsträger:
Hilft der Dampf beim Ausstieg?

rit.ZÜRICH,21. Oktober. Im Rücken-
wind der Klimadebatte sind die Grünen
zu klaren Gewinnern der Parlamentswah-
len in der Schweiz geworden. In der Ab-
stimmung für die große Kammer des Par-
laments, den Nationalrat, legten sie um
knapp 6 Prozentpunkte zu und erreichten
13,2 Prozent der Stimmen. Auch die
Grünliberalen profitierten von der klima-
politischen Großwetterlage und legten
3,2 Prozentpunkte auf knapp 8 Prozent
zu. Mehr als ein Fünftel der Stimmen ent-
fielen also auf die beiden Ökoparteien,
die gemeinsam nun mehr Sitze im Natio-
nalrat haben als die Sozialdemokraten
(16,8 Prozent) oder die FDP (15,1). Nur
die rechtskonservative SVP ist mit 25,
Prozent noch stärker als Grüne und Grün-
liberale zusammen, obwohl sie fast 4 Pro-
zentpunkte verloren hat.
Was bedeutet die für Schweizer Verhält-
nisse starke Wählerverschiebung für die
weitere Wirtschaftspolitik des Landes?
Radikale Kurswechsel sind nicht zu er-
warten. Dafür sind die ausgleichenden
Kräfte im politischen System zu stark.
Aber einige Entwicklungen lassen sich
schon absehen. Es ist zu erwarten, dass
die Schweiz ihre Klimaschutzgesetze ver-
schärfen wird. Die Weichen hierfür hat


die kleine Kammer des Parlaments, der
Ständerat, schon im September gestellt.
Die Kammer votierte für eine Revision
des CO 2 -Gesetzes. Der Nationalrat, der
dieses Ansinnen Ende vergangenen Jah-
res noch abgeschmettert hatte, wird unter
den neuen grünen Vorzeichen nun wohl
ebenfalls sein Plazet geben. Damit wird
der Weg frei für eine deutliche Erhöhung
der CO 2 -Abgabe auf Brennstoffe, harte
Restriktionen für den Einbau neuer Öl-
und Gasheizungen, eine Verteuerung von
Benzin und Diesel sowie eine Flugticket-
abgabe, die je nach Flugdistanz 30 bis 120
Franken kosten soll. Die geplanten Len-
kungsabgaben sollen längst nicht alle zu-
rück an die Bürger und Unternehmen flie-
ßen, sondern auch in ökologischen Inves-
titionsprogrammen umverteilt werden.
Da die Schweizer Grünen politisch
weit links stehen, befürchtet man in Wirt-
schaftskreisen, dass der neue Nationalrat
mehr Umverteilungselemente in das
CO 2 -Gesetz einbringt. Um den Klima-
schutz zu verbessern, brauche es markt-
wirtschaftliche Instrumente, mahnt
Monika Rühl, Geschäftsführerin des
Wirtschaftsdachverbands Economiesuis-
se. „Doch nun stehen staatliche Interven-
tionen, Verbote und Subventionen im

Raum. Dagegen werden wir uns weh-
ren“, sagte Rühl im Gespräch mit der
F.A.Z. Sie gab zu bedenken, dass die Ge-
setzesnovelle auch in einer Volksabstim-
mung bestehen müsse. „Die Grünen müs-
sen Farbe bekennen in Bezug auf die Kos-
ten, die mit einer neuen CO 2 -Abgabe auf
Benzin und Diesel auf die Bevölkerung
zukommen.“ Auch Peter Grünenfelder,
Direktor der liberalen Denkfabrik Avenir
Suisse, warnt davor, über die Klimapoli-
tik neue Subventionstöpfe aufzumachen:
„Damit rutscht die Schweiz immer weiter
in Richtung Industriepolitik, anstatt auf
die Kraft des Marktes zu setzen.“
Grünenfelder hofft, dass die Grünlibe-
ralen, die in den Wahlen ebenfalls stark
zugelegt haben, als heilsame Gegenkraft
Wirkung entfalten können. Die Abwahl
der Gewerkschaftsvertreter Corrado Par-
dini und Adrian Wüthrich aus dem Natio-
nalrat zeige, dass die Wähler kein Ver-
ständnis für Hardliner hätten, die fernab
der ökonomischen Vernunft politisierten.
In diesem Kontext schlug Grünenfelder
einen Bogen zur Sozialdemokratischen
Partei (SP). Diese habe auch deshalb 2
Prozentpunkte verloren, weil sie den Ab-
schluss des für die Wirtschaft wichtigen
Rahmenvertrags mit der EU bisher ableh-

