Frankfurter Allgemeine Zeitung - 22.10.2019

(Axel Boer) #1

SEITE 8·DIENSTAG, 22. OKTOBER 2019·NR. 245 Zeitgeschehen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Z


wei Tage nach dem „Super-Sams-
tag“, aus dem schnell die Luft ent-
wich, hat die Regierung Johnson wie-
der kein Glück gehabt. Genauer: Sie
biss beim „Speaker“ des Unterhauses
auf Granit, der eine neue Abstimmung
über den Brexit-Vertrag am Montag ab-
lehnte. Also gab es wieder keinen
Durchbruch aus London zu vermelden,
die Partner des Vereinigten König-
reichs bleiben im Unklaren. Die briti-
sche Regierung muss jetzt die mit dem
Austritt aus der EU verbundene Gesetz-
gebung durch das Parlament bringen,
und zwar im Schweinsgalopp, will sie
den Austrittstermin 31. Oktober einhal-
ten. Aber der ist mutmaßlich nicht zu
halten; schließlich hat die Regierung –
widerwillig, aber wie es das Gesetz ver-
langt – bereits um Verlängerung gebe-
ten. Abgeordnete der Opposition wer-
den Änderungs- und Ergänzungsanträ-
ge einbringen. Sie dürften auch ihre Zu-
stimmung zum Deal an das Zugeständ-
nis eines zweiten Referendums knüp-
fen. In den nächsten Tagen wird es in
Westminster heiß hergehen – und „Eu-
ropa“ wird das Geschehen staunend
oder irritiert verfolgen. Und sich auf
Verlängerung einstellen. K.F.


E


s ist schwer zu sagen, wie sehr die
Kritik selbst eingefleischter Unter-
stützer an seiner Syrien-Politik den
amerikanischen Präsidenten beein-
druckt. Es wird auch vor seiner Ent-
scheidung, die amerikanischen Solda-
ten aus den kurdischen Gebieten im
Norden Syriens abzuziehen, Leute gege-
ben haben, die Trump genau davor ge-
warnt hatten. Denn natürlich treten die
Vereinigten Staaten Einfluss an Russ-
land, die Türkei und an Iran ab; natür-
lich erschüttert das ihre Glaubwürdig-
keit als verlässlicher Verbündeter. Die
Türkei hat die „Einladung“ zur Militär-
operation gegen kurdische Milizen
prompt angenommen. Jetzt soll die Re-
gierung Trump erwägen, doch ein paar
hundert Soldaten zurückzulassen –
zum Schutz von Ölfeldern, damit die
nicht in die Hände von Assad oder isla-
mistischen Terrorbanden fallen, und
zum Kampf gegen den „Islamischen
Staat“. Wenn das so ist, muss man sa-
gen: Die Kehrtwenden in der amerika-
nischen Syrien-Politik haben ein bestür-
zendes Ausmaß erreicht. Es ist gekom-
men wie vorhergesagt: Nach dem Ab-
gang der Profis übernehmen „Instinkt“
und Unfähigkeit das Kommando. K.F.


D


ie „Halbzeitbilanz“, auf deren Ver-
fahren sich die Koalition geeinigt
hat, wird darüber Aufschluss geben,
wie geschickt die drei Parteien davon
ablenken, dass sie sich sehr weit vom
Koalitionsvertrag entfernt haben. Euro-
pa, Zusammenhalt und Heimat stehen
darin ganz oben auf der Tagesordnung,
wohingegen Klimapolitik zu den Unter-
punkten zählt. Sinnbild dieser Verschie-
bung ist das Stiefmütterchen der Koali-
tion, die „Gleichwertigkeit der Lebens-
verhältnisse“. Zusammen mit einer Ent-
fesselung des Ausbaus der Infrastruk-
tur durch vereinfachte Genehmigungs-
verfahren und einer gründlichen Steuer-
reform hätte sich die Koalition damit
das Etikett „Staatsreform“ an den Hut
heften können. Doch die Gleichwertig-
keit hat sie aus den Augen verloren,
und die Vereinfachung von Planungsbü-
rokratie könnte allenfalls auf dem Um-
weg über die Energiewende noch ange-
stoßen werden. Wahrscheinlicher aber
ist, dass nun alle Augen auf die SPD
und ihren Parteitag im Dezember ge-
richtet sind. Das ist nicht der „Auf-
bruch für Europa“ oder die „neue Dyna-
mik für Deutschland“, wie sie der Koali-
tionsvertrag beschwört. kum.