ne. Damit habe die SP europafreundliche
Anhänger vor den Kopf gestoßen.
Trotzdem wollen die SP und weitere
an der Regierung beteiligte Parteien of-
fenbar erst die im Mai stattfindende Ab-
stimmung über die SVP-Initiative zur
Kündigung des Personenfreizügigkeitsab-
kommens mit der EU abwarten, bevor
sie sich wieder ernsthaft Brüssel und
dem Rahmenvertrag zuwenden. Die Eco-
nomiesuisse-Direktorin Monika Rühl
hat dafür kein Verständnis. „Wir haben
keine Zeit zu verlieren. Wenn die bilate-
ralen Verträge mit der EU nicht mehr auf-
datiert werden, erhöht sich der bürokrati-
sche Aufwand für die Exporteure und
verteuert deren Produkte.“ Nachteile
drohten auch für den Forschungs- und In-
novationsstandort Schweiz, weil das
Land ohne Rahmenvertrag aus dem EU-
Forschungsförderprogramm Horizon
2020 herausfallen könne. Auf die drin-
gend nötige Rentenreform wird sich der
grüne Aufschwung im Parlament wohl
eher negativ auswirken. Für eine Erhö-
hung des allgemeinen Renteneintrittsal-
ters sind die Grünen nicht zu haben. Sie
lehnen es bisher sogar ab, das Rentenal-
ter der Frauen von 64 Jahren an jenes der
Männer (65 Jahre) anzugleichen.

sibi.FRANKFURT, 21. Oktober. Sparen
die Deutschen wegen der niedrigen Zin-
sen mehr oder weniger: Darüber ist in
den vergangenen Jahren viel diskutiert
worden. Philippe Waechter, Chefvolks-
wirt des französischen Investmenthauses
Ostrum, kommt in einem aktuellen Blog-
beitrag zu dem Ergebnis, über längere
Sicht sei beides nicht der Fall. Es sei ein
„Irrglaube“, dass die deutsche Sparquote
in einem unmittelbaren Zusammenhang
zur Geldpolitik der Europäischen Zentral-
bank (EZB) stehe. Die Sparquoten in
Deutschland seien seit Jahren mehr oder
minder stabil. Waechter hatte sich die
Sparquoten sowohl der Haushalte als
auch der Gesamtwirtschaft über viele Jah-
re angesehen. Seit 2009 habe die Sparquo-
te der privaten Haushalte in Deutschland
in einem Band zwischen etwa 9 und 11,
Prozent geschwankt. Zum Ende des zwei-
ten Quartals 2019 habe sie bei 10,8 Pro-
zent gelegen. Man könne sogar sagen,
dass die Sparquote der privaten Haushal-
te in Deutschland sich seit der Euroein-
führung ungefähr auf dem gleichen Ni-
veau bewege. Keine größeren Schwankun-
gen habe auch die gesamtwirtschaftliche
Sparquote aufgewiesen. Seit 1991 liege
sie recht stabil bei um die 25 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Zurückgegangen
sei allerdings die Investitionsquote.

HANNOVER,21. Oktober (dpa-AFX).
Zum Auftakt der bundesweiten Tarifver-
handlungen für die Chemie- und Pharma-
branche sehen Arbeitnehmer und Arbeit-
geber noch viel Diskussionsbedarf. In der
Auslegung der Branchenlage seien beide
Seiten „meilenweit auseinander“, sagte
der Verhandlungsführer der Industriege-
werkschaft Bergbau, Chemie, Energie
(IG BCE), Ralf Sikorski, am Montag in
Hannover. Auch der Verhandlungsführer
des Arbeitgeberverbands BAVC, Georg
Müller, sagte, es werde zunächst um die
Interpretation der wirtschaftlichen Situa-
tion gehen: „Wenn wenig Spielraum da
ist, sind Tarifverhandlungen immer sehr
schwer.“ Die erste Verhandlungsrunde ist
auf zwei Tage angesetzt. Es gilt als wahr-
scheinlich, dass die Verhandlungen am
21./22. November in Wiesbaden fortge-
setzt werden. In den Gesprächen geht es
um die Arbeitsbedingungen von rund
580 000 Beschäftigten. Die IG BCE for-
dert neben einem spürbaren Lohnplus un-
ter anderem ein sogenanntes Zukunfts-
konto von jährlich 1000 Euro. Die Idee:
Jeder Beschäftigte könnte individuell dar-
über verfügen und es etwa in freie Tage
umwandeln. Zu den Forderungen gehö-
ren außerdem eine Zusatzversicherung
für die Pflege und mehr Qualifizierungs-
angebote wegen der Digitalisierung.


dc.BERLIN,21. Oktober. Bundeskanzle-
rin Angela Merkel (CDU) wünscht sich in
Deutschland mehr Tarifverträge. „Die vie-
len weißen Flecken in der Tariflandschaft
müssen uns zu denken geben“, sagte sie
in einer Festrede vor Gewerkschaftsver-
tretern zum siebzigjährigen Bestehen des
Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
Es sei „wünschens- und erstrebenswert,
in Deutschland wieder eine höhere Tarif-
bindung zu gewinnen“.
Nach Merkels Vorstellung kann dazu
neben Gewerkschaften und Arbeitgebern
auch die Regierung einen Beitrag leisten.
So spreche sie etwa in Rahmen ihrer Dia-
loge mit Sozialpartner-Vertretern regel-
mäßig darüber, „mit welchen Anreizen
wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
aber vor allem Unternehmen dazu brin-
gen können, die Möglichkeiten der Tarif-

bindung zu nutzen und als Vorteil zu er-
kennen.“ Dies zielt auf Überlegungen, ver-
mehrt sogenannte Öffnungsklauseln im
Arbeitsrecht zu verankern, durch die tarif-
gebundene Arbeitgeber von gesetzlichen
Vorschriften abweichen können, falls sie
sich mit einer Gewerkschaft darüber ver-
ständigen. Unternehmen ohne Tarifver-
trag bliebe dies dann verwehrt.
Merkel würdigte zudem das Prinzip der
parteiunabhängigen und berufsübergrei-
fenden Einheitsgewerkschaft, dem die
DGB-Gewerkschaften verpflichtet seien.
Sie träten als konstruktive Gestaltungs-
kräfte auf und entsagten der Versuchung,
sich als reine Protestbewegung zu verste-
hen. Der DGB besteht seit Oktober 1949.
Sein 60. Jubiläum im Jahr 2009 war von
der tiefen Rezession nach dem Ausbruch
der Finanzkrise überschatten gewesen.

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pik./dc.FRANKFURT/BERLIN, 21.Ok-
tober. Der Beitragssatz zur gesetzlichen
Rente steigt in den kommenden Jahrzehn-
ten schrittweise von heute 18,6 auf 26 Pro-
zent des Bruttolohns, falls es bei der der-
zeitigen Gesetzeslage bleibt und die Bun-
desregierung die Leistungen für Senioren
nicht noch weiter ausbaut. Würde dage-
gen die vor einem Jahr beschlossene „Ren-
tengarantie“ über das Jahr 2025 hinaus
fortgeführt, stiege der Beitragssatz bis
2070 sogar auf 31 Prozent des Brutto-
lohns. Alternativ müssten die Steuerzu-
schüsse an die Rentenkasse um einen Be-
trag erhöht werden, der sieben Prozent-
punkten Mehrwertsteuererhöhung ent-
spricht. Das zeigen Simulationsrechnun-
gen, die die Bundesbank am Montag mit
ihrem neuen Monatsbericht vorgelegt hat.
Vor einem Jahr hatte die Koalition aus
Union und SPD eine „doppelte Halte-
linie“ für Rentenniveau und Beitragssatz
eingeführt, die vorerst bis 2025 gelten
soll. Sie besagt im Kern, dass die jährli-
chen Rentenerhöhungen immer mindes-
tens so hoch ausfallen müssen wie der
durchschnittliche Lohnanstieg; dies ver-
birgt sich hinter der Festlegung eines so-
genannten Sicherungsniveaus von 48 Pro-
zent. Zugleich soll der Beitragssatz bis
2025 nicht über 20 Prozent steigen. Rei-
chen die Beiträge dann nicht, soll es höhe-
re Steuerzuschüsse aus dem Bundeshaus-
halt geben; diese beliefen sich zuletzt auf
etwa 100 Milliarden Euro im Jahr.
Wie es nach 2025 weitergehen soll, dar-
über berät derzeit eine von der Regierung
eingesetzte Rentenkommission. Unab-
hängig davon planen die Koalitionspart-
ner die Einführung einer Grundrente mit
neuen Zuschlägen für langjährig renten-
versicherte Geringverdiener, die je nach
Modell zu Mehrausgaben zwischen einer
und fünf Milliarden Euro im Jahr führen
soll. Wie diese ausgestaltet werden soll
und inwieweit die Bedürftigkeit oder die
Einkommen potentieller Zuschlagsbezie-
her geprüft wird, ist noch umstritten. Wei-
tere Gespräche darüber wollten Union
und SPD an diesem Dienstag in einer Ar-
beitsgruppe führen.
Die Bundesbank mahnt indes insge-
samt mehr politisches Augenmerk auf die
langfristigen Belastungen an, die neben
der Rentenversicherung und ihren Bei-
tragszahlern auch den Bundeshaushalt