Regula Rytz hat recht behalten: „Wir
sind die Partei der Stunde“, sagte die
Präsidentin der Schweizer Grünen be-
reits vor den Parlamentswahlen. Tat-
sächlich hat ihre Partei am Sonntag ei-
nen Rekord gebrochen: In der großen
Kammer des Parlaments (Nationalrat)
gewannen die Grünen 17 Sitze hinzu.
Das ist der größte Sprung, den eine Par-
tei seit Einführung des Verhältniswahl-
rechts vor 100 Jahren jemals geschafft
hat. Die Grünen erreichten einen Wäh-
leranteil von 13 Prozent. Das sind
sechs Prozentpunkte mehr als vor vier
Jahren.
Angesichts der derzeit ohnehin
stark ökologisch geprägten politischen
Großwetterlage und der damit einher-
gehenden Partylaune in ihrer Partei
hatte die 57 Jahre alte Grünen-Chefin
eindringlich davor gewarnt, im Wahl-
kampf selbstzufrieden die Zügel schlei-
fen zu lassen. Sie selbst ging mit gutem
Beispiel voran: „Bin im Straßenwahl-
kampf und derzeit schwer zu errei-
chen“, lautete ihre E-Mail-Antwort auf
Anfragen. An Einsatz lässt es die Politi-
kerin, die seit 2012 der Grünen Partei
vorsitzt, nie mangeln. Sie kümmert
sich oft auch um die kleinsten Details,
was ihr in ihrem Umfeld auch als Pe-
danterie angekreidet wird. Insgesamt
genießt sie in ihren Reihen jedoch vol-
len Rückhalt.
Wenn Rytz öffentlich auftritt, wirkt
sie mit ihrer kontrollierten Art zuwei-
len wie eine Lehrerin, die mal streng,
mal fürsorglich, aber immer konzen-
triert und zumeist auch mit einem ver-
bindlichen Lächeln ihre Botschaften
präsentiert. Ihr bürgerlich-biederes Er-
scheinungsbild darf nicht darüber hin-
wegtäuschen, dass sie politisch weit
links steht. Im Schweizer Volksmund
gelten die Mitglieder ihrer Partei als
„Melonengrüne“: außen grün, innen
rot. Anders als in Deutschland gehen
grüne „Fundis“ und „Realos“ in der
Schweiz längst getrennte Wege: 2004
spalteten sich die Grünliberalen ab.
Rytz’ Credo lautet: „Wir verheiraten
Umwelt- und Sozialpolitik. Grün geht
nur sozial.“ Folglich plädiert sie zum
Beispiel nicht nur für eine Verschär-
fung des Schweizer CO 2 -Gesetzes und
für staatlich finanzierte Haussanierun-
gen, sondern auch für mehr Mieter-
schutz und eine ausgewogenere Vertei-
lung von Einkommen und Vermögen.
Rytz wurde in Thun geboren. Ihr Va-
ter war Architekt, die aus Schlesien
stammende Mutter Musikerin. Sie
wollte zunächst Pianistin werden, stu-
dierte dann aber Geschichte, Soziolo-
gie und Staatsrecht in Bern. Schon als
Studentin engagierte sie sich bei den
Grünen. Die politische Arbeit führte
sie in den Gemeinderat der Stadt
Bern, wo sie die Direktion für Tiefbau
und Verkehr leitete. Seit 2011 sitzt sie
im Nationalrat.
Die Berufserfahrung in der Berner
Exekutive könnte Rytz auf ihrem wei-
teren Weg noch zugutekommen: Da-
mit empfiehlt sie sich für eine Wahl in
die Regierung. Dort saß bisher noch
nie ein Vertreter der Grünen auf der
Ministerbank, weil gemäß der soge-
nannten Zauberformel die sieben zu
vergebenden Plätze an die vier stärks-
ten Parteien gehen. Seit Sonntag sind
die Grünen die viertstärkste Kraft. Re-
gula Rytz wird also Ansprüche anmel-
den. JOHANNES RITTER

Regula RYTZ Foto Picture Alliance


Auf Granit gebissen


BERLIN,21. Oktober


I


m Sommer hat es einige Zeit so ausge-
sehen, als werde die endlose Ge-
schichte der Instandsetzung der
Gorch Fock in absehbarer Zeit zu einem
guten Ende kommen. Aber nun ist das
Schicksal des Segelschulschiffs, das schon
seit fast vier Jahren in der Werft ist, wie-
der ungewiss. Der Zeitplan, so viel ist
klar, verlängert sich abermals. Die in In-
solvenz befindliche Elsflether Werft, die
das Schiff auf Vordermann bringen sollte,
ist auf der Suche nach Investoren. Subun-
ternehmer verlangen hundertprozentige
Vorausleistungen für weitere Schiffsarbei-
ten, andere halten wochen- und monate-
lang Bauteile zurück, die sie gefertigt
oder instandgesetzt haben, weil sie offene
Forderungen an die Werft beklagen. Dort
wiederum suchen sowohl die neue Ge-
schäftsleitung als auch die Staatsanwalt-
schaft noch immer nach Millionen, die
zwar eingenommen wurden, etwa als Zah-
lungen des Verteidigungsministeriums
für die Schiffssanierung, dann aber in an-
deren Kanälen verschwanden. Dabei war
möglicherweise Betrug im Spiel.
Das alles sorgt für Verunsicherung bei
Werften, Handwerksbetrieben und der
Mannschaft. Ein Trost ist immerhin, dass
Kapitän Nils Brandt weiterhin mit seiner
Aufgabe betraut bleibt, obwohl ein turnus-
mäßiger Wechsel des Offiziers längst an-
steht. Brandt ist seit Juli 2014 Komman-
dant des Schiffes, drei Viertel seiner
Dienstzeit hat er allerdings auf Werften
verbracht. Denn die Gorch Fock, eine
Bark aus dem Jahre 1958, befindet sich
seit November 2015 in einer Instandset-
zung, die sich im Laufe der Jahre zur Bei-
naheverschrottung des Schiffs entwickel-
te. Während sich die Fertigstellung immer
weiter verzögerte, stiegen die mutmaßli-
chen Kosten um das etwa Fünfzehnfache
des ursprünglichen Ansatzes, auf zuletzt
128 Millionen Euro. Im Zusammenwirken
von Inkompetenz, organisierter Verant-
wortungslosigkeit, Geldverschwendung
und zumindest korruptionsähnlichen Ver-
hältnissen ist das Vorhaben in mancher
Hinsicht exemplarisch für den Verlauf von
Projekten im Bereich des Verteidigungsmi-
nisteriums und der Industrie.
Im Sommer 2019 schien allerdings Ret-
tung möglich, Ende Juni wurde entschie-

den, die Instandsetzung zu vollenden und
die Gorch Fock wieder fahren zu lassen.
In einer Mitteilung der Marine vom 28.
Juni heißt es: „Bis Herbst 2020 soll die
Gorch Fock fertiggestellt werden – und
das Projekt muss dabei im Rahmen der ver-
einbarten Zeit- und Kostenvorgaben blei-
ben.“ Beides steht aber schon wieder in
Zweifel. Eine für den Sommer geplante öf-
fentliche Präsentation des Schiffes mit ste-
henden Masten fiel aus – unter anderem
weil die Masten fehlten. Erst vor wenigen
Tagen sei es gelungen, so ist aus dem Ver-
teidigungsministerium zu hören, mit der
Herstellerfirma eine Vereinbarung über
die Herausgabe der neugefertigten Mas-
ten zu schließen. Die Elsflether Werft teil-
te dazu auf Nachfrage mit, man habe sich
mit dem Lieferanten der Masten „zeitge-
recht geeinigt. Die Einigung macht einen
Einsatz der Masten innerhalb des verein-
barten Terminplans möglich.“
Das Schiff liegt seit Ende Juni in der
Halle einer anderen Werft, der Fassmer,
13 Kilometer südlich der Elsflether Werft.
Fassmer ist ein Familienunternehmen und
internationaler Player. Dort wurden unter
anderem neue Boote der Küstenwache ge-
baut, aber auch Marineschiffe und Fäh-