und die Steuerzahler treffen – zumal,
wenn Leistungen ausgeweitet und Steuer-
zuschüsse erhöht werden sollen. „Hier ist
bereits nach der derzeitigen Rechtslage
ein stark steigender Finanzbedarf ange-
legt, was in der rentenpolitischen Diskus-
sion mitunter vernachlässigt wird“, heißt
es in dem Bericht. Es sei „elementar, die-
sen Aspekt bei der konkreten Ausgestal-
tung“ weiterer Rentenreformen zu be-
rücksichtigen. „Zumindest sollten die Fi-
nanzwirkungen einer Reform anhand of-
fizieller Vorausberechnungen sehr lang-
fristig und möglichst umfassend offenge-
legt werden.“
Bisher jedoch sind ihrer Analyse zufol-
ge vor allem die steigende Lebenserwar-
tung und die Folgen niedrigerer Gebur-
tenraten ab Ende der sechziger Jahre
noch nicht ausreichend erfasst. Einen
sinnvollen Weg zur Entschärfung der Aus-
gabenlasten sieht die Bundesbank weiter-
hin darin, das Renteneintrittsalter nach
2030 über 67 Jahre hinaus anzuheben. Sie
bekräftigt damit einen Vorschlag von
2016, die Altersgrenze so an den Anstieg
der durchschnittlichen Lebenserwartung

zu koppeln, dass sich Erwerbs- und Ruhe-
standsdauer im Gleichschritt verlängern.
Damit, so die Autoren, würde die Alters-
grenze bis 2070 schrittweise auf etwa
69,3 Jahre steigen – bei einer Lebens-
erwartung von dann voraussichtlich 89,
Jahren. Für 2030, wenn die Rente mit 67
erreicht ist, wird mit 86 Jahren Lebens-
erwartung gerechnet.
Daneben widmet sich die Simulations-
rechnung der Frage, wie sich die umstrit-
tene Kenngröße „Rentenniveau“ entwi-
ckelt. Diese gibt an, wie sich der Renten-
anspruch eines Durchschnittsverdieners
nach 45 Arbeitsjahren zum Durchschnitts-
lohn der aktuellen Arbeitnehmer verhält.
Derzeit sind das jene 48 Prozent, die der
Staat nach Ansicht der SPD über 2025 hin-
aus garantieren soll. Ein sinkendes Ren-
tenniveau bedeutet, dass die Renten lang-
samer steigen als die Löhne; sinkende
Renten sind dagegen schon heute gesetz-
lich ausgeschlossen.
Ohne jede weitere Rentenreform wür-
de die Kenngröße laut Bundesbank bis
2070 schrittweise auf 40 Prozent sinken.
Allerdings weisen die Autoren darauf