ren. Die Werft gehört neben der ebenfalls
in größerem Maßstab im Rüstungswesen
aktiven Bremer Lürssen-Werft zu den
möglichen Interessenten an einer Über-
nahme der angeschlagenen Elsflether
Werft. Hinter den Kulissen wird derzeit
um Bedingungen gerungen, vielleicht gibt
es auch andere Interessenten. Die Ge-
schäftsführung der Elsflether Werft teilt
dazu nur so viel mit: „Wir verhandeln aus-
sichtsreich mit mehreren, in der Branche
hoch angesehenen Investoren und arbei-
ten darauf hin, in den nächsten Wochen
zu einem Abschluss zu kommen.“
Möglicherweise werden die Instandset-
zungsarbeiten auf der Gorch Fock erst
dann wieder richtig Fahrt aufnehmen,
wenn es Investoren und frisches Geld gibt.
So lange bleibt sogar die Frage, ob es ei-
nen fest vereinbarten Terminplan über-
haupt gibt, unbeantwortet. Auf der Werft
passiert jedenfalls nach dem Eindruck
von Insidern der Marine „relativ wenig“.
Es gebe vorbereitende Arbeiten für die
weitere Instandsetzung. Vermutet wird,
dass dies auch einfach am Geld liegen
könnte, denn an der Gorch Fock arbeiten
die meisten Handwerksbetriebe nur noch
gegen Vorkasse. Hat die Werft dazu noch

das Geld? Werftvorstand Axel Birk sagt,
man sei liquide. Aber es heißt vom Auf-
sichtsratsvorsitzenden Pieter Wasmuth
auch: „Es wird der Elsflether Werft gut-
tun, wenn der neue Investor aktiv wird
und die Zeit des Insolvenzverfahrens hin-
ter sich lässt.“
Im Verteidigungsministerium geht man
davon aus, dass der vereinbarte Zeitplan
nur zu halten ist, wenn die Investorenver-
handlungen rasch abgeschlossen werden.
Teil des Übernahmepakets soll es sein,
den 128-Millionen-Kostenrahmen zu ga-
rantieren, den Verteidigungsministerin Ur-
sula von der Leyen als Bedingung für die
letzte Instandsetzungszusage gestellt hat.
Für eine größere Werft, die wie etwa Lürs-
sen zugleich um einen Milliardenauftrag
für das neue Mehrzweckkampfschiff der
Marine konkurriert, dürfte das letztlich
kein Hinderungsgrund sein.
Der Offiziersnachwuchs muss derweil
weiter mit Provisorien leben. So wurde
vor ein paar Tagen bekannt, dass die
nächste Crew ihre seemännische Grund-
ausbildung auf der Alexander von Hum-
boldt II absolvieren wird. Im Januar geht
es zu den Kanarischen Inseln. Dieser
65-Meter-Segler ist übrigens vor zehn Jah-
ren für insgesamt 15 Millionen Euro neu
gebaut worden. Ansonsten wird mit zivi-
len Segelschiffen in der Kieler Bucht ge-
übt und an einem Ausbildungsmast an der
Marineschule Mürwik. Auf der Gorch
Fock werden frühestens im Frühjahr 2021
wieder Kadetten ausgebildet. Denn selbst
wenn das schöne Schiff im Herbst 2020
wieder in Betrieb genommen wird, dauert
es drei, vier Monate, ehe eine größtenteils
erneuerte Stammbesatzung wieder so
weit eingesegelt ist, dass sie Kadetten aus-
bilden kann. Frühestens 2021 soll es so
weit sein. Die neue Verteidigungsministe-
rin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU)
hat zu dem Thema noch nicht viel zu sa-
gen. Am 3. Oktober wurde sie an Bord ei-
ner Fregatte nach der Gorch Fock gefragt
und erklärte, es gebe nichts Neues und:
„Ich hätte mich sehr gefreut, wenn die
Gorch Fock am heutigen Tag schon hier
gewesen wäre. Das wäre ein tolles Zei-
chen für den Tag der Deutschen Einheit
gewesen.“ Hätte und wäre – so segelt das
vielgeliebte und schwer geschundene
Schiff weiter im Konjunktiv.

Melonengrün


WIEN,21. Oktober.