hin, dass die dazu betrachtete Dauer der
Beitragszahlung konsequenterweise von
45 auf 47 Jahre verlängert werden müss-
te, wenn das Rentenalter von 65 auf 67
Jahre steigt. Das auf dieser Grundlage be-
rechnete Rentenniveau würde dann nur
auf 42 statt auf 40 Prozent sinken. Und
rechnet man, entsprechend dem Vor-
schlag, mit einer auf 49,3 Jahre verlänger-
ten Beitragsdauer, dann erhöht sich da-
durch das Rentenniveau im Jahr 2070 so-
gar auf fast 44 Prozent. Der befürchtete
Rückgang dieser Kenngröße würde also
stark gedämpft; zugleich stiege der Bei-
tragssatz auf 24 Prozent des Bruttolohns.
Als wenig realistisch stellt sich aus der
Perspektive der Bundesbank vor diesem
Hintergrund die Forderung der Gewerk-
schaften dar, das Rentenniveau für die Zu-
kunft sogar auf mehr als 50 Prozent anzu-
heben, ohne die Lebensarbeitszeiten zu
verlängern. Dies würde bedeuten, dass
die Renten schneller steigen als die Löh-
ne, während die Belastung der Beitrags-
und Steuerzahler noch stärker steigt als
unter der Annahme eines auf 48 Prozent
festgeschriebenen Rentenniveaus.

9,80 Euro kalt: Berlins neue Mietobergrenze


Wiedervermietungen bekommen strenges Preislimit / Kritik aus der Wirtschaft


niza.FRANKFURT, 21. Oktober. China
dürfte seinen Vorsprung als größter
Wachstumsmarkt für Ökostrom in den
kommenden fünf Jahren weiter ausbau-
en. Zu dieser Einschätzung kommt die In-
ternationale Energieagentur (IEA) in ih-
rem am Montag veröffentlichten Jahres-
bericht. So ist vor allem im Fall von in der
Nähe von Produktionsstätten erzeugtem
Solarstrom mit großen Sprüngen zu rech-
nen. Dieser macht mit 300 Gigawatt rund
ein Viertel des prognostizierten Öko-
stromzuwachses von 1200 Gigawatt instal-
lierter Leistung aus. Davon entfällt wie-
derum mehr als die Hälfte auf China.
Theoretisch entsprechen 1200 Gigawatt
der in den Vereinigten Staaten insgesamt
installierten Erzeugung, praktisch laufen
die Solaranlagen allerdings nur wenige
Wochen im Jahr unter Volllast.
Fasst man sämtlichen solar erzeugten
Strom zusammen, rechnet die IEA global
mit einem Plus von 700 Gigawatt. Wind-
strom an Land folgt mit 300 Gigawatt. An
dritter Stelle steht die Wasserkraft mit et-
was mehr als 100 Gigawatt. Um 50 Pro-
zent dürfte die Ökostromerzeugung im
Jahr 2024 über dem heutigen Wert liegen.
Einzige Sorgenregion bleibt Afrika süd-
lich der Sahara, unter anderem wegen In-
vestitionsrisiken. Hohe Wachstumsraten
erwarten die Fachleute neben China auch
für andere asiatische Länder, vor allem In-
dien und Vietnam. Aber auch in Europa
und Amerika spricht alles für einen kräfti-
gen Zubau. „Jüngste Ergebnisse von Wett-

bewerbsauktionen weisen darauf hin,
dass die Herstellungskosten neuer Photo-
voltaikanlagen in einer steigenden Zahl
an Ländern früher als erwartet vergleich-
bar oder geringer sind gegenüber den neu-
er fossiler Kraftwerke“, heißt es in dem
IEA-Bericht.
Um 15 bis 35 Prozent dürften die Kos-
ten für Solarstrom demnach in den kom-
menden fünf Jahren sinken. Ähnlich opti-
mistisch ist der Ausblick für Windstrom.
Dass die Prognose im Vergleich zum vori-
gen Jahresbericht deutlich nach oben kor-
rigiert wurde, liegt zur Hälfte am verstärk-
ten Bemühen der Europäer, ihre Öko-
stromziele zu erreichen, sowie daran,
dass Projektentwickler in Amerika der-
zeit verstärkt noch in den Genuss auslau-
fender steuerlicher Förderanreize kom-
men wollen. Vor allem in den Vereinigten
Staaten weiter zunehmen wird aus IEA-
Sicht darüber hinaus der Abschluss von
sogenannten Power Purchase Agree-
ments (PPAs), also Stromabnahmeverträ-
gen zwischen Erzeugern und Unterneh-
men. Und dennoch: Selbst die erwartete
Zunahme von 1200 Gigawatt Ökostrom
ist laut IEA unzureichend, will man die
Klimaziele erreichen. 1500 Gigawatt bis
zum Jahr 2024 wären demnach nötig –
und möglich. Zwar sind 25 Prozent des
global erzeugten Stroms mittlerweile er-
neuerbar. Im Wärmesektor beträgt der
Anteil regenerativer Energieträger nach
letztem Stand aber nach wie vor nur mage-
re 10 Prozent, im Verkehrssektor sogar
nur 4 Prozent.