M


acron sagt „non“, und auf dem
Balkan stürzt eine Regierung:
Wenn Europa nach Beweisen da-
für sucht, dass es politisch Einfluss hat in
der Welt, kann es sie derzeit in Skopje fin-
den. Nachdem Frankreichs Präsident Em-
manuel Macron auf dem Gipfel der Euro-
päischen Union in der vergangenen Wo-
che den Beginn von EU-Beitrittsgesprä-
chen mit Nordmazedonien verhindert hat-
te, dauerte es nur 48 Stunden, bis die nord-
mazedonische Regierung ihr nahendes
Ende ankündigte.
Bei von Staatspräsident Stevo Penda-
rovski koordinierten Gesprächen kamen
am Sonntag Nordmazedoniens proeuro-
päischer Ministerpräsident Zoran Zaev
und die Chefs der im Parlament in Skopje
vertretenen Parteien zu Beratungen dar-
über zusammen, wie es weitergehen sol-
le. In der Nacht zum Montag stand der
Fahrplan fest: Zaev wird Anfang Januar
zurücktreten, um einer technischen Über-
gangsregierung Platz zu machen, bevor
dann am 12. April eine vorgezogene Parla-
mentswahl stattfindet. Dabei wird es um
nichts weniger gehen als um Zaevs Kurs
der Annäherung an die EU.
Zaev war es unter erheblichen Wider-
ständen gelungen, eine Änderung des ma-
zedonischen Staatsnamens durchzuset-
zen. Die nötige Zweidrittelmehrheit im
Parlament kam nur unter großen Mühen
zustande. Doch nachdem die Volksvertre-
tung schließlich zugestimmt hatte, wurde
„Mazedonien“ zu Jahresbeginn offiziell
in „Nordmazedonien“ umbenannt. Damit
war ein Hindernis aus dem Weg geräumt,
das Mazedoniens Annäherung an die EU
mehr als zwei Jahrzehnte lang im Weg ge-
standen hatte: Griechenland hatte, unter

Verweis auf eine eigene Provinz namens
Makedonien sowie auf vermeintlich histo-
rische Gründe, stets die Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen mit einem Staat
verhindert, der durch seinen Namen an-
geblich die griechische Antike usurpiere.
Da Paris von der partiellen Identitäts-
aufgabe der Mazedonier unbeeindruckt
blieb, wird in Nordmazedonien nun lau-
ter als zuvor gefragt, ob die Staatsumtaufe
nicht ein Fehler war. Die mächtige albani-
sche Minderheit hatte zwar nichts dage-
gen, doch bei der slawischen Bevölke-
rungsmehrheit des Landes war die Aufga-
be des alten Staatsnamens unpopulär. For-
mal halten zwar alle Parteiführer an dem
Ziel einer EU-Annäherung samt Vollmit-
gliedschaft fest. Staatspräsident Penda-
rovski, ein politischer Verbündeter Zaevs,
versichert in diesem Sinne, das „strategi-
sche Ziel“ einer EU-Mitgliedschaft bleibe
innenpolitisch unumstritten.
Tatsächlich wird sich auch in der zwi-
schen Nationalismus, Populismus und Pa-
triotismus changierenden größten Oppo-
sitionspartei VMRO kein maßgeblicher
Politiker finden, der offen das Fernziel ei-
nes EU-Beitritts in Frage stellte. Die
VMRO, die das Land zuletzt von 2006 bis
2016 regierte, hatte im vergangenen Jahr
zwar scharf gegen die Änderung des
Staatsnamens opponiert, aber stets be-
hauptet, dennoch die EU-Mitgliedschaft
für das Land anzustreben.
Bis heute gibt es keine eindeutig an-
derslautende Äußerung von VMRO-Chef
Hristijan Mickoski. Im Detail sieht es je-
doch anders aus. Ein Land namens Nord-
mazedonien existiert in der politischen
Rhetorik der VMRO nicht – oder wenn,
dann nur als Schimpfwort. Mickoski und
andere Parteiführer sprechen weiterhin

nur von Mazedonien. Auch Plakate oder
Banner der Partei kennen allein den alten
Staatsnamen. Antonio Milošoski, führen-
der VMRO-Politiker und mazedonischer
Außenminister von 2006 bis 2011, bringt
die Haltung seiner Partei so auf den
Punkt: „Unsere Bürger nennen ihr Land
Mazedonien und werden es auch künftig
so nennen, wie sie es historisch gewöhnt
sind und wie es ihrem Recht auf freie Mei-
nungsäußerung entspricht. Oktroyierte
Lösungen werden den Willen der Bevölke-
rung nicht überdauern.“
Sofern es der VMRO gelingen sollte,
nach der Wahl im April die Regierungs-
macht zu übernehmen, wäre diese Hal-
tung eine Garantie für eine Verschlechte-
rung der Beziehungen zu Griechenland.
Das gilt auch deshalb, weil das sogenann-
te Prespa-Abkommen vom Juni 2018, mit
dem die historische griechisch-mazedoni-
sche Aussöhnung eingeleitet wurde, zwar
unterzeichnet, aber noch nicht in allen
Punkten implementiert ist. Es war ein klu-
ger Schachzug des damaligen grie-
chischen Außenministers Nikos Kotzias,
dem wichtigsten Architekten des Abkom-
mens, einige Streitpunkte, die absehbar
das gesamte Einigungswerk hätten gefähr-
den können, in die Zukunft zu verlagern.
Das Prespa-Abkommen (benannt nach
dem zu Mazedonien, Griechenland und
Albanien gehörenden See, an dessen grie-
chischem Ufer es unterzeichnet wurde),
sieht deshalb unter anderem vor, dass Wa-
renzeichen oder Handelsgüter erst nach-
träglich und sukzessive der neuen Termi-
nologie angepasst werden. Es geht zum
Beispiel darum, wer das Recht hat, „maze-
donischen Wein“ zu verkaufen. Laut frü-
herer Athener Lesart kann mazedoni-
scher Wein nur aus Nordgriechenland

kommen. Winzer in Nordmazedonien
wollen ihre Waren aber unter dem glei-
chen Etikett exportieren – wie sie es bis-
her auch schon getan haben. Eine Kom-
mission unter Beteiligung der Handels-
kammern beider Länder soll Lösungen
aushandeln und ist in vielen Fragen auch
schon weit gekommen.
Von einer VRMO-geführten Regierung
wäre indes kaum zu erwarten, dass sie
sich für die Implementierung solcher und
anderer Details des von ihr ohnehin abge-
lehnten Abkommens starkmacht. Das wie-
derum würde den in nationalen Fragen
als gemäßigt bis leidenschaftslos gelten-
den griechischen Ministerpräsidenten
Kyriakos Mitsotakisauf den Plan rufen,
der als Oppositionsführer aus wahltakti-
schen und innerparteilichen Gründen
noch heftig gegen das Abkommen Stim-
mung gemacht hatte. Als Mitsotakis und
Zaev sich im September auf der UN-Voll-
versammlung in New York erstmals per-
sönlich trafen, sagte der Grieche: „Ich hät-
te das Prespa-Abkommen nicht unterzeich-
net, werde es aber akzeptieren.“ Ein Minis-
terpräsident in Skopje, der konsequent
den alten Staatsnamen benutzt, wird je-
doch Athener Reaktionen hervorrufen.
Allerdings ist längst nicht ausgemacht,
dass es in Nordmazedonien zu einem
Machtwechsel kommt. Denn selbst wenn
die VMRO wiederum stärkste Kraft wer-
den sollte, bleibt die Frage, wen sie in
Skopje als Koalitionspartner fände. Auf-
schlussreich werden die ersten Meinungs-
umfragen sein, die Macrons „Non“ bereits
einbeziehen. Amtsinhaber Zaev gibt sich
jedenfalls optimistisch. Er glaube, so der
scheidende Ministerpräsident, dass die
Bürger am 12. April eine „weise Entschei-
dung“ treffen werden.

Kehrtwenden-Politik


Ohne Dynamik


Segeln im Konjunktiv


Die Gorch Fock sollte rasch wieder in See stechen – aber die Fertigstellung verzögert sich weiter / Von Peter Carstens


Auf dem Trockenen:Die „Gorch Fock“ im Juli in der Fassmer Werft Foto dpa


Mazedonischer Wein


Wie die EU auf dem Balkan eine Regierung stürzt und ein historisches Abkommen gefährdet / Von Michael Martens


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