Wie viel Geld bleibt im Alter?Ein Besuch in der Rentenberatungsstelle liefert erste Hinweise. Foto dpa


ami.BERLIN,21. Oktober. SPD und Uni-
on wollen die wichtigsten klimapoliti-
schen Gesetze bis zum Jahresende in Bun-
destag und Bundesrat beschlossen haben.
Dazu hat sich der Koalitionsausschuss be-
kannt – und damit Vorgaben für die weite-
ren Beratungen gemacht. Diese Fristset-
zung soll für alle Regeln gelten, die bis
spätestens diese Woche das Kabinett pas-
sieren. Dem Ausschuss gehören auch die
Vorsitzenden von SPD und CSU an, die
kein Amt in der Bundesregierung haben.
Passend dazu legte das Umweltministe-
rium am Montag einen weiteren Referen-
tenentwurf vor, der am Mittwoch die Zu-
stimmung der Ministerrunde erhalten
soll. Dabei geht es um die geplante Ver-
teuerung vor allem von Heizöl, Flüssig-
gas, Erdgas, Kohle, Benzin und Diesel
durch die Einführung eines nationalen
Emissionshandelssystems in den Berei-
chen Gebäude, Verkehr sowie bei jenen
Industriebetrieben, die nicht vom europäi-
schen Emissionshandel abgedeckt sind.
Dafür soll ab dem Jahr 2021 ein Festpreis
von zunächst 10 Euro je Tonne berechnet
werden, der sich dann 2022 verdoppelt

und ab 2023 in 5-Euro-Jahresschritten bis
2025 auf 35 Euro steigt. Danach soll sich
der Preis nach Angebot und Nachfrage
entfalten, aber 60 Euro nicht übersteigen.
Die Autofahrer müssen sich auf Zusatz-
kosten von anfänglich 3 Cent je Liter bis
später 20 Cent einstellen. Die Abgabe
nimmt zwar die Endverbraucher nicht di-
rekt in den Blick, sondern setzt bei den Öl-
raffinerien (Inverkehrbringer) oder den
Gaslieferanten (letzte Handelsstufe) an.
Laut Gesetzentwurf sind das 4045 Unter-
nehmen, die letztlich als Zahlstelle für die
Abgabe in Frage kommen. Sie sollen regel-
mäßig ermitteln, wie viele Treibhausgase
sie durch ihre Produkte in Verkehr ge-
bracht haben und dafür die entsprechen-
den Zertifikate vorlegen. Wer besonders
umweltfreundlich produziert, kann ver-
bliebene Emissionsrechte über die Börse
an diejenigen verkaufen, die zusätzliche
benötigen. Allerdings werden sie die Kos-
ten dafür auf den Preis umlegen und auf
die Konsumenten wälzen. Nur so kann
der Preis die beabsichtigte Wirkung ent-
falten, etwa in Ersatzinvestitionen in eine
effizientere Versorgung.

Chemiebranche vor


zäher Tarifverhandlung


Rückenwind für neue Schweizer Klimapolitik


Wahlerfolg der Grünen ebnet Weg zu schärferem CO 2 -Gesetz / Unternehmen fürchten mehr Verbote und Subventionen


Deutsche sparen


unabhängig vom Zins


Regierung bereitet den Start des


nationalen Emissionshandels vor


Sprit könnte von 2021 an zunächst drei Cent teurer werden


Merkel wünscht mehr Tarifverträge


Kanzlerin würdigt Deutschen Gewerkschaftsbund


Solarstrom holt kräftig auf


Internationale Energieagentur erwartet starkes Wachstum


Steigt der Rentenbeitrag auf 31 Prozent?


Anpassungskünstler
Zur Lage der Musikwissenschaft an
den Musikhochschulen

Die Bundesbank fordert,


das Renteneintrittsalter auf


69 Jahre zu erhöhen. Aber


selbst dann fehlen der


Rentenkasse viele Milliarden.

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